Ein künstlerisches Dankeschön …

… an Asta, von der ich Post in meine Packstation bekam. Das Buch Funkkolleg Kunst. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen, das sie mir schickte, kannte ich bisher noch nicht, freue mich aber sehr darüber. Im Klappentext steht unter anderem, dass „die Kunst im Laufe der Geschichte auf Grund der unterschiedlichsten Rahmenbedingungen ihr Wesen und ihre Individualität verändert hat, ja dass ihre Eigenart nur erkannt werden kann, wenn zugleich deutlich wird, was ihr abgefordert wurde und wie sie darauf reagiert hat.“

Einige der Autorennamen sind mir im Studium schon untergekommen, zum Beispiel Hans Belting, den ich bereits in meinem Memling-Referat zitierte, oder Willibald Sauerländer, auf dessen Buchbeitrag über die Kathedralenfassade ich schon sehr gespannt bin. Vielen Dank für die schöne Überraschung, ich habe mich sehr gefreut.

Ein animalisches Dankeschön …

… an Sylvia, die mich mit Monika Marons Animal triste überrascht hat. Ich weiß gar nicht mehr, wer mir dieses Buch empfohlen hat – ich habe von Frau Maron bisher nichts gelesen und freue mich daher sehr auf die Lektüre. Vielen Dank für die nette Überraschung!

Drei Minuten Mozart

Ich quengele ja gerne darüber, dass mir Mozart-Opern so richtig auf den Keks gehen. Half aber nichts – gestern musste ich mich in Musikwissenschaft mit ihnen befassen. Oder wie mein Professor so schön sagte: „Passend zum Heiratsdatum 12.12.12 beschäftigen wir uns heute mit der Hochzeit des Figaro.“ Ich will nicht sagen, dass ich nach 90 Minuten bekehrt bin, aber mein Genöle, dass Mozart bloß Ohrenplüsch ist, lasse ich jetzt lieber mal bleiben.

Wenn Sie mal kurz die Noten der ersten Szene aufschlagen würden? Ich warte.

Alle wieder da? Gut.

In der Opera buffa geht es nicht mehr ganz so streng zu wie in der Opera seria, wo jede Handlung nur im Rezitativ stattfindet und die Arien die Aktion keinen Deut voranbringen. Jetzt darf auch per Gesang kundgetan werden, was gerade so abgeht. Außerdem hat der Adel keine so große Rolle mehr. In der Oper seria waren alle ernstzunehmenden Partien Adlige, und das Volk diente, wenn es überhaupt vorkam, als comic relief. Prof: „Der Adel war schließlich nichts, worüber man lachen sollte. Dass das heute nicht mehr so ist, sehen wir am Fall zu Guttenberg.“*

Insofern ist der Figaro bemerkenswert, weil wir erstens Bürgerliche auf der Bühne haben, davon gleich zwei – und die singen relativ schnell gemeinsam. Anstatt dass wir erst mal in einem Rezitativ oder einer Solo-Arie gesagt bekommen, worum es hier geht und wer das da vorne überhaupt ist, geht’s gleich los und zwar mit einem Duett. Wir hören mal zu.

Das Vorspiel dauert schlanke 18 Takte (bis Seite 16, dritter Takt), man hört deutlich, wo es zu Ende ist – und eigentlich der Sänger beginnen müsste. Macht er aber nicht. Der Gute misst stattdessen irgendwas auf dem Boden aus und lässt das Orchester noch fünf Schläge weiterspielen – erst dann sagt er sein erstes Wort, und das lautet ausgerechnet „cinque“ (fünf). Und als ob das nicht schon hübsch genug wäre, bilden die beiden Silben dieses Wortes beim Singen eine Quinte. Spätestens hier fächelte ich mir Luft zu, weil ich so viel Cleverness einfach charmant finde.

In Takt 30 setzt dann Susanna ein und zwar mit einer Tonfolge, die in ihrer Verspieltheit an die flatternden Bänder ihres Hutes erinnert, den sie gerade vor dem Spiegel anprobiert. Sie bittet Figaro, ihn sich anzusehen, das heißt, sie spricht ihn an, woraufhin er seine Konzentration verliert und „aus dem Takt kommt“ – sein nächstes „cinque“ ist nur noch eine Quarte.

Als guter zukünftiger Ehemann weiß Figaro natürlich, was er zu sagen hat – „nein, du siehst in diesem Hut nicht dick aus“ – und so imitiert er brav ihre Melodie, nachdem er merkt, dass er mit dem Vermessen eh nicht weiterkommt. Sein erster Takt auf Seite 20 besteht aus genau den gleichen Noten, die auch Susanna schon im 5. Takt auf Seite 17 sang.

Der Prof meinte noch irgendwas von einer Dominante, mit der Figaro die Szene beschließt – quasi wie im Sonatensatz, wo das Seitenthema in der Dominante beginnt –, aber das finde ich nicht mehr wieder. Wir sind in G-Dur, sein „Seitenthema“ auf Seite 20 beginnt mit dem „Si“, aber das ist kein D (das wäre die Dominante von G), sondern ein A, wenn ich den ollen Bass-Schlüssel richtig lese. Hm.

(Edit: Post, Post, gleich zweimal Post mit zwei Theorien zur Dominante. Einmal von Stephan:

„der Anfangston des Seitenthemas (auf Seite 20 der Partitur) ist zwar ein a. Die Tonart ist jedoch D-Dur, wie man am Cis im Bass sehen kann, das in G-Dur ja nichts verloren hat. A-Dur ist es nicht, denn da müsste ein Gis vorkommen, was es nicht tut. Also: Der Prof hat schon recht.“

Und von Ulrike, die es anders, aber für mich genauso logisch erklärt:

„Ich habe mal kurz in der Partitur geblättert. Du hast richtig gelesen, das ist ein A, sogar A-Dur. A-Dur wäre die Dominante der Dominante (D) (man sagt auch Doppeldominante), kommt in G-Dur eigentlich gar nicht vor. Allerdings sieht es mir hier nach einer Transposition aus, also einem temporären Tonartwechsel von G-Dur nach D-Dur. Und in D-Dur ist A-Dur tatsächlich die Dominante.“

Dankeschön!)

In der Übung nach der Vorlesung haben wir dann die ersten fünf Minuten im Don Giovanni auseinandergenommen, für deren Handlung Wagner wahrscheinlich zwei Abende gebraucht hätte. Hat für mich immer noch den größeren Reiz, aber ich gebe zu, ich werde Mozart ab jetzt vielleicht etwas anders hören. Vielleicht am besten mit den Noten auf den Knien, bevor ich das sechste Mal in eine Mozart-Oper gehe und zum sechsten Mal genervt wieder rauskomme.

* Für diese Bemerkung hat der Prof, laut Eigenaussage, nach der Vorlesung von den Seniorenstudenten einen Satz heiße Ohren kassiert: Das sei ja völlig aufgeblasen worden, diese „Affäre“, der sei doch ein Guter, der habe doch kaum abgeschrieben, damit müsse sich der Prof doch bitte noch mal beschäftigen. Seufz.

Oh Boy

Oh Boy (D 2012, 88 min.)

Darsteller: Tom Schilling, Marc Hosemann, Friederike Kempter, Ulrich Noethen, Justus von Dohnányi, Michael Gwisdek
Kamera: Philipp Kirsamer
Musik: The Major Minors
Drehbuch: Jan Ole Gerster
Regie: Jan Ole Gerster

Trailer

Offizielle Website

Bei der ersten Einstellung dachte ich noch, uh, böser „Lost in Translation“-Rip-Off, als ich die halbbekleidete Dame mit dem Rücken zu mir im Bett liegen sah und sofort an Scarletts Hintern denken musste. Aber dieses Mal legt sich kein Bill Murray dazu, sondern Tom Schilling tut das Gegenteil: Er versucht sich davonzuschleichen, was ihm nicht gelingt. Die Dame erwacht, bittet ihn, sich doch noch mal zu setzen, die beiden plaudern schmerzhaft oberflächlich, bis er auf die Frage nach einem abendlichen Treffen erwidert, er habe noch zu tun. Worauf ihr liebevolles Lächeln erlischt und sie schnöde fragt, was er denn bitte zu tun habe.

Das fragt man sich eigentlich die ganze Zeit, während „Oh Boy“ läuft. Schilling spielt Niko, einen jungen Mann in Berlin, der sein Jurastudium abgebrochen hat und nun den Tag damit verbringt, eine Kaffeequelle aufzutun und sich von jedem in seiner Nähe Feuer zu erbitten (zuhause tut es der Toaster). Dazwischen trifft er Menschen: Familie, alte Freunde, uralte Bekannte und neue Gesichter. Und diese Begegnungen, in denen so viele Lebensentwürfe stecken, tragen den ganzen Film und retten ihn davor, einer der üblichen „Slacker in Berlin“-Filme zu sein.

Da ist sein Nachbar, der nach dem üblichen An-der-Tür-Geplänkel mit einer Enthüllung und einem Gefühlsausbruch überrascht, der einen zurückschrecken lässt – und ihn uns gleichzeitig näher bringt. Da ist sein Kumpel Matze, der über allem zu stehen scheint und mit seiner unerschütterlichen Gradlinigkeit einen ruhigen roten Faden in den Film bringt, der sonst vielleicht eine bloße Nummernrevue geworden wäre. Und da ist Nikos alte Schulfreundin Julika, die sich äußerlich verändert hat und innerlich noch genauso verletzt, zerrissen und unfassbar traurig ist. Gerade ihre Rolle hat mir aus persönlichen Gründen sehr gut gefallen; ich habe bei vielen ihrer Sätze den Atem angehalten, weil es sonst zu sehr weh getan hätte.

Auch Niko muss einiges an Schmerzen wegpacken: die Konfrontation mit einigen Staatsbeamten und mit der Familie, die, wie wir wahrscheinlich alle wissen, noch anstrengender sein kann. Sein Vater hat nach zwei Jahren endlich herausgefunden, dass er Nikos Nichtstun finanziert. Jedenfalls kommt es ihm so vor. Niko dagegen erwidert auf die Frage, was er die ganze Zeit gemacht habe, schlicht, überzeugend und ehrlich: Er habe über sich nachgedacht. Und in diesem einen Satz verbirgt sich die ganze Naivität, die ganze Hoffnung und die überbordende Zuversicht, dass alles so richtig ist und alles irgendwann gut sein wird. Im Moment sieht es zwar nicht so toll aus, ohne Freundin, ohne Geld und ohne Führerschein und dann gibt es auch in dieser ganzen verdammten Stadt keinen Kaffee … wobei: die Stadt. Berlin ist in „Oh Boy“ mehr als nur Kulisse, aber netterweise weniger als das vielbeschworene Lebensgefühl, das sich angeblich hinter diesen Postleitzahlen verbirgt. Obwohl der Film in schwarzweiß ist, scheint die Stadt zu strahlen. Sie ist eine einzige große Möglichkeit mit ihren S-Bahnen und Trams, die nie stillstehen, den tiefen Häuserschluchten, weiten Plätzen und den Menschen, Menschen, Menschen, die sich in ihr verteilen. Wen stört da eine fehlende EC-Karte.

„Oh Boy“ irrlichtert zwischen Komödie und Tragödie hin und her und er tut das mit bemerkenswerter Leichtigkeit und Konsequenz. Der letzte Mensch, den Niko nach einem langen, langen Tag trifft, fasst dann auch noch einmal alles zusammen, was die Menschheit ausmacht: Schrecken und Schönheit und es hört nie auf und es wird nie anders. Aber irgendwann kriegt Niko seinen Kaffee. Und die Stadt erwacht. Und alles wird gut.

Der Bechdel-Test:

1. Es müssen mindestens zwei Frauen mitspielen, die
2. miteinander reden
3. und zwar über etwas anderes als Männer.

Es spielen deutlich mehr Männer als Frauen eine tragende Rolle, und die wenigen Frauen, die dabei sind, reden nicht miteinander.

Test bestanden? So gar nicht.

Lemon Meltaways

Noch ein Rezept aus Hilda, dieses Mal von Feines Gemüse. Die Lemon Meltaways sind eigentlich Lime Meltaways und stammen von Martha Stewart. Da ich aber (noch) keine Ahnung habe, wo ich hier in München Bio-Limetten kriege, sind’s eben Zitronen geworden. Und ja, dekomäßig ist auch dieses Bild eher aus der Not geboren. (Ich hab hier ja nix. Außer Weihnachtskugeln.)

Die untenstehende Teigmenge ist nur ein Drittel des Originalrezepts, woraus ich ungefähr 25 Stück bzw. genau ein Backblech voll gekriegt habe.

100 g weiche Butter mit
25 g Puderzucker cremig aufschlagen. Dazu

Abrieb von einer halben Biozitrone (das nächste Mal nehme ich eine ganze),
1 guten EL Zitronensaft sowie
das Mark von 1 Vanilleschote unterrühren. Zum Schluss noch

180 g Mehl,
1 gehäuften EL Maisstärke (bei mir gewöhnliche Speisestärke) und
1 gute Prise Salz dazugeben.

Alles kurz verrühren und dann aus den Bröseln rasch einen Teig kneten. Zu einer Rolle formen, in Klarsichtfolie einhüllen und für mindestens eine Stunde im Kühlschrank parken. (In der Zeit kann man prima die Zimtsterne von gestern machen.)

Nach der Ruhezeit von der Rolle circa einen halben Zentimeter dicke Scheiben abschneiden und diese auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech umsiedeln. Für 10 bis 15 Minuten im auf 180° C vorgeheizten Ofen backen. Achtung, nicht braun werden lassen. Komplett auskühlen lassen und danach ordentlich in Puderzucker wälzen.

Genau den Schritt werde ich beim nächsten Mal nur sehr sparsam einsetzen – mir haben die Kekse ohne die zusätzliche Puderschicht noch besser geschmeckt. Und wie schon oben erwähnt: Da kann auch noch ruhig mehr Zitrone rein, aber mir kann es ja nie zitronig genug sein. Die Kekse sind fein-mürbe und krümeln gar lieblich im Mund rum. Sehr schönes Rezept.

Zimtsterne

Ja, Klassiker, ich weiß. Habe ich aber noch nie selbst gebacken, weil ich die gekauften immer so meh fand. Aber das folgende Rezept ist großartig. Ich habe es im wunderschönen Magazin Hilda gefunden, das mehrere Kochbloggerinnen gemeinsam erstellt und ins Internet gepackt haben – für lau. Dafür ein dickes Dankeschön. Ich verlinke mal auf Schöner Tag noch, weil das die einzige der Autorinnen ist, die ich kannte. Bei ihr findet sich der Rest der Truppe sowie noch mal der Downloadlink. Die Zimtsterne stammen übrigens von fleur du poirier.

(Mein erstes Münchener Fressfoto. Ich habe hier noch keinen Dekoquatsch, und auch mein geliebtes türkisfarbenes Schälchen, in dem alles gut aussieht, ist nicht hier. Muss eben Ikeakram herhalten.)

Laut dem Rezept kommen bei der untenstehenden Menge zwei bis drei Bleche raus – bei mir hat es zu zwölf Sternen und vier formlosen Gebilden aus Restteig gereicht. (Soll ja nix umkommen hier.)

In einer Schüssel
200 g Puderzucker,
130 g gemahlene Mandeln oder Haselnüsse (bei mir Nüsse),
2 TL Zimt,
140 g Marzipanrohmasse (ich habe sie etwas zerkleinert) sowie
70 g Zitronat vermischen. Ich habe statt Zitronat die abgeriebene Schale einer halben Zitrone verwendet. Dazu noch
1 Eiweiß, und dann alles miteinander verkneten.

Den Teig vorsichtig einen knappen Zentimeter dick ausrollen; am besten auf Backpapier, das ihr hin- und herdrehen könnt. Der Teig klebt irrsinnig und vor allem auf Arbeitsplatten, wo er auch gerne reißt. Falls ihr doch direkt auf der Arbeitsplatte ausrollt: eine Runde gemahlene Nüsse darauf verteilen. Kein Mehl!

200 g Puderzucker und
2 Eiweiß zu einer Baisermasse verquirlen. Bei mir hätte auch die Hälfte gereicht, wie ich beim Backen merkte, aber vielleicht habe ich den Teig zu dick ausgerollt. Mit einem Spritzer Zitronensaft trocket die Masse angeblich schneller; keine Ahnung, ob das stimmt, ich hab’s mal gemacht.

Die Baisermasse dünn auf der Teigplatte verstreichen. Daraus nun lustig Sterne ausstechen, auf ein Backblech umsiedeln und ungefähr 30 Minuten lang trocknen lassen. Dabei läuft der Baiser gerne an den Sternen runter, weswegen ich mich gefragt habe, ob man nicht erst die Sterne ausstechen und dann die Masse darauf verteilen sollte. Aber ich ahne, dass das ähnlich ausgesehen hätte.

Nach der Trockenzeit kommt alles in den auf 160° C vorgeheizten Ofen, wo es in zehn Minuten zu einem großartigen Gebäck wird. Nach dem Backen kann man die olle Baisermasse auch mit einem scharfen Messer prima von den Sternen lösen, damit alles hübsch ordentlich aussieht. Kann man auch lassen, dann hat man halt mehr Baiser zwischen den Zähnen. Auch gut.

Dezemberjournal: Alles anders, alles toll

Das Bett ist schmaler, die Stockwerkzahl höher. Meine Postleitzahl fängt mit 80 an. Das Bad ist größer, aber es hat kein getrenntes Klo. Die Dusche hat mehr Druck, kann aber nur knapp zu heiß und arschkalt. Dafür ist der Wasserdruck in der Küche gleich null, und wenn ich abwaschen will, brauche ich nur noch ein Tröpfchen Spülmittel, weil das Wasser eh nix aufschäumt. Ich habe von allem im Geschirrschrank nur vier Teile: Teller, Schälchen, Wassergläser, Besteck. Außer Weingläser, davon habe ich sechs. (Davon habe ich in Hamburg allerdings auch zwölf.) Der Supermarkt heißt Tengelmann statt Edeka, die Bushaltestelle Josephsplatz statt Kottwitzstraße. Dafür steige ich nicht irgendwo in Ottensen aus und denke über Autos nach, sondern an der Universität und denke über Bilder und Musik nach.

Und jedesmal, wenn mich irgendwas nervt (und im Moment nervt noch viel, weil ich völlig unterschätzt habe, wie viel Kleinscheiß ich für ein „Jetzt isses Zuhause“-Gefühl brauche), denke ich daran: Ich beschäftige mich mit Bildern und Musik. Es sind gerade acht Wochen, aber es kommt mir viel länger vor. Weil ich mich intensiver mit dem Thema auseinandersetze, weil alles neu ist, weil ich mich in alles reinkämpfen muss. Es fühlt sich allerdings überhaupt nicht nach reinkämpfen an; ich muss zwar dauernd nachschlagen, was jetzt noch mal der olle Sonatensatz* ist, den ich gerade in den ersten Sätzen der Beethoven-Klaviertrios suche, aber es fühlt sich wie Ostereiersuchen mit Weihnachtsgeschenkeauspacken an, wenn ich alles gefunden habe, was ich suche. Oder eben nicht, und dann fühlt es sich an wie „Wow, der olle Beethoven. Schon schlau.“

Ich sehe allmählich Dinge, die ich vorher nicht gesehen habe. Notenverläufe, die Dialoge zwischen Instrumenten darstellen. Fermaten, die keine schnöde Pause sind, sondern den Sänger oder die Sängerin flehend zurücklassen. Akkorde sind mehr als ein paar gemeinsame Noten, sie sind der Weg zur Auflösung oder zur völligen Verzweiflung, sie klingen nicht, sie leiten mich. Und bei Bildern ist es genauso: Die Romanik ist nicht mehr oll und platt, sondern eine faszinierende Vorstufe zur geliebten Gotik. Ich sehe ganz langsam die Kunstfertigkeit an den Reliefs, Kapitellen und Tympana, die ich vor gerade acht Wochen noch als naiv und unfertig empfunden habe. Inzwischen benutzte ich hemmungslos das schwärmerische Vokabular des Professors, dessen Vortragsstil ich immer noch anstrengend finde, aber ich spüre inzwischen, warum er so begeistert ist und uns ebenso begeistern will.

So wie bei der Eva, die sich ursprünglich im Türsturz des Nordportals von Saint-Lazare in Autun befand und heute im Musée Rolin zu bewundern ist.

(Klick!)

Die Skulptur wurde ungefähr um 1130 gefertigt, und wir wissen sogar, von wem, denn der Herr meißelte seinen Namen mal eben ins Portal. Es ist Gislebertus, einer der ersten Meister, die wir namentlich kennen. Was an an der Eva so faszinierend ist: Sie ist einer der wenigen Akte im Mittelalter, wo die Damenwelt sich eher bekleidet zeigte. Außerdem liegt sie, was einerseits ihrer Position zu verdanken ist – ein Türsturz ist nun mal eher breit als hoch –, aber was Gislebertus daraus gemacht hat, ist spannend. Erzählt wird, wie man leicht erkennen kann, der Sündenfall: Eva greift nach dem Apfel. Aber: Wo ist die Schlange, die sonst gerne abgebildet wurde? Ganz einfach: Eva verkörpert auch sie. Ihre liegende Haltung könnte nämlich auch so gedeutet werden, dass sie sich schlangengleich fortbewegt. Ihre Beine sind versetzt anstatt unbewegt hintereinander; sie scheint die Pflanzen vor sich wegzuschieben, die Halme werden von ihrem Oberkörper und Kopf gebogen. Dann: ihre Hand, mit der sie nach dem Apfel greift – sie sieht ein wenig wie das geöffnete Maul einer Schlange aus. Und schließlich ihre Haare, die sich feingliedrig an ihrer Schulter und ihrem Oberarm entlangzüngeln: Auch sie erinnern an der verführerische Kriechtier.

Auch der Rest des Türsturzes ist durchgestaltet: Pflanzen in verschiedenen Ausführungen umranken die Figur, durch die sie sich hindurchschlängelt. Ihre rechte Hand liegt sanft an ihrer Wange: Zweifelt sie? Zögert sie? Fast sieht es so aus, als würde ihre linke Hand gar nicht zu ihr gehören. Aber: Sie greift trotz allem nach dem unheilbringenden Apfel. Die Verführung der Schlange ist perfekt.

Und so sehe ich inzwischen fast alle Skulpturen. Ich sehe anders. Ich sehe genauer. Ich denke länger über Gesten nach, Motive, Gewandfalten, Hintergründe, Perspektiven. Und ich lasse mich gnadenlos und Hals über Kopf fallen in diese Schönheit, vergesse meine Coolness, meine Abgebrühtheit, meine Distanz, ich schwärme in meinen Protokollen genau wie im Blog und anscheinend klinge ich auch beim Referat so. (Jede/r sollte so klingen!)

Gestern fielen überraschenderweise die Kurse zur Messe in der Renaissance und zu den Beethoven-Trios aus, und anstatt zu denken, yay, nach Hause fahren und Serien gucken, dachte ich: Ach Mist. Ich hatte mich doch so auf euch gefreut.

* Exposition (Hauptthema, Überleitung, Nebenthema), Durchführung, Reprise, Coda.

< quote >

„Mein lieber Herr Kappus,

Ich will wieder eine Weile zu Ihnen reden, lieber Herr Kappus, obwohl ich fast nichts sagen kann, was hilfreich ist, kaum etwas Nützliches. Sie haben viele und große Traurigkeiten gehabt, die vorübergingen. Und Sie sagen, daß auch dieses Vorübergehen schwer und verstimmend für Sie war. Aber, bitte, überlegen Sie, ob diese großen Traurigkeiten nicht vielmehr mitten durch Sie durchgegangen sind? Ob nicht vieles in Ihnen sich verwandelt hat, ob Sie nicht irgendwo, an irgendeiner Stelle Ihres Wesens sich verändert haben, während Sie traurig waren? Gefährlich und schlecht sind nur jene Traurigkeiten, die man unter die Leute trägt, um sie zu übertönen; wie Krankheiten, die oberflächlich und töricht behandelt werden, treten sie nur zurück und brechen nach einer kleinen Pause um so furchtbarer aus; und sammeln sich an im Innern und sind Leben, sind ungelebtes, verschmähtes, verlorenes Leben, an dem man sterben kann. Wäre es uns möglich, weiter zu sehen, als unser Wissen reicht, und noch ein wenig über die Vorwerke unseres Ahnens hinaus, vielleicht würden wir dann unsere Traurigkeiten mit größerem Vertrauen ertragen als unsere Freuden. Denn sie sind die Augenblicke, da etwas Neues in uns eingetreten ist, etwas Unbekanntes; unsere Gefühle verstummen in scheuer Befangenheit, alles in uns tritt zurück, es entsteht eine Stille, und das Neue, das niemand kennt, steht mitten darin und schweigt.“

Rainer Maria Rilke, Brief an Franz Xaver Kappus, 1904

Dezemberjournal: Lesestunde (2)

„Im gotischen Dom ist ein Weltalter versteinert. Die ewigen Formen leben unter uns. Die ewigen Räume sind uns aufgetan. Noch tönt uns die Raum-Musik; noch glüht die Farbenmystik der Glas-Fenster; noch redet uns Goldgrund-Bild und Stein-Gestalt. Aber hinter diesen Räumen, Bildern und Gestalten ruht eine Welt der Dichtung und des Gedankens, die uns verborgen ist: die heiligen Sagen des Mittelalters sind verklungen, die heiligen Bücher sind verschlossen; Worte dringen nicht mehr an unser Ohr. Was in Steinen gedacht ist, steht fest und dauert, zu zeitloser Kunstgestalt erhöht. Was aber in Worten gedacht und gedichtet ist, das wird ins Schicksal der Begriffe mit hineingezogen; der Verstand anderer Zeiten fragt nach dem Falsch und Richtig; Sinn-Bilder des Geistes werden als Erkenntnis-Irrtum für Fabel und Aberglaube erklärt, verworfen, – vergessen.

Was wissen wir von dem Geist des Mittelalters? Ist er in den Bekenntnis-Streitigkeiten der Bischöfe und Äbte? Ist er im Haß der Kaiser und Päpse? Wird er erkannt im historischen Geschehen? Die Taten einer Zeit spiegeln den Geist nicht, sie sind aus irdischer Not geboren. In den Werken lebt der Geist wohl – er enthüllt sich aber dem nicht, der nur von ihnen weiß, der nur die Ergebnisse des Denkens und Betrachtens kennt, die Fortschritte und Errungenschaften oder Irrtümer, aus denen in unsern Lehrbüchern das Bild eines vergangenen Zeitalters zusammengestückt wird.

Darum führt kein heutiges Lehrbuch mit noch so viel Daten und Schilderungen uns in den Geist des Mittelalters; sondern nur ein Buch jeder Zeit selbst, das wir lesen. Denn hier ist dieselbe Kraft am Werke, die die Dome gewölbt hat: im Zusammentragen unzähliger Materie, in der Freude am riesenhaften Aufbau, im Überspannen der Räume, in der Fähigkeit zum Bändigen, Abschließen, Krönen. Und bei allem Erkenntnisumfang ist diese Weltansicht kein Wissen gewesen, das etwa nur der Besitz einer abgesonderten gebildeten Kaste gewesen wäre: sie war Leben, täglich gegenwärtiges Leben; sie ward Gestalt für jeden Tag des Jahres; sie prägte sich jedem ein in dauernder Wiederkehr: durch die Feste und liturgischen Feiern des Kirchenjahrs. Das ist der Sinn des Heiligenkalenders gewesen: nicht nur das Gedächtnis einiger Märtyrer und Bekenner zu begehen; sondern die Seele des Menschen ewig in Berührung zu halten mit dem großen Heilsgeschehen, das sich von der Schöpfung an bis zum jüngsten Gericht symbolisch in dem Reich Gottes und des Teufels abgespielt hat und abspielen wird. Dazu gehört nicht nur die heilige Legende, sodnern auch die weltliche Sage; nicht nur die Lehre der Kirchenväter, sondern auch die Zauberei und verbotene Kunst der heidnischen Meister – Überlieferung aus allen Weltaltern: aber immer auf den einzelnen Menschen bezogen, immer aufs Heil seiner Seele gewendet.

Ein Buch, das diese ewige Vergegenwärtigung alles geistig und leiblich Vergangenen im kultischen und liturgischen Leben des Mittelalters darstellte, müßte uns wahrhaft in den Geist des Mittelalters führen. Ein solches Buch hat es gegeben: es ist die Legenda aurea des Jacobus de Voragine.“

Aus der Einleitung zur Legenda aurea in der Übersetzung von Richard Benz. Eine unserer Kunstgeschichtsdozentinnen hat uns diese Einleitung (die noch ein paar Seiten länger ist) zusammen mit einer der Heiligengeschichten als Hausaufgabe gegeben; es geht um den Umgang mit Quellentexten. Und anstatt mir darüber Gedanken zu machen, sitze ich mal wieder glücklich-grinsend vor einem Text, dessen Stil mir persönlich sehr zusagt, weil er Worte und meine frisch liebgewonnenen gotischen Kathedralen so schön verknüpft. Und natürlich weil er mich auf ein Buch aufmerksam gemacht hat, das ich nun dringend lesen will. Eine literarische Vorlage für Bilder aus knapp 1000 Jahren – wieso hatte ich bisher noch nie davon gehört?

Dezemberjournal: Lesestunde

„Keines der Wagnerschen Musikdramen endet, wie gesagt, in Moll, alle, von Rienzi bis zum Parsifal, schließen in Dur. Das darf man aber nicht zu eindeutig verstehen. Dur ist nicht einfach mit fröhlich gleichzusetzen und Moll nicht mit traurig. Eine Dur-Tonart (von lateinisch „durus“ = hart) hat im Gegensatz zu einer Moll-Tonart (von lateinisch „mollus“ = weich) schärfere Kanten und Konturen. Sie ist unmissverständlicher. Wenn Wagner seine Welten allesamt in Dur untergehen lässt, dann spricht das auch für die Klarheit seines Blicks. Mit dieser oder jener finalen Situation haben wir uns auseinanderzusetzen, da gibt es nichts zu deuteln und nichts zu bemänteln. Auch im Tristan nicht, der mit einem H-Dur-Akkord endet: fünf Kreuze (fis, cis, gis, dis, ais), eine Tonart, die von Hector Berlioz als „erhaben, sonor, strahlend“ charakterisiert wird. Ein helles, fast gleißendes Licht ergießt sich über die Szenerie, „Rührung und Entzückung unter den Umstehenden“ vermerkt das Libretto, und nach all den harmonischen Ambulanzen und konvulsivischen Taktwechseln des Liebestods kommt auch die Partitur zur Ruhe, „morendo“, „rallentando“, ersterbend, langsamer werdend. Drei Tote liegen auf der Bühne. Und Isolde? „Wie verklärt sinkt sie sanft in Brangänes Armen auf Tristans Leiche.“ Stirbt sie auch? Ist das die schiere Katastrophe oder glimmt am Ende nicht doch ein kleines Licht? (…)

f – h – dis – gis: ein unscheinbarer Vierklang, auf den ersten Blick. Und doch öffnen sich mit ihm im zweiten Takt Höllentor und Himmelspforte zugleich. Dieser Akkord, der sogenannte Tristan-Akkord, ist das Losungswort, der Code für die gesamte musikalische Moderne. Ein Akkord, der sich keiner Tonart zugehörig weiß. Ein Akkord an der Grenze zur Dissonanz. Ein Akkord, der für sich steht und schwebt und nirgendwohin strebt. Der Tristan-Akkord sucht sein Heil nicht in der nächstmöglichen Konsonanz, wie es die klassische Harmonielehre verlangt; der Tristan-Akkord ist sich selbst genug. Ganz wie Tristan und Isolde sich genügen und nichts kennen als ihre Liebe. Kein Eheversprechen, keine Treue, keine Vergangenheit, keine Angst, nicht einmal die vor dem Tod. (…)

Die Musikwissenschaftler sind in der Analyse und Exegese dieses Akkords bis heute zu keinem eindeutigen Ergebnis gelangt. Was soll er sein: ein alterierter Terzquartakkord, die Umkehrform eines Doppeldominantseptakkords mit tiefalterierter Quinte, ein Subdominantdreiklang mit sixte ajoutée oder gar ein verkürzter Dominantnonenakkord? Ich denke, dieses Stochern und Wühlen im theoretischen Werkzeugkasten zeigt vor allem eins: unsere Unzulänglichkeit. Und das gilt für die gesamte Tristan-Musik, die sich mit herkömmlichen Parametern kaum fassen lässt. Da existiert harmonisch keine Dur-Moll-Tonalität mehr und formal nicht der kleinste Rest der alten Nummernoper. (…) Stattdessen herrschen Chromatik und freier Kontrapunkt, und die Gesangsstimmen fügen sich fast instrumental ins symphonisch-opiatische Gewebe des Ganzen ein. Mit dem Tristan überschreitet Wagner eine Grenze, die erst ein halbes Jahrhundert später sichtbar wird. Der Tristan ist die Musik zu Freuds Psychoanalyse, zur Literatur Thomas Manns und die Initialzündung für das kompositorische Weiterdenken eines Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Alban Berg oder Claude Debussy.“

Ich mag Christian Thielemanns Mein Leben mit Wagner sehr. Es klingt übrigens nicht immer so wie aus einem Musikwissenschaftskurs an der LMU; Thielemann erzählt kurz seinen Werdegang und erklärt dann sehr anschaulich, wie er als Dirigent in verschiedenen Orchestergräben klarkommt, wie er es schaffen muss, Sänger, Sängerinnen und das Orchester unter einen Hut zu bekommen und wo welche Wagner-Oper am besten klingt. Und natürlich plaudert er über Bayreuth, was ich besonders gern gelesen habe. Buchempfehlung für den Gabentisch.

Dezember-Journal: Singalong

Nach sieben Wochen Pause war ich gestern endlich mal wieder singen. Gesungen habe ich natürlich auch in München, aber ohne Zuhörer. Jedenfalls glaube ich, dass die Wände vom temporären Mitbewohner recht dick sind; ich habe von den Nachbarn nie was mitgekriegt. Falls ich doch etwas lauter war – Billy Joel kann niemand schlecht finden.

Gestern also, wie gesagt, mal wieder mit Lehrerin am Klavier und vor allem zum ersten Mal in einem größeren Raum, einem Studio, das schön hallt. Es fühlte sich so an, als würde ich mich zum ersten Mal selbst hören. Bei meinem ersten Lehrer vor 100 Jahren stand ich mit ihm in einem gefühlt zehn Quadratmeter großen Raum, in den gerade wir beide, ein Klavier und ein Tisch passten. Zudem war er schallgedämpft, weil um uns rum im Theater vom „König der Löwen“ noch genug andere Leute Singen geübt haben. Bei meiner Lehrerin stehe ich in ihrem Wohnzimmer, was auch nicht gerade riesig ist. Aber gestern stand ich zum ersten Mal in einem leeren, langen Raum mit Parkettfußboden und einer Akustik, die ihren Namen verdient. Ich habe ganz automatisch weniger gepusht und mich weniger angestrengt, weil meine Stimme auch so den Raum erfüllt hat, was ich sehr unheimlich und gleichzeitig sehr toll fand.

Nach zwei schmissigen Liedern zum Reinkommen lag dann mal wieder „Defying Gravity“ auf dem Klavier. Ich hatte gute Laune, wie überhaupt fast immer in den letzten Wochen (den üblichen „one of those days“ gibt’s ja immer), fing laut und sicher an – und kam genau bis zur siebten Zeile am Ende der ersten Strophe.

„Something has changed within me
Something is not the same
I’m through with playing by the rules
Of someone else’s game

Too late for second-guessing
Too late to go back to sleep
It’s time to trust my instincts
Close my eyes: and leap!“

Dann war mal wieder die Kehle zu und die Tränen flossen. Ich bin in diesen Momenten immer hin- und hergerissen zwischen „Oh wow, was Musik anrichten kann“ und „DAS NERVT!“ Meine Lehrerin sagt dann jedesmal, lass es kommen, das ist okay, das ist eine körperliche Reaktion, freu dich, dass Musik das mit dir macht und so weiter und so fort. Mich nervt es aber trotzdem, weil ich der Musik und vor allem dem Text so schutzlos ausgeliefert bin. Und es ist jedesmal ein anderer Text, dem ich ausgeliefert bin.

Als ich ein bisschen Herzschmerz mit mir rumschleppte, war „What I did for love“ aus „A Chorus Line“ eine ganz blöde Idee. Als mich die Wahl der richtigen Universität plagte, konnte ich kein „Yentl“ singen. Und jetzt, wo ich mir sicher bin, dass die LMU die richtige Wahl war, kommt so was. Ich habe meinen Instinkten getraut und nicht der Vernunft, die mir sagte, lass den Quatsch, bleib in deinem Job, bleib in Hamburg, verdien weiter Geld. Stattdessen räume ich gerade mein Tagesgeldkonto leer und führe eine Wochenendbeziehung – aber dafür bekomme ich in jeder Stunde an der Uni so unglaublich viel zurück. Und natürlich ist das immer noch ein großer Sprung ins Ungewisse: Wie läuft das mit der Arbeit nebenbei, wie gut komme ich mit dem Studium zurecht, wie gut verkraftet meine Beziehung die zeitweiligen Trennungen?

Aber tief in meinem Herzen weiß ich: Das war die richtige Entscheidung. Der Sprung war gut, und er wird sich lohnen. Wahrscheinlich nicht finanziell, aber diese Erfüllung hatte ich die letzten Jahre. Und genau diese Jahre ermöglichen mir jetzt das Studium.

Wenn da nicht der übliche nörgelnde Zweifel wäre. Den habe ich mir während meiner Diätjahre prima rangezüchtet, das ständige Selbstüberprüfen, das dauernde Vergleichen mit anderen, das ewige Runtermachen von eigenen Meilensteinen. Das hast du alles nicht verdient, denn du bist noch nicht dünn genug. Darüber darfst du dich noch nicht freuen, denn du bist noch nicht dünn genug. Dein Leben kann gar nicht großartig sein, denn du bist noch nicht dünn genug. Den Zahn habe ich mir eigentlich in den letzten Jahren gezogen, aber irgendwas ist da anscheinend immer noch in mir drin, dass mir sagt, dass ich es nicht verdient habe, mich über irgendwas zu freuen. Und deswegen werfen mich solche Songzeilen immer so um, weil ich mich ihnen ausliefere, ohne Schutzschild, ohne meine übliche distanzaufbauende Ironie – ich stehe in einem Raum und singe darüber, meine Instinkten zu trauen und einfach zu springen. Mein Kopf macht darüber sofort Witze, aber mein Herz weiß: Genau das hast du gerade gemacht, und darauf kannst du verdammt noch mal stolz sein. Aber das muss ich immer noch lernen: auf mich stolz zu sein. Mir selbst auf die Schulter zu klopfen und mich einfach mal machen zu lassen. Ohne die eigene, interne Scheißstimme, die mich runtermachen will, weil sie mich jahrelang runtergemacht hat.

Aber so langsam höre ich nicht mehr auf sie. Ich nehme mir ganz allmählich den Platz, der mir zusteht, anstatt mich in einer Ecke rumzudrücken. Ich mache in der Uni den Mund auf, genau wie im Gesangsunterricht. Ich bin laut. Und ich will noch lauter werden. Gesprungen bin ich schon. Mir kann überhaupt nichts mehr passieren.

“I’m through accepting limits
Cuz someone says they’re so
Some things I cannot change
But till I try I’ll never know

Too long I’ve been afraid of
Losing love I guess I’ve lost
Well if that’s love
It comes at much too high a cost

I’d sooner buy defying gravity
Kiss me goodbye, I’m defying gravity
And you can’t pull me down!”