schwarzrotgold

Ich habe damals zugegeben, die Kampagne „Du bist Deutschland“ gar nicht so doof zu finden. (Der Eintrag wurde übrigens geschrieben, als sie noch nicht on air war.) Im Nachhinein muss ich natürlich sagen, dass die vielen schönen Worte und bunten Plakate rein gar nichts gebracht haben. Jedenfalls habe ich nichts von dem beschworenen Ruck gespürt, der Deutschland aus dem Tal der Tränen reißen sollte.

Umso mehr wundere ich mich jetzt darüber, dass vier Wochen Fußball es anscheinend geschafft haben, dass ganz Deutschland sich auf einmal aufführt, als hätte es im Nachhinein die Kampagne gefressen. Wir freuen uns über unser Land, Millionen von Menschen haben offensichtlich weil öffentlich gute Laune, und wir quittieren Steuererhöhungen und steigende Krankenkassensätze nicht mit dem uns eigenen Gejammer, sondern wir hängen stattdessen schwarzrotgoldene Fähnchen ans Autofenster. Nicht, dass ich was gegen Fähnchen an Autofenstern hätte. Ich persönlich freue mich darüber, dass der Umgang mit nationalen Symbolen etwas unverkrampfter wird und man nicht gleich als NPD-Wähler gebrandmarkt wird, weil man den Text der Nationalhymne auswendig kann.

Aber woher kommt auf einmal die gute Laune? Die Nachrichten aus der Politik sind nicht besser geworden als zu der Zeit, in der „Du bist Deutschland“ gestartet wurde. Was ist anders? Ich wage mal eine Theorie, die durch nichts als mein Bauchgefühl gestützt wird. Ich glaube, was der Kampagne im Unterschied zur Fußball-Nationalmannschaft fehlte, waren die gelebten Beweise. Natürlich kann ich Sportler nette Sätze in die Kamera sprechen lassen – aber viel überzeugender sind ihre Leistungen. Es ist ein bisschen ironisch, dass sowohl Kahn als auch Asamoah, die im Spot vertreten waren, nicht in der ersten Aufstellung der Nationalmannschaft waren, sondern „nur“ eingewechselt wurden. Aber trotzdem: Statt ein Sprüchlein aufzusagen, haben sie während der WM eine große, sportliche Leistung vollbracht. Und das ist eindeutig überzeugender als ein Werbetext. (Geb ich ja ungern zu, scheint aber so zu sein.)

Oder überdeckt das Fahnenmeer nur die deutsche Nöligkeit, die Montag wieder mit voller Wucht auftreten wird? Haben wir einfach nur mal für vier Wochen vergessen wollen, was uns kollektiv gerade bedrückt? Wobei es ein Kollektiv natürlich auch nicht gibt; jeder Deutsche empfindet seine Situation anders, weswegen ich mit meinem gemütlichen Angestelltendasein die Kampagne wahrscheinlich ganz anders wahrgenommen habe als vielleicht ein Hartz-IV-Empfänger. Aber nochmal: Wird diese gute Laune, dieses Wohlwollen dem eigenen Land gegenüber, anhalten? Nehmen wir den Schwung, den die Nationalmannschaft hatte, mit dem sie aus einer scheinbaren Verlierer-Situation schlussendlich drittbeste Mannschaft der Welt geworden sind, mit und nehmen uns an ihr ein Beispiel? War das überhaupt eine beispielhafte Leistung? Haben die guten Spiele, das Nicht-Aufgeben-Wollen, Eindruck gemacht? Oder haben wir uns nur vier Wochen darüber gefreut, dass „unsere Jungs“ schöneren Fußball gespielt haben als je zuvor und bringt uns das in unserem persönlichen Alltag nicht die Bohne weiter?

Ich habe mich über schönen Fußball gefreut. Ich habe mich über die vielen Fahnen gefreut. Ich habe mich auch über die positive Auslandspresse gefreut, die – wahrscheinlich genauso überrascht wie die Deutschen – bemerkt hat, dass dieses Land nicht immer der Nölbolzen ist, für den man es vielleicht gehalten hat. Und jetzt bin ich gespannt darauf, ob diese Stimmung anhält – oder ob wir uns als Gastgeber einfach zusammengerissen haben, obwohl wir gar nicht in Stimmung für eine Party waren.