Tagebuch 23./24. Oktober – Global Art History/Iconic Architecture

Durch die einwöchige Erkältung („Mit Medikamenten dauert eine Erkältung sieben Tage, ohne eine Woche“) bin ich ein bisschen in Verzug geraten, was meine Seminare angeht, von denen ich noch schreiben wollte. Daher gibt’s eins nur in Kurzfassung, aber dafür ein anderes mit tollem Ratespiel! Bleiben Sie dran!

Als Alternative zu den tollen Ost-West-Dialogen schaute ich mir in der ersten Semesterwoche noch ein Seminar zu Global Art History an. Das klang auch alles irrwitzig interessant, aber die Dialoge und Anselm Kiefer sind doch mehr meine Richtung. Durch den Seminarplan habe ich jetzt allerdings eine lange Leseliste von Texten, die ich mir selbständig erarbeiten kann und die sich durchweg mit Themen beschäftigen, die ich bisher nur gestreift oder um die ich mir noch nie einen Kopf gemacht habe.

Die LMU hat als eine ihrer Säulen des Fachs Islamische Kunst. Das finde ich zwar alles hübsch und bunt, aber so richtig dringend möchte ich darüber nichts wissen – jedenfalls nicht, solange ich die christliche bzw. westliche Kunst noch nicht drauf habe. (Ich frage mich gerade, ob „westlich“ der richtige Ausdruck ist. Ich meine das westliche Europa und Nordamerika, in denen ich mich seit drei Jahren kunsthistorisch bewege.) Deswegen hatte ich in meinem bisherigen Studium auch noch nie Themen wie „Das koloniale Unbewusste in der Kunstgeschichte“ (Viktoria Schmidt-Linsenhoff), „Art History as a Global Discipline?“ (James Elkins, kritisch lesen bitte) oder „Asynchrone Objekte“ (Susanne Leeb) auf dem Stundenplan. Keines der Themen des Seminars war mir vertraut, und auch von den vielen afrikanischen Künstler*innen, die genannt wurden, kannte ich leider keine/n einzige/n. Was mir vorgestellt wurde, klang aber alles hochinteressant. Daher habe ich es etwas bedauert, den Kurs knicken zu müssen, aber ich möchte dann doch lieber die Seminare, für die ich Punkte und Noten bekomme, sehr gut machen als nur so halbgar.

Aber wie gesagt: Leseliste für die langen Winterabende steht.

Jetzt aber: Iconic Architecture. Der zweite Volltreffer und bisher größte Glücklichmacher im Stundenplan.

Die erste Stunde begann mit einem Bilderrätsel, das ihr jetzt lustig mitspielen dürft. „Kennen Sie diese Gebäude bzw. wissen Sie, wer sie entworfen hat?“

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No machine-readable author provided. Chosovi assumed (based on copyright claims). [CC BY-SA 2.5], via Wikimedia Commons

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(Screenshot von der Seite des Architekturbüros, Quelle siehe unten.)

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Keith Edkins at the English language Wikipedia [GFDL or CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons

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Guenter Schneider (photography) [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons

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Bildquelle siehe unten. (Ich brauche ein Blog mit größeren Bildern. Christian?)

Wenn ihr jetzt brav wart und nicht schon die Wikilinks angeklickt habt, kommt hier die Auflösung:

Das erste Bild zeigt das Tanzende Haus in Prag. Gut, Gehry steht ja quasi fast drauf, das hatte ich getippt, aber das Gebäude kannte ich nicht.

Beim zweiten Gebäude hätte ich die Architektin richtig geraten, wusste aber überhaupt nicht, was ich da sah: einen Entwurf von Zaha Hadid für das Performing Arts Centre in Abu Dhabi.

Beim dritten Gebäude musste ich total passen. Es ist The Sage von Norman Foster. Den Herrn kennt man wenigstens.

Dafür konnte ich mich beim vierten endlich melden: Das ist das Jüdische Museum in Berlin von Daniel Libeskind. Der Dozent fragte, woran ich es erkannt hätte, woraufhin ich die Duh!-Antwort „An der Form“ gab. Was ich hätte sagen sollen: „Der Grundriss hängt seit Jahren bei mir an der Wand, weil ich das Gebäude bei meinem Besuch so beeindruckend fand.“ Aber das fiel mir erst nachher ein.

Beim fünften musste ich wieder passen. Das ist das Musée des Confluences in Lyon, gestaltet von Coop Himmelb(l)au. Die kannte ich immerhin von der BMW-Welt. Ha, Werbung!

In der zweiten Stunde am vorgestrigen Freitag unterhielten wir uns darüber, was iconic buildings eigentlich sind. Wir als Kunsthistoriker*innen hingen uns natürlich schon beim iconic auf. Ein Ikon ist erstmal ein Zeichen, ein Bild, also musste ein ikonisches Gebäude ein Bauwerk sein, das ein Bild abgeben möchte, das also über seine reine Form noch eine Botschaft vermittelte. So begann unsere Definition in vier Schritten:

1. Ein ikonisches Gebäude ist prominent, will wahrgenommen werden, soll weltweit Publicity erregen. Es kann Wahrzeichencharakter haben (siehe Oper in Sydney, und alle Hamburger*innen hoffen brav weiter auf die Elbphilharmonie, gell?). Dieses Bekanntwerden-Wollen ist ihm eingeschrieben. Deswegen verneinten wir auch die Dozentenfrage, ob Schloss Neuschwanstein ein iconic building sei. Das Schloss war nie dazu gedacht, tonnenweise Touris durch es zu schleifen, sondern war ein reines Privatvergnügen von Ludwig II. Der Mann wollte so wenig von der Welt mitkriegen wie möglich, was einem ikonischen Bauwerk widerspricht.

Wir diskutieren allerdings über Bauwerke wie Wallfahrtskirchen oder Triumphbögen, wie zum Beispiel den Konstantinsbogen in Rom. Triumphbögen wurden für einen bestimmten Anlass errichtet (Sieg des römischen Heeres), verblieben dann aber im Stadtbild, so dass sie weiterhin Zeugnis ihres Bauanlasses waren – bis heute. Und das nicht nur in Rom, sondern im gesamten römischen Reich, mitten in der Pampa. Sie verkündeten damals als den Ruhm Roms, aber: Sie waren alle nach dem gleichen Muster gebaut, weswegen sie keine Ikonen sind. Denn:

2. Ikonische Gebäude zeichnen sich durch Kühnheit, Extravaganz und Innovationskraft des Entwurfs aus. Wir sahen uns einige Beispiele an, unter anderem das Kunsthaus Graz, das mir während der BA-Arbeit schon mal unterkam, als ich mich mit computer-aided design befasste und erstmals den Begriff der Blob-Architektur las. Ich mag das Gebäude sehr; ich finde, es passt sich überraschend gut in seine Umgebung ein. Es überragt die umliegenden Bauwerke nicht, sondern scheint sich zufrieden in sein Eckchen in der Stadt zu schmiegen, obwohl es zunächst so fremdartig aussieht; wie ein kleines Tierchen, das seinen Platz gefunden hat.

Diese Idee, das etwas von außen reinkommt und sich breitmacht, hörten wir beim dritten Teil der Definition wieder, allerdings in negativer Hinsicht.

3. Das Gebäude hat eine sinnbildliche Qualität, es zeigt seine Funktion (hier sind wir beim Bildhaften, Ikonischen). Charles Jencks bescheinigte derartigen Gebäuden „multiple meanings and enigmatic signifiers“.

Wir besahen uns zunächst ein gelungenes Beispiel, das Opernhaus in Qingdao von Meinhard von Gerkan, das laut Eigenaussage des Architekten Wolken, Wind und das bergige Umfeld aufgreift (sieht man auf der GMP-Website besser). Und dann kam ein Gebäude, bei dem ich wirklich zusammenzuckte: das Experience Music Project in Seattle. Ich bin mir nicht sicher, ob selbst Gehry-Fans hier mal kurz abwinken und sagen, Junge, ist okay, kann ja nicht jeder Entwurf sitzen. Ich selbst kann Gehry nicht mehr sehen, was auch daran liegen könnte, dass vor einigen Jahren gefühlt jeder zweite Audi-Katalog vor irgendeinem Gehry geshootet wurde („Bilbao geht immer!“). Aber das Seattle-Ding ist noch unförmiger als Gehry eh schon ist und dazu auch noch konfus. Finde ich jedenfalls. Netterweise bin ich nicht allein: Der Architekturkritiker Herbert Muschamp schrieb den wundervollen Satz: „Frank Gehry’s Experience Music Project looks like something that crawled out of the sea, rolled over and died.“ Witold Rybczynski schrieb in When Buildings Try Too Hard über den kommerziellen Misserfolg des Projekts und den beabsichtigten Bilbao-Effekt, der für ihn eher the Bilbao anomaly ist – der Erfolg von Bilbaos Guggenheim, wo ein kulturelles Architekturprojekt eine ganze Stadt ökonomisch nach vorne gebracht hat, ist nicht so leicht reproduzierbar wie viele dachten. Was uns zum letzten Punkt brachte:

4. Ikonische Bauwerke sollen heute bewusst ein Tourismusmagnet sein, sie sind kommerziell ausgerichtet. Bei dem Punkt hatten wir uns dann allerdings wieder in den Haaren. Wir sprachen bereits unter 1. die vielen Kirchen an, die vom Ruhm Gottes kündeten, aber sich recht ähnlich sahen. Aber was ist mit absoluten Tourismuszielen wie dem Petersdom, der zwar aus der bekannten Formensprache von Renaissance und Barock schöpft, aber sehr dringend wahrgenommen werden will und ein kommerzieller Erfolg ist?

Diese Diskussion mussten wir verschieben. Auch das ist ein Punkt, der mir an diesem Seminar so gefällt, wie auch im Dialoge-Kurs: Wir reden viel. Ich weiß nicht, ob das Zufall oder wirklich ein Unterschied zum BA ist, dass in diesen Master-Seminaren die Leute deutlich engagierter sind. Vielleicht ist jetzt auch endlich die Scheu weg, was Falsches zu sagen; wir wissen alle mehr als vor drei Jahren, als wir hier als putzige Erstis mit roten Bäckchen und jungfräulichen Notizbüchern saßen, wir trauen uns jetzt, auch mal eine Vermutung rauszuhauen. Oder hat es wirklich was damit zu tun, dass wir bereits im zweiten Studium sind? Den ersten Berufsabschluss haben wir in der Tasche, wir müssen nicht mehr hier sein, die Schuldigkeit, eine Ausbildung machen zu müssen, ist abgeleistet. Wir sitzen hier, weil wir noch mehr wollen. Und ich glaube, wir wissen inzwischen alle, wie sehr ein Seminar davon profitiert, dass mal irgendwer den Mund aufmacht.

Das Seminar bietet allerdings auch eine neue Herausforderung. Denn viele der Gebäude, über die wir referieren und Hausarbeiten schreiben, sind noch gar nicht gebaut. Mein Referat beschäftigt sich mit dem Nationalstadion in Peking („Vogelnest“) von Herzog & de Meuron sowie dem geplante Stadion zur Fußball-WM 2022, dem Al Wakrah von Zaha Hadid. Mit letzterem hatte das Internet schon einen field day, und ich freue mich jetzt schon auf die Bildersuche. Aber was die wirkliche Herausforderung ist: Wir schreiben als Kunsthistoriker*innen (die Betonung liegt auf „Historiker*innen“) über Dinge, die es noch nicht gibt. Wir haben keine Baupläne, die wir studieren, keine Vorbilder, an denen wir uns orientieren, keine Einzelteile, die wir aus anderen Bauten kennen und auf die wir die neuen abklopfen, keine Sekundärliteratur, aus der wir zitieren können. Es gibt noch keine objektivierende Distanz, aus der wir uns den Bauwerken nähern, wir haben nur das Marketingsprech und die wunderhübschen Renderings, aus denen wir unsere kunsthistorischen Betrachtungen ableiten. Das wird eine sehr spannende Aufgabe. Oder wie es der Dozent ausdrückte: „Sie können hier richtig Pionierarbeit leisten.“

Na denn. Happy Anke. (Warum habe ich seit Tagen die Doozers im Kopf?)