Bücher Juni/Juli 2014

fest

Saša Stanišić – Vor dem Fest

Ich mochte das sehr. Ich mag die Sprache von Stanišić, dieses vorsichtige Rantasten an die richtigen Wörter, das man noch spüren kann, wenn man sie liest.

„Sie loben die ganze Zeit die Landschaft, als könnte das Dorf etwas dafür.“

Und ich mochte die Personen, die das Dorf bevölkern, in dem morgen ein Fest stattfindet. Ich mochte, dass ich in wenigen Sätzen sehr viel über sie erfahren habe. Da sind sie wieder, die Wörter, nach denen Stanišić gesucht und dann die richtigen aufgeschrieben hat.

„Der Fährmann hat Gölow Geld geschuldet. Nicht viel. Nicht viel für Gölow. Vermutlich viel für den Fährmann. Und Gölow geht hin und kauft ihm einen Sarg. Er kauft ausdrücklich einen bequemen Sarg. Er recherchiert im Internet zwei Nächte lang, Barbara wird ungeduldig: Warum bequem, was macht das noch für einen Unterschied? Gölow sagt, der Fährmann hatte einen kaputten Rücken. Das seien so Bewegungen beim Rudern, beim Seilanziehen, ganz egal, ob du die jahrelang richtig oder falsch ausgeführt hast, am Ende brauchst du einen bequemen Sarg.“

Das ganze Dorf hat eine Geschichte, und jede Person hat eine Geschichte, und in der Nacht vor dem Fest kommen sie zusammen, diese ganzen Geschichten. Wir gehen zurück in die Zeit der DDR und die des Nationalsozialismus’ und die des Kaiserreichs und die des Absolutismus’. Und plötzlich verändert sich die Sprache und kommt wieder zurück, genau wie Geschichten sich verändern und da sind und wiederkommen und bleiben.

Ich bin sehr verliebt in dieses Buch.

(Leseprobe bei Amazon.de)

glueck

Wilhelm Genazino – Das Glück in glücksfernen Zeiten

In der SZ stand zur Rezension von Genazinos neuem Buch Bei Regen im Saal folgendes, ich zitiere den Perlentaucher:

„Rezensent Ulrich Rüdenauer begrüßt nach der Lektüre von „Bei Regen im Saal“ einen neuen Protagonisten im „Genazino-Mikrokosmos“, der, wie seine Vorgänger, ebenfalls trostlos und weltverloren durch die eigene Biografie mäandert, dabei aber doch den Alltagsanforderungen und urbanen Belanglosigkeiten trotzt und still und traumverloren durch Fluchtwelten flanierend, Individualität bewahrt.“

Irgendwo anders hatte ich auch schon gelesen, dass alle Genazinos im Prinzip die gleiche Geschichte erzählen. Das finde ich schön, dann habe ich noch viel zu lesen, denn mir hat Glück sehr gut gefallen. Scheint wie bei Ortheil zu sein, der auch immer das Gleiche schreibt, und ich lese das dann halt gerne, wie ich alle anderen Bücher von ihm auch gerne gelesen habe. Ich habe nur die ganze Zeit gedacht, wie das Buch wohl klänge, wenn eine Frau die Hauptperson gewesen wäre, aber das mag meine derzeitige Konditionierung sein.

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fault

John Green – The Fault in Our Stars

Das war eher nicht so meins. Die Geschichte eines krebskranken Mädchens, das sich in einer Selbsthilfegruppe in einen der Mitpatienten verliebt, war mir zu geradeaus und teilweise zu selbstverliebt in seine eigene Geschichte. (LOOK AT ME I’M SAAAAD!) Dafür standen allerdings zwischendurch ein paar wirklich schön auf Pointe getextete Sätze in der Traurigkeit. Aber die Pluspunkte muss ich wieder abziehen für die meiner Meinung nach extrem doofe Szene im Anne-Frank-Haus. (LOOK AT ME I’M IN LOOOOOVE!)

(Leseprobe bei Amazon.de.)

am

Chimamanda Ngozi Adichie – Americanah

Dafür war das hier wieder ein großer Wurf. Americanah erzählt die Geschichte von Ifemelu, die aus Nigeria in die USA auswandert, wo sie bemerkt, das es dort anders ist, schwarz zu sein, worüber sie ein Blog beginnt. Das ist natürlich nur der Aufhänger, in Wirklichkeit geht’s um Lebensentwürfe und was aus ihnen im Laufe der Zeit wird, Lebenspartner und was aus ihnen im Laufe der Zeit wird und Lebenszeiten und ihr wisst schon, ich lass’ das jetzt.

Adichie ist gebürtige Nigerianerin und dementsprechend zweisprachig aufgewachsen. Ihre erste Sprache ist Igbo, und davon streut sie auch gerne Sätze oder Phrasen in ihre Geschichte, die sie auf Englisch, ihrer zweiten Sprache, geschrieben hat. Ich behaupte, das merkt man ein bisschen, dass Englisch die offizielle Sprache ist und Igbo die, die näher am Herzen ist, falls ich das als non-native-speaker überhaupt beurteilen kann. Auch hier mochte ich wieder den bewussten Umgang mit Worten, die mit wenig viel sagen:

„Curt’s mother had a bloodless elegance, her hair shiny, her complexion well-preserved, her tasteful und expensive clothes made to look tasteful und expensive; she seemed like the kind of wealthy person who did not tip well.“

Ein Großteil des Buchs befasst sich mit dem Zusammenleben von Schwarz und Weiß in den USA und dem Leben in Nigeria, was ich besonders spannend und lesenswert fand:

„When I started in real estate, I considered renovating old houses instead of tearing them down, but it didn’t make sense. Nigerians don’t buy houses because they’re old. A renovated two-hundred-year-old mill granary, you know, the kind of thing Europeans like. It doesn’t work here at all. But of course it makes sense because we are Third Worlders and Third Worlders are forward-looking, we like things to be new, because our best is still ahead, while in the West their best is already past and so they have to make a fetish of that past.“

Aber noch mehr mochte ich die Veränderungen der Hauptfiguren, vor allem natürlich Ifemelu, die sich stets ein bisschen ihrer Umgebung, ihrem Umgang, ihren Lebensgefährten anpasst. Das kam mir alles sehr stimmig vor, diese kleinen Kompromisse, die man im Sinne eines guten Zusammenlebens eingeht, die vielleicht irgendwann zu groß werden, um sie durchhalten zu können.

Definitiv mein Liebling der Leseliste, so kurz sie auch ist.

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