Warum ich mich über Bronze so freue wie andere über Gold

Ich mache jetzt seit fast zehn Jahren Werbung, und gestern habe ich meinen ersten Löwen in Cannes gewonnen. Einen bronzenen Löwen, um genauer zu sein (Every story has a beginning). Jetzt könnte man meinen, dass das nach zehn Jahren ganz schön arm ist und ein dritter Platz ja nun auch nicht so ein Bringer. Das meine ich aber nicht, und das liegt daran, dass ich kein klassischer Werber bin, sondern eine Katalogtante.

Die klassischen Werbedisziplinen sind – obwohl das Internet immer wichtiger wird – Film, Funk und Print. Also Spots, egal ob Kino oder Fernsehen, Radiowerbung und die schönen bunten Anzeigen, die unsere Printerzeugnisse bezahlbar machen. Die nicht-klassischen Disziplinen sind unter anderem Produktliteratur (Werberdeutsch für Kataloge), Direktmarketing (Postwurfsendungen in hübsch), POS-Kram (Point of Sale; alles, was euch im Supermarkt oder im Elektronikfachhandel den Weg versperrt oder den Blick auf sich zieht) und und und. Die coolen Werber machen klassische Werbung, weil man dann rumerzählen kann, hachja, der neue Mercedes-Spot ist von mir, ohguckmal, da hängt mein Lucky-Strike-Plakat. Die uncoolen Werber machen den Rest, mit dem man ü-ber-haupt nicht angeben kann. Ich bin total uncool und liebe Kataloge. Am meisten die für schöne Autos. Guckst du hier.

Als ich Ende 1999 meinen Copytest ausgefüllt hatte, um meinem besten Freund (Texter) zu beweisen, dass ich auch toll schreiben kann, wollte ich Filme machen, Funkis im Studio überwachen und Anzeigen kloppen. Das habe ich auch als Praktikant und Juniortexterin gemacht. Und dann kam der erste Katalog. Den mochte ich eigentlich gar nicht schreiben, aber meine damalige Agentur war noch recht überschaubar besetzt, so dass alle auf dem großen Kunden mit den vier Ringen gearbeitet haben, ob sie nun wollten oder nicht. Also ich auch. Und sobald ich angefangen hatte, über 60 Seiten nachzudenken anstatt wie bisher über eine, habe ich gemerkt, dass mir das viel mehr Spaß macht als der ganze Klassikkram.

Vielleicht auch, weil mir die Produktion eines Katalogs mehr Spaß macht als „mal eben“ (alle Werber wissen, warum da Anführungszeichen stehen) eine Anzeige zu gestalten. Eine Anzeige muss oft von heute auf morgen fertig sein. Ein Autokatalog dauert ungefähr von fünf Monaten aufwärts bis zu einem Jahr.

Als erstes kommt natürlich das Briefing: Was ist das für ein Auto; ist das eher das Massenmodell des Konzerns oder die absolute Edelkarosse, die an die Scheichs geht; was kann es, was andere nicht können; wer ist die Zielgruppe; wie lautet die Produktbotschaft – also nicht „Freude am Fahren“ oder „Vorsprung durch Technik“ oder „Lu-lu-luuu“, sondern der Satz, der dieses ganz bestimmte Auto charakterisiert – usw. Aus diesen Infos zimmert man sich ein paar Konzepte, die man dem Kunden vorlegt. Also zum Beispiel ein grafisches Konzept, das dieses Auto besonders gut in Szene setzt. Eine Headlinemechanik, die alles zusammenhält. Eine Botschaft, die auf jeder Seite belegt werden kann, sei es im Bild oder im Text. Alles hat einen großen Gedanken, den man über 60 bis 120 Katalogseiten spielen kann. Wie so oft bei Werbung ist von diesem großen Gedanken manchmal nicht mehr viel übrig, wenn die Marketingleitung, die Ingenieure und die Juristen rübergeguckt haben, aber im Idealfall sollte man diese Botschaft auch als werbeunkundiger Leser und Autokäufer dechiffrieren können.

Hat sich der Kunde für ein Konzept entschieden, geht’s an die Umsetzung. Welche Inhalte kommen auf welche Seiten – der Aufriss entsteht. Und ändert sich zehnmal. Das Fotoshooting beginnt; immer gerne in exotischen Locations, damit der Art Direktor auch was davon hat – was manchmal eher nervig ist, weil fast immer die Geheimhaltung gilt und man das Shootingfahrzeug zwischen den Aufnahmen stets abdecken muss, bevor ein naseweiser Blogger das Teil mit dem Handy knipst. Viele Firmen arbeiten daher nur noch mit CGI, das heißt, die Autos werden komplett am Rechner gebaut, und man fotografiert „nur“ noch die Location. Während die Arter also Kokosnüsse knacken, setze ich mich mit den technischen Infos hin, die je nach Firma zwischen 30 und 200 Seiten lang sind, überlege mir, welche tollen Features ich wo und wie beschreibe und wie ich das ganze so formuliere, dass es kein Technikgewäsch wird, sondern ein hoffentlich emotionaler und gut lesbarer Text – in dem natürlich der Konzeptgedanke wiederzufinden sein soll. Die erste Textfassung geht an den Kunden, meist während die Arter noch an den Layouts basteln oder auf dem Shooting sind, dann kriege ich Korrekturen, während meine Kollegen die ersten Fotos mit dem speziellen Look überziehen, auf den man sich geeinigt hat, und irgendwann werfen wir dann Bilder und Texte zusammen, korrigieren das ganze drei- bis dreißigmal, nach durchschnittlich sieben bis acht Monaten liegt ein gedruckter Katalog vor mir, und ich blättere stolz „mein“ Werk durch.

Lustigerweise gibt es nicht viele Texter in den großen Agenturen, die freiwillig Kataloge schreiben. Und zwar weil viele Texter lieber ausdenken – also konzipieren – als schreiben. Einer meiner Textgötter, Hartwig Keuntje, Mitinhaber von Philipp und Keuntje, hat uns Textern immer gesagt: Wer schreiben will, muss erstmal lesen – und uns dann Robert Musil und Konsorten ans Herz gelegt anstatt 39,90. Viele Texter können grandiose Headlines schreiben, scheitern aber, wenn es um zehn zusammenhängende Sätze geht. Und da kommen dann Leute wie ich ins Spiel: Leute, die lieber zehn Sätze schreiben als einen.

Soweit alles super. Wenn da nicht diese Werberpreise wären, nach denen sich ein bisschen der eigene Marktwert berechnet. Ich würde den ganzen Wettbewerben wie ADC, Cannes, Clio und Konsorten nicht so wahnsinnig viel Gewicht beimessen, aber gerade als Junior sieht das schon toll in der Mappe aus, wenn man ein bisschen Bling vorweisen kann. Als Senior ist es irgendwann egal, dann kennen dich eh alle und wollen dich haben, weil sich inzwischen rumgesprochen hat, dass du einen guten Job machst. Aber auch wenn mir das so ging und geht, hadere ich manchmal damit, dass ich als Katalogmensch viel geringere Chancen auf Edelmetall habe als die Klassikleute. Denn auf den Festivals werden eben eher die klassischen Disziplinen ausgezeichnet, weil schnöde Verkaufsliteratur nicht so oft durch Riesenideen bestechen kann. Die muss eben eher informativ als kreativ sein, und damit ist man im Prinzip raus.

Natürlich hat auch Literatur eine Chance, aber dann eher in den Kategorien Design oder Direktmarketing. Die gefühlten 20 Autokataloge, die ich in den letzten Jahren konzipiert und geschrieben habe, haben so gut wie nichts abgeräumt bzw. wurden nicht mal eingereicht, weil jede Agentur weiß, dass damit eher wenig zu gewinnen ist.

Daher habe ich eher Chancen, mit Projekten zu punkten, die nicht ganz so auf Verkoofe einzahlen, aber eben auch keine Klassik sind. Die meisten meiner Awards habe ich mit einem Mailing für Lamborghini gewonnen, in dem der damals neue Murciélago vorgestellt wurde. Lamborghini braucht natürlich eigentlich gar keine Werbung, der Name ist schon Werbung genug, aber es ist ein extrem dankbarer Kunde, weil die zu kommunizierende Botschaft sehr spitz (Hast du Geld, kaufst du dieses Auto) und die Zielgruppe extrem überschaubar ist und man auch mal ein bisschen Kohle in die Hand nehmen darf. Deswegen sind die Werbemittel für Lamborghini auch fast immer wahnwitzig hochwertig produziert, was auf Festivals grundsätzlich mehr Eindruck macht als ein „gewöhnlicher“ Autokatalog.

Der andere Schwung meiner Medaillen ging an das Audi-Markenbuch, in dem wir uns der Marke mal etwas weniger verkäuferisch genähert haben: Wir haben ein Puzzle anfertigen lassen, mit dem eine Studie visualisiert wurde (aus der Studie ist inzwischen der Audi A5 geworden), wir haben technische Features neu in Szene gesetzt, und ich habe eine Ode an das ® geschrieben, das an vielen Audi-Patenten klebt, wie zum Beispiel am quattro®-Antrieb oder bei TDI®. Und diese Ode haben wir dann in Photoshop auf ein Leinentuch gestickt, das man sich an die Wand hängen könnte.

Und vor einiger Zeit hatte ich eine nette, kleine Idee, die sich mit ersten Sätzen aus Büchern befasst. (Wir erinnern uns: Wer schreiben will, muss erstmal lesen.) Daraus ist ein Recruiting-Tool für Roland Berger in der Agentur gürtlerbachmann geworden – „Jede Geschichte hat einen Anfang“, dann kommt pro Seite ein großartiger Romananfang, der erste Satz im Grundgesetz, eine Comicsprechblase oder der erste Satz eines Theaterstücks, und der Abbinder lautet „Machen Sie Ihren Anfang bei uns“ mit der Aufforderung, sich zu bewerben. Das Büchlein ist an potenzielle Arbeitnehmer verschickt worden und hatte meines Wissens einen sehr guten Rücklauf. Und was noch besser ist: Es gewinnt gerade auf so ziemlich jedem Wettbewerb irgendwas. Gold war noch nicht dabei, aber ich freue mich wie gesagt über alles – einfach, weil ich mich freue, überhaupt mal wieder bei Wettbewerben dabeizusein. Und deswegen bin ich auf meinen ersten Cannes-Löwen in Bronze sehr, sehr stolz und freue mich schon auf den Augenblick, wenn ich ihn irgendwo bei uns im Bad platzieren kann.

(Die Klassikwerber hätten statt dieser 100 Zeilen nur geschrieben: Bronze in Cannes. Ich geh jetzt feiern.)