Meine 2 cents zu Kikis 2 cents

In den letzten Tagen wurde in meiner Timeline ein Artikel von Kiki sehr oft geteilt und abgefeiert, was mich etwas gewundert hat. Ich las ihn mehrfach, um zu verstehen, worum’s eigentlich geht, fand es aber nicht heraus; mir kam er wie eine Ansammlung von Klischees und schlechter Laune vor (dagegen ist ja nichts einzuwenden), aber er beklagt die „Arroganz der Linken“, die jetzt anscheinend schuld daran ist, dass schlecht bezahlte Menschen AfD und Trump wählen. Und gegen diese Deutung habe ich dann doch etwas einzuwenden.

Zuerst holt Kiki die grobe Keule raus und wettert gegen die überhebliche „linke Intelligenzia“, die ihrer Meinung nach so aussieht:

„Die „Wir nennen es Arbeit“-Romantiker, zumeist Akademiker aus dem, was wir in der Schule „Laberfächer“ nannten, bei denen es mehr auf Meinungen denn auf Fakten ankam, die Soziologie, Psychologie und Gendergedöns studiert haben oder mit ihren Macbooks im Café sitzen, Erdnussflips ironisch essen und sich ihr mehr oder weniger freiwillig minimalistisches Leben schönsaufen, die sind doch genauso betroffen von den negativen Auswirkungen der Globalisierung.“

Ich hätte die „linke Intelligenzia“ jetzt nicht unbedingt im Sankt Oberholz vermutet, sondern eher in Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen oder als Autor*innen von klugen Büchern und Blogs. Ich habe die „linke Intelligenzia“ auch nicht als diejenigen wahrgenommen, die Kiki mit „zynischen Witzen vom hohen Ross aus […] in der eigenen, kleinen, engen Filterblase“ genervt haben, aber über beides können wir gerne diskutieren. Sowohl im Oberholz als auch auf Twitter sind meiner Meinung nach auch eine Menge Leute unterwegs, die eher konservativ wählen und beide Gruppen waren in meinen Augen nicht unbedingt Meinungsführer – dafür sind die Menschen im Digitalen dann doch noch zu einflusslos.

Nach dem reißerischen Reinkommer, in dem Kiki mal eben die angebliche mittelose Intelligenzelite, die es meiner Meinung nach so nicht gibt, sondern die eine gehässige Klischeevorstellung ist, mit ausgestorbenen Handwerksberufen, die auch kein Geld mehr bringen, in einen Topf wirft, kommt sie zu dem Schluss, dass sich zu all diesem Elend noch die „klassische Linke in ihrem Elfenbeinturm, die in den Städten wohnt und sich als quasi-Hüterin der Moral und des Rechts begreift“ gesellt.

„Sie zeigt angewidert mit dem Finger auf die Wählerschaft von Trump, AfD, Front National, UKIP, Lega Nord und wie sie noch alle heißen, die rechten und jenseits von Rechts formierten Gruppierungen zwischen Moskau und Dublin, Oslo und Ankara.

Sie halten ihre hehren, gebildeten Gefühle für die einzig akzeptablen, lachen über die Landeier, Ossis, Dunkeldeutschen, anatolischen Bauern, Balkanspacken. Sie sind erschrocken und empört wenn rechtsnationale Einzeltäter Attentate verüben, rasend schnell mit Hitlervergleichen bei der Hand, wenn jemand CDU wählt und merken gar nicht, was sie da gerade tun.“

Hier geht mir jetzt einiges zu sehr durcheinander. Ohne dafür Zahlen zu haben, glaube ich, dass auch SPD-Wähler*innen Schwiegertochter gesucht gucken und damit die hehren Moralvorstellungen fies untergraben, dass es auch in ostdeutschen Städten genug Menschen gibt, die „Landeier“ für doof halten (und vermutlich umgekehrt) und dass so ziemlich jede*r, der*die links von der NPD steht, von rechtsnationalen Attentaten entsetzt ist. Warum man über anatolische Bauern und Menschen vom Balkan lachen sollte, weiß ich allerdings nicht, mir fallen da nicht mal Klischees sein. Das Elfenbeinturm-Bashing hat mich nach wenigen Absätzen latent genervt, aber das mag mein sensibles Seelchen sein, denn seit einem Jahr habe ich ja auch einen akademischen Abschluss und arbeite eifrig an einem zweiten. Komisch, dass ich jahrzehntelang auch als Nicht-Akademikerin ähnliche Wert- und Moralvorstellungen hatte wie heute.

Dann kommt noch ein kleiner Seitenhieb auf die Clinton-Wähler*innen, die sie auch deshalb gewählt haben, weil sie eine Frau ist. Lustig, dass den angeblich Abgehängten eine symbolische Wahl, nämlich die eines gefühlt starken Mannes, zugestanden wird, der anderen Seite aber nicht, die mit einer Frau an der Spitze der USA sicher auch ein Zeichen setzen wollte. Natürlich hatten wir schon andere weibliche Regierungschefs, worauf Kiki zu Recht hinweist, aber die Länder, die von ihnen regiert wurden, waren Pupsländer im Vergleich zu den Vereinigten Staaten. Nicht umsonst machen sich jetzt eine Menge Menschen auch außerhalb der USA Sorgen, eben weil deren Reichweite deutlich größer ist als die von zum Beispiel Island. Eine Präsidentin wäre ein deutliches Signal an alle amerikanischen Frauen gewesen, genau wie Obama ein Signal für die Schwarzen war. Aber für jemanden, die Geschlechterpolitik vermutlich unter „Gendergedöns“ abtun würde, mag das nicht so sein.

Aber zurück zum eigentlichen Wutanfall: Die großkotzigen linken Denker*innen, ob sie nun am Macbook oder im Elfenbeinturm sitzen, kapieren nicht, wie es zu AfD und Trump kam und sie sind überrascht vom „Arschtritt der Verachteten“. Schauen wir uns diese Verachteten doch mal an:

„Ich denke, das sind in der überwiegenden Mehrheit auch keine Nazis, Rassisten, Sexisten und was es sonst noch so für -ismen gibt, die den Mann gewählt haben. Das sind Menschen, denen schlicht das Hemd näher als die Jacke ist, lies: Sie sind weltweit seit rund 40 Jahren trotz harter Arbeit auf dem immer schneller absteigenden Ast und wissen, dass ihnen diese Talfahrt in erster Linie die (Sozial)Demokraten beschert haben, die linke Intelligenzia, die für alle Minderheiten ein Herz und großzügige Programme haben, ganz besonders für die eigenen Tasche, nur nicht für die künftige Minderheit – die der weißen Mittelschichtklasse.“

Es scheint hier gleichzeitig um die Menschen in den USA und der Bundesrepublik zu gehen, denn die Sozialdemokrat*innen dürften auf das Leben von Amerikaner*innen recht wenig Einfluss gehabt haben. Wenn wir uns nur die Bundesrepublik angucken, sollte man vielleicht erwähnen, dass die Sozis in den letzten 40 Jahren gerade mal in 13 den Kanzler gestellt haben und dass Angela Merkel seit 2005 Zeit hatte, die vielen schlimmen Minderheitenprogramme wieder rückgängig zu machen. Hat sie vermutlich aus guten Gründen nicht getan.

Die Mehrheit der Trump-Wählerinnen mag sich vielleicht selbst nicht als Nazi, Rassist oder Sexist bezeichnen, aber sie nimmt durch ihre Stimme in Kauf, dass sie von jemanden regiert wird, der all das zu sein scheint. Das ist für mich nicht viel besser und daher auch nicht durch das dusselige Argument zu entschuldigen, dass sie trotz harter Arbeit kein Bein mehr auf den Boden bekommen. Vor allem, weil genau die finanziell eher schlecht Gestellten mehrheitlich Clinton gewählt haben: Menschen mit einem Jahreseinkommen bis zu 50.000$ haben eher für die Demokratin gestimmt, reichere Menschen für Trump, wobei die Zahlen ab 100.000$ kaum noch auseinandergehen. Die Mär der sozial Abgehängten, die Trump vertrauen, ist schlicht falsch.

Bei der AfD sieht es nicht viel anders aus: Auch hier speisen sich die Wählerstimmen nicht ausschließlich aus ehemaligen enttäuschten Wähler*innen von linken Parteien. Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern wanderten zwar 17% von der SPD zur AfD, aber auch 16% von der NPD. Der größte Teil der Wähler*innen hat einen Realschulabschluss (27%), 14% sogar einen Hochschulabschluss (verdammter Elfenbeinturm!), so dass man auch hier nicht pauschal sagen kann: Das sind die Abgehängten, die nur noch Berufe haben, die niemand mehr braucht. Warum die Menschen AfD wählen, scheint mir auch aussagekräftig:

„Und nur im Bereich Flüchtlingspolitik billigten die Befragten der Partei überhaupt nennenswerte Kompetenz zu: 17 Prozent gaben an, die AfD löse die Probleme in der Flüchtlingspolitik am besten. Alle anderen Themenfelder – Arbeitsplätze (drei Prozent), Bildungspolitik (vier Prozent), soziale Gerechtigkeit (sechs Prozent) – hätten die AfD kaum über die Fünf-Prozent-Hürde gebracht. Dem Selbstbild der AfD, die sich vehement gegen die Einstufung als Ein-Themen-Partei wehrt, entsprechen diese Zahlen nicht.“

Anders ausgedrückt: Den AfD-Wähler*innen geht es nicht um ihre Arbeitsplätze oder dass Minderheiten gefördert werden, was Kiki vermutet. Ihnen geht es um das Wahngebilde der angeblichen Flüchtlingswelle, die sie überrollt und meiner Meinung nach lassen sie sich da von Fakten auch nicht mehr beirren.

„Sich für Schwächere stark zu machen, das funktioniert nur so lange, wie man selbst keine Hilfe braucht. Tut weh, aber ist so. Gibt es rassistische Übergriffe, hässliche Attacken gegen LGBTQ-Menschen, Übergriffe gegen Muslima? Ja. Sind die entschuldbar? Natürlich nicht. Aber wann habt Ihr das letzte Mal die Meinung geändert, weil man Euch als Nazis oder Idioten beschimpft hat? Ach so, Hass ist keine Meinung. Ja, dann … brauchen wir ja auch nicht mehr miteinander reden, oder? Ist ja alles gesagt. Ich gut, du doof, hugh, ich habe gesprochen.“

Wenn ich mich an die Diskussionen in den Medien erinnere, gab es zwar wütende Stimmen, die die AfD-Wähler*innen als Nazis und Idioten beschimpften, aber der weitaus größere Teil räumte ihnen hübsche Plätzchen in Talkshows frei, schrieb sorgenvolle Kolumnen, wie man diese Menschen wieder dazu bringt, anständige Parteien zu wählen und ging sogar physisch auf sie zu, wie Claudia Roth bei den Einheitsfeierlichkeiten in Dresden, wo aber anscheinend niemand mit ihr reden wollte, sondern lieber weiter sinnlos rumbrüllte. Totale Überraschung. Deshalb habe ich auch keine Lust mehr, mit diesen postfaktischen Nasen zu diskutieren, denn genau das wollen sie ja gar nicht. Ich sehe keine Bereitschaft von AfD-Wähler*innen, mal mit Grünen- oder Linken-Wähler*innen zu reden, um ihren Standpunkt verständlich zu machen. Ich sehe nur Demonstrationen mit hasserfüllen Plakaten und Menschen, die selbst dann noch „Lügenpresse“ schreien, wenn die Medien ihr Material ungeschnitten online stellen, um zu zeigen, dass sie nicht manipulieren. Ich sehe bei Trump-Wähler*innen, soweit ich das berurteilen kann, auch eher Häme und Großkotzigkeit anstatt den Versuch, den Clinton-Wähler*innen die Sorge zu nehmen, dass unter einem Rassisten und Sexisten nicht alles schlechter wird.

Und da sind wir wieder bei den oben angesprochenen „hehren, gebildeten Gefühlen“, die, wenn ich Kiki richtig verstehe, total doof sind, weil sie auf gewissen Moralvorstellungen beruhen. Und das war der Punkt, an dem ich am längsten geknabbert habe. Ja, ich glaube, dass die Linke, ich nutze jetzt mal diesen Allgemeinplatz, sich völlig zu Recht etwas auf ihre Moralvorstellungen einbildet und deswegen geschockt ist, dass sie offensichtlich nicht von allen geteilt werden. Ich glaube, die Linke zeichnet sich durch progressives Denken aus, während die Rechte eher bewahren will. Das ist nichts Schlimmes, bringt uns als Gesellschaft aber nicht weiter. Ich (als Linke) empfinde es als wohltuend, dass immer mehr gesellschaftliche Gruppen laut werden und Rechte fordern, die jahrhundertelang nur der weißen, männlichen, heterosexuellen Oberschicht zugestanden wurden. Daher erfüllt es mich mit großer Sorge, dass diese Zugeständnisse anscheinend nicht nur nicht von allen geteilt, sondern sogar aktiv abgelehnt werden. Das liegt aber nicht daran, dass diese Menschen AfD oder Trump wählen, obwohl ich das auch zum Kotzen finde. Meine hehren, gebildeten Gefühle können schlicht nicht verstehen, warum jemand nicht möchte, dass es anderen genauso gut geht wie einem selbst. Das ist der Punkt, auf dem ich rumkaue und den ich nicht dadurch auflösen kann, indem ich AfD-Wähler nicht mehr Nazis nenne und sie auf einen Salbeitee einlade, so zum Reden. Dass auf einmal so simple Dinge wie Anstand oder Mitgefühl für Schwächere weggewählt werden, das macht mir Sorgen.

Die Verachtung, die Kiki der Linken unterstellt, gilt nicht denen, die kein großes Gehalt mehr nach Hause bringen. Die Verachtung gilt den Arschlöchern. Und das meiner Meinung nach völlig zu Recht. Es ist nicht mehr unsere Aufgabe, ihnen weitere Talkshow-Zeit zur Verfügung zu stellen, es ist nicht mehr unsere Aufgabe, ihnen liebevoll das verwirrte Köpfchen zu tätscheln. Es ist unsere Aufgabe, ihnen sehr deutlich klar zu machen, dass sie sich mit diesen menschenverachtenden Positionen außerhalb der Gesellschaft positionieren. Das mag eine riskante Strategie sein – die deplorables-Bemerkung hat Clinton sicher geschadet wie auch das „Pack“ von Gabriel –, aber ich glaube, dass die Beschwichtigungspolitik der letzten Monate uns nicht weitergebracht hat.