„Man vergisst schnell, dass man die Schutzschilde herunternehmen muss, um Nähe zuzulassen, und von sich erzählen, um verstanden zu werden.“
Lesung in Kiel
Die letzte Erinnerung: Heute abend lese ich im Literaturhaus Kiel ab 19 Uhr aus der „Nudeldicken Deern“ vor. Verzeiht mir, wenn ich etwas übernächtigt aussehe.
Oscars 2012
Ich lungere seit Stunden vor dem Rechner rum, kippe Sekt und hole den Serienkonsum der letzten beiden Wochen nach – und dafür habe ich so gut wie keinen der nominierten Filme gesehen. Egal. Erstmal Kleider gucken. Netterweise hat die NYT eine ständig aktualisierte Galerie, und noch habe ich kein Kleid gesehen, das ich eher bäh fand. Ganz im Gegenteil.
1.46 Uhr. Jean Dujardin charmiert die ABC-Dame. Reicht anscheinend, französisch zu sprechen und Handküsse zu verteilen. (Ja, reicht. Swooon.)
1.48. Farbe des Abends ist violett. Oder knallrot. Oder blau. Oder weiß. Huh. Noch nix Schwarzes gesehen. Dann scheint der Golfkrieg ja jetzt durch zu sein.
1.51. Jennifer Lopez in silbrigweiß mit Nipslipgefahr. Passt aber zu den 1.000 Artist-Nominierungen – sieht ein bisschen nach Stummfilmstar aus. Schick.
1.53. Nick Nolte sieht, laut Rotten Tomatoes aus, als ob er mit ZZ Top getourt sei. Meiner Meinung nach klingt er auch so und hat sich dabei sein Hirn rausgeschlumpft.
1.58. Passt ja, dass nach der billigen Erotikwerbung auf Pro7 die eklig getextete Alfa-Romeo-Giulietta-Werbung kommt.
2.00. Bisherige Favoriten: Tina Fey in dunkelblau, Glenn Close in dunkelgrün, Gwyneth Paltrow in schneeweiß, Penelope Cruz in rauchblau, Emma Stone in kirschrot, alle sehr schlicht und ohne großen Firlefanz. Wunderschön.
2.06. Jetzt, wo ich die ganze Glenn Close sehe: Da ist ne Menge Kleid unten am Kleid. Hm. Hat ein bisschen was von Katamari.
2.07. „Die Gewinnernamen spielen ja bei der Verleihung eine große Rolle.“ Pro7, Idiotenfernsehen at its best.
2.11. Brad Pitt trägt seinen A River runs through it-Look von 199x. Damit kann ich hervorragend leben.
2.13. Yay, Sandra Bullock. Wie immer großartig, elegant, wundervoll, unterhaltsam und überhaupt. Ich will sie heiraten. Seit Jahren.
2.15. Ah, da ist das erste schwarze Kleid. An Angelina Jolie. Hach.
2.20. Hihi, die Menschen im Kodak Theater, die auf ihren Smartphones rumtippen. Stars! They’re just like us!
2.22. Tom Hanks führt uns backstage rum und behauptet, kein Oscargewinner könne sich an den Abend erinnern. Natalie Portman hat fünf Minuten vorher genau das gleiche erzählt. Ich glaube den beiden Schnuffis mal.
2.30. And we’re off. Morgan Freeman begrüßt uns: “We are all mesmerized by the glory of the movies.”
2.31. Die übliche Montage aus den nominierten Filmen – natürlich mit Billy Crystal, unserem Gastgeber. Großartiger Übergang von The Help zu Bridesmaids. Hat was mit Nummer 2 zu tun (“Don’t eat the pie!”). Der Clip endet mit einem Wort: “Showtime”, und dann ist Billy da. (Keine Standing Ovation? Ich bin enttäuscht.)
2.36. “The movies have always been there for us, in good times and bad. Because nothing takes us better through tough economic times than watching billionaires giving out golden statuettes.” Und hier kommt Crystals signature move: “It’s a wonderful time for Oscar …” Allerdings kürzer als sonst, denn wir müssen neun Filme musikalisch verwursten. “Nine is the new five!” Haut mich jetzt nicht so um. (Ich glaube, ich habe mich zu sehr auf Crystal gefreut. Aber warten wir es ab.)
2.41. Tom Hanks beginnt die lustige Statuettenausgabe, aber stellt zuerst einmal Carl Irgendwas vor, der seit 59 Jahren seat filler ist, wenn die Stars auf dem Klo oder backstage sind. Hach! Jetzt wird’s aber ernst. Der Oscar für Cinematography geht an Robert Richardson für Hugo. (Bei beiden Tippspielen daneben gehauen.) Gandalf hält eine kurze, freundliche Rede. Tom Hanks vergibt gleich noch Art Direction … ebenfalls an Hugo: Dante Ferretti (Production Design); Francesca Lo Schiavo (Set Decoration). (Bei einem Tippspiel richtig getippt.) Da bahnen sich ne Runde Trost-Oscars an, weil Hugo aller Voraussicht nach weder den besten Film noch die beste Regie kriegen wird. Ferretti liest mit starkem italienischem Akzent seine Rede ab, während Francesca mit dem gleichen Akzent ganz simpel Oskarchen hochhält: “This is for Italy.”
2.44. Oh, ich dachte, das wär schon wieder Erotikwerbung. Ist aber der Trailer für Germany’s Next Top Model.
2.50. Crystal redet über die alten Kinopaläste. “Now people watch movies on their phones! Give me back me big screen – my iPad!” Danach einer der herrlichen Einspieler mit klassischen Filmszenen, die man auf großer Leinwand gesehen haben sollte. Von “We’re gonna need a bigger boat” über „Life is a box of chocolates” bis „Phone home“.
2.52. Oscar like it’s 1999. I like!
2.53. Jennifer Lopez und Cameron Diaz können in ihren engen Kleidern kaum laufen, schaffen es aber doch bis zum Mikro und vergeben den Oscar für die Kostüme an Mark Bridges für The Artist. Crew, Produzenten, I was just a kid from vergessen, thank you for making a life-long dream come true. Jajaja.
2.56. Und gleich Make-up hinterher. Zwei der Schauspieler aus Harry Potter fassen es gut zusammen: “The magic begins every morning in the make-up chair. … It’s fascinating to look into the mirror and see nothing of you there.” Der Oscar geht an Mark Coulier und J. Roy Helland für The Iron Lady. Roy bedankt sich bei Meryl, die ihn die letzten sieben Jahren beschäftigt hat. Wieder ein wahrgewordener Traum (drinking game?).
3.00. Montage von Schauspieler_innen, die von ihren ersten Filmen erzählen, den sie gesehen haben, die ihre Fantasie anregten, sie beeinflussten. Ja, wegen solcher Montagen dauert die Show sehr, sehr lange, aber genau deshalb mag ich sie. Wir feiern Filme. Dann lasst sie uns auch richtig feiern.
3.05. Meine Zukünftige Sandra Bullock vergibt den besten ausländischen Film. Angeblich auf Chinesisch, aber in Wirklichkeit auf Deutsch. “My Chinese has a slight German accent.“ Der Oscar geht an A Separation aus dem Iran; der erste iranische Film, der diese Auszeichnung erhält. Der Regisseur balanciert das Kuvert, den Oscar, redet schon lustig drauflos und faltet nebenbei die Rede auf DIN-A4 auf. “This is for my country, and a culture that despises hostility and resentment.”
3.09. “Please welcome – beware, you’re in his eye-line – Academy Award winner Christian Bale.” Immer noch mit seinem doofen Bart und mit Batman-Score auf die Bühne begleitet. Er vergibt den Oscar für die beste weibliche Nebenrolle an Octavia Spencer für The Help. Erwartet. Ich hätte ja gerne Melissa McCarthy gesehen, weil sie so schön gegen den Strich gebürstet gespielt hat, aber Octavia ist natürlich auch toll. Standing Ovation, und jetzt muss sie doch ein bisschen heulen. “Thank you to the Academy for the hottest guy in the room …” 1.000 Namen, ein paar Tränen, noch mehr Namen … “Please, wrap me up, I’m freaking out.” Niedlich.
3.18. Einspieler mit einer angeblichen Fokusgruppe von 1939, die The Wizard of Oz gesehen haben. Ziemlich schnarchig, bis auf “I didn’t like the rainbow song.”
3.22. Bradley Cooper und Tina Fey vergeben Film Editing an Kirk Baxter und Angus Wall für The Girl with the Dragon Tattoo, die letztes Jahr schon den Oscar für The Social Network bekommen haben. Die beiden stottern ein bisschen rum, vermissen Fincher und verabschieden sich dann selbstkritisch: “Let’s get out of here, we’re editors.”
3.25. Gleich noch Sound Editing hinterher. Der Oscar geht an Philip Stockton und Eugene Gearty für Hugo. Der eine redet, geht dann aus dem Bild, dann redet der andere, alles sehr unaufgeregt. Die Technikfredis halt.
3.27. Und noch einer: Sound Mixing. Auch an Hugo, genauer Tom Fleischman und John Midgley. Vielleicht sollte ich mir den Film doch mal angucken. Ach schön, endlich mal ein Mann, der ein bisschen flennig drauf ist. (Einer von den beiden, keine Ahnung wer.)
3.30. Meine anfängliche Begeisterung kippt gerade etwas in: „Kann Billy noch einen zweiten Witz machen, der witzig ist?“
3.33. Kermit und Miss Piggy! Endlich! Leider dürfen sie nicht wild flirten, sondern müssen den Cirque du Soleil anmoderieren, der den Zauber von Filmen visualisieren darf. Okay, das ist jetzt endgültig 1999. Wenn ich irgendwas überhaupt nicht vermisse, sind das die peinlichen Tanzeinlagen von früher. Das hier ist nicht viel besser. (Standing Ovations. Ist euch so langweilig?) Crystal: “I pulled a hamstring just watching that.”
3.40. Crystal: “Age doesn’t matter. Look at the nominees. Max von Sydow. Christopher Plummer. He is 82 and still making movies. When my grandfather was 82, we didn’t let him go to the movies.”
3.41. Gwyneth Paltrow auf der Bühne. Robert Downey Jr. kommt mit Steadycam-Begleitung hinterher. “I’m filming a documentary called ‘The Presenter'”. Schrecklicher, gescripteter Quatsch. Verschenkt. Documentary Feature geht an TJ Martin, Dan Lindsay und Richard Middlemas für Undefeated. Huch, da stehen plötzlich fünf junge Herren auf der Bühne. “Last year, we sat in our editing room and someone said, hey, next year, you’ll be at the Oscars. And we said, you’re an idiot. We like to apologize and say, you’re way smarter than we.” 1.000 Namen und schon wird das Mikro abgedreht.
3.44. Chris Rock macht sich über die angeblich harte Arbeit von Stimmen in Animationsfilmen lustig. Hätte ich nicht gedacht, dass ich mal über Chris Rock lache, aber ja. Best Animated Feature geht an Rango. Regisseur Gore Verbinski: “Someone asked if this was a movie for kids. I don’t know but it was certainly created by a bunch of grown-ups acting like children.”
3.51. Ben Stiller und Emma Stone erlösen uns von einem peinlichen Sketch mit Billy und meiner geliebten Melissa McCarthy. Emma hysterisch: “This is my first time presenting an award.” Stiller, deadpan: “I know. … You don’t want to try too hard, kid.” — “Like the guy who dressed up as a character in Avatar?” Schöner Sketch, look it up on YouTube. Sie vergeben Visual Effects an … schnarch … Rob Legato, Joss Williams, Ben Grossman und Alex Henning, Hugo. I’m bored now.
3.57. Melissa Leo vergibt den Oscar für die beste männliche Nebenrolle. Ist mir dieses Jahr sehr egal, die Kategorie. Der Gewinner ist Christopher Plummer für Beginners. Standing Ovations. Er redet mit dem Oscar: “You’re only two years older than me – where have you been all my life?” Er bedankt sich für die gute Gesellschaft in seiner Kategorie, beim Regisseur uswusf, aber alles so gentlemen-like und wohlfeil formuliert, dass ich ihm gerne noch länger zugehört hätte.
4.07. Hehe, auch Billy wechselt seine Klamotten, nicht nur die weiblichen Gastgeberinnen. Jetzt in ziemlich schwarz. Ein weiterer Crystal-Klassiker: ins Publikum zoomen und einfach losquatschen. Ist okay lustig, wie bei Morgen Freeman, wo er diesen fürchterlichen Pinguinfilm zitiert. Oder bei Brad Pitt: “I hope this doesn’t run too long, I’ve got six parent-teacher conferences in the morning.” Danach die obligatorische kurze und stets schnarchige Rede des Präsidenten der Academy. “Thank you, Tom – and thank you for whipping the audience in a frenzy.”
4.12. Penelope Cruz und Owen „Hachseufz“ Wilson vergeben Original Score an Ludovic Bource für The Artist. Fieser französischer Akzent. Isch verschtähe serrr schlescht. “Please accept me because I have so much love to give.” Uuuuh.
4.16. Will Ferrell und Zack Galifianakis in weißen Smokings und mit Becken marschieren krachend ein und moderieren Best Song an. “The winner will join the ranks of Moon River, Somewhere over the Rainbow, White Christmas and It’s hard out here for a pimp.” Der Gewinner aus den zwei nominierten Songs ist Man or Muppet von Bret McKenzie (yay, Flight of the Conchords!) “Once you get to know Kermit, he’s just a regular frog. And like many people here tonight, he is a lot shorter than on screen.”
4.24. “Please welcome the original girl with the dragon tattoo, Angelina Jolie.” Uh. Bein explizit raus aus dem Kleid. Du musst da nicht so beknackt stehen, Kind. We know you’re pretty. Sie vergibt Best Adapted Screenplay an Alexander Payne, Nat Faxon und Jim Rash für The Descendants. Payne: “My mother is here from Oklahoma, and after my first Oscar she said, if you ever win one again, you have to dedicate it to me just like Javier Bardem did. So, Mum: This one’s for you.”
4.29. Gleich noch Best Original Screenplay hinterher. Der Oscar geht an Woody Allen für Midnight in Paris, und der Typ ist wie immer nicht da. Neue Regel: Wer nicht kommt, kriegt keinen Preis. (Wunschdenken.)
4.36. Milla Jovovich in herrlichem Glitzersilberweiß mit dramatischer Intonation. Geht aber „nur“ um die Technical Awards.
4.37. Die sechs Hauptdarstellerinnen der Bridesmaids marschieren ein. Sehr schön. Sie reden über Filme, meinen aber Kerle oder ihre besten Stücke, und es ist genauso fremdschämig wie der ganze Film. Sie vergeben Short Film (Live Action) an Terry George und Oorlagh George für The Shore. Oorlagh ist eine Dame, hat einen tollen Namen und ein wunderschönes blaues Kleid, das ihre üppigen Formen umhüllt. Haben wollen. Und sie widmet ihren Oscar ganz freiwillig ihrer Mama.
Melissa McCarthy und irgendwer vergeben Documentary Short – aber erst, nachdem sie Flachmänner aus ihren Dekolletes gezogen haben, denn sie spielen das Drinking Game „Scorsese“. Der Oscar geht an Saving Face von Daniel Junge und Sharmeen Obaid-Chinoy. Die beiden widmen die Statue allen Frauen in Pakistan, die sich für Wandel und Fortschritt einsetzen. (in Saving Face geht es um Säureattacken auf Frauen.)
Der letzte der Oscar dieser Runde geht raus für Short Film (Animated); Gewinner ist The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore von William Joyce und Brandon Oldenburg. Richtig getippt. Kein Wunder bei dem Titel.
4.50. “Our next presenter was occupying Wall Street before it was cool. Please welcome Michael Douglas.” Der Herr erklärt erstmal, was ein Regisseur so macht (Regisseurinnen gibt’s dieses Jahr mal wieder nicht, hatten wir ja auch grad erst, reicht dann auch) … “visionary blablabla” … Der Oscar geht erwartungsgemäß an Michel Hazanivicus für The Artist. “Yes! I have an Oscar! … I forgot my speech. … (1.000 Namen) I want to thank the financier, the crazy person who put money into this movie.” Och jo.
4.55. “Meryl Streep has been nominated for 17 times and won twice. So for 14 times she had to sit there and watch someone else be happy. Alone for that she deserves another Oscar.” Meryl erzählt ein bisschen über den Governor’s Award, wo James Earl Jones, Oprah Winfrey und Dick Smith ausgezeichnet wurden.
5.02. The death montage, begleitet von What a wonderful world. Bei den Damen steht auch „actor“ statt „actress“. Steve Jobs ist dabei als visionary, wenn ich mir das richtig gemerkt habe, anstatt als Pixar-Angestellter. Wir enden mit Elizabeth Taylor. Früher wurde durch die Montage durchgeklatscht, jetzt warten alle, bis sie vorbei ist. Naja.
5.11. Der vierte Teil der movie memories. Crystal: “I never had any of those feelings.” Wenn ich richtig mitgezählt habe, waren zwischen den Legionen von Kerlen gerade drei Frauen: Reese Witherspoon, Julia Robert und Gabourey Sidibe. Wir gehen auch ins Kino, you know?
5.13. Natalie Portman kommt zu Schwanensee auf die Bühne und vergibt – natürlich – den Oscar für den besten Hauptdarsteller. Ich mag das gerne, dass die Presenter in den letzten Jahren immer eine kleine Lobhudelei an die Nominierten loslassen. Natalie spricht zwar hübsch auswendig gelernt, aber ich mag es trotzdem. Ich hätte gerne Brad Pitt, aber es wird (erwartungsgemäß) Jean Dujardin für The Artist. Bevor er die Rede zückt, sorgt er für gutes Klima: “I love your country.” Er erzählt ein bisschen was von der ersten Oscar-Verleihung, die von Douglas Fairbanks moderiert wurde, und endet mit gequietschen Freudenschreien auf franzackig. Boobs Radley twittert: “Thanks for my new roller derby name, Douglas Fairbonks.” Und Andrian Kreye (@akreye): “Best actor für Jean Dujardin?! Ab morgen heißen die Fritten in Hollywood wieder Freedom Fries.”
5.24. Colin Firth wird mit Beethoven begrüßt und vergibt den Oscar für die beste weibliche Hauptrolle. “Meryl. Mamma Mia. We were in Greece, I was gay, and we were happy.” Und sie kriegt ihn. (Eine winzige Überraschung, ich dachte, Viola Davis wäre hier fest eingeplant gewesen.) Standing Ovation. “When I heard my name I thought I heard half of America saying, oh no, not her. Again. But … whatever. Ha.”
5.32. Ächz. Tom Cruise. Er präsentiert die neun nominierten Filme und vergibt den Oscar für den besten von ihnen an (näh! echt? TOTAL SURPRISE!) The Artist.
Hm. Im Laufe des Abends musste ich öfter an den Spruch denken “Don’t wish too hard – it may come true.” Crystal war charmant und bemüht und freundlich, aber es hat sich leider so angefühlt, als wäre es irgendwann in den 90ern. Und was damals schön war, ist heute eben eher angestaubt. Schade. Ich hatte mich sehr auf den Mann gefreut. Nun gut. Dann eben wieder irgendein neues Gesicht im nächsten Jahr. See you then.
Screensport am Wochenende: die kulturell wertvolle Freundin-Edition
Der Hausherr von AllesaußerSport hat mich gastbloggen gelassen getan. Das hat er jetzt davon.
Der Tatortreiniger – Folge 4: „Geschmackssache“
(Dieser Post gehört zu einem Post von Lizas Welt, der sich mit der 3. Folge beschäftigt. Die 3. Folge wird am 28. Februar, die 4. am 6. März ausgestrahlt. Wir hatten bereits vor der Sendung Gelegenheit, uns die beiden Schmuckstücke anzuschauen und legen sie euch beide dringend ans Herz.)
Warum ich euch die vierte Folge vorstelle? Weil es darin um eine dicke Frau geht. (Dafür bin ich ja neuerdings anscheinend Expertin.) Tatortreiniger Schotty muss sich diesmal um die Überreste eines Therapeuten kümmern, der sogar aus dem Jenseits mit ihm kommuniziert. Was ich neben den wundervollen Dialogen und Darsteller_innen an der Sendung so mag, ist, dass sie sich nicht in ein Korsett zwängt, sondern einfach mal macht. Warum soll Schotty an seinem Arbeitsplatz nicht noch mit der Seele des Verstorbenen kommunizieren können? Genau. Machen.
Die beiden diskutieren über Träume und Wünsche, auch Traumfrauen, bei denen Schotty als erste Wunscheigenschaft „schlank“ nennt (klar, ist ja auch wichtiger als alles andere), dass es ja schon toll wäre, wenn sich im eingespielten Leben mal was Überraschendes ereignen würde, womit man so gar nicht rechnet … und in dem Moment klingelt es an der Tür. Dort steht Rebecca, komplett unschlank, die bei Doktor Falkenbach in Behandlung war. Sie will sich von ihm verabschieden, Schotty diskutiert mit dem Therapeuten, während Rebecca vor ihm steht, sie kriegt einen Satz über dicke Frauen in den falschen Hals – und anstatt rumzupiepsen, wie zu Beginn ihrer Behandlung, haut sie ihm ein „Sie sind ein Arschloch“ um die Ohren und geht.
Sie muss allerdings noch wiederkommen, weil sie ihre Tasche vergessen hat, und Schotty fängt nochmal an. Die beiden trinken Kaffee, Schotty erinnert sich an sein Gespräch mit Falkenbach:
„Ich steh einfach nicht auf Dicke.“
„Mit wie vielen dicken Frauen hatten Sie denn schon was?“
„Ich sach jetzt ma ga nix mehr.“
„Trotzdem wissen Sie, dass sie nichts für Sie sind? Vielleicht werden Sie überrascht.“
… und lädt Rebecca spontan zum Abendessen ein.
Als dicke Frau wird jetzt von dir erwartet, dankbar zu sein. Wie lieb von irgendwem, dass er sich deiner erbarmt und dich ausführen will. Macht ja niemand, weil er dich toll findet, sondern weil er Mitleid mit dir hat. In kaum einer Sitcom wird der ach so lustige „pity fuck“ weggelassen, wo sich ein schlanker Mann dazu herablässt, mit einer dicken Frau was anzufangen, denn die seien ja so dankbar.
Es gibt kaum Szenen, die mich wütender machen als dieser Quatsch. Das Dumme ist: Sie machen mich erst seit kurzem wütend, weil ich jahrelang so einen Rotz geglaubt habe. Natürlich kann mich niemand mögen, ich bin ja fett und eklig. Dass ich gleichzeitig unterhaltsam, talentiert, lustig und was weiß ich noch bin, habe ich gepflegt ignoriert, denn das Wichtigste ist meine Körperform. Der Rest der Welt reduziert mich darauf – jedenfalls beim ersten Kennenlernen –, und weil wir alle wissen (angeblich), dass alleallealle Menschen auf dieser Welt Dicke doof finden, KANN mich niemand toll finden.
Diese Denke mag für schlanke Menschen schwer nachzuvollziehen sein, aber als dicker Mensch zieht man sich diesen Schuh wirklich an. Einfach weil es kaum positive Reaktionen auf dicke Menschen gibt. In so gut wie allen Filmen und Serien sind die Dicken ständig am Fressen, dienen als Comedyfutter, weil sie sich ja so lustig bewegen und so ungelenkig sind und so tollpatschig, klar, sind wir alle, immer, logisch. Es gibt kaum Darstellungen von erfolgreichen, liebenswerten, herrgottnochmal NORMALEN dicken Menschen, denn wir sind normal, auch wenn uns dauernd eingeredet wird, dass wir es nicht sind.
Zurück zu Schotty, der wahrscheinlich ein dankbares Lächeln auf seine Einladung erwartet – aber eine andere Reaktion bekommt, die ihn ziemlich aus der Bahn wirft, weil sie sein recht schlichtes Weltbild erschüttert. (Dieses Weltbild unterstelle ich übrigens ner Menge Leute.) Auch auf sein klassisches „Argument“, dass ein dünner Mensch nie einen dicken attraktiv finden könnte, hat Rebecca eine passende Frage:
„Finden Sie lange blonde Haare attraktiv?“
„Ja, schon.“
„Trotzdem haben Sie selber kurze braune.“
„Das kann man ja nicht vergleichen.“
„Wieso nicht?“
Genau. Wieso nicht? Ich glaube, niemand sucht einen Partner oder eine Partnerin, die ihm oder ihr aufs Haar gleicht. Wäre auch sehr creepy. Wenn ich die Kerle Revue passieren lasse, an die ich mein Herz mal verschenkte, war da so ziemlich alles bei: schlank, nicht schlank, blond, braun-, rot-, schwarzhaarig, mit Brille, ohne Brille, klein, groß, riesengroß. Was sie alle gemeinsam hatten: Sie waren scheiße schlau und haben mich zum Lachen gebracht. Und als Schotty auffällt, dass die dicke Frau ihm gegenüber wohl doch mehr ist als nur eine Zahl auf der Waage, hat sie sich schon verabschiedet.
„Geschmackssache“ tut an manchen Stellen weh, weil Schotty eben den üblichen Sülz ablässt, den man sich als dicker Mensch dauernd anhören muss (meist noch garniert mit „Ich mein’s ja nur gut“). Es überwiegt aber eindeutig ein sehr wohltuendes Gefühl, dass ich endlich mal eine dicke Frau zu sehen bekomme, die a) sich nicht dadurch definiert, dass sie dick ist und b) sich selbstbewusst herausnimmt, Ansprüche an ihren Traummann zu stellen anstatt, wie es von uns erwartet wird, dankbar zu sein, dass sich überhaupt einer mit uns sehen lassen will. Tolle Folge einer tollen Serie. Hoffentlich bleibt es nicht bei den lausigen vier Folgen, die es bisher gibt. Wie heißt es bei „Community“ so schön? Six seasons and a movie. Gerne.
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In diesem Zusammenhang: Fat Bechdel Test.
„Denial as virtue“
Sehr schöner Artikel auf This Ain’t Livin’, dem Blog von S. E. Smith, über die gängigen Moralvorstellungen, die sich um Essen drehen, über Schuldgefühle, eingebildete Tugenden und die extrem beknackte Idee, sich dafür zu beglückwünschen, sich selbst erfolgreich bekämpft zu haben:
„This is not about whether people should love or hate their bodies, or about how people should navigate their own relationships with their bodies. It is about the ways in which society encourages a disconnect from the body, rewards people who ‘control’ their bodies by effectively turning them off and refusing to listen. It is also about a society where certain bodies are considered controlled and others are not, and by extension, people in control are considered virtuous while others are not. Lack of willpower, loss of control, are believed to be negative personality traits which can be read in the body. After all, if someone was in control, the body would be thin and lean and hard and it would conform with a specific beauty ideal. It wouldn’t be soft and fat.“
„Song to the Moon“
Im Blog des Royal Opera House in London steht heute ein feiner Artikel über eine der schönsten Arien, die ich kenne: das Lied an den Mond aus Dvořáks Rusalka:
„Rusalka is an opera about singing. Or rather, what happens when you cannot sing. Echoing the story of The Little Mermaid, Rusalka gives up her voice to be united with a Prince. But he is distinctly put out when his bride-to-be cannot say a word. Instead he accepts the hand of a Foreign Princess and Rusalka, obeying the witch Ježibaba’s curse, is doomed to live in the depths of the lake forever.
The aria Song to the Moon comes right at the beginning of the story as Rusalka, still a nymph, sings with full-throated ease to the moon. There are nocturnal serenades throughout the repertoire and Dvořák starts his aria with the proverbial sweeping harp arpeggio, sounding just like a wooing guitarist tuning up. But rather than a trite tune under someone’s balcony, Rusalka’s aria is a luscious vocal display.“
Der Artikel stammt von Gavin Plumley, der sonst auf Entartete Musik schreibt – ein Blog, das ich euch ebenfalls ans Herz legen möchte. (Wo wir gerade dabei sind: Auch die Bayerische Staatsoper hat ein Blog. Und einen Twitter-Account, aber den müsstet ihr kennen, den retweete ich ja dauernd. Genau wie den des Royal Opera House.)
Rusalka habe ich das letzte Mal in einer Inszenierung von Stefan Herheim in Dresden gesehen, die mich sehr begeistert hat. Die gleiche Inszenierung läuft ab März im Opernhaus Brüssel, La Monnaie. Und das Tolle: Vom 27. März bis zum 16. April wird das Ding online gestreamt. Ich werde euch noch ungefähr 500 Mal darauf aufmerksam machen, aber vielleicht mögt ihr das ja schon in eure Kalender eintragen. WEIL’S SCHÖN IST.
„Zwischen den Feiertagen ganz grau“
Trainer Baade hat meine unausgegorenen Gedanken zum Fußballfan-Dasein mal in deutlich bessere Worte gepackt.
Newbies entneuen
Vor einiger Zeit lud ich Frau Lu ein, mit mir in die Oper zu gehen. Natürlich in Puccinis Turandot, denn das ist die Oper, mit der ich alle und jeden überzeugen will, dieser Kunstform eine Chance zu geben.
Ich mag an Turandot, dass alles auf der Bühne bzw. im Orchestergraben passiert, was ich persönlich so toll an Opern finde: Bombastklänge, die sich mit ganz zarten Stellen abwechseln. Massive Chöre versus einzelne Arien, wovon die bekannteste natürlich Nessun dorma ist. Und obwohl ich sonst eine Aversion gegen diese Mitsinglieder habe (deswegen mag ich Wagner so gerne) – für Anfänger_innen ist das ganz praktisch, wenigstens ein Stück zu haben, das sie vielleicht schon mal gehört haben. (Behaupte ich mal. Noch hat niemand widersprochen.) Außerdem im Angebot: komische Figuren wie Ping, Pang und Pong versus tragische wie Liù und natürlich eine Story, die viel zu groß ist für das wahre Leben, weswegen sie auf eine Opernbühne gehört. Vom feministischen Standpunkt darf man sich so gut wie keine Oper angucken, daher blende ich die wahlweise kreuzdummen und/oder opferbereiten Frauenfiguren immer aus und konzentriere mich auf ihre Melodien anstatt ihre Texte. Genau wie ich bei Krieg und Frieden nölig überlese, dass auch hier Frauen kleine Hohlbirnen sind, während die Männerwelt das große Drama kriegt. Mein Mantra: Das waren andere Zeiten, da muss ich jetzt durch. Wäre aber trotzdem mal schön, eine moderne Oper mit guten Frauenfiguren zu kriegen.
(Zu diesem Thema gibt’s übrigens ein Buch, das ich aber noch nicht gelesen habe. Wahrscheinlich gibt’s sogar dutzende, aber das hier rennt mir immer über den Weg, wenn ich in diese Richtung rumgoogele.)
Zurück zu Lu und ihrem ersten Opernbesuch. Wenn ich ihren Blogeintrag richtig deute, hat es ihr gefallen, was mich persönlich sehr gefreut hat. Nichts ist schlimmer als jemanden nach zwei, drei Stunden wieder ans Tageslicht zu zerren und zu hören: „Uh, da gehe ich nie wieder hin.“ Sowas hatte ich nämlich auch mal, was ich aber sowohl auf die Starrköpfigkeit meines damaligen Kumpels als auch auf die Stückauswahl zurückführe.
Damals gab es den kompletten Ring in Hannover, und ich bequietsche wieder Hinz und Kunz, doch mal mitzukommen. Heute weiß ich: Wagner mag als Einstiegsdroge funktionieren (meine erste Oper war Siegfried), aber nicht bei jedem. Besagter Kumpel meldete sich todesmutig fürs Rheingold, und ich warnte sofort: „Das ist die sperrigste Oper von den vieren, und es ist eher eine Exposition als ein abgeschlossenes Stück, und eigentlich guckt man das auch nur, weil man die anderen drei eben auch guckt, und außerdem hat es keine Pause, in der man notfalls gehen kann.“ Hat alles nichts genutzt, mein Kumpel kaufte sich eine Karte. Meine Warnungen gingen weiter: „Lies dir den Inhalt durch. Wagner kapiert kein Mensch ohne Sekundärliteratur.“ Damals waren Übertitel noch nicht so gang und gebe, wie sie es heute glücklicherweise sind, weswegen man eben schlicht wissen musste, wer diese seltsamen Wesen da vorne sind und über was sie singen, denn den Text versteht man meist auch nicht. Das weiß man alles, wenn man schon mal in der Oper war, weswegen ich auch nicht müde wurde, es meinem Kumpel zu erzählen, aber er brachte den Krachersatz: „Ich möchte das alles unvoreingenommen auf mich wirken lassen.“
Ich erzählte ihm immerhin vor der Vorstellung noch flugs den Inhalt, den ich mir mal wieder anlesen musste – ich habe den Ring mindestens schon fünfmal komplett gesehen und vergesse trotzdem immer wieder, wer nun mit wem warum und was –, aber nach zweieinhalb Stunden hatte ich ein Häufchen genervtes Elend neben mir, das den zweiten Krachersatz brachte, den ich ihm bis heute übel nehme: „Ich fühle mich wie vergewaltigt.“
UND ICH SAG NOCH, NIMM NE ANDERE OPER, ABER DU …
*seufz*
Ich habe mit dem Mann keinen Kontakt mehr, aber ich bin ziemlich sicher, dass er nicht unbedingt zu einem Opernfan wurde.
Am Sonntag saß ich mit zwei charmanten Damen in der Laeiszhalle, wo die Hamburger Symphoniker neben Auszügen aus Strawinskys Apollon musagète eine Runde Götterdämmerung gaben. Wenn ich richtig zugehört habe, war es die Ouvertüre mit ein bisschen Krimskrams und dann als Rausschmeißer den Schlussgesang der Brünnhilde, die 15 Minuten lang von der Welt Abschied nimmt, die dann auch brav in Flammen aufgeht.
Das Tolle an der Götterdämmerung ist, dass sich in ihr all die vielen Leitmotive wiederfinden, die man drei Opern lang gelernt hat. Das Rheingold, die Rheintöchter, Mime, Siegfried, dessen Schwert Nothung, Wotan, dessen Speer, die Walküren natürlich (das Motiv sollte jeder erkennen), Walhall, der Walkürenfelsen und so weiter und so schön. So hangelt sich das Stück gefühlt an all diesen Motiven entlang, die ich natürlich kannte – und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie sich die Musik für jemanden anfühlt, der nichts davon erkennt (bis auf die Walküren). Ich bin fast ein bisschen neidisch auf die Menschen, die noch nie in der Oper waren, weil sie noch so viel zu entdecken und zu erfühlen haben, was für mich schon fast normal ist. Wenn man sich auf diese überkandidelte, hochemotionale Kunstform einlassen will, belohnt sie meiner Meinung nach mehr als jede Sinfonie. Deswegen war ich sehr auf das Urteil meiner Begleitung gespannt.
Dame 1 meinte, Oper wäre schlicht nicht ihr Ding, Opernstimmen empfände sie als anstrengend (absolut berechtigte Kritik), und daher hätte ihr Strawinsky besser gefallen. Dame 2 dagegen hatte diesen Gesichtsausdruck, den ich auch von mir kenne: dieses leicht fassungslos-faszinierte „Was war das denn? Und wo war das mein ganzes Leben lang?“ Ich behaupte, die Welt ist ein bisschen anders, wenn einen ein Film mitnimmt oder eben eine Oper; man stolpert in die Realität, die sich ein bisschen zu grau anfühlt, während eben alles noch gold war. Und – ja, Fangirlgequatsche – Wagner ist für mich einfach der Meister im „Was war das denn?“-Erzeugen, denn seine Musik ist für mich schlicht einzigartig. Beim ersten Mal wahrscheinlich unbegreifbar, aber deshalb nicht weniger unwiderstehlich. Jedenfalls hat die Dame den bisher besten Satz gesagt, den ich mit Newbies hatte: „Das würde ich mir auch fünf Stunden lang anhören.“
Damit habe ich endlich eine Begleitung für Wagner in Hamburg gefunden. In dieser Spielzeit hätten wir noch den Holländer, Tristan und Isolde, Parsifal und den kompletten Ring im Angebot.
Tagebuch 18./19. Februar – Auf und ab und auf
Samstags mit dem Kerl und dem frühen Vogel aus dem Bett gefallen und quasi bei Ladenöffnung im Baumarkt gestanden. Farbmuster fürs Bad geholt, Garderobenhaken gekauft. Zuhause den schönsten aller Flure fast vollendet, indem ich den, wie ich ihn nenne, Garderobenpilz entsorgte und dafür vier Edelstahlhaken in die Wand dübelte. Wie immer im Altbau überraschte mich die sich konstant ändernde Wandstruktur, die mal volle Armkraft verlangte und fünf Zentimeter weiter rechts die Bohrmaschine wie Butter durchließ. Gefühlt bis zum Treppenhaus. (In diesem Bohrloch stecken zwei Dübel hintereinander, und ich wette, es hätte noch ein dritter reingepasst.)
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Nachmittags Besuch vom Tischler, der mir Badezimmerschränke maßanfertigt. Ich hoffe, es wird so toll, wie ich es mir vorstelle.
Wir wohnen zur Miete, und jahrelang war es mein Wunsch, irgendwann was Eigenes zu haben. Mein Standardsatz: „Ich will mal ein Bad haben, in dem ich die Kacheln ausgesucht habe.“ Klingt für mich immer noch toll, aber nach dem wuseligen letzten Jahr, das einiges umgeworfen hat, was für mich im Kopf schon in Stein gemeißelt war, verschiebe ich die eigenen Kacheln auf Weiteres, bleibe in einer Mietwohnung und mache die so hübsch, wie es eben geht. Im Flur fehlt noch eine anständige Deckenlampe, im Bad eine andere Farbe und eben Schränke, die nicht von Ikea sind. Mal sehen, wann ich mich an die Küche wage. Rest der Wohnung passt.
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Der Tabellenzweite gegen den letzten. Wir gegen Freiburg. Der Sieg war eingeplant, und geworden ist es ein verdammtes 0:0. Clevere Freiburger, planlose Bayern, eine unfassbar bescheuerte Schwalbe von Ribéry, gefühlt zwei Schüsse aufs Tor ohne Ergebnis. Dortmund rotzt sich zum Arbeitssieg in Berlin, Gladbach schlägt auswärts Kaiserslautern, und wir sind plötzlich nur noch Tabellendritter. Der Kerl „tröstet“: „Immerhin kann euch Schalke am Sonntag nicht überholen.“ Die Timeline tröstet auch.
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Sonntagmorgen. Katerstimmung. Dieses Fußballfandasein hatte ich mir irgendwie nicht so anstrengend vorgestellt. Aber sobald man als Bayernfan derartiges von sich twittert, kriegt man diverse Replys, die darauf hinweisen, dass man es ja sonst so gut hätte („Luxusprobleme“, „Was soll ich als Kölnfan da erst sagen“ usw.). Ja, mag sein. Schön, dass wir sonst eher gewinnen. Trotzdem machen Niederlagen oben in der Tabelle genau so wenig Freude wie unten. Und Unentschieden auch nicht.
Denke gerade über einen Zusammenhang zwischen Emotionen und äußerlichen Geschehnissen nach. Ich kenne einige Menschen, die im Kino keine Miene verziehen, während ich zwei Packungen Taschentücher leerheule, dafür aber jammernd vorm Fernseher sitzen, wenn der eigene Verein Mist baut. Ich ahne aber, dass viele, die sich von Filmen, Theaterstücken, Opern zu Gefühlsregungen hinreißen lassen, über Fußballfans lästern – und umgekehrt. Wieso eigentlich? Wir sind Zuschauer bei einem Ereignis, das ohne unsere Mitwirkung abläuft und lassen uns trotzdem davon berühren. Frei- und willig. Ist es ein großer Unterschied, ob ich in Abendgarderobe irgendwo sitze oder im Trikot?
David Duchovny sagte mal in einem Interview, der Reiz des Schauspielerberufs sei es, alle Emotionen zu durchleben, ohne unter ihnen leiden zu müssen. Daran muss ich sehr oft denken, wenn ich nach einem Film traurig bin. Oder neuerdings nach einem Fußballspiel. Irgendetwas macht irgendetwas mit mir, und ich lasse es zu. Meine Emotionen sind echt, auch wenn sie von etwas herrühren, das im Prinzip nichts mit mir zu tun hat. Die Emotionen haben eine andere Qualität wie die nach Streitereien mit dem Kerl oder freudigen Nachrichten im Freundeskreis. Aber sie sind trotzdem echt.
(wird fortgesetzt)
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Abends in die Laeiszhalle (a vor e, s vor z, ganz einfach zu merken) zum Konzert der Hamburger Symphoniker. Erst ein bisschen plüschigen Strawinsky, bei dem nur Streicher_innen auf der Bühne saßen. Nach der Pause wurden noch eine Menge Stühle dazugestellt, denn Herr Wagner mag ja gerne das große Ensemble. Es gab Auszüge aus der „Götterdämmerung“, die ich schon recht lange nicht mehr live gesehen habe. Nach dem gestrigen Abend frage ich mich warum. Wundervolle Musik. Alles war wieder gut, auch wenn die Welt unterging.
Wieder mal aufgefallen: Wenn irgendwas meinen Blutdruck senkt, ist das a) die Nase im Brustfell vom Kerl vergraben oder b) klassische Musik hören. Wenn ich beides gleichzeitig mache, schlafe ich wahrscheinlich nach fünf Sekunden ein.
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Drei White Russians als Absacker im Meyer Lansky’s in charmanter Begleitung. Gerne und immer wieder.
Tagebuch 16./17. Februar – Leonardo Live
Erste Bewerbung seit elf Jahren losgeschickt. Seitdem kamen die Jobs zu mir, nicht umgekehrt. Und obwohl ich weiß, dass es eine Absage geben wird, bin ich hibbelig.
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Abends im Cinemaxx, Leonardo Live. Theoretisch. Das fast ausverkaufte Kino quoll über von Menschen, die wahrscheinlich seit ihrer Jugend nicht mehr in einem Kino waren, jedenfalls war schon das Konzept Loge versus Parkett plus Reihen, die mit Buchstaben gekennzeichnet waren, für viele zu viel. Der „Film“ bzw. der Stream aus London begann schon, als noch viele durch die Gegend wuselten, woraufhin die üblichen „Bitte zurückspulen und nochmal anfangen“-Rufe laut wurde, bei denen mir als alter Filmvorführerin immer die Ohren bluten.
Die Satellitenübertragung war von Anfang an etwas wackelig; ich kam mir in einigen Momenten vor wie zuhause im Wohnzimmer, wo auch der übliche Hamburger Regen ab und zu reicht, um aus einem Fußballspiel ein Artefaktfestival zu machen. Trotzdem hat es „Leonardo Live“ locker geschafft, mich in seinen Bann zu ziehen. Klar ist es etwas anderes, selbst im Museum zu stehen, aber ich finde die Idee, eine Ausstellung an Orte zu bringen, wo sie eben nicht wirklich vor Ort sein kann, ganz großartig. Gerne wieder.
Der Film zeigt nicht nur einfach ein paar Ausstellungsstücke und filmt sie ab, sondern wir hören unter anderem den Kurator, eine Kunstprofessorin und, schöne Idee, einige britische Kunstschaffende, die ein paar kurze Sätze zu „ihrem“ Bild sagen dürfen. Was für mich im Trailer wie olles Namedropping aussah, hat wirklich funktioniert. So sagte der Dirigent der Londoner Philharmoniker (wenn ich es mir richtig gemerkt habe) zum Bild „Der Musiker“, dass Kunst und Musik zwei gegensätzliche Dinge mit der Zeit tun: Ein Bild fängt einen einzigen Augenblick ein, während Musik die Fähigkeit hat, ihn unendlich scheinen zu lassen. Die Kreativdirektorin des Londoner Balletts spricht über die Körperlichkeit im unfertigen Bild „Hieronymus in der Wüste“, in dem besonders gut Muskeln und Sehnen zu sehen sind. Und ein Künstler wird gefragt, ob Leonardo heute überhaupt noch Relevanz habe. (Was er natürlich bejaht.)
Nach einer guten Stunde, als Leonardo es gerade von Florenz nach Mailand geschafft hatte und noch nicht mal in Rom war, wir aber immerhin schon die wunderschöne „Dame mit dem Hermelin“, die noch tollere „La Belle Ferronnière“ und die „Felsgrottenmadonna“ in zweifacher Ausfertigung („NEVER BEFORE IN HISTORY“) sehen durften, wurden die Aussetzer immer länger, der Ton völlig unverständlich, und die ersten Zuschauer_innen machten sich auf den Weg zum Ausgang. Ich hoffte noch ein paar Minuten, aber als dann erstmals das da auftauchte:
war auch mir klar, dass das heute wohl nix mehr werden würde. So reihte ich mich in die lange Schlange der Menschen, die ihr Geld wiederbekamen und ging traurig im Regen nach Hause. Sehr passend. Verdammter Realitätscrash; gerade noch wohlbehütet und warm in der Renaissance gewesen und Madonnen bewundert, jetzt irgendwie unfertig und unausgeglichen unterwegs.
(Habe mich in alle Münder von da Vinci verliebt. Muss Ausstellungskatalog kaufen.)
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Perfekter Tagesabschluss: Mein verdammtes MacBook Pro, das in den zweieinhalb Jahren, in denen es sich in meinem Besitz befindet, schon zweimal crashte und professionell gegen Geld wiederbelebt werden musste, entschied sich von einer Sekunde zu anderen, noch einen dritten Absturz zu inszenieren. Ich weiß, dass es an seinem Namen liegt, denn ich habe damals dem Kerl gestattet, es zu taufen. Ich würde als „Schwanzmütze“ auch meinen Job verweigern.
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Freitagvormittag den Drama King zum Apple-Laden getragen und mit meinem alten Macbook (10.4! ZEHNFUCKINGVIER!) versucht zu arbeiten. Was etwas schwierig war, wenn man plötzlich CS3 statt CS5 vor sich hat, kein Chrome und kein Echofon läuft und einem die ganzen Arbeitsmails der letzten Tage fehlen. Wie gut, dass wir Montag keine Riesenpräse haben. Nicht.
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Mein neues Macbook Pro wird Gomez heißen, wunderschön sein und immer funktionieren. Außer manchmal in Österreich.
Twitterlieblinge Februar 2012, Teil 1
(Jajaja, der ist noch aus dem Januar, aber der ist mir anscheinend bei der letzten Liste durchgerutscht. Und überhaupt fängt jeder Monat besser an, wenn einen der Avatar vom Kamke anlächelt.)
(Wenn Sie mal schauen wollen, welche bekannten Werke der Popmusik in der Tonart mit den fünf Kreuzen komponiert wurden? Merkt man gar nicht, ne?)
(♥ ♥ ♥)
(Was ich an diesem Tweet so schätze: dass ihn neben zwei weiteren Menschen mit gutem Geschmack sämtliche eins, zwei, drei, vier Mitglieder der White Russians gefavt haben. Mitglied Nummer 5 ist die Verfasserin.)
Schöne Dinger dabei, oder? Bin ganz flauschig drauf. Aber der olle Binder muss natürlich die Stimmung verkacken:
Tagebuch 15. Februar – *hicks*
Ziemlich ereignisloser Tag. Bis auf die Tatsache, dass meine persönliche Jobbetreuerin mich zwingt, Bewerbungen an Menschen in Städten zu schreiben, deren Namen ich nur respektvoll flüstere.
Ja, Bewerbung. Hashtag für dieses Jahr ist #allesneu2012. Ihr kriegt das schon mit, ob das klappt. Wenn nicht, ändere ich das Hashtag in #Bleibt-alles-beim-Alten-und-ich-hab-weiter-schlechte-Laune-2012. In diesem Zusammenhang: Falls hier Opernhäuser mitlesen, deren Presse- oder Marketingabteilungen noch Unterstützung brauchen – Mail an mich.
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Abends ein nachgeholtes Valentinstagsfütterchen im Trific. Am 14. konnten und wollten wir nicht essen gehen, da mussten wir Fußball gucken. Dafür gab es gestern für mich ein sehr gutes Roastbeef vom Kalb mit Apfelremoulade, ein unfassbar gutes Skreifilet auf mediterranem Bohnenragout und Kartoffelstroh und die sowieso immer guten Topfenknödel auf Zwetschgenröster. Dazu zuerst einen Crémant, dann einen unauffälligen Apoll vom Pollerhof (ICH WILL MEINEN GELBEN MUSKATELLER! KELTERT SCHNELLER!), und zum Schluss einen herrlichen Spätburgunder (vergessen, woher).
Tagebuch 14. Februar – Sehnsucht
Das Beste an meinem Tag in der Agentur war die Blaumeise, die für ein paar Sekunden lang auf dem Balkongeländer gesessen und mich angeschaut hat.
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Auf schwerer Drehung seit Tagen: Paradise von Coldplay.
(Das offizielle Video ist natürlich gesperrt.)
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Eine Karte für das 5. Symphoniekonzert der Hamburger Symphoniker am Sonntag in der Laeiszhalle gekauft.
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Gutes Essen und Fußball retten mich vor zu großer Traurigkeit.
Ottolenghis One-Pot Wonder
Die Wunderpfanne war das erste Rezept, das ich von Ottolenghi gekocht habe, damals allerdings noch ohne so fancy Zeug wie Sumach oder rote Chili. Inzwischen ist meine Küche mit lauter lustigen Gewürzen ausgerüstet (die ich gerne hier bestelle), und seitdem wird brav nach Rezept Zeug in die Pfanne gehauen.
3 EL Olivenöl in einer beschichteten Pfanne erhitzen.
3 mittelgroße Zwiebeln, in Ringe geschnitten,
200 g Kartoffeln, ca. einen halben Zentimeter dick geschnitten,
1/2 rote Chilischote, fein gehackt,
1/2 EL Sumach,
Salz und
schwarzen Pfeffer
bei mittlerer Hitze ungefähr 20 Minuten braten, bis die Kartoffeln gekocht und die Zwiebeln weich sind. Während alles in der Gegend rumbrät, den Rest des Festmahls zubereiten. In einem Schälchen
100 g griechischen Jogurt mit
1 EL Zitronensaft und
1 Schuss Olivenöl verrühren. Beiseite stellen. In einer kleinen Pfanne
300 g Rispentomaten bei hoher Hitze anrösten. Dürfen ruhig schwarz werden. Sind sie bei mir nur an Stellen, die auf dem Foto nicht zu sehen sind. Und statt griechischem Jogurt tat’s bei mir auch 3,5%iger.
Sobald die Kartoffeln fertig sind,
1/2 TL Zucker und
1 Knoblauchzehe, fein gehackt, dazugeben, einmal durchrühren und dann alles gleichmäßig in der Pfanne verteilen.
4 Freilandeier darüber zerknacken, möglichst so, dass das Eigelb heil bleibt. Drei Minuten kochen, bis das Eiweiß leicht festgeworden ist.
1 1/2 EL Tahin
darüberklecksen (Vorsicht mit den Dottern), Deckel auf die Pfanne, nochmal drei Minuten braten, bis das Eiweiß fest ist. Zum Servieren die Tomaten auf die Pracht legen, mit Jogurt beträufeln und
1 EL gehackten Koriander darüber streuen.
Das ganze soll für zwei Personen reichen, aber ich schaffe es auch locker alleine mit der Hälfte der Eier sowie Tomaten. Klingt erstmal wie Bauernfrühstück mit Zeug, schmeckt aber – natürlich – ganz anders. Zuerst kommen die warmweichen Kartoffeln, dann kickt dir das Chili den Stuhl unterm Hintern weg, aber du fällst weich auf Eigelb, Zwiebeln und Sesampaste, dann macht dich der zitronige Sumachjogurt wieder frisch, und irgendwo wuseln noch Tomate und Koriander rum wie kreischende Kinder. Großartiges Zeug. Ein Wunder eben.