Warum ich meine eBooks durchaus auf ein Kaltgetränk einlade, sie aber nicht heiraten möchte

Seit ich das iPad habe, habe ich darauf meist gelesen. Magazine wie den Spiegel oder das Times Magazine, lustiges Zeug wie Flipboard, ein paar Gratiscomics von Marvel oder DC. Drei Bücher habe ich im eBookstore von Apple erstanden (mehr haben mich bei der lausigen Auswahl nicht interessiert, aber ich glaube, das wird gerade besser – die Auswahl an englischsprachigem Kram ist jedenfalls größer als noch vor ein paar Wochen) und weitere vier über die Kindle-App bei amazon.com, von denen ich eins noch lesen will. Oder besser: muss. Oder noch besser: Ich kauf’s mir nochmal auf Papier.

Als die ersten eBooks aufkamen, war ich bei der Fraktion, die den Untergang des Abendlandes beklagten, den Geruch von frischen, hübsch bedruckten Seiten vermissten (ohne jemals ein eBook gelesen zu haben), und überhaupt könne das ja gar keinen Spaß machen, ein Buch am Rechner zu lesen.

Am Rechner machen mir lange Texte auch immer noch keinen Spaß; ich muss mich meistens zwingen, die langen zehnseitigen Einträge zum Beispiel im NYT Magazine wirklich bis zum Schluss zu lesen. Beim iPad ist das aber anders. Ich kann damit bequem im Bett rumlungern (mein liebster Ort zum Lesen), man kann das Ding gut halten, und der Bildschirm ist wirklich toll. Ich wollte es ja selbst kaum glauben, aber ich habe damit sechs nicht gerade kurze Bücher entspannt durchgelesen. Nebenbei ohne den Geruch von Seiten zu vermissen oder das Gefühl, eine Seite umzublättern anstatt eine Wischbewegung am Screen zu machen.

Wovor ich Angst hatte – und die Angst hat sich leider nicht legen können: mich im Buch zu verlieren. Keine Orientierung darüber zu haben, wo ich mich befinde, wieviel schon hinter mir liegt, wieviel ich noch vor mir habe. Ich kann nicht mal sagen, warum das für mich wichtig ist, aber ich möchte das gerne wissen. Oder spüren, am einfachsten daran, wie sich das Seitenverhältnis in meinen Händen ändert, von den wenigen Seiten in der linken und dem dicken Stapel in der rechten Hand zum genau umgekehrten Verhältnis.

Bei den iBookstore-Büchern hat das immerhin halbwegs funktioniert, weil sie Seitenzahlen haben; bei den Kindlebüchern war es völliger Müll, weil der Kindle nur in Prozent und seltsamen vierstelligen Zahlen anzeigt, wo man sich im Buch befindet (sind das Längen- und Breitengrade? What the …?). Das habe ich vor allem bei Eating Animals gemerkt, wo die Prozentzahl beharrlich irgendwo bei 50 bis 60% war, und ich mich allmählich gefragt habe, worüber der Mann noch alles schreiben will – bis bei 60% der Anhang anfing. Die Fußnoten, die, weiß ich nicht, in der Printausgabe vielleicht kleiner gedruckt sind und deshalb weniger Platz fordern, nehmen in der Kindle-Ausgabe 40 dicke Prozent des Buchs ein. Was mich zur nächsten Nerverei führt: Ich wusste nicht mal, dass das Buch Fußnoten hat, weil die im Text nicht angezeigt wurden und ich ein eBook vor dem Lesen nicht mal kurz durchblättern kann, um zu erfahren, ob nach dem eigentlichen Text vielleicht noch was Tolles kommt. Jetzt weiß ich immerhin: Erstmal auf „Notes“ oder „Anhang“ klicken, bevor ich mit dem Lesen anfange.

Im Nachhinein hatte ich bei Eating Animals keine Lust, die Fußnoten zu lesen, obwohl sie – hier ein Punkt für die eBooks – mit einem direkten Link in den Text versehen waren. Ein noch größerer Punkt wäre es natürlich, wenn der Text Links hätte, die direkt zu den Fußnoten führten und nicht umgekehrt. Immerhin: Wenn eine Fußnote einen Link beinhaltete, war auch der zu öffnen und führte direkt in die Tiefen des Webs, kein anstrengendes Copypaste nötig. Aber wie gesagt, ich hatte keine Lust, das Buch quasi nochmal zu lesen, nur um die Fußnoten nachvollziehen zu können.

Eben schon erwähnt: Ich kann nicht im Buch blättern. Muss man selten, weiß ich, aber – wenn ich am Monatsende meine Bücherliste schreibe, zitiere ich gerne mal aus dem Buch, über das ich schreibe. Oder lese noch mal quer, wenn ich inhaltlich nicht mehr alles so haargenau weiß. Geht bei eBooks leider nicht. Das Zitieren wird zwar dadurch vereinfacht, dass man im Text Zeilen markieren kann und die dann gesammelt in einer Liste auftauchen und man sie sich notfalls auch prima per Mail schicken kann anstatt seitenlang abtippen zu müssen. (Das hätte ich gerne bei Auf der Suche nach der verlorenen Zeit gehabt.)

Aber wenn man ein Sachbuch liest wie Eating Animals oder (das habe ich euch noch nicht vorgestellt) 97 Orchard, wo es um die Essgewohnheiten von fünf Einwandererfamilien in den USA der Jahrhundertwende geht und wo man so ziemlich auf jeder Seite etwas markieren kann, weil es zitierenswert ist, hat man zum Schluss 150 Items in der Liste und muss die theoretisch alle anklicken und durchlesen. Anstatt in einem schönen Papierbuch eben mal querzulesen. 97 Orchard hatte übrigens auch Fußnoten: Hier tauchten im Text immerhin die Nummern auf, die auf eine Fußnote hinwiesen, aber sie waren ohne Link, so dass man immer auf den Menüpunkt „Go to“ klicken musste, dann auf „Content“, dann auf „Notes“, und dann durfte man manuell rumblättern, bis man bei der Seite war, auf der die Fußnote stand. Toll. Nicht.

Der letzte Punkt, der mich dazu bewogen hat, den eBooks größtenteils erstmal wieder „Auf Wiedersehen“ zu sagen, ist ein recht persönlicher: Mir hat nach dem Lesen des Buchs ganz simpel das Zuklappen gefehlt. Das nochmal Angucken, das kurz innerlich Würdigen, und dann der Gang zum Regal, um es einzusortieren. Das mag blöd klingen, aber ich kann von eBooks nicht Abschied nehmen, wie ich es von Papierbüchern kann. Mir fehlt ein gefühlter Abschluss, um mit leerem Kopf das nächste Buch zu beginnen. Was auch dadurch erschwert wird, dass eBooks alle gleich aussehen, zumindest auf dem Kindle, der eine extrem mickrige Auswahl an Schrifttypen hat, mit denen man sich das Buch anzeigen lassen kann.

Natürlich haben eBooks Vorteile, die ich genossen habe: Sie sind sofort bei einem. Man muss nicht mehr auf Amazon warten, dass sie das Buch losschicken, man muss nicht mehr auf den Postboten waren, bis er sich die zwei Stockwerke hochbequemt, wahlweise: Man muss nicht mehr zur Packstation rennen. Stattdessen klickt man auf „Ja, kaufen, her damit“, und keine Minute später ist das Ding da. Zum fast gleichen Preis wie ein gedrucktes Buch übrigens. Auch toll. Nicht.

Und noch ein Vorteil: Man muss nicht mehr drei Bücher mit sich rumtragen, sondern nur ein Lesegerät. Und Vielleser_innen wissen, dass man gerade unterwegs immer mehrere Bücher dabeihaben muss, denn man weiß ja nie, wofür man in der Stimmung ist. Für eine zweistündige Zugfahrt brauche ich mindestens zwei Bücher und ein Magazin, für eine fünftägige Buchung in einer anderen Stadt minimum drei Bücher, auch wenn ich nicht zum Lesen kommen werde. Egal. Ich muss sie im Koffer haben. Dafür ist das iPad natürlich großartig: alles dabei, Bücher, Magazine, das gesamte Internet, meine Mails, Twitter und ein paar Spiele, falls der Flieger Verspätung hat.

Ach ja, Flugzeug: „Bitte schalten Sie nun alle elektronischen Geräte ab“. 15 Minuten vor der Landung habe ich das verdammte Bordmagazin lesen müssen, weil mein iPad schlafengelegt wurde. Was eine noch größere Strafe für Buchliebhaber_innen ist: Nicht lesen zu dürfen, obwohl man was dabei hat, ist schlimmer als nichts dabeizuhaben, weil man dann eben mal nicht lesen kann, basta. (Obwohl man als bibliophiler Mensch ja eh immer was dabei hat, deswegen tritt dieser Fall eigentlich gar nicht ein.) Was ich sagen will: eBooks sind im Flugzeug komplett doof. Und leider bei Sonnenlicht auch: Das entspannte Lesen zum Beispiel an der Bushaltestelle kann man bei Sonnenschein ziemlich vergessen; selbst bei voll aufgedrehter Helligkeit waren die „Buchseiten“ nur sehr schwer zu entziffern.

Mein iPad wird weiterhin in der Wohnung rumgetragen, und ich werde weiter damit den Spiegel lesen, aber wenn es um Bücher geht, kehre ich wahrscheinlich wieder zu meinen Lieblingen aus Papier zurück. Und in den Schoß der Fraktion der altmodischen Leser_innen. Und zu den Menschen, die am Bahnsteig einen viel zu dicken Rucksack tragen, aus dem ein paar Paperbacks lugen.