Zu Besuch beim Kanzler

Gestern lief die erste Folge von Kanzleramt. Erster Eindruck: nicht so schlecht, wie ich erwartet hatte, aber auch nicht so gut, wie ich gehofft hatte.

Die Charaktere haben mir gut gefallen, auch wenn ich Klaus J. Behrendt, so gerne ich ihn mag, als Kanzler völlig fehlbesetzt finde. Er ist mir zu leichtgewichtig, zu wenig eindrucksvoll. Das Problem mit den Figuren war, zumindest bei der gestrigen Folge, dass sie sich durch eine Handlung bewegten, die mit leichten Änderungen auch in einer großen Firma hätte spielen können. Mir hat das Politische gefehlt, das The West Wing so besonders macht. Kanzleramt hatte ein bisschen was von einem Tatort, der zufällig in einer Regierungsstelle passiert: zu viele Außenaufnahmen, zu vieles, was im Handumdrehen bzw. in 45 Minuten gelöst wurde. Der Trailer zur nächsten Folge lässt allerdings darauf hoffen, dass doch noch ein bisschen mehr Hinter-die-Kulissen-gucken kommt.

Ich fand übrigens auch die Dialoge ziemlich gelungen. Ab und zu war zwar ein erklärendes Sätzchen zuviel da, aber generell klang alles schön knapp und nicht so ziseliert wie der übliche deutsche Seriensprech. Ich bin gespannt auf die zweite Folge. Nächsten Mittwoch, 20.15 Uhr, ZDF.

5 Antworten:

  1. Ich habe das ähnlich empfunden. Wobei ich mir R.Atzorn als Kanzler eher vorstellen kann, denn er hat ja eine Menge Gewicht in der Handlung… Ich finde K.J. Behrend als Typ sehr gut, vor allem im Tatort, aber deinen Eindruck, was die Rolle als Kanzler angeht, habe ich auch… mal sehen, wie sich das entwickelt….

    Mir persönlich war da ein wenig zuviel Handlung drin für die erste Folge, besonders der Entführungsfall. Ist doch wirklich mehr als unwahrscheinlich, dass sich da jemand so diletantisch bewegt… Habe mich gefragt, wie Ben Wish wohl vorgegangen wäre;-)

    Der Wortwitz in den Dialogen war schon klasse!! Und das macht neugierig auf die nächsten Folgen..

    Einen schönen Tag und liebe Grüsse, kho

  2. D’accord. Mit Klaus J. Behrend (hat immerhin schon ein präsidiales Mittelinitial) verbinde ich nur den Ballauf. Wogegen mir zu Robert Atzorn spontan drei Serienfiguren (Dr. Specht, Oh Gott Herr Pfarrer, Tatort) einfallen, die einerseits verschieden genug angelegt waren, andererseits eine einnehmende, leicht weltfremde Aufrichtigkeit gemeinsam hatten. Daher ist Atzorn als zweiter Mann ideal besetzt, der einem charistmatischeren, in Notsituationen aber auch gnadenlosen Kanzler beisteht. Eine Kanzlerin wäre wohl zu realitätsfern – Angie in allen Ehren, but … Wer wäre der deutsche Martin Sheen gewesen? Vorschläge??

    Im Vergleich zu West Wing wirkte die Kameraführung recht statisch. Dort fährt die Kamera jeden Gang mit, wodurch der – weiterlaufende – Dialog an der nächsten Tür oder Weggabelung auf eine natürliche Pointe zusteuert. Es wird generell witziger, persönlicher vor allem aber mehr und schneller geredet. Ãœberhaupt wirkt das weiße Haus verglichen mit dem Kanzleramt wie ein Ameisenhaufen. Das mag aber den architektonischen Unterschieden geschuldet sein, das Kanzleramt ist ja entsprechend den Körpermaßen seines Planers ziemlich riesig (und häßlich).

    Weitere Unterschiede: The West Wing hat weniger Außenszenen, dafür an den richtigen Stellen: Wenn Andreas Weyer sich an ein Treffen im “Rilke-Garten” erinnert, erzählt er davon statt daß dies in einer Rückblende gezeigt wurde. Dafür wird viel Zeit an Nebenschauplätzen verplempert. Das Ganze müßte konzentriert, gestrafft und flotter geschnitten werden. Dafür könnte man nach meinem Geschmack auf spannungsheischende, “24”-mäßige Untertitel wie “Flughafen Tegel – Verhörraum” gut verzichten. Das Ziel: ein Kammerspiel.

    Zu hoffen bleibt, daß die Serie einen winzigen pädagogischen Anspruch behält und die Nation über das Wie? und Warum? des politischen Alltags informiert. Das mag bei uns nicht so nötig sein wie in den USA, aber ich würde beispielsweise die aktuelle “Visa-Affäre” gerne auf diesem Weg erklärt bekommen.

    @Frau Gröner: Finden Sie The West Wing nach Sorkins Abgang noch erträglich? Mich haben sie in der 6. Staffel mit Leos Abgang endgültig verloren. Wie wär’s denn ‘mal mit einem West-Wing-Fragebogen, so à la: Lieblingscharakter? Lieblingsfolgentitel? Beste Josh’sche Fehlleistung? Griesgrämigste Äußerung Tobys? Bester Neuer-Kollege-Willkommens-Gruß? …

  3. Ich gucke “The West Wing” nur auf DVD anstatt als runtergeladenes File, daher bin ich noch auf dem Wissensstand Ende 4. Staffel, zähle allerdings die Tage bis zum 25. April, wenn endlich die 5. Season erscheint. Ich fand das Ende der 4. schon ein bisschen anstrengend, weil ich den Joshua-Malina-Charakter nicht ganz so prickelnd finde wie bisher Rob Lowe. Mal sehen, wie sich die 5. entwickelt, an der Sorkin ja nicht mehr beteiligt war. Deswegen kann ich leider keine Ihrer Fragen wirklich beantworten :-) Höchstens die zum Lieblingscharakter: Toby. Nee, CJ. Nee, Josh. Nee, Donna. Nee, kann ich doch nicht, Entschuldigung.

  4. Frau Gröner, Sie haben völlig Recht. Klaus J. Behrendt ist als Kanzler völlig fehlbesetzt. Und trotzdem isser ein Guter.
    Vadim Glowna wäre als Kanzler eher mein Favorit. Er hat gestern aus seiner Schrottfigur richtig was rausgeholt.
    Wie jedoch Frau Michelsen mit den südamerikanischen Freiheitskämpfern verhandelt hat, wäre besser bei “Bianca” aufgehoben gewesen…

  5. Ich fand das “Kanzleramt” arg mißraten, aus hier schon erwähnten und dann noch diesen Gründen:
    “West Wing” steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit der Akteure. Mr.Sheen ist präsidial, larger than life, Herr Behrendt wirkt hingegen wie ein netter Kumpel, wenn auch nicht der hellste. Wo Sheen glasharte intellektuelle Klarheit und moralische Stringenz ins Drehbuch geschrieben bekommt, ohne dass der Zuschauer sich verarscht fühlt, darf Behrendt den Weichspülkanzler geben, der seinen alten Freund in der Krise nicht im Stich lässt.
    Um dieses Vakuum wanden sich zwei völlig überzogenene, unglaubwürdige, eindimensionale Handlungsstränge. Da fehlt die Komplexität selbst der neueren “West Wing”-Folgen, aus der dann auch nachvollziehbar wird, unter welchem Druck diese Leute stehen und was sie leisten. Ãœberhaupt wird die Umgebung nicht spürbar. Das Kanzleramt fühlte sich eher wie ein Raumschiff an, die Vorgänge dort abgehoben und beziehungslos. Okay, einmal kam eine Abgesandte vom Fraktionsplaneten zu Besuch.
    Und das fatalste Problem: Der Kanzler gehört wegen dem ÖR-Proporz keiner erkennbaren Partei an. Mithin ist man gezwungen, alles immer schön ausgewogen und auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu diskutieren. Kann nichts werden außer langweilig.
    Alles wirkt irgendwie billig und gekrampft. Vielleicht fehlt der deutschen Politik an sich auch das Glamourpotenzial.

    Lord Marbury, Sie möchten “West Wing” vielleicht noch eine Chance geben, die letzten Folgen über die Vorwahlkämpfe um die Nachfolge von Bartlett waren ganz hervorragend, die aus dem Weißen Haus zumindest wieder akzeptabel. (Aus Rücksicht auf Frau Gröner keine Details.) Mitte der Saison hatte ich mich auch mal ausgeblendet.