The Last Laugh (Regie: Ferne Pearlstein, USA 2016, 89 min.)

Im Rahmen des diesjährigen Filmfests München sah ich gerade mal einen einzigen Film, aber der war dafür sehr gut. The Last Laugh, ein Dokumentarfilm von Ferne Pearlstein, fragt, ob man über Nazis und den Holocaust lachen darf – und hat keine eindeutige Antwort darauf.

Im Film kommen diverse, ich glaube ausschließlich jüdische, Komiker*innen zu Wort, die sich mit dem Thema Judenverfolgung, Nationalsozialismus, der Figur Hitler und dem Holocaust auseinandersetzen. Er fängt schon damit an, dass einige von ihnen Witze zu diesem Thema erzählen, und ich habe lange mit mir gerungen, ob ich sie aufschreiben sollte, denn sie waren so gut wie alle schöne Schenkelklopfer. Ich ahne aber, dass sie geschrieben längst nicht solche Kracher sind, daher fragt mich einfach beim nächsten Twittertreffen danach, ich habe jetzt ein paar im Repertoire. Und ja, die darf ich auch als nichtjüdische Deutsche erzählen.

Auch das war eine Frage: Wer darf Witze über dieses Thema machen? Ich persönlich würde mich sehr schwer damit tun, Witze über jüdische Menschen oder den Holocaust zu machen. Witze über Nazis und Hitler dagegen – immer her damit. Aber selbst das mag eine Frage des Abstands sein. Der Film sagt klar, dass jedes Thema seine Zeit brauche. Ãœber 9/11 konnte man auch nicht schon direkt danach Scherze machen, wenn man mal von Rudy Giuliani und dem Emsemble von Saturday Night Live absieht, von dem Giuliani Ende September 2011 gefragt wurde, ob man so kurz nach den Attacken schon wieder lustig sein dürfe, und er trocken meinte: „Why start now?“ Weitere Einspieler zeigten Chris Rock, der sich über die neuen Türme am Ground Zero aufregt und sie die Never-go-in-there-towers nennt, „because I’m never going in there.“ Der Scherz funktioniert aber auch erst jetzt und wäre zwei, drei, vier Jahre nach 2001 vermutlich böse versandet.

Was ich bei mir festgestellt habe: Meine Sichtweise – oder Toleranz? – gegenüber Themen oder Menschen, die diese Themen auf ihre Art anfassen, hat sich anscheinend geändert. Ich hatte immer Schwierigkeiten mit Sarah Silvermann; ich fand sie stets einen Fußbreit zu sehr über meiner persönlichen Schmerzgrenze, aber im Film fand ich sie großartig, reflektiert – und vor allem witzig. Eine ähnliche Frage kam beim Q&A nach dem Film mit der Regisseurin, die über 20 Jahre an diesem Thema rumgeknetet hat, bis dann in den letzten Jahren The Last Laugh daraus wurde. Sie wurde gefragt, ob sie im Laufe der Dreharbeiten Witze gehört habe, die über ihre Schmerzgrenze hinausgingen, und sie meinte, ja, da wäre einer dabei gewesen, den hätte sie geschnitten. Netterweise erzählte sie uns den Scherz im Kino und auch im Saal hielten sich, glaube ich, die Reaktionen „lautes Lachen“ und „scharf die Luft einziehen“ die Waage. (Bei mir war’s beides auf einmal.)

Pearlstein hatte überlegt, den Witz trotzdem drinzulassen, denn ihre Referenzhörerin für Scherze war die Auschwitz-Überlebende Renee Firestone, die mit ihrer Tochter Klara den zweiten roten Faden im Film bildet; der erste sind die Komiker*innen. Erst kurz vor Schluss fasst sie zusammen, was wir 90 Minuten lang sehen durften: gut zu leben, glücklich zu leben, fröhlich zu sein – das ist ihre beste Rache für das, was ihr angetan wurde. Und selbst wenn sie über ihre KZ-Zeit spricht, macht sie Witze und erzählt die Geschichte, dass Josef Mengele sie und ihre Schwester untersucht habe, ob sie für Experimente in Frage kämen, und während er an ihr rumdrückte, meinte er, falls sie den Krieg überleben sollte, sollte sie sich bitte die Mandeln rausnehmen lassen, sie hätte wirklich große Mandeln. Da steht diese kleine Dame in ihrer Küche in den USA und findet es lustig, was Mengele zu ihr im KZ gesagt hat, und man sitzt im Publikum und kann sich, gerade wenn man in Deutschland ist, nicht so richtig mit ihr darüber freuen, dass sie gerade eine so gute Punchline hatte.

Überhaupt ist der Film ein ständiges Hin und Her zwischen sehr guter Komik und Szenen, in denen man als Deutsche*r einfach nur seinen Hut nehmen nöchte. Wenn einem alle 20 Sekunden lang das Wort Holocaust unterkommt, kann man nicht so recht entspannt mitlachen. Irgendwann macht man es natürlich doch, denn wer könnte schon Mel Brooks widerstehen oder eben Frau Silverman, Larry David oder Harry Shearer. Und dann erzählt Renee, dass sie in Auschwitz ihre Schwester Klara verlor und davon, dass sie erst vor wenigen Jahren herausgefunden hatte, dass sie nicht bei Experimenten gestorben sei, sie den Mann ausfindig machen konnte, der an ihrer Ermordung beteiligt war und der gemeint hatte, man hätte Klara ja nicht überleben lassen können, nach dem, was sie mitgemacht habe, und der Mann hätte in München gelebt. Und man sitzt platt im Publikum und bemüht sich, möglichst leise in sein Taschentuch zu weinen.

Renee fand den Witz, den Pearlstein schlussendlich schnitt, „hilarious“, aber auch das machte Pearlstein klar: Es hat jede*r seine eigene Schmerzgrenze, und dieser Witz war ihre. Auch Mel Brooks meint, dass er nie Witze über den Holocaust machen würde, und mir ist erst in diesem Film aufgefallen, dass der Mann Witze über so ziemlich alles macht, auch über seine eigene Religion und Nazis sowieso, aber stimmt, den Holocaust fasst er nicht an. Er findet auch Filme wie Das Leben ist schön furchtbar, andere Komiker*innen im Film äußern sich ähnlich, Schnitt, ein Herr der Anti-Defamation League tritt auf und sagt, Das Leben ist schön sei einer der besten Filme, die je gedreht wurden. Er bezog sich auf das generelle Thema, dass Eltern alles für ihre Kinder tun und deswegen sei der Film großartig, während die anderen Stimmen meinten, der Film verharmlose den Holocaust. Eigene Schmerzgrenze, eigene Definitionen.

Renee und Klara nehmen an einer Convention in Las Vegas teil, in der sich Holocaust-Überlebende treffen. Eine der skurrilsten Szenen im Film ist eine Gondelfahrt von Renee und einer weiteren Überlebenden, die im nachgebauten Venedig stattfindet; die beiden sprechen über die Ermordung von sechs Millionen Juden, und hinter den beiden alten Damen schmettert ein amerikanischer Gondoliere O sole mio. Man denkt 30 Minuten lang, das ist jetzt echt ein albernes Setting, aber kurz vor Schluss des Films erzählt Renee, dass sie kurz vor ihrer Verhaftung im Strandbad war, einen neuen Badeanzug trug und die ganze Zeit dieses Lied über Lautsprecher schallte. Sie stieg mit dem Badeanzug unter ihrer Kleidung in den Viehwagen, der sie nach Auschwitz brachte, und hatte O sole mio im Ohr.

Ja, genau. Taschentuch.

Ich mochte es sehr, dass The Last Laugh viele Menschen zu Wort kommen ließ und selbst keine eigene Meinung zu haben scheint. Was man mitnimmt, sind viele persönliche Auseinandersetzungen mit diesem Thema, nicht nur die der Komiker*innen, sondern zum Beispiel eben auch die der Dame in der Gondel, die Witze über ihr Schicksal niemals lustig findet, weil es einfach nicht lustig war, was ihr passiert ist. Darüber sind sich auch alle Komiker*innen einig: Wenn du schon einen Witz über ein solches Thema machst, dann muss er wirklich verdammt gut sein. Der Film bietet einige an, hat aber auch durchaus welche im Angebot, bei denen ich mir gerne die Ohren mit Seife ausgewaschen hätte. Aber auch hier wieder: eigene Schmerzgrenze.

Mich persönlich hat der Film noch etwas länger beschäftigt, weil ich mich, total neu für euch, ich weiß, gerade intensiv mit der Kunst der NS-Zeit auseinandersetze. Ich ahne, dass da ein Promotionsthema drin sein könnte und ich finde alles, was ich darüber lese, spannend und lehrreich. Ich weiß auch, dass gerade die deutsche Kunstgeschichte sich nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert hat, wenn es um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema geht; das passiert quasi erst seit gut 20 Jahren, davor galt die bequeme Position, das ist alles keine Kunst, das geht uns nichts an. Dass es aber natürlich Kontinuitäten gab, die vor 1933 begannen und sich nach 1945 fortsetzten, heißt, dass es uns eben doch etwas angeht. Wir buddeln gerade nach Spuren, die vor 70 Jahren noch dagewesen wären, aber damals wollte ja niemand was mit diesem Thema zu tun haben.

Ich frage mich nach solchen Filmen aber: Will ich mit diesem Thema zu tun haben? Werte ich im Nachhinein eine Kunst auf, die es vielleicht nicht verdient hat? Wäre es vielleicht wirklich besser, alles als Schrott zu deklarieren und gut ist? Ich weiß natürlich, dass ich persönlich keinem Opfer schade, wenn ich mich mit den Bildern beschäftige, die Hitler gefallen haben. Ich weiß auch, dass es wichtig ist, Dinge festzuhalten, bevor sie in der Geschichte verschwinden oder zu Dämonen werden, die sie nicht sind. Ich zitiere immer gerne Julia Voss, die über die Website der Großen deutschen Kunstausstellung schrieb, die erstmals den Zugang zu den Werken ermöglichte: „Wer im Internet die Ausstellungsräume durchschreitet, fühlt sich wie jemand, der eine Höhle betritt, von der es hieß, sie sei von Drachen bewohnt, und darin auf Eidechsen, Molche und Lurche trifft.“ (Hier ein Artikel von ihr, der vollständig online ist, in dem aber das schöne Zitat fehlt.)

Ich bin mit meinem Denkprozess noch nicht am Ende – wann bin ich das schon –, aber es fällt schwerer, unbefangen an die ganzen blöden Landschaften und Stillleben zu gehen, wenn man Holocaust-Überlebenden zuhört. Vermutlich soll das genau so sein.