Was schön war, Montag/Dienstag, 28./29. Mai 2018 – Ein, zwei gute Tassen Tee. Oder sechsundzwanzig

Nachdem ich bei Dallmayr schon mal Kaffee bzw. Espresso kosten durfte, kam jetzt Tee dran. Dieses Mal war ich gewarnt: nicht alles trinken, was man dir hinstellt, sonst hörst du dein Herz wieder so laut schlagen! Aber dazu kam ich gar nicht. Auch wenn ich sofort zugegriffen hätte, so hübsch sahen die 26 Sorten aus, die da akkurat aufgebaut waren. Das sind übrigens längst nicht alle Teesorten, die das Haus vertreibt; momentan sind es ungefähr 120.


Im oberen Bild stehen ein weißer Tee, ein paar Grüntees und dann folgen die Schwarztees. Auf der anderen Seite des Tisches standen zunächst einige aromatisierte Schwarztees (wie Jasmintee, Earl Grey oder Chai) und dann Getränke, die im strengen Sinn kein Tee mehr sind, weil sie nicht vom Teestrauch stammen, sondern stattdessen Aufgüsse aus getrockneten Pflanzenteilen sind (Rooibos, Kräutertee, Früchtetee).

Der Leiter der Tee-Abteilung erklärte mir zunächst, wie und wo Teeanbau und Verarbeitung stattfindet. Was mich überraschte: Nicht China oder Indien sind die weltweit größten Exporteure, sondern Kenia. In China und Indien wird zwar mit weitem Abstand am meisten angebaut, aber eben auch das meiste bereits im Land getrunken. Die meisten der 10 Milliarden (kein Tippfehler) Tassen Tee, die täglich (auch kein Tippfehler) getrunken werden, werden in diesen beiden Ländern aufgebrüht. In Deutschland sind übrigens die Ostfriesen ganz weit vorne im Verbrauch. Das war zu erwarten, aber den Abstand fand ich dann doch beeindruckend: 300 Liter Schwarztee pro Jahr im Vergleich zu lausigen 29 (plus 35 Liter Kräuter- und Früchtetee) im Rest der Republik . Ostfriesland süppelt sogar mehr weg als England, das sich mit 205 Litern pro Jahr noch ein bisschen lang machen muss.

Ich erfuhr außerdem, wie genau aus den jungen Trieben eines Teebusches die lustigen Kringel werden, die in meiner Teepackung landen. Gepflückt werden am besten two leaves and a bud, also der oberste Trieb des Busches, der aus zwei Blättern herauswächst. In losem Tee kann man die Triebe mit bloßem Auge von den schmalen Blättern unterscheiden; sie sehen aus wie eingerollte Blätter und sind manchmal heller. Nach dem Pflücken dauert es nur wenige Tage, bis die nächsten Triebe nachgewachsen sind, die dann wiederum gepflückt werden. In Indien und China ist das Pflücken Frauenarbeit, während die Verarbeitung von Männern erledigt wird, in Kenia geschieht es genau andersherum.

Nach dem Pflücken werden die Blätter und Triebe sofort verarbeitet. Zunächst werden sie gewelkt, das heißt, sie liegen auf langen Sieben, durch die kalte Luft geleitet wird. Dadurch verlieren die Blätter und Triebe circa 30 Prozent ihrer natürlichen Feuchtigkeit. Danach folgt das Rollen, bei dem sie quasi zwischen zwei sich bewegenden Scheiben grob zerrieben werden. Der austretenden Zellsaft reagiert mit dem Sauerstoff – jetzt beginnt die Fermentation, die für die charakteristischen Aromen von Darjeeling, Assam oder anderen Sorten sorgt. Während der Fermentation verändert sich auch die Farbe der Teeblätter von grün zu rot, braun, kupferfarben etc. Ein Trockenvorgang stoppt die Oxidation. Danach laufen die Blätter über eine Art Förderband, die sie nach Größen aussiebt. Die größten Blätter und Triebe landen in den Lose-Blatt-Teepackungen, die kleineren eher in Tassenportionen wie Beutel. Ich musste mich hier von einem meiner Vorurteile über Tee verabschieden: Ich dachte bisher immer, in den Beuteln lande irgendwie weniger guter Tee als in den Packungen mit den losen Blättern. Jetzt weiß ich: Es stammt alles aus der gleichen Produktion, ist halt nur kleiner.

Jetzt wollte ich aber endlich was trinken. Teeverkostungen sind genormt, das heißt, die Menge von Tee und Wasser wird weltweit gleich eingesetzt. Abgewogen wird hier stilecht mit einer Waage, die genau 2,86 Gramm Tee abwiegt, das Gewicht einer alten englischen Sixpence-Münze. Danach wird das kleine Tassenkännchen mit 150 Milliliter Wasser gefüllt, und der Tee zieht genau fünf Minuten. Das Kännchen wird umgedreht, damit der Tee in die Schale laufen kann. Das sieht dann in Reihung sehr putzig aus, und jetzt weiß ich auch, wofür die Dinger Zacken haben.



Die Schalen stehen da übrigens nicht nur, weil sie hübscher aussehen als Tassen. Generell gilt für Tee: je dünnwandiger das Porzellan oder das Glas, desto besser. Kanne vorwärmen, kennen wir alle, den Tee am besten lose schwimmen lassen, damit er Platz hat (Teeeier sind böse!), und dann möglichst in eine Thermoskanne umfüllen, damit das ebenso böse Stövchen nicht zum Einsatz kommt. Ich gebe zu, ich benutze das Ding bei Assamtees, aber ich glaube, da ist es okay. Darjeeling verbrennt man damit allerdings ganz prima.

Diese Farben! Das kriegt Kaffee nicht hin, der braune Langweiler.

Weiter mit der Verkostung. Nach dem Ausgießen des Tees landen die Blätter auf dem Deckel des Kännchens, denn hier bekommt man schon den ersten Eindruck. Man prüft das Aussehen, aber vor allem den Duft. Ich zuckte sehr bei einem Sencha zurück, dessen Geruch ich in Richtung Fleischbrühe verortete, bis der Teeexperte meinte: „Spinat.“ Genau. Spinat. Muss ich nicht morgens zum Müsli haben, stelle ich mir aber zu Spiegeleiern super vor. Generell ist Tee ein guter Essensbegleiter, man sollte nur die richtige Sorte wählen. In chinesischen Restaurants zum Essen parfümierten Jasmintee zu bestellen, ist eher eine blöde Idee, und wenn ich mich richtig erinnere, trinkt man in China eh keinen Tee zum Essen, sondern davor und danach. Bestimmt top zum Schinkenbrot: der Lapsang Souchong, ein geräucherter Tee, der mich daran erinnerte, dass ich auch keine rauchigen Whiskys mag.

Genug an den Blättern gerochen, jetzt wurde Tee getrunken. Beziehungsweise nicht, denn bei einer Teeverkostung trinkt man nicht, sondern schlürft wie irre und benimmt sich wie auf einer Weinprobe, bei der man alles wieder ausspuckt.

Man nimmt mit einem großen, flachen Löffel Tee aus der Schale und schlürft, als ob er zu heiß wäre (ist er nicht). Dann zieht man wie beim Weintrinken Luft in den Mundraum, um die Aromen besser schmecken zu können, und schon spuckt man das schöne Zeug wieder aus. Bei den ersten Tees habe ich das sehr bedauert, beim sechsundzwanzigsten wusste ich, warum man nichts trinkt; ich blubberte auch so schon vor mich hin. Tee enthält übrigens mehr Koffein als Kaffee, gibt es aber nicht so brachial ab wie letzterer. Bei Tee ist das Koffein an die Gerbstoffe gebunden; es löst sich erst im Magen und hält dann den Koffeinspiegel über Stunden konstant, während Kaffee eher der schnelle Fix für eine gute halbe Stunde ist. Seitdem ich das weiß, überlege ich, ob der klassische Fünf-Uhr-Tee so eine clevere Idee ist. Ich schiebe den Brexit jetzt auf sehr unausgeschlafene und dementsprechend schlecht gelaunte Briten.

Ich fand es sehr spannend, die verschiedenen Aromen zu riechen und zu schmecken: die edle, florale Note im Darjeeling, der ganz milde Heuduft im Grüntee, die Zitrusnote im Ceylon, das Karamell im Rooibos. Oder eben auch nicht: Die Aromen verstecken sich gefühlt mehr als die im Wein, aber es kann sein, dass ich mich auf sie einfach schon länger konzentriere.

Ich trinke Tee gerne beim Arbeiten und Studieren und beschränkte mich bisher auf Assam als Ostfriesenteemischung (mit Milch), Darjeeling (pur) und Earl Grey (meistens pur, manchmal mit Milch). Vorgestern entdeckte ich den zarten Nilgiri-Schwarztee für mich und trank den ersten Chai, der nicht fies nach Zimt und Nelken im Rachen brennt. Ich mochte selbst den fiesen Jasmintee, der eigentlich alles erschlägt, und war überrascht von einem sehr frischen Kräutertee. Netterweise bekam ich eine Tüte Teepackungen mit und kann jetzt zuhause weiterüben.

Am Dienstag trank ich dann auch allen Ernstes Tee zum Frühstück anstatt Cappuccino. Und dann über den Tag verteilt noch weitere fünf Tassen. Ostfriesland, nimm dich in Acht!