Mit Opa in Frankfurt

Sehr seltsames Gefühl, eigene Texte im Museum zu sehen. Noch seltsamer, wenn die Familie um einen herumwuselt und sich in allen möglichen Varianten um einen rumgruppiert, um diese Seltsamkeit fotografisch festzuhalten. Mama hat analog geknipst, Schwesterherz digital, Papa wurde mal hierhin, mal dorthin geschoben, und ich musste irgendwie immer diese doofe Windows-Maus klicken und so tun, als würde ich meinen eigenen Text lesen, der davon handelt, meinen eigenen Text zu lesen.

Die Tagebuch-Ausstellung erschlägt einen im positiven Sinne mit wahnwitzig viel Papier unter Glas – weswegen die Stationen, an denen mal was anderes zu sehen ist, auch so schön sind. Weil man den Kopf mal kurz woanders hinlenken kann, weil’s was anderes zum Bewundern gibt, weil andere Geschichten erzählt werden. Da ist eben die Station mit Opas Hölzern und meinem ausgedruckten Blogeintrag und einem Rechner, an dem man sich auch durch den Rest meines Blogs klicken kann (sehen alle IE-User kein Grau in meiner Seitenleiste unter dem Suchfenster? Sagt doch was! Andererseits: mir doch egal. In Safari/Firefox sieht’s gut aus).

Dann natürlich Andrea in riesengroß mit den verschiedenen ausgedruckten Layoutvarianten ihres Blogs. Lustig, wenn man feststellt, wie lange man schon mitliest und wieviele Layouts man mitgekriegt hat. Dann die Station mit Anne Franks Tagebuch und der Geschichte, dass nicht nur ihr Vater die Tagebücher (es waren drei und nicht nur eins) vor ihrer Veröffentlichung redigiert hat, sondern dass auch sie selbst bereits ihr Geschriebenes überarbeitet hat. Die Station mit Dieter Riemann, der die DDR fotografisch dokumentiert, die Fotos in seine Tagebücher geklebt und diese abends in einer alten Kamera versteckt hat. Clara Schumanns Blumentagebuch. Rainald Goetz. Goethe. Thomas Mann. Kafka! Undsoweiterundsofort. Hach.

Auf genügend Sitzgelegenheiten kann man sich durch weitere Blogs klicken, und man kann, was ich sehr schön fand, in vielen nachgedruckten Tagebüchern lesen. So richtig lesen. Nicht am Bildschirm, nicht unter Glas, sondern auf Papier, zum Blättern. Remember?

Und dann sind da noch die Teppichfliesen, auf denen ein ganzes Jahr abgebildet ist. Ich bin zweimal vertreten: einmal mit dem Ende von Opas Text und einmal mit diesem (leicht gekürzten) Blogeintrag. Ich weiß nicht, warum ausgerechnet der fliesenwürdig war; ich hätte ihn nicht genommen, ich hab doch viel schöneres Zeug geschrieben in den letzten tausend Jahren (sowas hier zum Beispiel, haha). Andererseits war das der letzte Blogeintrag, der noch kommentiert werden durfte, wobei ich nicht weiß, ob das ausschlaggebend war. Gestern bei der Führung vergessen zu fragen: Wonach wurden die kleinen Ausschnitte aus Tagebüchern und Blogs eigentlich ausgewählt?

(Ja, die Füße hab ich absichtlich draufgelassen.)

Was ich so spannend fand: die vielen verschiedenen Möglichkeiten der Dokumentation. Die Motivation zum Schreiben. Warum schreibt man, an wen, für wen, worüber, in welchen Situationen? Viele Antworten darauf habe ich aus der sehr guten Führung mitgenommen (danke, Tine), weswegen ich euch auch unbedingt eine Führung ans Herz legen möchte, falls ihr euch die Ausstellung anguckt.

Wir haben nach unserer Privatführung (weil wir ja ein Ausstellungsstück gespendet haben, hui) noch bei einer zweiten Führung die Ohren gespitzt. Und wenn ich es schon komisch fand, mein Blog im Museum zu sehen – noch komischer war es, jemanden darüber reden zu hören, der nicht wusste, dass ich zwei Meter neben ihm stehe. So fühlt sich wahrscheinlich eine Beerdigung an. Mein Papa hat mich die ganze Zeit in die Seite geknufft, jetzt sag doch was, aber ich fand’s viel spannender, dabei zuzugucken, wie Leute auf die Geschichte von Opa reagieren. Und zum ersten Mal habe ich einem Leser dabei zugucken können, wie er sich durch mein Blog klickt. Out-of-body-experience.

Normalerweise sind meine Leser für mich eine größtenteils anonyme Masse, deren Zahl ich zwar am Counter sehen kann, aber ich kriege nie direkte Reaktionen mit. Klar, Mails, aber das ist auch schon gefiltert und auf Rechtschreibfehler korrigiert. Aber im Museum zu sitzen und einer jungen Frau dabei zuzugucken, wie sie sich die Geschichte mit Opa durchliest, sich die Holzklötze anguckt, sich nochmal das Foto von Opa anguckt und den Text dazu liest (in dem steht, wie wir die Klötze gefunden haben und dass wir nicht wissen, ob Opa wollte, dass sie irgendwann gefunden werden oder er sie einfach irgendwann verbrannt hätte), sich dann nochmal das Blog anguckt und dabei lächelt – das war schon eine sehr besondere und sehr schöne Erfahrung.