Audi-Fahrhilfen: Maria Kühn, Gerd Schönfelder, Vico Merklein

(Alle Fotos stammen von Jo Magrean und ich veröffentliche sie hier mit hoffentlich freundlicher Genehmigung der AUDI AG. Ehrlich gesagt warte ich seit Wochen auf eine Ansage, weswegen ich das Risiko mal eingehe, sie vielleicht doch wieder von der Seite nehmen zu müssen, aber jetzt ist der Katalog frei und erschienen und jetzt darf ich endlich über ihn schreiben. Dann mach ich das natürlich auch. Die Vorgeschichte zu diesem Katalogtext steht übrigens hier.)

„Ich mache alles mit links.“

Der Alpin-Skifahrer Gerd Schönfelder wurde am 2. September 1970 geboren und lebt in Kulmain/Bayern. Er fährt einen daytonagrauen Audi A6 Avant S line mit dem Multifunktionsdrehknauf.

Jahrelang beherrschte Gerd Schönfelder die Alpinski-Szene der behinderten Athleten, nahm an sechs Paralympics teil und gewann dort 16 Gold- sowie einige Silber- und Bronze-Medaillen. Aber wenn es um Sport geht, bekommt er nie genug: „Ich spiele Tennis, Fußball und Golf, gehe schwimmen, radfahren und Inline-Skaten. Zuhause habe ich ein Quad, und demnächst würde ich gerne Kitesurfen. Kajakfahren steht auch noch auf dem Plan; es gibt Boote, die man mit den Füßen antreibt.“ Warum das wichtig ist: Schönfelder verlor bei einem Unfall vor über 20 Jahren seinen rechten Arm samt Schulter sowie einige Finger der linken Hand. Das hindert ihn aber nicht daran, diverse Sportarten auszuüben: „Der Körper ist sehr flexibel. Und notfalls nutzt man eben Hilfsmittel. Golf spiele ich mit einer Manschette, die ich am Handgelenk befestige. Ohne die würde ich bei jedem Schwung den Schläger weiterschlagen als den Ball“, lacht Schönfelder.

Seine positive Grundhaltung ist bei allem spürbar. Er bewegt sich lässig und entspannt, lacht viel, albert beim Fotoshooting gut gelaunt vor der Kamera herum. Sein Optimismus half ihm auch nach dem Unfall, der alles veränderte. „Zunächst war es natürlich schlimm – aber ich kann gut verdrängen. Ich sagte mir, alles zu seiner Zeit, ein Schritt nach dem anderen. So habe ich mir alles zurückerkämpft: essen, sich alleine anziehen, den Alltag eben. Ich bin relativ erfinderisch – ich überlege mir, wie etwas werden muss, und dann versuche ich, es umzusetzen.“

Das ist ihm sehr erfolgreich gelungen. Schon ein halbes Jahr nach dem Unfall stand er wieder auf Skiern, die ihn seit Kindertagen begleiten. „1990 waren das Material und die Technik anders als heute; es gab noch keine Carving-Ski, nur die normalen langen Latten. Es wurde viel aus dem Oberkörper heraus gefahren, weniger mit Stockhilfe. Das kam mir zugute. Und: Man stellt sich relativ schnell auf das Handicap ein. Ich war Rechtshänder und schreibe jetzt halt mit links – was bleibt mir übrig? Ich mach‘ jetzt alles mit links.“

„Behindert ist man nur, wenn man sich behindern lässt.“

Der Weg zurück in die Öffentlichkeit fiel zunächst schwer. Anfangs trug Schönfelder eine Prothese, um, wie er sagt, nicht aufzufallen. „Aber mich hat das Ding gestört, das war ein Fremdkörper ohne Funktion. Deswegen habe ich sie ziemlich schnell wieder abgelegt.“ Schönfelder weiter: „Ich fühle mich nicht behindert. Behindert ist man nur, wenn man sich in seinem Tun einschränken lässt. Wenn du alles machst, was du machen willst, bist du nicht behindert. Und ich mache alles.“ Er überlegt kurz und grinst dann: „Okay, Klavierspielen wär‘ schwierig.“

Schönfelder beendete seine aktive Laufbahn Anfang 2012 und arbeitet nun unter anderem als Honorartrainer für die Behinderten-Ski-Nationalmannschaft. Zusätzlich ist er in seinem bayerischen Heimatdorf Kulmain als Jugendbeauftragter tätig und sitzt im Kreistag von Tirschenreuth. Eines seiner Anliegen ist die Behindertenförderung. „Es ist mir sehr wichtig, Menschen den Sport näherzubringen. Gerade für Behinderte ist es wichtig, den Körper fitzuhalten, weil man so das Handicap besser kompensieren kann. Wenn du nicht mal alleine ins Auto kommst, zum Beispiel aus einem Rollstuhl heraus, ist das schon ein großer Verlust an Lebensqualität und Freiheit.“

Sein Auto ist ein daytonagrauer Audi A6 Avant S line mit quattro-Antrieb. Als Wintersportler ist er sehr oft auf Schnee und in den Bergen unterwegs – „da brauche ich ein zuverlässiges Auto, auf das ich keine Ketten ziehen muss. 2011 beim Training hat es in Innsbruck geschneit ohne Ende. Ein Kombi mit Anhänger, auf den ein Quad geladen war, blieb liegen und blockierte die Straße. Ich habe den Fahrer gefragt, ob ich helfen kann und dann das Auto samt Anhänger zehn Kilometer den Berg raufgeschleppt. Er meinte, er sei den Berg noch nie so schnell raufgekommen.“

„Ich glaube nicht, dass mein Leben besser wäre, wenn der Unfall nicht passiert wäre.“

Auch mit den Audi Fahrhilfen ist Schönfelder sehr zufrieden – selbst wenn er sie nicht mehr so oft einsetzen muss. „Mein erstes Auto musste ich umbauen lassen, habe alles auf die linke Seite gebracht und das Licht mit dem Fuß bedient. Das ist heute nicht mehr nötig; mir kommt die technische Weiterentwicklung sehr entgegen. Mein A6 Avant verfügt über ein Automatikgetriebe und adaptive light mit gleitender Leuchtweitenregulierung – eigentlich macht das Auto alles für mich.“

Auch wenn Schönfelder im sportlichen Ruhestand ist, hat er noch genug zu tun. Neben seiner Tätigkeit als Trainer und Politiker hält er Vorträge, arbeitet als Motivationscoach und ist als Markenbotschafter für Audi unterwegs. Trotzdem bleibt endlich mehr Zeit für die Familie: „Meine Frau hat die letzten Jahre für mich zurückgesteckt, das mache ich jetzt wieder gut. Und ich freue mich darauf, auch bald mit meinen beiden Kindern Sport zu treiben.“

Sport ist für Schönfelder, wie er sagt, lebenswichtig. „Nicht nur für mich, sondern auch für die Inklusion – also die uneingeschränkte Teilnahme von Behinderten an der Gesellschaft. Gerade durch den Behindertensport ist die Wahrnehmung der nicht-behinderten Bevölkerung anders geworden. Die Leute wissen mittlerweile, was wir für Leistungen bringen. Wie Oscar Pistorius, der Weltrekordläufer. Das macht schon einen Rieseneindruck, wenn du mit Prothesen schneller bist als mit Beinen.“ Es kann allerdings auch zu ungewöhnlichen Begegnungen führen. Nach einem Wettkampf saß Schönfelder mit seinen Mannschaftskollegen am Flughafen Hamburg – „da waren zwei Rollis, zwei Unterschenkelamputierte mit ihren Krücken und ich … und da fragte eine Frau mich ganz leise, welchen Sport wir machen, dass wir so viele Verletzte haben.“

Schönfelder lacht herzhaft und wird dann still. Er sinniert: „Wenn mich jemand fragen würde, ob ich zwei Arme haben möchte, würde ich natürlich ja sagen. Aber ich glaube nicht, dass mein Leben besser wäre, wenn der Unfall nicht passiert wäre. Was ich erlebt habe, ist schon Wahnsinn.“

„Jetzt erst recht.“

Die Rollstuhl-Basketballerin Maria Kühn wurde am 14. Februar 1982 geboren und lebt in Stuttgart/Baden-Württemberg. Sie fährt einen gletscherweißen Audi A1 Sportback S line mit dem Handbediengerät classic für Bremse und Gas, dem Lenkraddrehknauf und der Pedalabdeckung.

„Eigentlich habe ich Ballsportarten gehasst!“

Ingolstadt, die Neuwagenabholung bei Audi. Maria Kühn, 30, steigt gerade von ihrem Rollstuhl das erste Mal in ihren neuen Audi A1 Sportback um. Wo ihr Lächeln schon vorher jeden Umstehenden bezaubert hat, gibt es jetzt kein Halten mehr: Sie klatscht lachend in die Hände, quietscht vergnügt vor sich hin und stellt erst einmal Fahrersitz und Spiegel mit geübten Handgriffen ein. Vor dem A1 war ein Audi A4 Avant ihr zweiter fahrbarer Untersatz: „Ich dachte, ich bräuchte wegen des Rollstuhls so viel Platz. Aber es passt auch alles bequem in den A1.“ Sie klappt den Monitor des MMI (Multi Media Interface) hoch, fährt mit den Händen liebevoll über Dekoreinlagen und das Lenkrad. Ihr neues Nummernschild begeistert sie ebenfalls, denn es trägt ihre Initialien – „das musste sein.“ Auch in anderen Lebensbereichen achtet sie auf Optik: Ihr türkisfarbenes Shirt lässt ihre blauen Augen noch mehr strahlen, und an ihrem Rollstuhl klebt ein kleines Glückskleeblatt.

Der Reitunfall, der sie zur Rollstuhlfahrerin machte, passierte, als Kühn 20 Jahre alt war. Nach dem Sportabitur arbeitete sie ein Jahr als Au-pair und gönnte sich im Anschluss daran noch einen Monat Urlaub an der Westküste der USA. Bei einem Ausritt im Monument Valley wurde ihr Pferd unruhig und stürmte los. Kühn wurde abgeworfen und ist seitdem ab dem 5. Brustwirbel abwärts gelähmt. Selbst als sie diese Geschichte erzählt, muss sie lachen: „Ich hatte vorher nie etwas! Keinen Kratzer, keine blauen Flecken – und dann das.“ Sportlich war sie immer, aber: „Eigentlich habe ich Ballsportarten gehasst! Für mein Abitur musste ich Volleyball spielen und fand es fürchterlich.“ Ironie der Geschichte: Heute ist Maria Kühn Mitglied der erfolgreichen Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft der Frauen. Mit ihren Kolleginnen wurde sie 2011 zum wiederholten Male Europameisterin. Zudem gewannen sie bei den Paralympics in London 2012 die Goldmedaille.

Rollstuhlbasketball – das geht ganz schön zur Sache.

Dreimal die Woche fährt sie von ihrem Wohnort Stuttgart nach Frankfurt, wo sie bei den Mainhattan Skywheelers spielt. Davor hat sie bereits den ganzen Tag gearbeitet – seit Oktober 2011 ist Kühn bei der Stuttgarter Prüf- und Sachverständigenorganisation GTÜ in der Personalabteilung tätig. „Mein Arbeitgeber kommt mir sehr entgegen: Wenn ich wegen der Nationalmannschaft reise oder länger trainieren muss, treffen wir kurzfristige Abmachungen. Aber ich muss schon sehr oft früher kommen oder länger arbeiten, um meine 40 Stunden zu erfüllen und gleichzeitig mein Trainingspensum zu halten.“

Im Training baut Kühn zunächst Ausdauer auf. „Das heißt, ich fahre ein paar Runden, stoppe die Zeit und versuche, sie auf den nächsten Runden zu unterbieten. Außerdem mache ich natürlich Wurftraining und arbeite an meiner Kraft und Fitness. Und die Chair Skills kommen auch nicht zu kurz.“ Der Basketballrollstuhl verlangt eine etwas andere Bedienung. Er wiegt mehr als der zehn Kilo leichte Alltagsrollstuhl, seine Räder sind angeschrägt und er verfügt über einen Rammschutz. „In der Bundesliga spielen wir mit Männern zusammen im Verein – das geht ganz schön zur Sache. Deswegen sind wir beim Spiel sogar angeschnallt.“

Wie ist sie überhaupt zum Basketball gekommen, wenn sie Ballsportarten doch nicht mag? Kühn lacht wieder: „Eigentlich wollte ich überhaupt nicht in eine Behindertensportgruppe. Ich habe gedacht, die bemitleiden sich da bloß alle gegenseitig. Ist natürlich Quatsch. Meine erste Idee war Rollstuhltanz. Das ging aber gar nicht – da tanzt ein Fußgänger um dich herum, während du dich ab und zu mal drehen darfst. Das war so albern! Aber in Ludwigsburg, wo ich das Tanzen ausprobierte, gab es auch Basketball. Da ging ich einfach mal vorbei – und bin begeistert geblieben.“

Als Hobbys gibt Kühn reisen, shoppen und ihre Familie an – auch wenn die inzwischen meist zu ihren Spielen kommen muss, um sie zwischen Arbeit und Leistungssport überhaupt noch zu sehen. Auch Kühns Lebensgefährte spielt bei den Skywheelers. „Er fährt einen Audi RS 3. Einmal habe ich den Wagen heimlich gefahren, das gab fast einen Beziehungskrach.“ Deswegen wird er wohl auch nicht ans Steuer ihres A1 S line dürfen. „Ich freue mich so sehr über dieses Auto. Mit den Fahrhilfen zu steuern, ist anders als die gewohnte Art, Auto zu fahren, aber eigentlich sogar leichter. Man hat eine einzige Fahrstunde. In der wird aber eher darauf geachtet, ob du die nötige Kraft hast. Einige Rollstuhlfahrer können ihren Trizeps nicht richtig einsetzen, aber dieses Problem habe ich glücklicherweise nicht. Es ist ein bisschen wie Motorradfahren – man macht eben alles mit der Hand.“

Wenn sie nicht selbst aktiv ist, schaut Kühn sich auch gerne Sport im Fernsehen an: Fußball oder Formel 1, wobei da Sebastian Vettel ihr Favorit ist. Treibt sie denn auch Sport in ihrer wenigen Freizeit? „Ja, ich fahre gerne Rad oder gehe schwimmen. Was ich auch unbedingt noch machen will, ist Fallschirmspringen oder Bungeejumping“. Sie überlegt kurz und meint dann lächelnd: „Meine Risikofreude hat nach dem Unfall eigentlich sogar noch zugenommen: Ich will mir selbst beweisen, was alles geht. Ich wäre auch ohne Rollstuhl auf die Idee gekommen, Fallschirmspringen zu wollen. Aber jetzt will ich es erst recht.“

„Steck‘ niemanden in eine Schublade.“

Der Handbiker Vico Merklein wurde am 12. August 1978 geboren und lebt in Babenhausen/Hessen. Er fährt einen Audi A6 Avant in Eissilber metallic mit dem Handbediengerät classic für Bremse und Gas sowie dem Lenkraddrehknauf.

Vico Merklein bringt seine Freundin Nancy mit zum Fotoshooting, die sich auch nach einem Jahr Beziehung immer noch über die ersten Reaktionen ihrer Familie amüsiert, als sie einen Rollstuhlfahrer als ihren Lebensgefährten präsentierte. „Sie haben sich krampfhaft Formulierungen wie ,Wo geht ihr denn noch hin?‘ oder ,Wie läuft‘s denn?‘ verkniffen bzw. mitten im Satz umformuliert in ,Was macht ihr denn noch?‘ Aber das hat sich inzwischen gelegt.“

Auch Merklein, als Handbiker Marathonsieger in Hamburg 2012 und Berlin 2011 und Silbermedaillengewinner in London 2012, hat früher Menschen in Fußgänger und Rollstuhlfahrer unterteilt. Heute denkt er nicht mehr darüber nach. Aber das hat eine lange Zeit gedauert.

Merklein war knapp 20, ein Draufgänger – „ich war auch mal jung und wild“ – und fuhr Motorrad. Bis ihn ein Unfall zum Rollstuhlfahrer machte. „Die erste Zeit habe ich versucht, das zu ignorieren. Es hat vier Jahre gedauert, bis ich das verarbeitet hatte. Davor habe ich sehr gehadert: Mir geht‘s so schlecht, und nur mir geht‘s so schlecht. Ich hörte nicht mehr auf meinen Körper, war verzweifelt, dass er nicht mehr das konnte, was ich von ihm gewohnt war. Ich verlor jeden Rhythmus, war morgens um 3 wach und nachmittags um 5 müde – von nichts.“ Bis ihm eines Tages ein Mann im Rollstuhl mit einem sogenannten Vorschnallbike begegnet. Merklein ist sofort begeistert, kauft sich für 1.300 D-Mark ein solches Fahrrad, das man mit der Hand bedient anstatt mit den Beinen und beginnt seine erste Ausfahrt. Ganze fünf Kilometer schafft er, bevor er ausgepowert wieder nach Hause kommt – und sofort ins Bett fällt.

20.000 Kilometer mit der Hand.

Heute, mit 32, fährt er bis zu 20.000 Kilometer im Jahr, jeden Tag, auf der Straße, dem mechanischen Trainingsbike zuhause, in der Höhenkammer, die 2.000 Meter über Null simuliert, ein Rennen nach dem anderen, bis die Saison vorbei ist – und die nächste wartet. 30 bis 35 Stunden pro Woche liegt Merklein in seinem Handbike. „Anders kommst du nicht auf das Level, das heute nötig ist. Ich fahre schließlich nicht zu den Rennen, um Zweiter zu werden.“

Denn obwohl Merklein zu den Ausnahmeathleten seiner Disziplin gehört – die Konkurrenz schläft nicht. „Früher musste man einmal im Jahr, zu Saisonbeginn, ein paar Wochen Grundlage fahren. Das heißt, Ausdauer trainieren, einfach Kilometer runterreißen. Heute mache ich das vier- bis fünfmal im Jahr. Wenn ich dann trotzdem noch ein Rennen verliere, kann ich mir wenigstens nicht vorwerfen, nicht genug getan zu haben. Dann kann ich auch locker dem Sieger gratulieren – der hat noch mehr geackert, und ich habe es ihm ordentlich schwer gemacht.“

Der durchtrainierte Sportler sprüht vor Ehrgeiz. Gleichzeitig schafft er sich Ruhezonen, selbst mitten im Training. „In Lanzarote gibt es einen Berg, da fahre ich jedes Mal rauf. Von Playa Blanca und zurück sind es ungefähr 120 Kilometer, die ich zurücklegen muss. Wenn ich kurbele, höre ich nur dem Wind zu, ich habe keine Musik dabei. Und dann bin ich oben auf dem Berg und gucke 800 Meter weit runter: Da ist das Meer, und bei gutem Wetter kann man bis Playa Blanca sehen. Das ist so surreal. Ich könnte da stundenlang stehen und gucken.“

Bei den Rennen fährt Merklein ein maßangefertigtes Handbike, das gerade einmal 13,8 Kilogramm auf die Waage bringt. Das Sportgerät aus Aluminium und Carbon liegt acht Zentimeter über der Straße, und Merklein treibt es auf bis zu 80, 90 Stundenkilometer, wenn er bergab fährt. Das erste professionelle Rad kaufte ihm seine Oma für 3.700 Euro; sein jetziges Gefährt kostet um die 12.000 Euro. „Und alle zwei Jahre braucht man ein neues.“

„Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal etwas vermisst habe.“

Wenn er nicht im Fahrrad liegt, nutzt er einen Audi A6 Avant. „Einfacher geht‘s gar nicht. Ich fahre einen A6 mit Automatikgetriebe, das heißt, ich muss mit dem Handbediengerät nur Gas geben und bremsen. Und mit dem zusätzlichen Knopf am Lenkrad kann ich ganz ohne Kraft steuern. Der Audi liegt so ruhig auf der Straße, da merkt man gar nicht, wie schnell man ist. Aber ein Raser bin ich nicht. Ich fahre zügig, aber nicht rasant.“ Er lächelt verschmitzt: „Die Zeiten sind vorbei.“

Kann man sagen, dass der Sport ihn verändert hat? Merklein antwortet in seinem charmanten Mix aus Berlinerisch und Hessisch: „Absolut. Der Sport hat mein Leben um 180 Grad gedreht. Auch weil ich meinen Körper wieder benutze und ihn nicht mehr ignoriere. Ich lebe im Hier und Jetzt – ich kann mich wirklich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal dachte, dass ich etwas vermisse.“ Dadurch hat sich auch die Blockade gelöst, die er jahrelang nach dem Unfall geistig empfand. Hilfe anzunehmen, fiel ihm schwer, er fühlte sich von allen beobachtet. „Das ist heute anders. Wenn ich Hilfe brauche, dann frage ich danach. Macht man als Fußgänger ja auch.“

Diese Hilfestellung gibt Merklein weiter. Manchmal lässt er lokale Favoriten in seinem Windschatten fahren – „ist ja seine Strecke, dann soll er auch gewinnen“ –, mal engagiert er sich für andere Behinderte. So erklärte er bei einem Aktionstag Kindern im Rollstuhl, wie ein Vorschnallbike funktioniert und wie sie damit sogar schneller sein können als ihre nichtbehinderten Freunde auf Inline-Skates. Einige der Kinder, die begeistert mit ihm um die Wette fuhren, hatten Lernschwierigkeiten. „Da dachte ich schon, na, ob das klappt, ihnen was zu erklären … aber genau die waren dann die Besten. Ich habe früher anderen vorgeworfen, mich abgestempelt zu haben – und jetzt erwische ich mich manchmal selbst dabei. Dann muss ich mir selber sagen, was ich auch von anderen erwarte: Steck niemanden in eine Schublade. Auch dich selbst nicht. Ich setze mir immer wieder neue Ziele, von denen ich nicht weiß, ob ich sie überhaupt erreichen kann. Aber wenn ich es nicht versuche, werde ich es nie wissen.“