Tagebuch letzte Woche und Sonntag, 23. August 2020 – Bauernskat und Fußnoten

Schwester, Schwager, F. und ich hatten uns fürs Mütterlein eine kleine Überraschung überlegt, von der ich im Nachhinein nicht mehr weiß, ob sie eine gute Idee gewesen ist. Ich wusste von zwei Terminen, die sie letzte Woche hatte, für die sie außer Haus sein wollte, weswegen ich eben in dieser Woche in den Norden fuhr. Es stellte sich heraus, dass sie an vier Tagen unterwegs war, zudem war es gerade Donnerstag und Freitag fürchterlich heiß und dazu noch sehr schwül, so dass wir alle ein bisschen matter und gereizter waren als gewöhnlich und am Freitag dann auch alle ein bisschen erschöpft von der ganzen Woche.

Ausgerechnet für diesen Tag hatten wir vier uns ein winziges kleines Familienfest überlegt. Vaddern ist jetzt seit einem Jahr wieder zuhause, und eigentlich wollte das emsige Mütterlein das mit einem Sommerfest feiern, zu dem auch Verwandte und Nachbarn eingeladen werden sollten. Dank Corona mussten wir ihr das gar nicht erst ausreden, das hatte sich von alleine erledigt. Trotzdem dachten wir, dass es sie freuen würde, wenn wenigstens die engste Familie da sei und mit ihr ein Sektchen köpfen würde.

Das sollte eigentlich eine Überraschung bis Donnerstag nachmittag bleiben, wenn ich mir das Auto ausgeborgt hätte, um F. vom Bahnhof abzuholen, aber das darf ich ja versicherungstechnisch (noch) nicht fahren. Außerdem wollte das Mütterlein gerne den Speiseplan für die ganze Woche planen, und nach zwei Tagen Rumlavieren musste ich ihr dann doch sagen, dass sie sich um Freitag bitte keinen Kopf machen müsse, da kämen zwei Leute mit Grill, mobilem Gartenpavillon und einem Arm voller Bratwürste vorbei. Sie schien sich über den Gedanken zu freuen, aber der Tag selbst wurde dann doch ein bisschen unentspannt, leider.

Zwischen 15 und 19 Uhr sitzt Papa im Rollstuhl, in den ihn die Pflegekräfte setzen, die dann abends wieder vorbeikommen und ihn ins Bett bringen. Mit Hilfe des Lifters vor der Tür kriegen wir ihn also immerhin in den Garten, wenn auch nicht auf die Terrasse, aber der Schwager baute eben auf dem Rasen einen Pavillon auf, damit wir nicht so fies in der Sonne sitzen mussten, und brachte auch ein Gestell mit, das sie für ihn zu Silvester gebaut hatten: zwei Böcke, auf die eine Tischplatte passt, die höher ist als normale Tischplatten, denn durch die Armlehnen kommt er mit dem Rollstuhl nicht unter eben diese. Er sitzt sonst immer seitwärts beim Essen am Tisch, denn mit dem mobilen Tisch, den man theoretisch auf die Armlehnen anbringen kann, kommt er überhaupt nicht klar, das haben wir recht schnell aufgegeben. Zunächst hatten wir vermutet, dass es ihn irritiert, dass die Platte vor ihm transparent ist, aber auch eine kleine Decke darauf hat nicht geholfen. Er hat seinen Teller einfach immer davon heruntergenommen und ihn seitlich von sich auf den Küchentisch gestellt, an dem er seit 40 Jahren sitzt und isst. Daher haben wir das beibehalten.

Nun schoben wir ihn gegen 17 Uhr durch den Garten (neu verlegter fester Weg statt rollstuhlunfreundlichem Trampelpfad) auf den Rasen und gruppierten uns um seinen Tisch. Ich war wie immer auf Wespenwatch, aber auch Mama übernahm das Aufpassen und kam so ebenso wenig wie ich zum entspannten frühen Abendessen. (Scheißviecher.) Auch das gemütliche Beisammensein danach verlief nicht so, wie ich mir das gedacht hatte, nämlich alle gemeinsam (mit Maske) in Papas Zimmer, so wie immerhin F. und ich dort Weihnachten verbracht hatten, als Schwester und Schwager erkältet im Bett lagen. Stattdessen hatte Papa einen normalen Abend mit Fernsehen im Bett, das Mütterlein räumte irgendwas auf, und der Rest saß noch draußen. Ich pendelte zwischen allem hin und her, wollte wenigstens kurz mal ein Glas trinken, konnte mich aber auch nicht entspannen, und irgendwie war das alles halbgar. Sehr schade. Wir merken uns: keine Überraschungen mehr, immer alles absprechen. Hätten wir auch von selbst drauf kommen können bei einem so durchgetakteten Tag, wie ihn Papa nun einmal hat und an dem sich Mamas Arbeitslast (sehr viel waschen, kochen, tausend Telefonate mit Krankenkassen führen) bzw. in dieser Woche meine orientiert.

Die Woche war für mich okay, nicht ganz so entspannt wie der letzte Besuch, auch wegen der verdammten Hitze, aber immer noch weniger stressig als alle im letzten Jahr bzw. bis Februar oder wann immer ich das letzte Mal vor Corona da war. Ich habe mir inzwischen eine lange Liste angelegt: wann aufstehen, was zum Frühstück, welche Medikamente wann, wie geht die Geschirrspülmaschine, wo steht das Waschmittel. Das hilft, und ich muss nicht alle 20 Minuten was fragen.

Was schön war: Nach einem Jahr konnte ich Papa zu immerhin einer Partie Bauernskat überreden. Er hat jahrzehntelang Skat gespielt, meine Schwester und ich haben das von ihm gelernt und in den Ferien immer mit ihm und Opa gespielt, Schwester und er sind auch jahrelang regelmäßig zum Preisskat im Nachbardorf gefahren. Seit dem Schlaganfall interessiert ihn aber gar nichts mehr, es macht ihm scheinbar auch nichts aus, einfach so stundenlang in die Gegend zu gucken. Wir versuchen trotzdem, ihn zu irgendwas zu animieren, er hat zum Beispiel Duplo-Steine am Bett oder Bilderbücher zum Blättern (er liest nicht mehr, er kann es aber noch, wie ich an Einkaufsprospekten merke). Und jeden Nachmittag, wenn wir nach dem Kaffeetrinken noch am Küchentisch sitzen, versuche ich ihn zum Kartenspielen zu kriegen. Meist hat er keine Lust, und wenn er mal Lust hat, reicht es für einen Stich und dann mag er nicht mehr. Dieses Mal nicht: Er wusste noch, was gemeint war, als ich sagte: „Und was ist Trumpf?“, er kann die Karten noch korrekt identifizieren, aber er wusste nicht mehr, wie man spielt. Also habe ich souffliert: „Hier, die Karte, was ist da? Herz-Dame, genau. Ich habe eine … genau, Herz 9. Wenn du die Karte ausspielst, muss ich dir meine 9 geben. Heb die Karte mal hoch … leg sie hier in die Mitte … so dass man das Bild erkennt …“ – „Da ist kein Bild.“ – „Hast recht. So dass nicht die blaue Rückseite oben liegt … genau … jetzt muss ich bedienen, ich geb dir zu deiner Herz-Dame meine 9. Das ist jetzt dein Stich. Den kannst du jetzt nehmen … nimm mal beide Karten … und leg sie auf deine anderen Stiche … ja, da hin. Du bist weiter dran. Ich hab hier eine … genau, Kreuz 8.“ Und so weiter. Wir bekamen alle Karten leergespielt und dann zählten wir zusammen. Rechnen kann er auch noch. „Der König hier zählt 4, die … genau, Dame, zählt 3, 4 plus 3 ist …? Genau, 7. 7 plus 10 ist …?“ Das war die erste Partie Skat, wenn auch nur Bauernskat, die er seit Mai 2019 gespielt hat, und das hat mich gefreut.

Am nächsten Tag wollte ich das wiederholen, aber ich stellte irritiert fest, dass eine Karte fehlte, die Kreuz-Dame. Als ich ein neues Blatt holen wollte, hatte er schon wieder keine Lust mehr. Ich suchte die Küche nach der Karte ab, fand sie aber nicht. Dafür am nächsten Morgen. Schon nach dem gelungenen Spiel hatte ich zwei Karten auf dem Küchenfußboden gefunden, mir nichts dabei gedacht und sie weggeräumt. Nun lernte ich, dass Papa anscheinend drei Karten runtergefallen waren, was ich nicht gemerkt hatte. Eine davon hatte die Pflegerin abends im Rollstuhl oder in seinen Klamotten gefunden und sie auf den Schrank hinter seinem Bett gelegt, wo ich sie erst einen Tag später fand.

Die Rückfahrt am Samstag war ereignislos, ein recht leerer ICE und es gibt wieder Goodies für die 1. Klasse. Stupid Kekse, will Schokolade. Ich vergaß mir eine Zeitung zu kaufen, daddelte am Handy und hörte weiter den Beethoven-Podcast, den ich vermutlich erst im nächsten Jahr komplett durch haben werde, denn ich höre immer eine Folge, dann das dazugehörige Klavierkonzert und mehr als zwei bis drei hintereinander schaffe ich nie.

Gestern war ich den ganzen Tag mit dem tollen Geschenk beschäftigt, das ein paar Tage in der Packstation auf mich hatte warten müssen. Ich las fast das ganze Buch durch, aber eben nur fast, Rest kommt heute, ha! Auf Twitter zeigte ich ein paar schöne Fußnoten zu den Songtexten rum und freute mich darüber, genau die Songs toll zu finden, die auch Herrn Miranda viel bedeuten.

Abends gewann Bayern München nicht nur die Champions League, sondern damit auch das Triple, über das ich mich 2013 irre gefreut hatte. Gestern war es eine Geisterfeier und es war mir deutlich egaler. Trotzdem gerne gesehen, und ja, ich gucke auch die nächste Saison wieder. Hilft ja nix.