Solino

Solino
(D, 2002)

Darsteller: Moritz Bleibtreu, Barnaby Metschurat, Antonella Attili, Gigi Savoia
Drehbuch: Ruth Toma
Kamera: Rainer Klausmann
Musik: Jánnos Eolou
Regie: Fatih Akin

Es ist 1964. Solino ist ein kleines verschlafenes Dörfchen in Italien. Eines Tages zieht das Ehepaar Rosa und Romano Amato mit den beiden Söhnen Gigi und Giancarlo nach Deutschland. Dort will Vater Romano seine Arbeit in einer Duisburger Zeche beginnen. Aber er sieht schnell, dass harte Arbeit nicht ganz nach seinem Geschmack ist. Seine geschäftstüchtige Frau hat eine bessere Idee: Gemeinsam eröffnen sie eine Pizzeria, und mit einem der ersten Fernseher im Viertel haben sie auch schnell eine ordentliche Stammkundschaft zusammen.

Die beiden Söhne entwickeln sich recht unterschiedlich: Während aus Giancarlo immer mehr ein kleiner Dieb und Taugenichts wird, versucht Gigi stets, es sowohl Vater als auch Mutter recht zu machen – dumm nur, dass er immer die ganzen Untaten seines Bruders angehängt bekommt.

Eines Tages fällt ein Filmteam in die Pizzeria Solino ein, und für Gigi geht in der kleinen, grauen Ecke Duisburg in Deutschland die Sonne auf. Ein italienischer Regisseur, dem der kleine Gigi mit seiner Spielzeugeisenbahn einen guten Rat geben konnte, nimmt ihn mit aufs Set. Gigi ist begeistert und vertraut dem Regisseur an: Ich will auch Filme machen. Worauf dieser ihm nur lächelnd erwidert: Das ist egal. Es ist egal, was du in deinem Leben machst. Worauf es ankommt, sind Feuer und Leidenschaft – fuoco e passione.

In seinem dritten abendfüllenden Film nach Kurz und schmerzlos und Im Juli hat sich Regisseur Fatih Akin an eine Geschichte gemacht, die oberflächlich von der Familie Amato und ihrem Leben in Deutschland erzählt. Davon, wie Gigi seiner Filmleidenschaft weiter frönt, schließlich sogar ein Kurzfilm von ihm auf einem Filmfestival läuft und ausgezeichnet wird – wovon er aber leider nichts mitbekommt. Davon, dass sein Bruder Giancarlo ihn zwar abgöttisch liebt, ihn aber gleichzeitig glühend um alles beneidet, was Gigi „besitzt“: seine Freundin, sein Talent, sein fuoco e passione. Und so sabotiert er Gigis Karriere, wo er kann, spannt ihm die Freundin aus und lässt ihn weiterhin seine Missetaten ausbügeln.

Und Gigi? Der lässt das alles mit sich geschehen – unwillig und wütend, aber auch hilflos in seiner Liebe zu Bruder und Familie.

Drehbuchautorin Ruth Toma, wegen der ich eigentlich in Solino gegangen bin, schafft es auch hier wieder, wie in Gloomy Sunday – einen der besten deutschen Filme, die ich kenne – Charaktere zu entwerfen, die man sofort ins Herz schließt. Mit all ihren Macken und Fehlern und Dummheiten, die sie begehen – man sieht in ihnen immer das gute Herz, die menschlichen Schwächen, die niemandem fremd sind, ja, auch ein wenig sich selber: seine Träume, seine Wünsche und all die Dinge, die man im Leben vorhatte und die man nicht geschafft hat.

Und manchmal denkt man zurück an die Zeit, in der man auf all diese Träume hingearbeitet hat. Man hat schon fast wieder vergessen, wie viel Energie man auf sie verschwendet hat. Plötzlich fällt einem auf, dass man längst einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat – sei es aus Zufall, sei es aus Bequemlichkeit, sei es, weil es eben nicht anders ging. Und damit man nicht weggespült wird von einem Leben, das man gar nicht leben will oder Träumen, denen man nachtrauert, arrangiert man sich eben mit dem Leben, das man jetzt führt. Mehr als das: Man beginnt es zu leben und zu lieben – mit demselbem Feuer und derselben Leidenschaft, mit denen man vor Jahren seine Träume gepflegt hat. Und plötzlich ist das Leben, das man gar nicht haben wollte, etwas, das einen viel glücklicher macht als die Wünsche, die einem irgendwann mal im Hinterkopf rumgespukt haben.

Ich war ziemlich schlecht drauf, als ich in Solino gegangen bin. Eigentlich war das wieder einer dieser verzweifelten Abende, in denen ich mich ins Kino flüchte, um mich nicht mit mir selber beschäftigen zu müssen. Ich sitze also im Abaton, schniefe ein wenig vor mich hin, und plötzlich sind Moritz Bleibtreu, Barnaby Metschurat, Antonella Attili und Gigi Savoia nur für mich da und erzählen mir mehr auf Italienisch als auf Deutsch eine wunderbare Geschichte von Träumen, der Liebe, dem Kino und dem Leben. Und auf einmal habe ich gelächelt – über meine Träume, die Liebe, die ich empfinden durfte und darf, das Kino, das ich so liebe, und das Leben, dem ich einfach nicht entkommen kann.

Grazie, Fatih, grazie, Ruth. Danke für euer Feuer und eure Leidenschaft. Ihr habt mich mal wieder gerettet.

Niente, Anke, niente. Haben wir gerne gemacht. Aber jetzt geh nach Hause.

Minority Report

Minority Report
(USA, 2002)

Darsteller: Tom Cruise, Samantha Morton, Max von Sydow, Colin Farrell, Peter Stormare
Drehbuch: Scott Frank & John Cohen (nach einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick)
Kamera: Janusz Kaminski
Musik: John Williams
Regie: Steven Spielberg

Die Vision ist zu schön: Die polizeiliche Organisation PreCrime kann Verbrechen vorhersagen und sie damit verhindern. Ihr Mittel: drei geistig übermäßig begabte, menschliche Wesen, die Precogs, die in einer Art Think Tank gehalten werden und die Zukunft voraussehen. Nach ihren Visionen wird eine Task Force zum Ort des Verbrechens, das noch gar nicht stattgefunden hat, geschickt, um eben dieses zu verhindern. Der zukünftige Attentäter wird eines noch nicht verübten Verbrechens schuldig gesprochen und verurteilt.

In Washington im Jahre 2054 ist PreCrime seit sechs Jahren eine eingespielte Organisation. Seit sechs Jahren ist kein Mord mehr verübt worden. Und seit sechs Jahren ist John Anderton (Tom Cruise) der Chef der Behörde und vom System überzeugt. Bis eben dieses System ihn als den nächsten Verbrecher anprangert: Er soll in wenigen Stunden einen Mann umbringen, den er noch nicht einmal kennt.

Das ist die Ausgangslage in Steven Spielbergs neuem Film Report. Die Story beruht auf einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick, der posthum zum besten Ideenlieferant Hollywoods geworden ist: Auch Blade Runner und Total Recall stammen in Kurzgeschichtenform aus seiner Feder. Und genau wie in den beiden Klassikern des Genres entwirft Dick auch in Minority Report eine eher düstere Zukunft: voller technischer Spielereien, die uns das Leben nicht leichter machen, sondern bedrohlich und befremdlich wirken, voller enger, dunkler Räume und Locations, die an eine industrielle Vorzeit erinnern – aber er entwirft auch Charaktere, die sich zu heute nicht besonders verändert haben, die, genau wie wir heute, menschliche Schwächen mit sich herumtragen, Eitelkeiten, Verletztlichkeiten, aber auch Stärke, einen eigenen Willen und der Glaube, dass das Gute siegen möge.

Steven Spielberg hat es geschafft, die Charaktere überzeugend auf die Leinwand zu bringen. Wir sehen atemlos zu, wie John Anderton dem System zu entfliehen versucht, wir sehen seine innere Zerrissenheit: Wird er jemanden umbringen, weil das System sich nie irrt oder wird er seine eigene Zukunft ändern können und damit das System ad absurdum führen?

Auch Andertons Mitspieler – sein väterlicher Freund und Vorgesetzter, der PreCrime landesweit einführen möchte, und sein innerbetrieblicher Konkurrent, der ihm auf die Finger schaut und seinen Job will – haben starke Geschichten, und wir verfolgen gespannt, wie sich ihre Storylines entwickeln, schließlich mit der von John verwoben werden und schlussendlich einen Sinn ergeben.

Das Dumme ist nur, dass wir über zwei Stunden darauf warten müssen, bis alles einen Sinn ergibt – und dass wir in dieser Zeit ständig hin- und hergeworfen werden zwischen einer sehr intensiven Diskussion über „Ist alles vorherbestimmt oder sind wir immer Herr über unser Leben und unsere Zukunft“, einem ziemlich konventionellen Actionfilm-Plot und teilweise unglaublichen, teilweise abgekupferten Zukunftsvisionen. Wie auch bei seiner letzten Regiearbeit A.I. kann sich Spielberg nicht wirklich entscheiden. Sein Ziel und die Aussage des Film sind klar: We all have a choice, aber der Weg dahin hätte konsequenter sein können.

Es ist sicherlich zu einfach, nur die Szenerien aufzuzählen, in denen man das Gefühl hat: Hey, das hab ich schon mal gesehen (die heruntergekommenen Wohnblocks in Blade Runner; die Staatsmacht, die fast komisch und slapstickmäßig in die Privatsphäre ihrer Bürger dringt wie in Brazil; die Gedanken und Fantasien, die gespeichert und wie Drogen konsumiert werden wie in Strange Days). Das, was es so nervig macht, ist, dass Spielberg im gleichen Film auch sehr eigene, großartige Welten schafft, dass er es eben einfach nicht nötig gehabt hätte, sich von anderen, zugegebenermaßen sehr guten Filmen „inspirieren“ zu lassen. Die erste halbe Stunde des Films entwirft eine kühle, aber nicht distanzierte Zukunftsvision voller neuer technischer Möglichkeiten, die zusammen mit den menschlichen Fähigkeiten der Precogs eine seltsam stimmige Mischung ergeben. Andertons Appartement, sein Auto, die Straßen der Stadt – alles passt zusammen und wirkt neu, ungesehen, aber trotzdem realistisch. Dann gleitet der Film ab in eine schon hundertmal dagewesene Actionhandlung, die unnötigerweise auch noch mit komischen Elementen unterfüttert wird. Spielberg ruiniert selber die dichte Atmosphäre, die er 30 Minuten lang aufgebaut hat. Und so geht der ganze Film weiter: Er kann sich nicht wirklich entscheiden, welchen Weg er zum Ziel nehmen soll und fasert die Handlung auch noch mit mehreren kleinen Unterhandlungen auf, die wohl atmosphärisch sein sollen, aber eher den Spannungsbogen ruinieren.

Das Ende selber ist natürlich der klassische Spielberg: Die Guten gewinnen, das Böse verliert, wir alle sind unseres Glückes Schmied. Und wenn Tom Cruise zum Schluss nicht noch seiner schwangeren Ex- und Jetzt-wieder-Frau die Hand auf den Bauch gelegt und dabei in den Sonnenuntergang geguckt hätte und John Williams die Streicher ein wenig heruntergefahren hätte, würde ich ein bisschen weniger nölen. So reicht”˜s aber nicht zum neuen Meisterwerk. Minority Report bläst die sehr straffe und sehr spannende Short Story von Dick unnötig auf, und Spielberg spült sie unnötig weich. Der Film ist sicher viel besser als A.I., aber bis zu einem weiteren Meilenstein wie Schindler’s List ist es noch ein weiter Weg.

Before Night Falls

Before Night Falls: Schnuckel Javier Bardem in einem verwaschenen artsyfartsy-Schnarcher von Julian Schnabel, der doch bittebitte lieber wieder Bilder malen sollte anstatt Regie zu führen. Zu lang, zu langweilig, zu doofes Kauderwelsch aus Spanisch und Englisch. Was denn nun? Immerhin kann ich stolz vermelden, Sean Penn in seinem 30-Sekunden-Auftritt erkannt zu haben. Und Johnny Depp sollte immer Make up tragen. So schön.

Along Came a Spider

Along Came a Spider (Im Netz der Spinne): Reibeisenstimme Michael Wincott als Bösling, der ein kleines Mädchen entführt – warum auch immer –, dann den Polizeipsychologen Morgan Freeman anruft, um ihn zu jagen – warum auch immer – und zum Schluss geht es irgendwie noch um ein russisches Kind, das eigentlich das Ziel der Entführung sein sollte, um 10 Millionen Dollar in Diamanten und eine Gute, die doch eine Böse ist. Whatever.

The Princess Diaries

The Princess Diaries (Plötzlich Prinzessin): Nö. Ich wollte einen zuckersüßen Mädchenfilm à la Pretty Woman haben, und keine Pseudo-Ich-will-was-verändern-Grütze: „Wenn ich Prinzessin bin, kann ich sagen, was ich will und vielleicht was bewegen. Welcher Teenager hat schon solche Möglichkeiten?” Gottlob nicht viele, Baby. Die sollen gefälligst erstmal erwachsen werden, bevor sie das Maul aufreißen. Und diese dämliche „Hässliches Entlein ist doch ein schöner Schwan, sobald ein Friseur Hand angelegt hat und sie keine Brille mehr trägt”-Storyline kann ich auch nicht mehr sehen.

Iris

Iris: Sehr bewegende Lebensgeschichte der britischen Schriftstellerin Iris Murdoch, die an Alzheimer erkrankte. Im letzten Jahr waren drei der vier Hauptdarsteller (Kate Winslet, Dame Judi Dench und Jim Broadbent) für den Oscar nomiert. Zu Recht. Guter Film.

Lammbock

Lammbock: Nein, ich geb zu, ich hatte ihn noch nicht gesehen, und ich bedauere wirklich, dass ich diesen Film nicht mit meinem Geld im Kino unterstützt habe, denn er ist klasse. Die Geschichte und die Dialoge sind zwar sehr von Reservoir Dogs inspiriert, aber um auch da jeden Kritiker sofort mundtot zu machen, wird eben dieser Film in Lammbock mal erwähnt – wohl um zu sagen: „Ja, ich weiß. Na und? Lieber gut geklaut als so ne Scheiße wie Nachts im Park gedreht, gell?“ Ja, seh ich auch so.

Nachts im Park

Nachts im Park: Nie gehört. Kein Wunder, denn er ist so dämlich und langweilig und deutsch und bemüht, dass ich ihn nach 30 qualvollen Minuten in die Tonne gehauen habe. Da können Heike Makatsch und Heino Ferch noch so begabt sein – wer Dialogzeilen wie „Hansen – eine Kaffeetasse stellt man nie auf die nagelneue Motorhaube des Wagens eines Polizeipsychologen“ zu hören kriegt, um unglaublich geschickt einen Charakter einzuführen, der kann gefälligst im Gefängnis vergammeln, ohne 4000 Mark zu kassieren, wenn er über Los geht. Und ich will jetzt keinen „Das sind jetzt aber x Euro“-Kommentar lesen.

The Mothman Prophecies

The Mothman Prophecies (The Mothman Prophecies – Tödliche Visionen): Nee, nicht wirklich. Richard Gere kann ich eh nicht leiden und Gruselfilme auch nicht. Vor allem keine, die zwar ne Menge interessanter Fährten auslegen, aber dann die meisten im Nichts enden lassen. Wozu guck ich den Grütz denn, wenn ich nicht mal den Hauch einer Auflösung präsentiert kriege? Da müsst ihr euch schon ein bisschen mehr Mühe beim Schreiben geben, Kinners.

John Q

John Q (John Q – Verzweifelte Wut): Die Story vom verzweifelten Durchschnittstyp, der mit Waffengewalt einem Angehörigen zur dringend benötigten Herztransplantation verhelfen will, hab ich schon vor fünf Jahren so oder ähnlich in einer Chicago Hope-Folge gesehen. Wäre egal, wenn der Film wenigstens spannend gewesen wäre. War er aber nicht. Da nutzt auch Denzel Washington nichts, wenn sein blöder kranker Sohn altklugen Müll wie „We’re a family, we gotta stick together“ absondert. Dir würd ich auch kein neues Herz geben, du Nervensäge.

Ich war eigentlich nie ein besonders glücklicher Mensch. Schon als Kind war ich lieber alleine, hab mir selber Geschichten erzählt, hatte vor allem Angst, und auf Fotos sehe ich immer aus, als würde mir jemand eine Knarre an den Kopf halten.

Auch in der Pubertät wurde das nicht anders: Ich hatte kaum Freunde, keine Clique, war immer noch lieber alleine, hab viele deprimierende Tagebucheinträge gemacht und fand die ganze Welt ziemlich unheimlich. Ich habe sehr viel gelesen und war lieber in der Bücherei als auf dem Sportplatz oder auf Partys. Meistens bin ich da eh nie eingeladen worden, weil ich recht selten mit Leuten in der Schule geredet habe. Ich hatte so meine drei, vier Bezugspersonen, mit denen man die große Pause verbringen konnte, aber das war’s dann auch. In der Schule war ich eh der Freak, weil ich immer die Klamotten meiner älteren Cousine aufgetragen habe und so modisch immer locker drei Jahre zu spät dran war.

Ich weiß bis heute nicht wieso, aber mit 17 hatte ich meinen ersten Freund und mit ihm auch seinen Freundeskreis. Er war der erste, der mir irgendwann mal gesagt hat, dass ich manchmal ein bisschen komisch drauf komme. Dieses Sehr-nah-am-Wasser sein, diese Angst vor allem, der ständige Selbstzweifel, die mangelnde Entschlusskraft … wir hatten noch keinen Namen dafür. Irgendwie liefen alle Ratschläge von Freunden und meinen Eltern immer auf „Du musst nur mal den Arsch hochkriegen“ hinaus. Was es natürlich nicht einfacher macht, wenn man im Bett liegt und nicht mal die Kraft hat, aufzustehen.

Ich hatte immer das Gefühl, dass alle anderen an mir vorbei erfolgreich werden, dass alle immer wissen, wo’s langgeht und vor allem, wie man da hinkommt. Und ich hab mich immer schlechter und kleiner und dümmer gefühlt, weil ich es nicht wusste. Und so hab ich mein Talent jahrelang in der Kneipe verschwendet, weil ich einfach nicht glauben konnte, überhaupt ein Talent zu haben. Meine Freunde haben mir das zwar immer wieder gesagt, aber hey, das sagen die doch nur, weil sie mir nicht weh tun wollen. In Wirklichkeit bin ich eine lausige Schreiberin, total hässlich, doof und unbeliebt.

So habe ich brav eine Essstörung entwickelt, keinen Job mehr auf die Reihe gekriegt und saß schließlich nur noch heulend in irgendwelchen Ecken. Und endlich war der Leidensdruck groß genug zu sagen: Hilfe. Ich kann nicht mehr. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was mit mir los ist, warum ich an allem verzweifele und wie ich aus diesem tiefen, tiefen Loch wieder rauskomme, in dem ich gerade hocke.

Es ist immer schwierig, jemandem zu erzählen, was Depressionen bedeuten, weil die meisten Menschen auf diesen hilflosen Unterton genauso reagieren wie meine Freunde und Eltern vor Jahren: Kopf hoch, wird schon, blablabla. Das ist ja sicher gut gemeint, aber es ist leider genau das, was man nicht hören will – und was man vor allen Dingen gar nicht befolgen kann. Depressionen fühlen sich an, als ob ein ganzer Lastwagen auf dich zufährt, dich unter sich begräbt und dann auf dir stehen bleibt. Du kannst in manchen Momenten kaum noch atmen vor Schmerz. Oder du wirst plötzlich umgeben von einer Welle von Traurigkeit, die ohne jede Vorwarnung und vor allem ohne jeden Grund einfach so plötzlich da ist und dich überspült. Du bist diesen Gefühlen, dieser Angst, dieser Lähmung völlig hilflos ausgeliefert. Und kein sinnvolles Argument wie „Du hast doch schon mal was Gutes getextet, dann kannst du das auch noch mal“ wird dich davon überzeugen, jemals wieder einen sinnvollen Satz schreiben zu können. In diesen Momenten glaubst du, ganz klein und wertlos zu sein und auch keine Chance zu haben, es ändern zu können. Du zweifelst jede deiner Entscheidungen an, bist aber auch nicht fähig, eine andere zu treffen.

Es gab Tage, an denen ich in meinem Wohnzimmer auf dem Fußboden gelegen habe, leergeweint an die Decke geguckt und gewartet habe, dass die Welt einfach aufhört, damit auch der Schmerz und diese übermächtige Verzweiflung in mir aufhören. Und in solchen Momenten hat man nicht mal die Kraft, sich die Tränen abzuwischen. Geschweige denn, den Arsch hochzukriegen.

Ich habe vor knapp zwei Jahren eine Psychotherapie begonnen, die am Anfang ziemlich schmerzhaft war. Eigentlich bin ich aus jedem Gespräch sehr erschöpft und total ausgeheult rausgegangen. Aber gleichzeitig hat mir meine Therapeutin immer etwas mitgegeben. Einen Satz, eine Technik, eine Eselsbrücke, an die ich mich erinnern sollte. Und je länger ich bei ihr war, desto mehr war ich plötzlich davon überzeugt: Ja, klar bin ich nicht doof. Natürlich kann ich etwas. Ich bin nicht nutzlos. Ich muss diesen Schmerz nicht in Kauf nehmen – ich kann etwas dagegen tun. Und allmählich ging es mir besser, und ganz plötzlich ging es mir gut. So gut, wie noch nie in meinem Leben. Auf einmal hat alles funktioniert, ich hatte gute Laune, war motiviert, hab meine Ernährung in den Griff gekriegt … Wahnsinn. Ich hab mich selbst kaum wiedererkannt. Aber es hat sich GROSSARTIG angefühlt.

Und dann kam der Bandscheibenvorfall. Die lange Krankheitsphase, die OP, die Reha, der ganze Scheiß, der noch nicht wieder weg ist und vielleicht nie wieder weggehen wird. Und erst seit ein paar Wochen – eigentlich erst seit ein paar Tagen, an denen ich mich wieder jeden Abend in den Schlaf geweint hab und an denen ich meist völlig blöd an meinem Rechner sitze und keine einzige gute Zeile rauskriege – erst jetzt merke ich, dass sich die alten Gewohnheiten, der alte Zweifel, die alte Anke wieder ganz heimlich und leise an mich rangeschlichen haben. Auf einmal kostet alles wieder fürchterlich viel Kraft. Auf einmal tut alles wieder fürchterlich weh. Und auf einmal möchte ich wieder unter meiner Bettdecke bleiben, bis alles da draußen nichts mehr von mir will.

Ich habe gestern ein wenig mit jemandem telefoniert, der meine Situation kennt und sich vor allem selber in einer ähnlichen befindet. Ich denke, ich werde auf seinen Rat hören und mal wieder um Hilfe bitten. Ich habe zu hart gearbeitet, als dass mir diese Scheißkrankheit jetzt alles versaut. Ich will zur Autorenschule. Ich will an meinem Job wieder Spaß haben. Und ich will vor allem nicht wieder dieses ängstliche, verzweifelte Etwas sein, das ich einmal war.

Ich kann einfach nicht schnell genug vor mir wegrennen.
Ich hole mich immer wieder ein.

Come Back to the 5 and Dime, Jimmy Dean, Jimmy Dean

Hab ich schon erwähnt, dass ich James Deans Grabstein in Fairmount, Indiana, geküsst habe? Nein. Dann hab ich’s jetzt.

Ich bin ja immer noch der Meinung, dass es Schicksal war, dass ich Karl getroffen habe, der von allen 50 Staaten der USA ausgerechnet aus Indiana kam, dem Heimatstaat von James Dean. Ich als eingefleischter Fan habe ihn natürlich totgequatscht, als ich Karl das erste Mal besucht habe: Let’s go there can we go there how far is it have you been there why not it’s just around the corner what kind of freak ARE you anyway?

Nörgeln nützt, wie wir wissen, und so saßen Karl und ich eines schönen Tages, genauer gesagt, am 1. Oktober 1996, in seinem fies türkisfarbenen Honda mit dem wunderschönen Nummernschild, das alle Wagen aus Indiana ziert: Amber Waves of Grain, und fuhren nach Fairmount, eine gute Stunde von Fort Wayne weg, Karls Wohnort. Ich habe den totalen Touri raushängen lassen, alles fotografiert, was irgendwie entfernt einen Hauch an James Dean erinnert (Highway Signs! Ganz wichtig! Unglaublich biografisch!) und war so nervös wie vor einem ersten Date.

Fairmount ist ein typisches, verschlafenes Dörfchen im Mittleren Westen – 3000 Einwohner, sauber, ordentlich, langweilig. Ich hab mich wie im Paradies gefühlt. Mit der auswendig gelernten Biografie von James (oder Jimmy, wie ich ihn zärtlich nenne) im Kopf habe ich das Gefühl gehabt, den Ort zu kennen: die Farm der Winslows, auf der er aufgewachsen ist, die Straßen, durch die er geschlendert sein muss, einfach das Gefühl, in diesem kleinen Örtchen am Arsch der Welt zu sein und hier wegzuwollen, in eine andere, größere Stadt, die Potenzial erkennt und fördert. Nach kurzem Suchen hatten wir den Friedhof gefunden und auch das Grab. Natürlich gab es Wegweiser, und außerdem war der Tag vor unserem Besuch, der 30. September, James’ Todestag gewesen. Sein Grab war übersät mit Blumen. Ich konnte kaum den Stein entdecken – er ist übrigens der dritte, denn sowohl der Originalgrabstein als auch die zweite Version sind geklaut worden.

Ich hatte wirklich einen Kloß im Hals – denn, auch wenn es peinlich ist und meine doofen Freunde noch heute Witze über meine James Dean-Jacke in der 10. Klasse Witze machen – er war, glaube ich, der erste Filmstar, für den ich mich richtig begeistern konnte. Kein Wunder, bei so schönen pubertären Problemfilmen wie Rebel without a Cause und East of Eden. Giant war mir ja schon fast einen Tick zu erwachsen. Egal. Ich liebe sie alle. Hröm. Alle drei.

Jedenfalls habe ich versucht, ein bisschen in Trauer- und Abschiedsstimmung zu kommen, was mir nicht richtig gelungen ist, weil Karl die ganze Zeit schlechte Witze über das Sexualverhalten und die Größe meines Idols gemacht hat. Irgendwann hab ich dann auch nur noch gegackert, die obligatorischen Fotos gemacht und gut war. Wir sind danach ins Fairmount Historical Museum gefahren – quite a stretch, wenn man sich überlegt, dass die Stadt gerade mal popelige 200 Jahre existiert. Wenn überhaupt. Der Hauptteil des Museums ist natürlich auch James Dean gewidmet. Ein Exponat hat mich wirklich begeistert: das Originalscript zu Giant, mit seinen handschriftlichen Anmerkungen. Hach :-) Seine Cowboystiefel vom Set in Größe höchstens 41 haben die Ehrfurcht dann zwar wieder etwas ruiniert, aber egal.

Zum Abschluss des Tages waren wir noch auf einer Shooting Range, wo ich gemütlich mit ner netten .38er rumgeballert habe, aber das ist eine andere Geschichte.

Bella Martha

Bella Martha: Schööööön. Schöner, schöner, schöner Film. Frauenfilm, Liebesfilm, Fressfilm. Schon gewonnen. Martina Gedeck mag ich sowieso, ihren italienischen Mitspieler Sergio Castellitto kannte ich zugegebermaßen nicht, bin aber seit gestern Fan, und die ganze Geschichte plätscherte so lockerleicht an einem vorbei, dass mir danach einfach ganz warm ums Herz war. Und ich verkneife mir jetzt auch jeden Vergleich zu Soufflees, Champagner und ähnlichen schmackigen Metaphern. Obwohl sie passen würden.

Black Hawk Down

Black Hawk Down: Och, ging nicht so. Hatte ich mir nach dem ganzen Kritikerlob besser vorgestellt. Ich hab nebenbei meine iTunes-Bibliothek mal wieder aufgeräumt und ein paar CDs gebrannt. Die blaugrüne Farbigkeit und generell den Look des Films fand ich gut, aber nach zwei Stunden hab ich mich schon gefragt: Äh … ja … kommt da irgendwann noch mal ne Überraschung? Ich meine, dass die Opereration schief geht, wussten wir a) sowieso und b) wer’s noch nicht wusste, konnte es ahnen bei der Dialogzeile „We’ll be back in half an hour.“ Also – what’s the point? Krieg ist doof? Wir lassen niemals einen Kameraden im Stich? Ich tue, was ich tun muss, auch wenn alle anderen das nicht verstehen? Hm. Hab ich in Landserheftchen schon besser gehört.

Domestic Disturbance

Domestic Disturbance (Tödliches Vertrauen): Och, ging so. Hatte ich mir nach der ganzen Kritikerschelte schlimmer vorgestellt. Klar wusste man ziemlich schnell, wie’s ausging, und wer der Böse war, war schon nach 30 Sekunden klar, aber spannend war’s dann doch, wie der arme Sohn seinen bösen, mordenden Stiefvater undsoweiter. Ich hab mich jedenfalls nicht gelangweilt.