Was schön war, Dienstag, 17. Januar 2017 – Zum Seniorstudi mutiert

Vormittags die Vorlesung zu osmanischer Architektur geschwänzt und lieber an Amnesty weitergeschrieben. Das war eine gute Idee, denn am frühen Nachmittag standen endlich Einleitung, Forschungsstand und die Hinführung zur Quellenauswertung. Die Hinführung konnte ich erst vernünftig formulieren, nachdem ich mich durch knapp 20 Jahre FAZ gewühlt hatte und wusste, über was die Zeitung berichtet hatte und was nicht, denn genau das wollte ich ja in die Hinführung schreiben. Das ist natürlich, wie immer bei mir, noch längst nicht in Stein gemeißelt (unter 20 Korrekturgängen mach ich ja nix), aber das ist jetzt ein sehr schönes Grundgerüst.

Eigentlich wollte ich noch für die Klausuren lernen, aber ich kann mich noch nicht dazu aufraffen. Die von Calvin und Hobbes so schön bezeichnete „last minute panic“ hat noch nicht eingesetzt. In den vergangenen Semestern konnte ich mich stets zum Lernen motivieren, weil ich mir immer einreden konnte, vielleicht brauchste das noch mal, wer weiß, was dein endgültiger Schwerpunkt in deinem Fach wird. Das weiß ich jetzt und ich weiß jetzt auch, dass ich mich vermutlich nie wieder außer im Urlaub mit osmanischer Architektur beschäftigen werde. Daher fällt es mir gerade deutlich schwerer als in den bisherigen acht Semestern, endlich meine Lernkärtchen zu basteln und sie dann eben auch zu lernen.

Abends fand wieder mein geliebtes Menschenrechtsseminar statt. Zunächst hörten wir ein Referat über Menschenrechte in der UdSSR, danach eins über den KSZE-Prozess. Die erste KSZE-Konferenz in Helsinki von 1973 bis 1975 war eigentlich, vor allem von den Warschauer-Pakt-Staaten, dazu gedacht, die Ostblockgrenzen festzuziehen. Im Nachhinein wurden die einzelnen Konferenzen (Belgrad 1977–1979, Madrid 1980–1983 sowie Wien 1986–1989) Teil eines Prozesses, in dem der Fokus immer mehr auf den Menschenrechten lag. Ich copypaste die Wikipedia, die das ganze unter „Folgen der Konferenz“ hübsch zusammenfasst:

„Die Konferenz war von einem Tauschgeschäft geprägt: Für den Ostblock brachte sie die Anerkennung der Grenzen der Nachkriegsordnung und einen stärkeren wirtschaftlichen Austausch mit dem Westen. Im Gegenzug machte der Osten Zugeständnisse bei den Menschenrechten.

Unmittelbar nach der Konferenz galt in den Augen vieler Beobachter der Ostblock als eigentlicher Gewinner der Konferenz, da erstmals die Grenzen der osteuropäischen Staaten (insbesondere Polens und der DDR) in einem internationalen Vertrag anerkannt wurden, das Prinzip der „Nichteinmischung“ in die inneren Angelegenheiten festgeschrieben und auch die Grundlagen für (vom RGW-Raum gewünschte) Wirtschaftsbeziehungen geschaffen wurden.

Erst später zeigte sich, dass das Kapitel VII der Schlussakte („Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit“), das von den RGW-Staaten wohl zunächst nicht ernst genommen worden war, ein größeres Gewicht besaß. Es gab den Anstoß für die Gründung zahlreicher „Helsinki-Gruppen“ in der Sowjetunion, darunter die Moskauer Helsinki-Gruppe, die Ukrainische Helsinki-Gruppe, die litauische Helsinki-Gruppe, die lettische Helsinki-Gruppe, die estnische Helsinki-Gruppe und die georgische Helsinki-Gruppe. Kapitel VII wurde zur Grundlage für die Arbeit vieler osteuropäischer Dissidenten und Menschenrechtsorganisationen. Dazu zählen zum Beispiel die Bürgerrechtsbewegung in der DDR, die Charta 77 in der ČSSR, Solidarność in Polen oder Human Rights Watch, die sich auf die Akte von Helsinki beriefen. Sie trugen zum Zusammenbruch des Ostblocks bei, so dass die KSZE maßgeblich zum Ende des Ost-West-Konflikts beitrug.“

Natürlich ist mir die KSZE auch in Bezug auf Amnesty schon untergekommen. Das „maßgeblich“ würde ich eventuell etwas abschwächen wollen, aber dafür habe ich mich nicht intensiv genug mit dem Thema beschäftigt.

Die Unterzeichnerstaaten hatten sich verpflichtet, die Schlussakte ihren Bürgern und Bürgerinnen bekannt zu machen, und so standen plötzlich Menschenrechte auf der Titelseite des Neuen Deutschlands. Wir diskutierten die einzelnen Konferenzen, gerade im Bezug auf die DDR, in der sich für die Staatsführung unerwartet viele Menschen auf die Schlussakte in ihren Ausreiseanträgen beriefen. 1977 gab es keinen offiziellen Weg, kein Formular, keine Hinweise darauf, wie ein Ausreiseantrag zu stellen sei, und nach den Konferenzen machte die Staatsführung den Bürgern und Bürgerinnen das ganze noch schwerer.

Wir sprachen dann über die 1980er Jahre und was die Konferenzen da noch verändert hätten. Eine Kommilitonin meinte, dass in den 1980er Jahren die Blockbildung ja schon abgeschlossen gewesen sei, die Grenzen seien fest gewesen, gerenell herrschte Frieden. Und da fühlte ich mich erstmals in meinem Studium als Seniorenstudentin, denn in mir regte sich der schlimme Satz: „Das habe ich aber anders in Erinnerung.“ Ich sagte nichts, konnte dann aber sofort den Meldefinger recken, als die Dozentin fragte, wer denn unserer Meinung nach eine der wichtigsten Bürgerbewegungen in den 1970er und 1980er Jahren gewesen sei. Meine Antwort war natürlich die Friedensbewegung. Und ich erläuterte, dass in den 1980er Jahren zwar Frieden geherrscht hatte und die Blockbildung abgeschlossen gewesen war, dass es sich aber trotzdem alles andere als sicher angefühlt hätte. Die Referent*innen hatten den NATO-Doppelbeschluss erwähnt und auf den bezog ich mich jetzt auch, als ich die geplante Stationierung der Pershing-II- sowie der SS-20-Raketen beschrieb und wie beunruhigend dieser Plan gerade für die Bundesrepublik (und vermutlich die DDR) war.

Zuhause musste ich natürlich erstmal Fisher-Z und ihr damaliges Album hören, auf dem auch Cruise Missiles drauf war.