Where the Wild Things Are


© Warner Bros.

Where the Wild Things Are (Wo die wilden Kerle wohnen, USA/D 2009, 101 min)

Darsteller/Originalstimmen: Max Records, Katherine Keener, Mark Ruffalo, James Gandolfini, Chris Cooper, Catherine O’Hara, Paul Dano, Forest Whitaker, Lauren Ambrose, Michael Berry Jr.
Musik: Carter Burwell, Karen Orzolek
Kamera: Lance Acord
Drehbuch: Spike Jonze, Dave Eggers
Regie: Spike Jonze

Trailer

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Ich hatte mich sehr über die Ankündigung der Buchverfilmung von Where the Wild Things Are (Wo die wilden Kerle wohnen) gewundert, denn das Buch ist wahnwitzig kurz: Ich habe es direkt nach dem Film nochmal aus dem Regal gezogen und in geschätzt zwei Minuten durchgelesen. Was mich allerdings noch mehr gewundert hat: Der Film schafft es wirklich, die kleine Botschaft des Buchs auf anderthalb Stunden aufzublasen, ohne dabei zu langweilen. Oder zumindest fast.

Die Geschichte ist in Grundzügen die gleiche: Der kleine Max streitet sich mit seiner Mutter, die ihn auffordert, still zu sein, was ihm nicht passt, woraufhin er in seinem Monsterkostüm aus dem Haus rennt, an einem See ankommt, der zum Meer wird, das ihn und sein Segelboot zu einer Insel führt, auf der Monster wohnen. Die Wuschelnasen, die ihn um 17 Köpfe überragen, wollen ihn zunächst fressen, aber er kann sie davon überzeugen, ein König zu sein und geheime Kräfte zu haben. So lassen die Monster ihn bei sich wohnen, weil sie hoffen, dass er sie vor Traurigkeit und Einsamkeit beschützt. Woraufhin der neue König versichert, er habe ein Schutzschild, das Traurigkeit abhalten könne. Und da war bei mir der erste Kloß im Hals.

Das Buch lebt von seinen quietschbunten Farben und eben den fantasievollen Monstern, die eher nach Picasso als nach bösen Ungeheuern aussehen. Der Film hält sich ziemlich genau an die 2D-Vorlagen und setzt sie sehr gekonnt in 3D um: Die Viecher (und Viecherinnen) sind eine charmante Mischung aus der Restekiste von Jim Hensons Muppetshow und einem Kinderbastelkurs, wo den Kids leere Klopapierrollen, ne Menge Kleister und ein Haufen Teppichflusen vorgesetzt wurden. Ich habe nicht recherchiert, wieviel von den Fusselnasen CGI war und wieviel echt, weil es mir ehrlich gesagt egal war. Ich fand sie so herzzerreißend flausig, dass ich dauernd in ihrem Fell rumpuscheln wollte. Und dabei sahen sie niemals niedlich aus, also auf Knuddelmarketing im Happy Meal getrimmt, sondern eher zottelig, filzig, dreckig, als ob sie dauernd auf dem Waldboden rumtümmeln und die Hälfte des nadeligen Erdreichs mit in ihre hölzernen Wohnhöhlen schleppen. Kein Wunder, dass man sich da als Kind sofort wohlfühlt. Scheiß auf Geradesitzen und Händewaschen.

Schade, dass der Film sich nicht auch bei den Farben an die Vorlage gehalten hat. Denn aus dem bunten Dschungel wurde eine sehr bräunliche Farbpalette. Alles dämmert in beige, ocker, khaki und umbra vor sich hin, die Monster sowieso, die Erde, die Wüste … ich war selten so glücklich, mal für einen kurzen Moment das Meer zu sehen wie hier im Film. Endlich mal wieder eine andere Farbe, die mich aus der Tristesse dieses Eilands herausgeholt hat. Vielleicht war es auch die Farbigkeit, die mir den Film nach gut einer Stunde ein wenig verleidet hat. Denn wie gesagt, die Botschaft des Buchs ist einen Satz lang: Zuhause ist es am schönsten, und Familie ist toll. Der Film reitet ziemlich auf dem Familienteil rum, und anfangs macht er das sehr, sehr gut: Da klingen die angesprochenen Sätze wie die mit dem sadness shield eben nicht kindisch oder blöd, sondern einfach wundervoll. Und wenn die Monster mit ihrem neuen König ein Fort bauen und alle zusammen arbeiten und sich verstehen und einander helfen, dann macht das den Punkt auch sehr einfach und überhaupt nicht kitschig klar.

Leider versucht der Film, noch ein paar weitere simple Botschaften unterzukriegen: dass manche Freundschaften nur eine Zeit lang halten und irgendwann einfach zuende gehen, dass man mehr aufeinander hören sollte oder dass wir tolerant sein sollten, auch gegenüber Leuten (oder Monstern oder Eulen namens Bob und Terry), die wir erstmal doof finden. Dieser ganze Wust an netten Vorschlägen für eine bessere Welt überfrachtet die Insel ein wenig, und ich hätte mir die Konzentration auf das Wesentliche gewünscht. Where the Wild Things Are zieht sich irgendwann ziemlich dahin, und die braune Einöde macht das Zusehen auch nicht einfacher, und – aber das ist eine sehr persönliche Anmerkung – wenn ausgerechnet das Monster, das irgendwann wütend auf Max wird, die Stimme von James „Tony Soprano“ Gandolfini hat, dann legt das eine sehr angespannte Atmosphäre über die sowieso gerade kippende Stimmung. Ich habe jedenfalls mehrere Minuten darauf gewartet, dass Carol eine Knarre oder einen Baseballschläger zückt und auf italienisch zu fluchen beginnt.

Bis auf diese eine Stimme fand ich alle anderen sehr schön – und auch die Dialoge sind so simpel und geradeaus, das man es ihnen einfach nicht übelnehmen kann, irgendwann dann doch wie eine zu lange Kiffersession zu klingen. Sobald der Film sich entschlossen hat, zum Ende zu kommen, tut er das auch, und das hat mir fast am besten gefallen. Ich hatte irgendwie darauf gewartet, dass das Verschwinden von Max noch aufgeklärt wird, womöglich noch mit dusseligen Dialogen à la „Wo warst du so lange?“ oder dass er einen Unfall hatte, im Koma lag, alles geträumt hätte, was immer man eben so in jahrelangem Soap-Konsum ansammelt an bescheuerten Auflösungen. Netterweise bleibt uns das erspart, und der Film endet genauso konsequent, wie er angefangen hat.

Ein paar weitere Freiheiten nimmt sich die Verfilmung auch noch, aber mit ihnen konnte ich besser leben als mit den Brauntönen und den vielen Sinnsprüchen: Die Monster haben Namen, und immerhin zwei von den sieben (wenn ich richtig gezählt habe) sind weiblich – weswegen ich den Titel gerne in Wo die wilden Wesen wohnen geändert haben möchte, bitte. Besonders die Namen fand ich großartig, weil sie alles andere als großartig waren: Da heißen die unverwüstlichen Herrscher eines Inselreichs eben Judith und Ira und Douglas anstatt, keine Ahnung, Gargamel oder Krimitambo. Vielleicht habe ich ihnen deswegen ihre Sätze einfach so abgekauft, denn wann immer die seltsam benamten Helden und Heldinnen in anderen Fantasyfilmen ihre Weisheiten aufsagen, wird es irgendwann albern. Hier nicht – hier hat der Kontrast zwischen dem fantastischen Äußeren und der belanglosen Bezeichnung alles erden können.

Where the Wild Things Are ist eine gelungene Buchverfilmung, die so viele Facetten der Kindheit in Bilder und Worte fasst wie es nur gelungene Kinderbücher (und Erwachsenenfilme) können. Das wilde Herumtoben genau wie der kleine Platz für sich alleine, der Wunsch nach Freunden genau wie das zufriedene Alleinsein, die Suche nach dem Dazugehören genau wie der Wille zur Abgrenzung. Alles da. Alles gut. Nur eben nicht bunt genug und 20 Minuten zu lang.

Der Bechdel-Test:

1. Es müssen mindestens zwei Frauen mitspielen, die
2. miteinander reden
3. und zwar über etwas anderes als Männer.

1. Wir haben die Mutter, Max’ Schwester (die allerdings stumm bleibt) und zwei weibliche Monster, die ich jetzt einfach mal unter „Frauen“ verbuche. Leider reden diese Monsterinnen recht wenig miteinander; bis auf ein paar schnippische Worte kann ich mich an keinen vernünftigen Dialog erinnern.

Test bestanden? Nein.