Chattanooga Choo-Choo

Im Zug jemanden gesehen, dem ich fast gewünscht habe, dass ihm seit klotziges Notebook geklaut wird. Erst das arme Mädel dumm anpampen, das sich aus Versehen auf seinen Fensterplatz statt auf ihren Gangplatz gesetzt hat, dann auf ihre schüchterne Frage, ob sie vielleicht hier sitzen bleiben könne, noch unfreundlicher werden und auf das Fenster bestehen – und dann die nächsten zwei Stunden lang starr auf das Display glotzen anstatt auch nur einen Blick auf die Natur hinter der Scheibe zu werfen.

Ohne die Dispositionszentrale (oder so) in Duisburg scheint nichts zu gehen auf deutschen Schienen: Wenn die Jungs da dem Zugführer kein Go geben, dann traut der sich auch nicht in den Hagener Bahnhof. Wo der doch so klein und hässlich ist. Der würde sich bestimmt über einen schönen ICE freuen, der da mal vorbeischaut.

„Sehr verehrte Fahrgäste, wir haben in Dortmund Personalwechsel. Daher schließt unser Bordrestaurant in wenigen Minuten. Falls Sie also unserem Bordrestaurant noch einen Besuch abstatten wollen, sollten Sie das jetzt tun, denn es schließt in wenigen Minuten, weil wir in Dortmund Personalwechsel haben.“

(Oh, schnell noch ins Bordrestaurant. Womöglich schließt das. Kann man ja nie wissen bei Personalwechsel. Dass die Zugführer aber auch nie was durchsagen.)

Die Ein-Euro-Jobber mit den mobilen Snacks kannte ich ja schon, aber die Preisliste, die auf den Rücken ihrer Copyshop-Sweatshirts gedruckt war, die war mir neu.

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung lässt sich sehr entspannt weglesen, nicht nur wegen des kleinen Nicks. Obwohl ich immer noch stinkig bin, dass ich kein Us Weekly am Bahnhof gekriegt habe. Was lese ich das Zuglesebuch auf der Hinfahrt auch schon durch. Middlesex kann ich übrigens von ganzem Herzen (und Jahre zu spät) weiterempfehlen. Nach den ganzen deprimierenden Werken, die ich in den letzten Wochen durchgelesen habe, hat sich das Buch ein bisschen wie Hoffnung auf Papier angefühlt. Liebevollste Beschreibungen, mitfühlend, begeisternd, manchmal schüchtern, manchmal fordernd und eine Geschichte, die sich stetig entfaltet und einen dabei immer mehr mitnimmt auf eine lange, seltsame Reise mit einem Ziel, das man schon kennt und auf das man sich daher 600 Seiten lang freuen kann. Wundervoll.

(Nachfolger auf meinem Nachttisch: Publish and Perish von James Hynes. Fünf Tage Zeit, es durchzulesen, denn dann kommt Harry Potter.)

12 Antworten:

  1. Die mobilen Snack-Verkäufer haben das Angebot auf dem Shirt, aber nicht die Preise.

  2. Ein bißchen Verständnis für den Laptop-Protzer habe ich schon. Wenn man täglich mit dem ICE zur Arbeit pendelt, sind Leute, die Fensterplätze und Gangplätze nicht auseinanderhalten können (halloooo, da gibt es das kleine Kästchen-Symbol neben der Sitzplatznummer, was könnte das wohl bedeuten….?) einfach nur nervig. Ganz schlimm ist es, wenn ein Platz reserviert ist und der andere nicht, und diese Spezialisten dann nicht einmal wissen, auf welchem Platz sie eigentlich sitzen. Da erübrigt sich auch die Frage, ob da neben ihnen noch frei ist. Können sie sowieso nicht kompetent drauf antworten. Kann man nur eins machen: Abhaken. Weitergehen.

  3. Ha!
    Noch eine, die sich auf Harry Potter freut!
    Ich zähl auch schon die Tage…

  4. Zumindest von außen aber ist der Hagener Bahnhof schön anzusehen. Und innen riecht es so verführerisch nach Crépe =).

  5. Zur Reservierung in der Bahn:
    Freie Plätze sind meist keine wirklich “freien” Plätze. Möglicherweise kommt da am nächsten Bahnhof einer mit einer sog. “Express-Reservierung”. Und wenn man gutes Geld für eine Reservierung bezahlt hat, sollte man die Reservierung (“Entschuldigung, für den Platz xy habe ich eine Reservierung”) deutlich machen, wenn man nicht selbst am nächsten Bahnhof von dem angeblich freien Platz verscheucht werden will.

    Alles kein Grund, pampig zu werden. Höflichkeit ist nicht nur eine Zier, sondern erleichtert das Zusammenleben erheblich. Und man kommt nicht weiter “ohne ihr” – glaubt Varzil ganz fest!

  6. 5 Tage? Na, das wird ja knapp.

  7. Nicht jeder Bahnfahrer hat Urlaub oder Freizeit. Wenn ich morgens um 6 losgezogen bin, 3 Stunden im Zug gearbeitet habe, dann 2-3 Termine, gerade so meinen reservierten Zug erreiche, also ziemlich abgehetzt und fertig bin und trotzdem die Ergebnisse noch in mein Notebook hacken muss…

    Wenn dann jemand auf meinem reservierten Platz mit Tisch sitzt und meint, es gäbe im Zug ja noch sooo viele andere Plätze, warum ich den ausgerechnet den haben wolle, er/sie hätte gerade sooo nette Mifahrer gefunden, mit denen er/sie sich weiter unterhalten wolle…

    Dann werde ich auch ziemlich schnell pampig. Sorry.

    Im übrigen: Wenn man in der Bahn sein Notebook aufklappt wird man ziemlich feindselig-bis-mitleidig angesehen “der protzt mit seinem Notebook”. Der einzige Vorteil, den die Bahn hat, ist, dass man während der Zugfahrt arbeiten kann. Sonst könnte man mit dem Auto fahren, was man sich oft genug angesichts des Chaos und Verspätungen wünscht.

  8. Es war kein Platz am Tisch, sondern ein ganz normaler Fensterplatz, den der gute Mann so dringend haben wollte. Und mit dem Notebook kann er seit ca. 1998 nicht mehr protzen.

  9. Ich zweifele nicht, dass die Situation nicht richtig beschrieben wurde. Aber manchmal ist einem es nicht nach Freundlichkeit zumute.

  10. Menschen (insbesondere andere) sind ja der unangefochtene Hauptgrund nicht mit der Bahn zu fahren.
    Dann am besten noch nach einem stressigen Tag, die überforderte Mutter mit ihren zwei verhaltensgestörten Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, die dann noch vergisst die Abteiltür zu schließen… würde ich sofort und liebend gerne gegen einen patzigen Fensterplatzbeansprucher eintauschen.
    Die Möglichkeiten schlimmerer Beispiele ließe sich beliebig lang fortsetzen.
    Lass es mich mit dem Lied der diesjährigen Bundestagswahl sagen “You aint seen nothing yet!”.

  11. Der Crêpe-Geruch im Hagener Bahnhof stammt übrigens von Waffeln am Stiel – seit zwei Jahren gehe ich da standhaft dran vorbei.

    Von außen ist der nett, ja. Aber der Bahnhofvorplatz ist idiotisch. Früher konnte man da noch kurzfristig parken, inzwischen kommt man nur noch mit einem Helikopter oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln (*hust*) in Bahnhofsnähe.

  12. Eine Entschuldigung für die erste Unfreundlichkeit des Herren mit dem Fensterplatz sehe ich nicht. Allgemeine Erfahrungen mit dem Zugfahren rechtfertigen gar nichts. Dann aber muß man sehen, daß die schüchterne Rückfrage der Dame doch sehr ungeschickt war – sie wird als Dreistigkeit empfunden worden sein, aus der nervlichen Verfassung des Mannes heraus: “Erst nimmt sie mir mein Recht und dann fragt sie mit scheinheiliger Unschuld …” Daß er dann nicht zum Fenster herausgesehen hat, kann man ihm aber gar nicht vorwerfen. Man kann sich ja gut vorstellen, daß jemand einfach nicht am Gang sitzen will. Ich reserviere umgekehrt bevorzugt Plätze am Gang – aber nicht, weil ich nicht gerne aus dem Fenster sähe.