Welches Menscherl hätten’S denn gern?

Es ist nichts Falsches daran, sich eine fiktive Biografie zuzulegen, es ist nicht schräg oder bescheuert oder „nicht normal“, sich in fremde Häute hineinzuträumen und ihr Leben zu leben, selbst wenn es nur fünf Minuten am Tag sind, die man als jemand anders zubringt.

(Jetzt kommt ein Satzanfang, den ich noch nie im Weblog verwendet habe:) Meine Therapeutin hat mal gesagt (so, das war’s, weitergehen), dass es ganz im Gegenteil eine sehr hilfreiche Maßnahme ist, um mit sich selbst klarzukommen. Wenn die reale Welt gerade mal zu schmerzhaft ist, ist es ein gesunder Fluchtinstinkt, da hinzugehen, wo es nicht wehtut und wo man sich sicher fühlt. Ich habe in der (heute abgeschlossenen) Therapie gelernt, mir einen Platz im Kopf zu schaffen, an den ich jederzeit gehen kann, einen Raum, den nur ich betreten kann und in dem mir nichts passieren kann. Diesen Raum hatte ich in der Pubertät nicht. Damals hatte ich stattdessen sechs erfundene Figuren um mich herum, die immer für mich da waren, wenn mir die Welt mal wieder über mein zartes Seelchen gewachsen war. Sobald ich mich an einen von ihn gewandt habe, war alles ein kleines bisschen besser. Und nach einem Gespräch mit ihm (es waren komischerweise alles Jungs) fühlte ich mich stark genug, um es wieder mit der wahren Welt aufzunehmen.

Alle sechs hatten elaborierte Biografien, ich habe sie gezeichnet, Briefe an sie geschrieben, mit ihnen über Songtexte gestritten, habe sie älter werden lassen, habe ihnen zum Geburtstag gratuliert, habe manche von ihnen nicht so gerne gehabt wie andere, habe sie erwachsen werden lassen und sie irgendwann gehen lassen, als es mir anscheinend auch ohne sie gut ging. Aber als ich in der Therapie meinen Raum schaffen sollte, war ganz plötzlich und ohne dass ich ihn gerufen hatte, einer von ihnen wieder da. Er ist immer noch bei mir und wartet in meinem Raum, in den ich netterweise schon viele Monate nicht mehr gehen musste. Aber ich weiß, er ist da. Und er ist ein Teil von mir.

Wenn ich damals schon die Möglichkeit gehabt hätte, ein Weblog zu führen – wer weiß, ob ich nicht auch für einen von ihnen eins geschrieben hätte? Wer weiß, ob ich mich selbst nicht auch in ihrer Welt so verloren hätte? Jeder muss mit seinem Schmerz so umgehen, wie er oder sie es für richtig hält. Solange man niemand anderem damit Kummer zufügt, spricht meiner kleinen Meinung nach überhaupt nichts dagegen, sich zu erfinden, andere zu erfinden, sich ein Leben zu erfinden. Ich hoffe, in ihrem Fall hat es ihr mehr gut getan als dass sie noch trauriger wurde. Ich wünsche Anne viel Kraft für ihren weiteren Weg.

Garden State

Melancholischer, aber hoffnungsvoller Film über Large, einen jungen Mann, der zum Begräbnis seiner Mutter nach Hause kommt. Dort trifft er auf seinen Vater, der ihn als Teenager auf Medikamente gesetzt hat, auf seine alten Schulkameraden, aus denen entweder kiffende Loser geworden sind oder schwerreiche Jungfrauen, und er trifft ein Mädchen, das in vier Tagen sein Leben verändern wird.

Der Film fühlt sich zwar manchmal an wie der übliche Catcher in the Rye The Graduate Igby Goes Down-Verschnitt, hat aber trotzdem genügend eigenständige Ideen, um zu überraschen und zu rühren. Gerade die Anfangsszenen, in denen Large (Zach Braff) noch völlig zugedröhnt durch seine Welt schwimmt, zeigen viele liebevolle Skurrilitäten, die die nutzlose Absurdität seines Lebens schön bebildern. Die Passagen, in denen Large allmählich erwacht und merkt, dass er bis jetzt sein Leben damit vergeudet hat, darauf zu warten, dass sein Leben anfängt, sind gleichzeitig schräg und zutiefst deprimierend. Schade nur, dass Braff nicht ganz gegen darstellerische Schwergewichte wie Natalie Portman und Ian Holm anspielen kann. Seine Sätze sind genauso wahr und ehrlich wie die der anderen, aber sie klingen manchmal etwas gestelzt. Portman dagegen kommt wie immer leicht und doch so traurig durch ihre Zeilen, und Holm kann der recht kleinen Figur des Vaters das nötige Gewicht verleihen.

Garden State ist einer dieser Filme, nach denen man stundenlang mit seinen Freunden weintrinkend auf Wasser gucken möchte oder einen Flug buchen möchte nach irgendwohinnurnichthier oder sich ins Auto setzt, um zu seinen Eltern zu fahren und das Gefühl „Zuhause“ zu suchen. Er läuft am 26. Mai in Deutschland an, ist jetzt schon auf RC1-DVD erhältlich und hat einen sehr kaufwürdigen Soundtrack.

Lieber Frank,

Arminia Bielefeld rockt natürlich trotzdem.

Deine Anke

(Wenn mein Chef mich bittet, was Nettes über seinen Lieblingsverein zu schreiben, mach ich das doch gerne. Und wenn ich demnächst um eine Gehaltserhöhung bitte, erfüllt er mir meinen Wunsch bestimmt genauso gerne.)

Flight of the Phoenix

Flight of the Phoenix ist ein Remake des fast gleichnamigen The Flight of the Phoenix von 1965. Die Story: Eine Crew wird von einem Ölfeld in der Mongolei mit Sack und Pack abgezogen. Zwei Piloten (Dennis Quaid und Tyrese als Quotenschwarzer) packen die Gang und ihre Chefin (Miranda Otto als Quotenfrau) in ihr kleines, silbernes Flugzeug und fliegen geradewegs in einen schönen, computeranimierten Sandsturm. Sie stürzen ab, ahnen, dass sie niemand finden wird und warten auf ihren Tod – oder würden das tun, wenn nicht ein etwas seltsamer Sonderling (Giovanni Ribisi), dessen Geschichte nie wirklich geklärt wird (“It’s a long story”), vorgeschlagen hätte, aus dem halbwegs intakten Teil des Flugzeugs ein neues zu bauen.

Der Originalfilm gehört zu meinen ersten bewussten Fernsehkindheitserinnerungen. Mein Vater ist ein Fan dieses Films, und wann immer er kam, saß die ganze Familie vor dem Fernseher. Ich habe den Film immer als sehr dicht empfunden, sehr eindringlich und sehr spannend dazu, auch wenn er schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Deswegen stinkt das Remake in meinen Augen auch arg ab. Dennis Quaid ist eben nicht Jimmy Stewart, und Giovanni Ribisi ist nicht Hardy Krüger, der damals sehr schön einen typischen Hollywood-Deutschen gab: diszipliniert, eigenwillig, strebsam. Ribisi ist einfach nur unheimlich, auch wenn er – wohl eine kleine Reminiszenz – blondgefärbte Haare hat und fast genau die gleiche Brille trägt wie Herr Krüger im Original. Damals bestand die ganze Crew aus harten Kerlen, die fast verdurstet sind oder in der Hitze umkamen. Dieses Mal haben wir eine schön durchmischte Gang, die beim Flugzeugbauen gerne mal entspannt zu Outkast ein Tänzchen hinlegen und sich zwar ab und zu über das Wasser Gedanken macht, aber auch nicht wirklich besorgt oder ausgezehrt aussieht. Och nö.

Eine Szene hat mir besonders gefehlt. Gleich in der ersten Nacht nach dem Absturz verlässt einer der Männer das Flugzeug und verirrt sich in der Nacht. Im Remake verschwindet er einfach aus dem Film, man ruft nochmal pflichtschuldig nach ihm, und das war’s. Einer weniger, der mir das Wasser wegtrinkt. Im Original wurde die arme Seele von Ernest Borgnine gespielt, dem wir dabei zusehen, wie er halluzinierend seinen Namen in den Sand schreibt, um verzweifelt auf sich aufmerksam zu machen. Ganz großes Kino und ein Bild, das mir bis heute in Erinnerung geblieben ist.

Flight of the Phoenix spult pflichtschuldig die üblichen Zutaten eines Katastrophenfilms ab: die Anspannung der Figuren, die in Brüllereien endet, der Kampf um die Ressourcen, die üblichen Todesfälle und die flammende Rede, nach Hause zu wollen. Das Dumme ist nur, dass alles einstudiert wirkt, nichts erreicht einen wirklich, alles klingt wie Schülertheater, das echt Eindruck auf Mama und Papa machen will. Hat bei mir nicht funktioniert. Ich guck mir lieber das Original nochmal an. Da kam auch die Pointe, wer Herr Krüger nun wirklich ist, um einiges besser als in der flauschigen Neufassung.

Katholische Kirche besiegt Hexerei!

(amazon.de, kurz vor 10 Uhr)

Die offizielle Seite zum Sean Penn-Film The Assassination of Richard Nixon flasht zwar ganz eklig, ist aber auch ziemlich stylish. Gönnt euch ruhig die fünf Minuten für den Test am Anfang, es lohnt sich. Ich habe leider keinen deutschen Starttermin ergoogeln können.

I feel pretty oh so pretty

Neues von den Ugly Dolls: Jetzt gibt’s Icons und neue Wallpapers auf der Seite. Der Kerl und ich habe Tray und Wedgehead als Schüsselanhänger, aber ich glaube, ich muss doch mal in eine richtige Puppe investieren.

Nicht beim Frühstücken anklicken

Lu definiert den Begriff „Katzeninhalt“ völlig neu.

(tschuldigung)

Extremely Loud & Incredibly Close

Seit ein paar Tagen in der Mache: Extremely Loud & Incredibly Close von Jonathan Safran Foer. Ich kann zu dem Buch noch nicht viel sagen, außer dass es sich ziemlich spannend anliest. Was mir aber aufgefallen ist, sind die kleinen Referenzen, die erstmal nach gar nichts klingen, aber dann plötzlich funktionieren, weil einem Dinge oder Geschehnisse einfallen, die nicht mal annähernd im Text vorkommen, die aber wahrscheinlich jeder von uns im Hinterkopf hat. Das Buch spielt in New York, und ein Absatz einer Anrufbeantworternachricht lautet folgendermaßen:

Message one. Tuesday, 8:52 A.M. Is anybody there? Hello? It’s Dad. If you’re there, pick up. I just tried the office, but no one was picking up. Listen, something’s happened. I’m OK. They’re telling us to stay where we are and wait for the firemen. I’m sure it’s fine. I’ll give you another call when I have a better idea of what’s going on. Just wanted to let you know that I’m OK, and not to worry. I’ll call again soon.

Reicht schon. Jeder weiß, dass Dad es nicht mehr nach Hause schaffen wird. Mich fasziniert dieses globale Wissen, das jeder bei bestimmten Daten oder Namen sofort abrufen kann. Wenn irgendwo aus heiterem Himmel der Satz vorkommt „Am 9. November war ich in Berlin“, weiß jeder, wohin die Geschichte geht. Wobei diese Geschichte wohl eher ein positives Ende hat. Der Ausschnitt aus Extremely Loud & Incredibly Close dagegen wirft sofort einen Schatten auf den weiteren Fortgang der Geschichte. Nur durch die Erwähnung einer Uhrzeit und der Tatsache, dass man auf die Feuerwehr wartet.

Spooky.

Benimm dich, du Sau!

Wer nicht genau weiß, wohin mit der Serviette bei Tisch oder wieso man eigentlich pünktlich zum Essen zu erscheinen hat, für den gibt es jetzt ein gar schönes Buch mit ganz tollen Regeln, die keinem Reimschema gehorchen. Ich verlinke dieses Meisterwerk natürlich nicht, weil ich auch (geringfügig) daran mitgearbeitet habe, sondern aus reiner Nächstenliebe. Und weil ich nicht will, dass mir mein ungebildeter Tischnachbar mit seiner Gabel mein Auge aussticht.

We will rock you Who let the dogs out Keep on running oder: Warum Frau Gröner diese Songs in den nächsten zwei Wochen nicht mehr hören will

Frau Gröner war nämlich beim American Football und ist jetzt taub. Genauer gesagt war Frau Gröner beim Spiel der Hamburg Sea Devils („Gooooo, Sea Devils, ready to rock, ready to roll“ – wenn ich den Vereinssong richtig verstanden habe) gegen Düsseldorf Rhein Fire, meine heimlichen Lieblinge der NFL Europe, weil die die schönsten Trikots haben. Und viel bessere Cheerleader („Pyromaniacs“) als die langweiligen Sea Pearls.

Ich war vor ungefähr 15 Jahren das letzte Mal in einem Fußballstadion, und das nicht mal zum Fußball. Genesis spielten damals im Niedersachsenstadion, und ich Weichei hatte Tribünenkarten, nachdem ich das Erlebnis Innenraum bei Michael Jackson nicht sonderlich genossen hatte. Ich erinnere mich, dass man wahnsinnig weit weg vom Geschehen saß. Umso mehr war ich über das Innere der AOL-Arena (formerly known as Volksparkstadion) begeistert, wo ich auch auf der Tribüne saß, aber trotzdem das Gefühl hatte, fast direkt am Rasen zu sitzen. Die Ränge sind ziemlich steil angeordnet, so dass man vielleicht etwas weiter oben sitzt als in „klassischen“ Stadien, aber dafür eben auch näher dran.

Die NFL Europe ist so eine Art Trainingslager für US-Talente, die in der Sommerpause der NFL ein bisschen Spielpraxis kriegen sollen. Und deshalb wurden vor dem Spiel sowohl die deutsche als auch die amerikanische Hymne angestimmt. The Star-Spangled Banner wurde vierstimmig und sehr schmissig von einer mir nicht bekannten Boygroup aus Hamburg dargeboten. An der deutschen Hymne versuchte sich laut Stadionsprecher ein Tenor, der seit 30 Jahren an der Hamburger Oper singt. Wahrscheinlich hat er in dieser Zeit noch nie das Deutschlandlied singen müssen, denn er hat es trotz Zettel in der Hand nicht geschafft, den Text fehlerfrei hinzukriegen. „Sind des Glückes Unterpfand“ ist aber auch ne echt schwere Zeile. Und die Melodie ist auch nicht ohne, ich weiß. (Oh Mann.)

Ich habe mich im Publikum recht wohl gefühlt, auch weil ich zum ersten Mal nicht das Gefühl hatte, mein Shirt erklären zu müssen. Zur Feier des Tages habe ich mein Indianapolis Colts-Shirt mit der 18 getragen. Generell waren neben vielen Blue Devils– und Sea Devils-Shirts viele Trikots von NFL-Mannschaften vertreten. Direkt vor mir saß ein Minnesota Viking, und drei Reihen weiter unten saßen die St. Louis Rams friedlich neben den San Francisco 49ers. Das Publikum kam mir jünger vor als ich den gemeinen deutschen Fußballfan einschätze, aber da kann ich mich irren. Da ein Football-Spiel ungefähr drei Stunden dauert, kann man doppelt so viel Bier in sich reinkippen als beim anderthalbstündigen Fußballmatch, was dazu führte, dass der Rückweg zur S-Bahn ziemlich lautstark von den üblichen Deppengesängen begleitet wurde, womit alle Unterschiede zum Fussi-Publikum wieder dahin wären.

Apropos Deppengesänge. Ich als Rudeltier fand es sehr schön, dass nach jedem Spielzug ein bisschen Schunkelmusik über die Lautsprecher kam, um das Publikum ja nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Und natürlich, damit die Cheerleader einen Rhythmus zum Mithüpfen hatten. In der Überschrift habe ich schon ein paar der Knaller aufgelistet, bei denen man schön mitgrölen konnte. Auch immer gerne durchs Stadion gejagt wurden Song 2, Kids, Let’s have a party, Highway to hell und – mein Liebling – bei gelungenen Spielzügen der Düsseldorfer Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern.

Ansonsten habe ich mich über die zwei debilen Maskottchen der Vereine amüsiert, die drei Stunden lang an den Seitenlinien rumgehüpft sind (the Studentenjob from hell), mich über die äußerst sauberen Toiletten gefreut und über den Mann mit der mobilen Zapfanlage auf dem Rücken, der per Schlauchpistole die 0,5l-Becher (im vollen Zustand stapelbar – dass ich das noch erleben darf) füllte. In den letzten 15 Jahren hat sich das Gebahren im Stadion doch arg gewandelt. Als ich vor 100 Jahren mit meinem Papa in Hannover mal Irland gegen UdSSR geguckt habe, musste man noch stundenlang am Getränkewagen anstehen. In der AOL-Arena rannten die ganze Zeit freundliche Verkäufer mit allerlei Backwerk und Zuckerzeug direkt vor meiner Nase rum. Kein Wunder, dass so viele Fans den obligatorischen Sportfan-Bierbauch vor sich hertragen. (Nein, mein Bauch ist ein Filmfan-Eisbauch.)

Wer dieses Erlebnis auch mal genießen möchte, kann das zum Beispiel am 30. April um 19 Uhr (Kick Off) tun. Dann empfangen die Sea Devils die Cologne Centurions und kriegen wahrscheinlich auf die Fresse. Macht aber nix. Das Spiel war mir vorgestern auch irgendwann egal. Ich fand’s einfach nett, ein bisschen mit der Masse mitzusingen, beim Touchdown hysterisch rumzuhüpfen und mir die Finger wund zu klatschen und den Cheerleadern bein Puschelschwingen zuzugucken. Ich bin in zwei Wochen wieder dabei. Und dann zieh ich mein Brett Favre-Shirt an.

(Ach so, Devils – Rhein Fire: 31:24.)

„Ich will dir eigentlich was Liebes sagen, aber ich glaube, ich muss rülpsen.“

Von den Alten lernen

Konfirmandenblase. Hat mein Opa immer gesagt, wenn meine Schwester und ich alle zehn Minuten lang aufs Klo gegangen sind.

Vogelkekse. So hießen bei meiner Omi Löffelbiskuits, weil Wellensittich Pitti die immer gekriegt hat. Ich sage immer „Ich muss noch Mascarpone und Vogelkekse einkaufen“, wenn ich Tirami Su machen will. Glücklicherweise nicht zum Verkaufspersonal. Das Wort Löffelbiskuit kommt mir bis heute schrecklich überkandidelt vor.

Tiet-Schört. Meine Omi konnte kein Englisch. Ich weiß zwar nicht, warum man T-Shirt nicht Ti-Schört aussprechen kann, aber ich kann Omi leider nicht mehr fragen.

Rockers. Sammelbegriff für Musiker aller Art. Ich erinnere mich, dass meine Oma mich einmal mit der BRAVO in der Hand abgefangen hat, auf deren Titelbild der Gitarrero von Barclay James Harvest abgebildet war, dessen Frisur größer war als sein Instrument. „Das sind doch alles Nichtsnutze, diese Rockers da. Wer sone Haare hat, kann doch nich richtich im Kopp sein.“

Beetenbartsch. Ostpreußische Rote-Beete-Suppe, die meine Omi gerne mit einer Speckstippe serviert hat. Ich muss gestehen, ich habe sie nienienie gegessen, weil ich die rote Farbe zwar unglaublich faszinierend fand – aber gleichzeitig auch unglaublich eklig.

Pikus der Buntspecht. Lieblingsansage von meinem Opa beim Skat-Spielen. Immer wieder gern genommen auch „Beim Grand spielt man Ässer“, „Wer einen kann, soll einen mitnehmen“, „Nimm ihn du, ich kann ihn auch nicht“ oder „Pik? Steck den Finger in den Arsch und quiek“.

Annamernalinke. So hieß die uralte Puppe, die meine Mutter auf der Flucht von Ostpreußen in die damalige DDR und schließlich in die Nähe von Hannover geschleppt hat und die dann bei meiner Omi und ihrer Schwester auf einem Stuhl im Flur saß. Sie hatte immer und ewig ihr rotes Strickkleid an, ihre braunen Haare waren ebenso lang wie verzottelt und ihre Papp-Haut über dem Papp-Körper bröselte an allen Ecken und Enden. Aber Annamernalinke hatte ja auch eine weite Reise hinter sich. Beziehungsweise Anna Minna Linke, aber bis ich verstanden hatte, dass das drei Worte waren und nicht nur eins, war ich mindestens 15.

(inspired by Franziskript, wenn auch nur sehr um die Ecke)

Patenkind-Content (mal wieder)

(Pic by Robert Grischek)

Emilia ist jetzt zehn Monate alt. Sie kann noch nicht Mama sagen und noch nicht Papa und erst recht nicht Lieblingspatentante Anke, obwohl ich mich sehr bemühe, ihr diesen wohlklingenden Begriff nahezubringen. Der Kerl vermutet deshalb, Emilia sei ein bisschen langsam und hat ihr den Spitznamen Stulle verpasst, der bei den Eltern nicht ganz so gerne gehört wird. Angeblich sei das im Berliner Raum eine Beleidigung („Eh, guck mal, der Depp da, voll stulle, der Typ“). Ich kann das nicht beurteilen, aber Emilia hört sowohl auf ihren Taufnamen als auch auf Stulle. Anscheinend mag sie den Namen. Vielleicht mag sie den aber nur, weil man das Ding, das sich hinter dem Namen verbirgt, in den Mund stecken kann. Emilia ist zurzeit ganz groß darin, sich alles in den Mund zu stecken, was reinpasst. Gerne auch mal die eigenen Füße. Füße sind sowieso toll. Beim Osterfrühstück hat sie minutenlang an den Füßen vom Kerl rumgespielt, obwohl die nur in Socken steckten, während meine in total tolle bunte Sneakers verpackt waren. Die waren aber nicht so angesagt. Dann hat Emilia entdeckt, dass der Kerl nicht ganz frisch rasiert war (vulgo: Acht-Tage-Bart), worauf erstmal alle anderen Menschen im Raum abgemeldet waren, weil der Bart so klasse war. Seitdem heißt der Kerl bei den Kindseltern nur noch Der Bart. Das nur nebenbei, weil ich ja gerne dafür angekackt werde, dass ich meinen Liebsten so schnöde Der Kerl nenne. Der Bart sage ich jetzt auch ab und zu, was dazu führt, dass der Kerl sich immer dann rasiert, um mich zu ärgern, weil ich auch so gerne an seiner Gesichtsbehaarung rumspiele.

Aber zurück zum Patenkind: Nachdem Emilia durch pädagogisch wertvolles Spielzeug geschickt vom Bart abgelenkt wurde – „Und jetzt den kleinen gelben Becher in den großen roten stecken … nein, nicht den roten in den gelben … nee, das klappt wirklich nicht … du kannst das doch … das ist der Vorführeffekt … komm, wir spielen was anderes“ –, konnten wir gemütlich frühstücken. Danach habe ich das Kind auf den Schoß bekommen und durfte ewig in Emilias wahnsinnigwuscheligweichen Haaren rumpusten und ihre Babyhaut beneiden küssen und ihre kleinen Finger angucken, die ganz schön kratzige Fingernägel haben, und dann hab ich sie einfach machen lassen, was sie wollte, was aber nicht so gut ankam, weil sich Emilia natürlich Ostereierstanniolverpackungen in den Mund stecken wollte und Servietten und Parmaschinken und Kuchengabeln. Ich habe lautstark eine antiautoritäre Erziehung vertreten, wurde aber überstimmt und durfte stattdessen versuchen, Emilia für das Wort Nein zu begeistern. Die Kindsmutter berichtete, dass dieses Wort erstmals an der Zimmerpalme geübt wurde, deren Blätter man sich auch ganz prima in den Mund stecken kann, wenn man denn unbedingt will.

Ansonsten hat Emilia weiterhin die coolsten Klamotten, die ich je an Babys gesehen habe, ist längst aus meinen tollen Nikes rausgewachsen und kann schon stehen, sich aber noch nicht wieder hinsetzen, was dazu führt, dass Mama den ganzen Tag hinter ihr steht, weil sie sich klasse am Tisch hochzieht und dann nicht weiß, wie sie wieder runterkommt. Außerdem kriegt sie locker die abgerundeten Ecken der Kindersicherung von den spitzen Tischkanten ab und findet das Sperrgitter vom Wohnzimmer zur Küche total doof. Ich ebenfalls, denn ich kann da genausowenig drüberklettern. Zum nächsten Frühstück setze ich mich solidarisch mit ihr vor das Gitter und nöle und beklage den eingeschränkten Zugang zum Kühlschrank, wo der Parmaschinken liegt und vielleicht noch ein paar Ostereier.

(Nein, ich will immer noch kein eigenes. Aber Stulle könnte ich den ganzen Tag knutschen. WERD ENDLICH ALT GENUG FÜRS KINDERKINO!)