The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford

Endlich mal ein Filmtitel, der schon genau vorweg nimmt, wie der Film ist: elaboriert, stimmungsvoll – und wahnsinnig lang. The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford (Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford) erzählt die Geschichte von … äh … genau. Aber eben nicht nur von der Ermordung, sondern auch, wie sich die Charaktere kennenlernen, wie sie einen Zug überfallen, wie die Bande von James sich zerstreut, wie sich ihre Wege wieder kreuzen, wie sie essen, trinken, reden, sich die Stiefel ausziehen und bedeutungsvoll in Kornfeldern rumsitzen.

Es fällt mir schwer, einen Film nur deswegen nicht zu mögen, weil er für meinen Geschmack eine Stunde zu lang war, denn alles andere fand ich großartig. Brad Pitt als Jesse James schafft die Wandlung vom vorsichtigen zum paranoiden Gangster sehr subtil, und Casey Affleck als Robert Ford kreiert ein sehr eigenes Bild eines Mannes, den wir eigentlich nicht mögen, dann aber irgendwie verstehen können und ihn deswegen noch weniger mögen.

Auch die Nebenrollen sind hervorragend besetzt: Sam Rockwell als Fords Bruder Charley, Sam Shepard als Jesses Bruder Frank und (ein bisschen verschenkt, weil sehr wenig zu sehen) Mary-Louise Parker als Jesses Ehefrau. Im Zusammenspiel mit einer sehr behutsamen Kameraführung, einer stimmigen Ausstattung und einer eigenwillig passenden Musik ergibt sich ein fast epischer Film, dessen Bilder über die sehr zähe Handlung hinwegtrösten.

Aber am besten haben mir persönlich die Dialoge gefallen und der Off-Sprecher: Sehr gestelzte Sätze habe ich zu hören bekommen, sehr ausgefeilt, sie klangen, als ob sie kein Komma dem Zufall überlassen hätten. Sie haben für mich den Film gut gemacht. Aber trotzdem hätten mir anderthalb Stunden schöne Bilder und schöne Sätze auch gereicht.

Things We Lost in the Fire

Halle Berry spielt eine Frau, die ihren Mann Brian (David Duchovny) verliert. Am Tag seiner Beerdigung fällt ihr ein, dass sie vergessen hat, seinen besten Freund Jerry (Benicio Del Toro) dazu einzuladen; wohl auch aus dem Grund, dass sie nie so recht etwas mit ihm anfangen konnte, denn er ist heroinabhängig, mal mehr, mal weniger drauf, und ihr Ehemann war sein bester Freund. Nach der Beerdigung lädt sie Jerry ein, in der ausgebauten Garage zu wohnen – angeblich aus Geldnot, in Wirklichkeit weiß sie nicht, warum.

Things We Lost in the Fire erzählt die Geschichte von Trauer und Sucht und wie man mit diesen beiden Dingen umgeht. Die Grundidee „One day at a time“ ist ja ganz nett, aber natürlich nicht so leicht gesagt wie getan. So fallen beide in alte Muster zurück, raffen sich wieder auf, fallen wieder.

Der Film bemüht sich, uns für die Figuren einzunehmen und manchmal klappt das auch ganz gut. Meistens hatte ich allerdings das Gefühl, ihnen viel zu nahe zu kommen und sie in einer sehr schwierigen Lebenssituation zu stören. Ich fand es teilweise wirklich unangenehm, ihnen zuzusehen, weil ich sie einfach gerne in Ruhe gelassen hätte in ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung.

Things zeigt menschliche Grenzsitationen, hält aber nicht immer die Distanz, die ich mir gewünscht hätte. So habe ich vieles als sehr platt und aufgesetzt empfunden, was garantiert nicht so gemeint war, und bin deshalb nicht ganz so beeindruckt von dem Film gewesen, wie ich es gerne gewesen wäre.

Atonement

Wunderschöner Film, der einen zuerst in Sicherheit wiegt, indem er eine idyllische englische Landschaft in den 30-er Jahren zeigt, mit einer hinreißenden Keira Knightley, die bitte nie wieder etwas anderes als ihr grünes Kleid tragen möge, einer stupsnasigen kleinen Schwester und einem verschmitzt lächelnden James McAvoy, an den beide Mädchen ihr Herz verschenkt haben. Nach einer halben Stunde Atonement (Abbitte) wollte ich mein Wohnzimmer mit Blümchentapeten ausstatten und nur noch Tee trinken.

Aber dann zerreißt die Kuscheligkeit, und aus den Luxusproblemchen werden echte: Schwesterlein Briony beschuldigt Robbie (McAvoy) einer Vergewaltigung, der Krieg mit dem deutschen Reich bricht aus, und plötzlich fühlt sich Atonement ganz, ganz anders an. Rauer, dreckiger, atemloser. Robbie hat Cecilia (Kneightley) längst seine Liebe gestanden, aber die beiden werden durch den Krieg auseinandergerissen, dessen Bilder so gar nichts mehr mit Blümchentapeten zu tun haben. Besonders eine lange Einstellung, in der Robbie am Strand von Dünkirchen auf tausender seiner Landsleute trifft, die gerade einen Angriff überstanden haben, hat mich sehr beeindruckt: Man hat das Gefühl, ein riesiges altes Schlachtenpanorama anzugucken, bei dem man immer mehr Details entdeckt, je länger man draufschaut. Aber auch hier bleibt die Menschlichkeit spürbar, die mich im ersten Teil so umpuschelt hat – und gerade als ich mich mit dieser Geschichte angefreundet hatte, bricht der Film zum zweiten Mal und überrascht mit einem herzzerreißenden Finale.

Atonement ist episch gefilmt, ohne schwülstig zu wirken; die ganzen Close-Ups wirken wie Gemälde, ohne dabei altbacken zu sein; die Musik ist ein wundervoller Teppich, und die Story nimmt einen mit auf eine Reise durch alle Gefühlslagen. Große Empfehlung. Hach.

Michael Clayton

Michael Clayton erzählt die Geschichte von eben diesem Michael, der in einer Anwaltsfirma der Junge für die Drecksarbeit ist. Eigentlich wird nie richtig klar, was der Mann so macht, und genauso fusselig fühlt sich auch der ganze Film an.

Es geht um eine Firma, die Dreck am Stecken hat und sich einer Sammelklage gegenüber sieht, und es geht um einen weiteren Anwalt (Tom Wilkinson), der ein guter Freund von Clayton (George Clooney) ist und anscheinend auf „die gute Seite“ wechseln will. Dazwischen wuseln noch Claytons Boss (Sidney Pollack) und eine Dame (Tilda Swinton) der beklagten Firma durch die Handlung – und das Dumme an der Handlung ist, dass es wahnsinnig lange dauert, bis mal ein bisschen Zug in das Ganze kommt. Und sobald der Film einen erwischt hat, ist er auch schon vorbei. So ging es mir jedenfalls: Die ganze Zeit hab ich gedacht, ja, nette Exposition – und nu? und plötzlich fing der Abspann an.

Und das Ende ist dann auch der Rede nicht wert, weil man es schon tausendmal gesehen hat. Gut, man kann George Clooney zwei Stunden beim Stirnrunzeln zugucken und Tom Wilkinson und Tilda Swinton sieht man ja auch immer gerne, aber trotzdem habe ich mich nach dem Film gefragt: Das ist alles? Echt? Pffft.

Gestern wurde die Ausstellung „Absolut privat?! Vom Tagebuch zum Weblog“ in Frankfurter Museum für Kommunikation eröffnet. Einige Blogger haben schon darauf hingewiesen (z.B. Kid37, Herr Paulsen, Andrea Diener). Von mir stehen zwei Zitate im Kalender, den Paulsen und Kid fotografiert haben. Einziger Schönheitsfehler: Die Autorenübersicht hat mich zwei Jahre älter gemacht als ich bin. Egal.

In der Ausstellung finden sich auch die hier schon öfter erwähnten Holzklötze meines Opas, ich glaube in Zusammenhang mit meinem diesbezüglichen Weblogeintrag. Hier sind die schon mal vorab zu sehen; im Original sind sie bestimmt noch toller. Was ich damit sagen will: angucken.

(Weblog zur Ausstellung)

Herr Niggemeier hat ein neues, wunderbares Feature in seinem Blog, das ihm Felix gebastelt hat: ein Tool, mit dem man die Kommentare ausschalten kann. Oder, wie Felix es ausdrückt: Kommentare grönern kann. I’m lovin’ it. Jetzt entgehen mir natürlich die vielen Kommentarperlen bei Stefan, die üblicherweise so seine Artikel verschandeln:

5. Seh ich genauso.
17. Versteh ich nicht.
28. Hallo Stefan, im ersten Satz fehlt ein Komma.
44. Du bist ein Arschloch.
52. Ich hab mir jetzt nicht die ganzen Kommentare durchgelesen, aber …
64. Ich hab mir jetzt nicht den Artikel richtig durchgelesen, aber …
81. Ich will ja nicht nörgeln, aber da fehlt immer noch ein Komma.
98. Habt ihr nichts besseres zu tun? In Afrika sterben Kinder.
105. Nazi!
106. Selber!
107. Du aber immer einer mehr!
120. Worum geht’s?
166. Hey, Niggemeier: KOMMA!
193. Wer das liest, ist doof.

(ad infinitum)

Edit, 9. März.: Hallo, liebe Niggemeier-Leser. Warum ich keine Kommentare mehr habe (ja, ich hatte mal welche), steht hier.


© Paramount Vantage/Miramax

There Will Be Blood (USA 2007, 158 min)

Darsteller: Daniel Day-Lewis, Paul Dano, Dillon Freasier, Ciarán Hinds
Musik: Jonny Greenwood
Kamera: Robert Elswit
Drehbuch: Paul Thomas Anderson, nach dem Roman Oil! von Upton Sinclair
Regie: Paul Thomas Anderson

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Ich kann Daniel Day-Lewis nicht ertragen. Bis auf wenige Ausnahmen spielt er für mich jedesmal völlig überzogen und so theatralisch, als wäre ein Kino eben kein Kino, sondern der Hamburger Fischmarkt, wo man mit Gebrüll seine Ware unters Volk schreien muss. Wahrscheinlich hat deshalb There Will Be Blood bei mir so gar nicht funktioniert.

Der Film erzählt die Geschichte von Daniel Plainview (talking name galore), der durch harte Arbeit seine erste Ölquelle entdeckt, ausbeutet und zu bescheidenem Reichtum gelangt. Eines Tages kommt ein junger Mann zu ihm, der ihm für 500 Dollar erzählt, wo es weiteres Öl gibt. Plainview rückt mit Sack und Pack an, kauft das Land relativ billig – unter der Voraussetzung, bei Erfolg eine großzügige Summe an die örtliche Kirche zu stiften – und fängt an zu bohren. Mit dabei ist der kleine H.W., der Sohn eines Mitstreiters von Plainview, der bei der ersten Quelle ums Leben gekommen ist. H.W. lebt im Glauben auf, Plainview sei sein Vater.

Als die neue Quelle anfängt zu sprudeln, wird H.W. verletzt und verliert sein Gehör. Plainview, der sich bis jetzt eh nicht als großartiger Sympathieträger hervorgetan hat, verstößt den Kleinen. Und damit nicht genug: Er bringt auch noch die Kirche gegen sich auf, vor allem Eli, den strenggläubigen Pastor, der ihn zum Glauben bekehren will, aber stattdessen von Plainview in eine Ölpfütze geprügelt wird mit der Ansage, die Kirche habe hier nichts mehr zu melden.

Elis Rache wird kommen, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich mich schon geistig von Blood verabschiedet. Ich hatte mich bis dahin bemüht, den Film zu mögen – und er hat durchaus gute Seiten. Die Bilder sind hervorragend: weite Panoramen, die Ehrfurcht für das Land und die Leistung der Menschen ertrotzen, die dem Boden etwas abgewinnen. Und danaben die vielen ausgezehrten Gesichter, die einer John-Steinbeck-Geschichte entsprungen scheinen. Und auch wenn einige Details nach Kulisse und Schminke aussehen, waren die Bilder großartig. Ein schickes Tableau nach dem nächsten.

Ich habe mich manchmal wirklich in die Zeit versetzt gefühlt, in der der Film spielt. Licht und Schatten waren sehr hart gesetzt, die Bilder schienen manchmal schneller zu laufen, so wie man es von alten Wochenschauen gewohnt ist. Die Aufstellungen der Figuren in den einzelnen Szenen war jedesmal perfekt komponiert; selbst die Wolken sahen teilweise so aus, als hätte sie jemand genau an diese Stelle des Himmels beordert.

Und natürlich machen die Themen des Films ein Riesenfass auf. Der Wunsch, vielleicht schon die Gier nach Macht. Der Wille zum absoluten Erfolg, egal was dafür auf der Strecke bleiben muss. Und als Kontrast dazu die staubigen Gläubigen in ihrer Holzkirche, der magere Pastor, dessen Glaube geradezu aus ihm herausleuchtet, der aber auch nicht von weltlichen Wünschen frei ist. Alles Themen, die sicher noch Relevanz haben, die aber leider so altbacken inszeniert wurden, dass hier das Gefühl, im letzten Jahrhundert zu sein, genau in die falsche Richtung führte.

Der Kampf zwischen dem Pastor und Plainview war so dermaßen moralgetränkt, dass ich ihn einfach nicht ernstnehmen konnte. Und dass jeder auf seine ganz eigene Probe gestellt wird – was verkaufe ich von meiner Seele, um an mein Ziel zu gelangen –, klingt theoretisch toll, sah aber in der Umsetzung eher nach Jahrmarkt aus. Da kam dann wieder mein Day-Lewis-Problem. Vielleicht sollte seine Darstellung so kasperletheatermäßig sein, keine Ahnung. Vielleicht muss ein Ölbaron in spe sich wie ein Staubsaugervertreter anhören, ich weiß es nicht. Ich persönlich wollte ihm aber nach fünf Minuten nicht mehr zuhören, wie er sein brummiges Timbre wirken lässt, wie er Geräusche macht wie ein geistig zurückgebliebener Cowboy und wie er jeden einzelnen seiner verdammten Sätze theatralisch aufpoliert, als wäre er auf der Schauspielschule und müsste den gerührten Müttern im Publikum zeigen, dass er ne echt gute Ausbildung hatte. Und als er in der großen, dramatischen Schlussszene auch noch anfängt, Speichelfäden zu ziehen, musste ich an die eine Friends-Folge denken, wo Gary Oldman Joey eben diesen Tipp gibt: Große Schauspieler spucken! Die Folge hat Day-Lewis wahrscheinlich auch gesehen.

Mein Problem mit There Will Be Blood war, dass sich die Geschichte auf dem Papier allgemeingültig anhört, zeitlos und faszinierend, weil sie Grundthemen der Menschheit anreißt, sie mich aber in der Umsetzung überhaupt nicht überzeugt hat, weil sie statisch wirkte und wie aus einem Lehrfilm für die Oberstufe. Der Film brüllt einem von der ersten Sekunde „ICH BIN GROSS ICH BIN EIN EPOS ICH BIN WAHNSINNIG WICHTIG“ ins Gesicht. Und bei sowas denke ich sofort, nee, komm erst mal runter, erzähl mir erstmal, was du kannst. Und da klaffte dann eben eine Riesenlücke zwischen Anspruch und Können. Leider. Denn bis jetzt hat mir jeder Film von Paul Thomas Anderson gefallen, und ich bin auch davon ausgegangen, dass mir Blood gefallen wird. Vielleicht dreht einer den Film ja mal nach – mit einem anderen Hauptdarsteller. Dann reden wir nochmal drüber.


© Paramount/Miramax

No Country for Old Men (USA 2007, 122 min)

Darsteller: Tommy Lee Jones, Jarvier Bardem, Josh Brolin, Woody Harrelson, Kelly Macdonald, Garret Dillahunt, Barry Corbin
Musik: Carter Burwell
Kamera: Roger Deakins
Drehbuch: Joel & Ethan Coen
Regie: Ethan & Joel Coen

Trailer

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No Country for Old Men ist einer dieser Filme, die einem beim Zusehen sehr zwingend erscheinen; jede Figur scheint ihren Weg vorgezeichnet zu haben, es gibt keine Zufälle, und schon bei der ersten Einstellung ist klar, wie die letzte sein muss. Erst wenn der Abspann durch ist und man mal Zeit hat, das ganze Blut abzuwischen und Luft zu holen, wird einem bewusst, dass jede Figur mehr ist als eben das: eine Figur – ohne Entscheidungsgewalt, ohne Wahlmöglichkeit. Jeder in diesem Film hatte alle Möglichkeiten der Welt, die Geschichte anders verlaufen zu lassen. Und keiner hat diese Möglichkeit genutzt. Und in diesem Augenblick der Erkenntnis wird aus einem Film eine sehr beklemmende Parabel.

Die Personen: ein Mann auf Jagd, der zufällig auf den Schauplatz eines sehr schiefgelaufenen Drogengeschäfts stößt. Die Jungs, die die Drogen wiederhaben wollen. Der Killer, der das Geld wiederhaben will. Und mittendrin der Jäger, der eine einzige falsche Entscheidung trifft und damit alles in Gang setzt. Er weiß sogar selbst, dass es die falsche Entscheidung ist, denn er sagt seiner Frau noch zum Abschied, dass er jetzt eine Riesendummheit begehen wird und er das wisse, er es aber trotzdem tun werde. Sein Motiv: Menschlichkeit. Einem Verletzten Wasser bringen. Ganz blöde Idee.

Der Jäger wird knurrig von Josh Brolin gespielt, der in seiner Wortkargheit perfekt in die weite, leere Landschaft von Texas passt. Und so klein sein Wortschatz ist, so spärlich sind seine Bewegungen, nichts ist überflüssig, alles passt – wenn seine Cleverness und Voraussicht doch nur einem besseren Ziel dienen würde als nur dem, einen Koffer voll Geld zu verteidigen. Aber sein Blickfeld hat sich auf eben dieses Ziel verengt; der Radius, der ihm zum Handeln bleibt, ist sehr klein geworden. Aufwachen – und hoffen, dass man den Abend noch erlebt. Alles wegen einer falschen, humanen Entscheidung.

Ihm auf den Fersen ist ein Auftragskiller, der sich darüber amüsiert, dass alle seine Opfer zu ihm das gleiche sagen: “You don’t have to do this.” Javier Bardem, dem man manchmal noch seine spanische Heimat anhört, muss den schlechtesten Haarschnitt aller Zeiten tragen, darf dafür aber zeigen, dass man offensichtlich verrückte Menschen nicht immer verrückt darstellen muss. Auch er erspart sich jede überflüssige Geste, hat dafür aber schön verquere Dialoge, die sich anhören, als sei in ihnen eine tiefe Wahrheit verborgen, die aber bei einigem Nachdenken nur gehässige Konversation sind. Auch er wird von der Story vorwärts gezwungen, und auch er glaubt, er könne dagegen gar nichts tun. Weswegen er seine Opfer gerne nach Kopf oder Zahl fragt, während er eine Münze wirft, um sich selbst vorzugaukeln, er hätte mit dem Fortgang der Geschichte gar nichts zu tun.

Der Dritte im Bund ist Tommy Lee Jones, der als Sheriff hinter beiden her ist – aber eigentlich auch nicht. Er kommt immer einen Schritt zu spät, aber es scheint, als ob das genau so sein soll. Er betreibt eher Schadensbegrenzung und führt im Café Gespräche mit seinem Hilfssheriff über die Schlechtigkeit der Welt und dass man ihr nicht mehr ausweichen könne. Und genauso handelt er auch: bemüht, den Schaden in Grenzen zu halten, aber im vollen Bewusstsein, dass er ihn nicht verhindern kann.

Der Film ist nicht so bösartig-lustig wie die früheren Coen-Werke; es gibt einige Szenen, bei denen man mal kurz in sich hineinlacht, weil die Situation, der Dialog oder auch nur der Blick von Bardem so seltsam ist. Aber zwei Sekunden später hat einen die Wirklichkeit wieder, es fliegen wieder Kugeln, es fließt wieder Blut. Ich persönlich fand es sehr angenehm, keinen krachledernen Humor vorgesetzt zu bekommen, der Blutvergießen als cool hinstellt. Hier war es unvermeidlich. Jedenfalls bis zum Abspann. Bis zum Durchatmen. Bis zum Nachdenken.

No Country for Old Men reißt verschiedene Themen an und lässt sie dann in der Luft hängen: Schicksal und ob wir es selbst bestimmen, Vergebung, gute Taten, die nicht belohnt werden, das Älterwerden, nicht nur das eigene, sondern auch das der Welt um einen herum und dass die Geschwindigkeit der beiden Ereignisse anscheinend nie übereinstimmt. Der Film lässt einen mit den letzten Konsequenzen allein, er selbst bleibt wortkarg, zeigt nur und belehrt nicht. Aber was er zeigt! Die Bildsprache ist in jeder Szene absolut präzise; die Gesichter sind niemals Schauspieler plus Make-up plus cleveres Drehbuch, sondern ganze Biografien; jedes Requisit passt, jedes Licht, jedes verdammte Staubkorn. Und wenn die Geschichte endlich ihren vorgezeichneten Weg gegangen ist und einem danach auffällt, dass alles auch ganz anders hätte ausgehen können, überlegt man, ob man sich No Country for Old Men gleich nochmal anguckt. In der Hoffnung, der Jäger möge sich dieses Mal anders entscheiden. Oder der Killer.

Dieser Eintrag ist der Kaltmamsell gewidmet, und sie weiß auch warum. (Merci.)

Movie Memories

Ein Blogeintrag von La Puce hat mich zu einem eigenen alten Blogeintrag geführt, in dem ich unter anderem über meine Kinokartensammlung geschrieben habe. Gestern habe ich mir mal den Spaß gemacht und sie alle nach Jahren sortiert und durchgeblättert. Dabei habe ich festgestellt, dass ich anscheinend erst 1994 angefangen habe, sie zu sammeln, dass ich einmal in meinem Leben in Osnabrück im Kino war (Event Horizon, 15. Januar 1998, UFA-Filmpassage, Johannisstraße), dass ich im Jahr 2000 fünfmal in Gladiator gegangen bin, dass das UFA-Studio am Thielenplatz in Hannover Bound lieber Baund geschrieben hat und dass es Filme gibt, an die ich überhaupt keine Erinnerung habe (Quills? Ort der Wahrheit? Versprochen ist versprochen? – Danke an Google und die IMDB; das hat man davon, wenn man sich nur die Originaltitel merkt).

Mir ist aber auch aufgefallen, dass es viele, viele Filme gibt, an die ich ganz besondere Erinnerungen habe. Nine Months zum Beispiel – nicht, weil der Film so toll war, sondern weil es die letzte Karte ist, die ich vom Filmfestspielhaus in Hannover besitze.

Meine Erinnerungen an „mein Kino“ habe ich ja schon mal aufgeschrieben (1, 2). Und es ist ganz schön doof, dass ausgerechnet so ein Deppenfilm meine Abschiedsvorstellung war.

Ähnliches Thema, andere Richtung: die Karte zu Fight Club.

Der erste Film, den ich nach meinem Umzug in Hamburg gesehen habe. Damals noch im City am Steindamm, das es seit einiger Zeit nicht mehr gibt. Die Originalversionen, die hier ihren Stammplatz hatten, wanderten ins Grindelkino, das tollerweise Ende März seinen Dienst einstellt. Was für mich bedeutet (wenn ich jemals wieder ins Kino gehen werde anstatt weiter auf DVDs zu warten), dass ich demnächst nur noch intellektuelles Zeug im Abaton im Original zu sehen kriege. In Foltersitzen auf beschissen kleinen Leinwänden.

Lustigerweise habe ich ausgerechnet im City eine alte Kommilitonin wiedergetroffen, mit der ich schon in Hannover gerne mal in Originalversionen gesessen habe. Sie war nach Hamburg gezogen, um bei der Gala zu arbeiten (inzwischen ist sie bei der OK!), und ich habe es immer wahnsinnig spannend gefunden, mir ihren Promiklatsch anzuhören. Wir haben auch immer für die gleichen Kerle geschwärmt; so war es 2000 bei unserem Wiedersehen natürlich Russell Crowe und ein paar Jahre später, als wir uns wieder über den Weg liefen, Viggo Mortensen. Mit meinem Herzblatt Kiefer konnte sie nie viel anfangen, hat mir aber immer gerne die Geschichte erzählt, wie sie ein halbes Jahr in Los Angeles gearbeitet hatte, fürchterlich gehetzt mit einem Stapel Post zu einem Briefkasten stürzte, dort die hundert Briefe fallenließ – und ihr der zufällig vorbeikommende Kiefer geholfen hat, sie wieder einzusammeln. Neid!

Mein erster Pixar-Film. Den habe ich mit einem damals guten Freund zusammen gesehen. Ich weiß noch, dass wir vorher sehr skeptisch waren: Hm, Computerzeug, das kann doch nix werden … egal, komm lass angucken und drüber lästern.

Wir waren die einzigen Besucher im Kino, denn Toy Story war als Kinderfilm vermarktet worden und um 20 Uhr waren halt keine Sechsjährigen da. Daher haben wir es uns alleine schön gemütlich gemacht – und uns innerhalb der ersten zehn Filmminuten in Sechsjährige verwandelt. Für mich ist Toy Story bis heute einer der besten Pixars, auch wenn die Animation natürlich inzwischen Augenkrebs auslöst. Aber die Geschwindigkeit! Das Herz! Die pure Lust an der Unterhaltung, die Musik, die Figuren – all das hat dazu geführt, dass mein Kumpel und ich uns bald wie im Kasperletheater aufgeführt und den Pixelnasen auf der Leinwand hektisch gute Tipps zugerufen haben: „Nein, geh nicht die Treppe runter, da wartet DER HUND! AAAAAHH!“

Nach 80 Minuten waren wir völlig überdreht, als ob wir einen Riesensquishee von Apu durch die Nase gezogen hätten. Beim standesgemäßen McDonald’s-Besuch danach habe ich mir die Juniortüte geholt, in der gerade die Figuren aus Toy Story das Beiwerk waren. Und bis heute stehen Woody und Buzz Lightyear (SPACE RANGER!) in meinem DVD-Regal und passen auf meine Filme auf.

Ich habe selber über mich grinsen müssen, als ich die Karte zur Superdupermitternachtspreview von Star Trek – First Contact entdeckt habe. Anscheinend war sie mir mal so wichtig, dass ich sie mit Tesafilm wieder zusammengeklebt habe, nachdem der herzlose Abreißer sie kaputtgemacht hatte.

Die Preview fand im Riesensaal des Cinemaxx Hannover statt, und ich saß mit gefühlten 50 Frauen und 750 Kerlen in den roten Plüschsesseln. Außerdem war ich NATÜRLICH in Uniform erschienen und guckte mich um, wieviele Irre außer mir das auch getan hatten. Ein etwas rundlicher Trekkie in roter Uniform saß ganz in meiner Nähe … und bis zu diesem Abend war er Jungfrau. Den Rest der Story überlasse ich euch. (Every prejudice is true.)

1996 habe ich mich bei der dffb für ein Drehbuchstudium beworben. Gleichzeitig hatte ich eine Bewerbung nach München geschickt, die mir viel mehr am Herzen lag. Daher habe ich dafür auch richtig lange überlegt, was die schlauen Profs wohl von mir hören wollten, habe so getan, als wüsste ich über franzackige Filme total gut Bescheid und hab überhaupt den Filmbuff raushängen lassen, der ich nicht war. Die Bewerbung für Berlin war dagegen aus dem Handgelenk geschüttelt, die Schreibproben waren knackige Kurzgeschichten, die geforderte Filmkritik schrieb ich gnadenlos über Flatliners und nicht Der andalusische Hund oder ähnliches – und deswegen wurde ich in München auch völlig zu Recht abgelehnt und lustigerweise nach Berlin zur Prüfung eingeladen.

Dort schickte mich die Mitwohnzentrale in eine Wohnung, in der sich bereits ein Amerikaner befand: Karl, der in der Woche, die ich für die Prüfung in der Stadt war, mein Freund wurde, mein Hauptdarsteller für den Super-8-Film, den wir drehen mussten und mein Kinobegleiter. Im UCI war ich noch allein, ins Olympia sind wir gemeinsam gegangen und haben It’s My Party gesehen, wie ich handschriftlich hinten auf der Karte vermerkt habe.

Und als ich Karl dann ein halbes Jahr später in Amerika besucht habe, gab’s Courage Under Fire und 2 Days in the Valley. In Courage ist mir zum ersten Mal ein gewisser Matt Damon aufgefallen, der in dem Film aber arg verhungert aussah, und in 2 Days Charlize Theron, die, soweit ich mich erinnere, ein sehr enges Kleidchen tragen musste.

Nach Courage war ich verdammt nah am Wasser, denn zu der Zeit war ich völlig vernarrt in the land of the free, und es war für mich sehr emotional, zum ersten Mal in den USA zu sein, sich sofort sehr zu Hause zu fühlen, seinen Seelenverwandten um sich zu haben und mit ihm fies patriotische Filme zu gucken.

Das hat sich inzwischen relativiert. Karl ist nicht mehr da, die USA sollen erstmal eine vernünftige Präsidentin wählen (there’s always hope), und unsereins guckt inzwischen sogar französische Filme, wenn auch im Moment mit starrem Blick auf die Untertitel. In ein, zwei Jahren ist die Schale von Oma voll, in der die Karten liegen; dann müssen meine Karten umziehen. Spätestens dann werde ich sie wieder in die Hand nehmen und sie versonnen durchblättern und mich an Kinos und Menschen erinnern, die es schon nicht mehr gibt, die aber noch irgendwo in einer Ecke meines leicht zu beeindruckenden Herzens wohnen.