“What is this life if, full of care, we have no time to stand and stare?”

ThinkChristian hat mich mit einer netten Headline geködert: Would you recognize true beauty if you walked past it on the way to work? Im Artikel geht es um einen anderen Artikel aus der Washington Post: Pearls before Breakfast, den ich heute mal jedem geschätzten Leser an sein hoffentlich weiches Herz legen möchte.

Die Post hat ein interessantes Experiment gestartet. Auf ihre Anregung hin hat sich Joshua Bell, einer der weltbesten Violinisten, mit seiner Stradivari in eine Washingtoner U-Bahn-Station gestellt und gespielt – wie alle anderen Straßenmusikanten weltweit auch, die darauf warten, dass ihnen jemand für zehn Sekunden zuhört und ihnen vielleicht sogar einen müden Euro in den Hut wirft.

„Each passerby had a quick choice to make, one familiar to commuters in any urban area where the occasional street performer is part of the cityscape: Do you stop and listen? Do you hurry past with a blend of guilt and irritation, aware of your cupidity but annoyed by the unbidden demand on your time and your wallet? Do you throw in a buck, just to be polite? Does your decision change if he’s really bad? What if he’s really good? Do you have time for beauty? Shouldn’t you? What’s the moral mathematics of the moment?

On that Friday in January, those private questions would be answered in an unusually public way. No one knew it, but the fiddler standing against a bare wall outside the Metro in an indoor arcade at the top of the escalators was one of the finest classical musicians in the world, playing some of the most elegant music ever written on one of the most valuable violins ever made. His performance was arranged by The Washington Post as an experiment in context, perception and priorities – as well as an unblinking assessment of public taste: In a banal setting at an inconvenient time, would beauty transcend?“

Ich will euch die Pointe nicht verraten – und euch außerdem auch nicht um den Genuss des Artikels bringen, den ich persönlich für ein wunderbares Stück Journalismus halte: brillant geschrieben und wunderbar balanciert zwischen Information und fiesem Herzschmerz. Wir erfahren nicht nur, wieviele Menschen stehengeblieben sind, um Bell zuzuhören (oder auch nicht), sondern auch etwas über Kants Definition von Schönheit, über Bilder aus Museen, die vielleicht mal in Kneipen hängen sollten, über Kinder und ihre Eltern und wie sie auf Musik reagieren und über einige Menschen aus Washington.

Ich gebe zu, ich war bei der Lektüre ziemlich bewegt und habe mir sofort vorgenommen, mir jeden Straßenmusiker jetzt ein bisschen genauer anzuschauen. Und auch mal wieder auf Sonnenuntergänge und so’n Zeug zu achten.

Edit: Jürgen Kalwa hat mich auf zwei Radiointerviews mit Joshua Bell aufmerksam gemacht. Ich habe es noch nicht geschafft, sie anzuhören, daher vertraue ich mal seinem Urteil. Das erste Interview ist aus All Things Considered, „eine unserer besten Radiosendungen. (…) Es gibt noch ein anderes Radio-Interview mit ihm. Viel länger, eigentlich eher langweilig (was eindeutig an der Personality der Fragestellerin liegt). Erst am Ende reden sie über die U-Bahn-Geschichte.“