Donnerstag, 29. September 2022

Lebkuchen in Ostfriesentee getunkt. Neuen Ostfriesentee bestellt, ich habe immer noch keine verlässliche Quelle in München für meinen geliebten Grünpack, und bis zur nächsten Fahrt in den Norden (in circa zehn Tagen) hält mein Vorrat nicht mehr.

Mittwoch, 28. September 2022

Im Bayerischen Hauptstaatsarchiv gesessen, eine teure Farbaufnahme eines Autobahngemäldes bestellt und in den Akten von Herrn Epp als Microfiche unterwegs gewesen. Endlich mal gegoogelt, wer Epp eigentlich war, ich kannte ihn von diversen Gemälden, war aber immer zu faul gewesen, nachzuschauen, was er eigentlich für eine Funktion hatte. Machte keine gute Laune, wie immer, wenn man einen von diesen Nasen googelt.

Dinge gefunden, die ich gesucht hatte – und, wie immer in Archiven, Dinge, von denen ich nicht wusste, dass sie da waren. Eine Person, die in meiner Diss recht häufig vorkommt, ist der Maler Paul Rosner, über den es null Literatur gibt. In einer Akte fand ich eine Stellungname über ihn, weil er zum Professor ehrenhalber ernannt werden sollte. Daraus bastelte ich gleich mal einen vorläufigen Wiki-Eintrag; der ist noch sehr halbgar, daher liegt er noch in meinen Entwürfen. Falls noch jemand etwas zu Rosner weiß, gerne her mit den Infos.

Dienstag, 27. September 2022

Im Stadtarchiv Unterlagen zur Ausstellung „Die Straße“ von 1934 gefunden, die ich für die Diss noch nicht in der Hand hatte. Darin durchaus noch Interessantes gefunden; hätte die Diss nicht besser gemacht, aber war trotzdem spannend. Kuriosa: ein kleines Theaterstück, das einer der Architekten der Ausstellung, Theo Lechner, ersonnen und das Eugen Roth geschrieben hatte, in dem sich Bitumen, Teer und Stein darüber unterhalten, welche Art Straße sie einmal werden möchten. Augenrollend wieder in die Archivbox gelegt, ich muss mir auch nicht jeden Quatsch durchlesen. Bei Interesse: StdA München, DE-1992-AUM-0768.

Montag, 26. September 2022

Die Bibliothek im ZI betreten: Ganz früher lag eine offene Liste aus, in die man seine Benutzerinnennummer eintrug. Dann kam jemand mit dem Datenschutz um die Ecke, und seitdem musste die Aufsicht immer die Nummer eintragen. Dann kam Corona, man musste seinen Ausweis abgeben und bekam zusätzlich unten an der Pforte des Gebäudes eine Nummer, damit die Pforte einen Überblick hatte, wieviele Menschlein gerade oben waren. Die Nummer behielt man (und benutzte den länglichen Plastikstreifen gerne als Lesezeichen), und wenn man wieder gehen wollte, bekam man oben seinen Ausweis zurück und gab unten die Nummer ab. Seit der Einführung der neuen Plastikkarten legt man eben diese auf einen Scanner und checkt ein und aus. Die Plastiknummer von unten gibt es noch, aber ich ahne, dass auch ihre Tage gezählt sind. Muss ich wieder Zettel aus meinem Moleskine als Lesezeichen benutzen.

Vor zehn Jahren

Heute vor zehn Jahren immatrikulierte ich mich in München, was laut meines damaligen Blogeintrags und meiner verschwommenen, eher verdrängten Erinnerung ein größerer Stress war als erwartet. Eigentlich sollte es nur ein Bachelor werden, aber irgendwie bin ich dann eskaliert.

Meine Promotionsurkunde und ich weisen hiermit auf den prophetischen Satz „Ich gehöre hierher, ich bin sowas von Unimaterial München“ aus dem damaligen Blogeintrag hin. Enjoy and relive.

Was gut getan hat und schön war: Wien im September 2022

Unser letzter Wien-Urlaub war im April, und sobald wir wieder in München waren, wurde der nächste gebucht, denn weswegen wir eigentlich nach Wien wollten, war ein Besuch bei Mraz & Sohn. Die waren im April aber ausgebucht gewesen, also reservierten wir im September. Im Mai oder Juni, ich weiß es schon gar nicht mehr, war auch ein Besuch der Documenta in Kassel geplant, aber dann verschlechterte sich Papas Zustand sehr, also sagten wir Kassel ab und ich fuhr ohne Halt in Wilhelmshöhe in den Norden.

Stattdessen buchten wir Kassel für September und mit kleinem Abstand dann Wien, aber auch hier gab es Änderungen, denn ich wurde für einen Texterjob angefragt – der blöderweise genau die vier Wochen umfasste, in denen wir die Documenta geplant hatten (also Hotel und ein, zwei nette Restaurants), und auch noch Wien, wo inzwischen Mraz & Sohn gebucht waren sowie die Meierei und das Mast, das zu jedem Wien-Besuch gehört. Ich wollte schon jammernd alles absagen, als F. meinte: Ob du jetzt in Wien am Schreibtisch sitzt oder in München, ist ja eigentlich egal, dann reißen wir die geplanten Ausstellungen halt zackig am Wochenende runter und haben die schönen Restaurantsabende. Wir buchten also die Kassel-Termine erneut um, schoben sie vor meine Buchung und ich freute mich auf Wien in der letzten Woche meiner Buchung.

Aber auch das klappte nicht. Das Mütterchen musste ins Krankenhaus, weswegen ich etwas früher als geplant wieder im Norden war, und F. brachte sich Covid aus Wacken mit, das nach zwei Jahren Pause wieder stattfand. Dieses Mal buchten wir nicht mehr um, die Documenta fand ohne uns statt. Das Hotel, das wir eigentlich komplett hätten bezahlen müssen, weil wir es nicht rechtzeitig stornieren konnten (mit Covid hatten wir unglaublicherweise nicht gerechnet), war aber kulant und berechnete uns gar nichts. Daher: Falls Sie mal nach Kassel fahren, steigen Sie doch im Renthof ab, das scheint ein guter Laden zu sein.

Und schließlich starb mein Vater. Die Lieblingsagentur war sehr verständig, ich konnte entspannt Züge buchen und von Papa Abschied nehmen, ohne dass irgendwer was von mir wollte. (Einschub: Das kenne ich noch anders aus der Werbung. Als ich mit meinem zweiten Bandscheibenvorfall im Bett lag, wurde ich gefragt, ob ich nicht auch im Liegen tippen könnte. Wenige Monate später habe ich mich selbständig gemacht, damit ich derartige Diskussionen nie wieder führen muss.)

Die Trauerfeier für Papa war am Freitag vorletzter Woche, wir fuhren am Samstag zurück nach München und am Montag saß ich im Zug nach Wien. Ich hatte überlegt, ob das pietätlos oder doof war, jetzt so halb Urlaub zu machen, aber ich merkte schon am Samstag auf der Zugfahrt in den Süden, dass die nun abgeschlossene Zeit mit Papa alle Schleusen geöffnet hatte, die mich bisher noch zusammenhielten. Egal, ob wer im Großraumwagen guckte, ich ließ die Tränen fließen, die bei jeder Gelegenheit kamen. Und daher wollte ich nach Wien, weil es mir da eigentlich immer gut geht. Ob ich jetzt zuhause heule oder in Österreich, ist dann auch egal.

Um das vorwegzunehmen: Es hat sehr gut getan, es war sehr schön, und ich habe viel geheult. Und: Die Agentur hatte rein gar nichts mehr für mich zu tun, weswegen ich fast erleichtert auf meine vereinbarten Tagessätze verzichtete, die auf Twitter erfragten Coworking-Spaces nicht ausprobieren musste und einfach Urlaub machte. Wenn auch verheult.

Das meiste habe ich in der vergangenen Woche schon auf Twitter dokumentiert, daher hier nur ein paar Schnipsel.

Die Basquiat-Ausstellung in der Albertina ist leider nicht so gut wie die 2018 in der Schirn, aber jede Basquiat-Ausstellung lohnt sich auf ihre Weise. Mir fiel das Werk „Warrior“ erstmals richtig auf. Es zeigt eine Schwarze Figur, die ein Schwert hält, was ich so noch nicht von Basquiat kannte; ich kannte Figuren mit Knochen oder Keulen, aber keine mit einem so in der klassisch-westlichen Kunstgeschichte, Mythen- und Sagenwelt verankerten Objekt. Vor dem Werk stand ich recht lange, allerdings auch, um ständig mit den Augen zu rollen, wenn ich wieder das Schild streifte: „Property of a Distinguished Private Asian Collector“, so steht’s im englischsprachigen Katalog, den ich mir gönnte, ich weiß nicht mehr, ob es auch in genau dieser Formulierung auf dem Schild stand, aber ich dachte die ganze Zeit nur, kleiner Pimmel, aber nen Basquiat im Safe, ganz super, Kunstmarkt, danke.

F. kaufte mir einen Reader, den ich im Laufe der Woche nach und nach verschlang und nach dessen Lektüre ich ganz dringend den deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag zum Künstler verbessern will. Aber dafür muss ich nochmal kurz ins ZI, ihr kennt das. Im Reader finden sich zeitgenössische Besprechungen sowie Essays, die erst nach Basquiats Tod erschienen sind, und es ist sehr spannend zu lesen, wie sich die Wahrnehmung verschiebt. Was ich auch nicht wusste und was den kleinpimmeligen Sammler erklärt, der total stolz auf sein Geld ist: Es gibt kaum Basquiats in öffentlich zugänglichen Sammlungen. Der größte Teil seiner Kunst hängt an privaten Wänden, weswegen sich auch die Forschung noch so schwer mit dem Mann tut, weil man sich schlicht keinen guten Überblick über sein Gesamtwerk verschaffen kann. Basquiats Wahrnehmung leidet außerdem bis heute darunter, dass (größtenteils weiße) Kunsthistorikerinnen, Kritiker und Kuratoren anfangs Probleme mit dieser Kunst hatten, weil der Markt Basquiat und seinen Celebrity-Status so toll fand. Es wurde die Kritik laut, dass man Basquiat nur kaufte, weil alle ihn kauften, nicht weil er gute Kunst produzierte. Sammler, die zu Basquiats Lebzeiten Werke großen New Yorker Museen anboten, wurden abgewiesen. Erst nach seinem Tod wurde der Branche klar, was sie verloren hatte und was jetzt zwischen Privatleuten für viel Geld rumgeschoben wird anstatt dass die Öffentlichkeit sich das einfach so in der Pinakothek angucken kann. (Ich empfehle den Reader sehr.)

Ein paar Tage später war ich erneut im Shop, weil ich noch Postkarten kaufen wollte, und erstand zusätzlich einen Katalog, über den ich seit dem ersten Besuch nachgedacht hatte. Aber Haring und Basquiat zusammen, das wollte ich dann doch haben und nicht dafür in die Bib müssen. Außerdem nahm ich den Dürer-Katalog vom letzten Besuch mit, der auf schlanke 15 Euro runtergesetzt war. Da sind die 50 für Basquiat/Haring ja quasi ein Schnäppchen. *hust*

Was ich an Basquiat (unter anderem) so mag, sind seine Wortwolken, durch die er in meinem Kopf Assoziationen und Bilder entstehen lässt. Mir ist ernsthaft erst jetzt aufgefallen, dass meine liebsten Werke von Anselm Kiefer genauso funktionieren.


Jean-Michel Basquiat: „Tuxedo“, 1983, Siebdruck auf Leinwand, 259,7 x 152,4 cm, Nicola Erni Collection. Mir ist schon klar, dass ihr kein einziges Wort entziffern könnt, aber jetzt könnt ihr danach googeln.

In der Meierei von der kühlen Raumatmosphäre etwas enttäuscht gewesen und dann noch vom Blauschimmelkäse überfordert worden. Aber ansonsten ein schöner Abend, wenn auch etwas hektischer als in dieser Preisklasse gewohnt; einer der Kellner hatte laut Eigenaussage seinen ersten Tag und das merkte man auch. Egal, wir haben alle mal angefangen.

Erst vor dem Rebhuhn gesessen und Backhendl und Bier genossen, dann reingegangen, weitere Biere getrunken, ein ungeplant schöner Abend.

Alles Wurscht: Bosna mit allem (Petersilie, Currypulver, Senf, Zwiebeln) sowie Pommes mit Chipotle-Majo. Und Tirola Kola, deren toller Name mir erst auf dem Foto aufgefallen ist. Hatte anscheinend großen Durst und habe außerdem nicht darauf geachtet, auf was das iPhone fokussiert, aber so konnte ich auf Insta den Witz mit „unscharfer Bosna“ machen, ein Kracher.

Wiener Würstlstand: Salsiccia mit Rucola, geschmolzenem Raclettekäse und Oliventapenade sowie frisch gemachten Chips. Danke an Katha (wer sonst) für die Tipps.

Im Brösl wird für den ganzen Tisch bestellt und die Gerichte kommen dann, wenn sie fertig sind. War alles top, allerdings sind die Plätze in der Nähe der offenen Küchentür nicht ganz so empfehlenswert, wenn einem eh immer zu warm ist. (Mir.)

Im Mast am letzten Abend nach dem mehrgängigen Menü und der Weinbegleitung noch eine einzelne Flasche bestellt und eine weitere mitgenommen, weil wir so gar nicht gehen wollten.

Wovon ich hier keine Fotos poste: vom Mraz & Sohn. Der Abend war einer der besten in Sterneläden, die ich bisher hatte. Bei jedem ersten Bissen von jedem einzelnen Gang hatte ich ein debil-glückliches Grinsen im Gesicht. Ein total unprätentiöser Laden mit scheinbar simplen Dingen auf dem Teller, aber alles ganz großartig. Und man bekam beim Rausgehen neben Speise- und Weinkarte noch ein bisschen was zu essen mit. Davon gibt’s ein Foto.

Im Stephansdom eine Kerze für Papa angezündet. Unser Running Gag in Wien war ja, dass wir in allernächster Nähe zum Dom im Lieblingshotel wohnen, aber noch nie in der Kirche waren. Jetzt haben wir den Gag wenigstens für etwas in meinen Augen Sinnvolles beendet.

Im Wien-Museum, das sich eigentlich ohne Bindestrich schreibt, aber COME ON, eine Ausstellung mit alten Straßenfotografien angeschaut. Zusätzlich lief eine winzige Schau zu Parkbänken, in der auch auf die feindliche Stadtmöbelarchitektur hingewiesen wurde. Die Spikes auf allen Flächen, auf denen obdachlose Menschen schlafen könnten, kannte ich, aber dass man Sitzmöbel bewusst so konstruiert, dass nicht nur Schlafen, sondern bereits Sitzen nach einiger Zeit unbequem wird, fand ich dann doch bemerkenswert arschig.

Seit der Ausstellung sehe ich aber Parkbänke anders an. Auf deren Formgebung hatte ich bisher noch gar nicht geachtet. Museen sind super.

Beim Lieblingstrüffelhöker mehrfach eingekauft (das muss so). Meist noch nebenan einen Kaffee getrunken. Bei einem unserer Besuche konnte ich mich kaum auf das Gespräch mit F. konzentrieren, weil am Nachbartisch eine junge Frau 20 Minuten lang Selfies, bewegt und unbewegt, produzierte. Ich hätte ihr gerne gesagt, Hase, du bist wunderschön, zwei Bilder reichen, das wird nicht besser, denn das muss nicht besser werden. Habe mich aber nicht getraut.

Buch- und Schokoladensammlung im heimischen Arbeitszimmer. Keine Ahnung, warum mir F. mit dem Koffer helfen musste. Auf der Hinfahrt habe ich den noch alleine in den Zug bekommen. Schwer zu erkennen, aber eine Tafel Schokolade ist aus philippinischem Kakao gefertigt (leider nicht online).

Dieses Mal haben wir uns das mumok geschenkt und sind stattdessen ins Architekturmuseum nebenan gegangen. War arg textlastig, hatte aber bequeme Sitzmöglichkeiten. Außerdem, und das gebe ich ungern zu, war ich etwas überfordert. Das Museum scheint sich eher an Leute zu wenden, die einen gewissen Grundstock an Architekturtheorie im Gepäck haben. Ich hätte mir eine Reinkommerstation gewünscht mit totalen Naivdingen wie „Warum baut man was und wohin am besten?“

Der lange Blogeintrag zum Ausstellungsfoto.

Für die wirklich tolle Realismus-Ausstellung im Belvedere, von der es leider keinen Katalog gibt, verweise ich auf meinen kurzen Twitter-Thread. Mit Bildern!

Dieser Urlaub war etwas ruhiger als unsere normalen Urlaube, weil wir beide ziemlich durch von allem waren. Daher rannten wir nicht wie sonst durch mindestens zwei Museen pro Tag, sondern nahmen uns nur eins vor, und konzentrierten uns vor allem auf Ausruhen, richtig gutes Essen, Schokolade kaufen und ein bisschen Spazierengehen (aka F. spaziert, ich schlafe). F. suchte trotzdem einfach mal so am Dienstag nach weiteren Dingen, mit denen man sich in Wien beschäftigen könnte und stieß auf eine kleine lokale Musikantentruppe, für deren Saison-Eröffnungskonzert am Samstag sogar noch wenige Karten vorhanden waren.

Es gab Schumann und Brucker, und ich zog eine Neuerwerbung von Frau Rinaldi an, mit der ich auch schon bei Mrazens gesessen hatte, denn auf diesen Termin war ich jetzt klamottentechnisch nicht vorbereitet gewesen, aber egal. Ich fühlte mich ganz hervorragend und werde weiterhin Geld in diesen Laden tragen.

F. und ich saßen zum ersten Mal im Musikverein. Der Saal ist von der Anlage her eine ähnliche Schuhschachtel wie der Münchner Herkulessaal, von dem ich nicht unbedingt Fan bin. Unten verwäscht der Klang manchmal, und oben hört man zwar gut, guckt aber entweder die ganze Zeit seitwärts oder ist sehr weit weg von der Bühne. Die Wiener Schuhschachtel ist deutlich schmaler, was vielleicht auch dafür gesorgt hat, dass es im Balkon bzw. in der Loge, in der wir saßen, gerade beim Bruckner ordentlich laut war. Einige der Zuschauer*innen auf der Bühne, die hinter dem Orchester sitzen, hielten sich sogar die Ohren zu, und ich muss sagen, bei einigen Stellen im ersten Satz konnte ich es ihnen nicht verübeln. Hören konnten wir also hervorragend, aber die Sicht war nicht ganz so optimal. Wir saßen in der dritten Reihe des Balkons an der Seite und konnten ungefähr ein Drittel der Bühne sehen. Leider nicht das Drittel, in dem der Flügel von Martha Argerich stand, und auch das Dirigentenpult von Zubin Mehta habe ich erst beim Schlussapplaus, wo ich mich stehend nach vorne beugte, sehen können. Das war etwas ungewohnt, in einem Konzert quasi Hörplätze zu haben, aber auch das war wirklich schön und hat sehr gut getan. (Geheult. Natürlich.)

Am Sonntag, unserem letzten Tag, hatten wir außer der Reservierung im Mast keinen Progammpunkt mehr. Wir guckten halbherzig unsere „Wenn uns gar nichts mehr einfällt“-Museumsliste noch mal durch, fanden aber alles eher so meh und schlenderten schließlich ohne große Erwartungen in Kunsthistorische Museum, was wir natürlich schon kannten, aber da kann man ja immer wieder hingehen. Wir wollten uns die kleine Ausstellung zu Cranach anschauen, fanden sie aber nicht sofort, sondern gingen das gesamte Obergeschoss ab, in dem schon die nächste Sonderausstellung vorbereitet wurde. So landeten wir im großen Bruegel-Saal – und erlebten die Werke, für die wir beim letzten Mal angestanden und gedrängelt hatten, ganz in Ruhe und ohne große Menschentrauben vor, neben und hinter uns. Dieses Mal stand ich nicht so lange vor der „Kreuztragung“ von PB dem Älteren, sondern vor dem „Bethlehemitischen Kindermord“ von PB dem Jüngeren, denn bei jedem erneuten Besuch erwischt einen halt ein anderes Bild. Ich sagte wie üblich den Lottos Hallo und freute mich über Seehunde auf Fischmarkt-Stillleben von Frans Snyders. Das war überraschend schön und ein sehr passender Abschluss.

Als Rausschmeißer noch einen kleinen Schlenker zur Realismus-Ausstellung, denn mir ist jedes Mittel recht, Werke von Wilhelm „The Boss“ Leibl abzubilden.

Wilhelm Leibl: „Kopf eines Bauernmädchens“, um 1880, Öl auf Holz, 30 x 27,5 cm, Oberes Belvedere.

Hab schon wieder Heimweh nach Wien.

Foccacia mit Labneh

Im Wien saßen wir letzte Woche im Brösl und dippten wie wild ofenwarme Foccacia mit riesigen Luftblasen in sahnigen Labneh, der mit weich gebratetem Lauch, Chiliöl und ich meine gerösteten Nüssen serviert wurde, jedenfalls war es scharf und knusperte. Was Scharfes zum Knuspern habe ich gerade geordert, Lauch hatte ich nicht im Haus, aber alles andere war da, um wenigstens die Basis nachzubasteln. Das Labneh-Rezept stammt von Bistro Badia, meinem liebsten Anlaufpunkt für die libanesische Küche, die Foccacia ist ein Uralt-Rezept aus Nicole Stichs erstem Kochbuch. Und das Foto entstand zur doof-herbstlichen Dämmerung und wurde sehr hungrig gemacht, mpf.

Beide Rezepte kann man morgens ansetzen und hat abends was zu essen.

Für den babyeinfachen Labneh
500 g 10%-igen Jogurt (ich habe 3,8%-igen im Haus gehabt, ging auch) mit
1 dicken Prise Salz würzen.

Ein Sieb über eine Schüssel hängen, ein Mulltuch in das Sieb legen, den Jogurt ins Tuch spachteln, ganz vorsichtig ein bisschen Flüssigkeit rauspressen und dann einfach alles 12 Stunden lang im Kühlschrank rumstehen lassen. Bei den derzeitigen Temperaturen ging auch meine ungeheizte Küche.

Der Jogurt verwandelt sich durch Zauberhand in Frischkäse; je länger man ihn rumstehen lässt, desto fester wird er. Serviert wird er mit Olivenöl und allem, worauf ihr Lust habt, bei mir waren es Za’atar und Chilipulver.

Für eine Foccacia

20 g Frischhefe (oder 1 TL Trockenhefe) in
250 ml Wasser verrühren.

In einer Schüssel, in die viel aufgehender Teig passt,
250 g Mehl, Type 550 (405 geht notfalls auch) mit
1 TL Meersalz mischen.

Das Hefewasser dazugeben und mit einem Holzlöffel in wenigen Minuten zu einem glatten Teig verrühren. Der Teig ist sehr weich und hat mich an Spätzleteig erinnert. Glattrühren ist das Zauberwort, sonst hat die Foccacia nachher dicke Pickel. Die Schüssel abdecken und für fünf oder sechs Stunden in den Kühlschrank stellen (bis zu 12 sind okay, laut Buch). Eine Stunde vor dem Backen aus dem Kühlschrank nehmen und bei Zimmertemperatur weitergehen lassen. Ich hatte den Teig fünf Stunden in der Kühle, und das Brot kam mir ein winziges bisschen zu flach und fest vor, also stimmt die gute alte Bäckerinnenregel: Je mehr Zeit der Teig hat, desto besser wird das alles.

Ein Backblech gut ölen und den Teig gaaaanz vorsichtig aus der Schüssel aufs Blech fließen lassen, notfalls mit Teigschaber oder -karte nachhelfen. Je weniger der Teig angestupst wird, desto besser, denn so bleiben die schönen Luftblasen erhalten.

Im Kochbuch gibt es jetzt noch 12 Kirschtomaten und Rosmarin drauf, wollte ich nicht; ich hatte das Rezept schon einmal gemacht und fand das Brot durch die Tomätchen matschig. Die Finger gut in Olivenöl tunken und die charakteristischen Vertiefungen ins Brot tupfen. Die Oberfläche großzügig mit weiterem Öl begießen (war bei mir vermutlich ungefähr ein Esslöffel, hätte aber noch mehr vertragen) und im auf 230° vorgeheizten Ofen für circa 20 Minuten auf der zweiten Schiene von unten backen, bis die Oberseite nach eurem Geschmack gebräunt ist. Auf einem Gitter auskühlen lassen. Oder in meinem Fall: abkühlen lassen, bis man sie anfassen kann und dann sofort essen.

Abschied nehmen

Papa war seit letztem August im Pflegeheim, weil seine Versorgung zuhause aus verschiedenen Gründen nicht mehr möglich war. Ich hatte immer das Gefühl, dass es ihm dort gut ging. Sein Zimmer ging nach hinten raus; vor dem Fenster waren nur hohe Bäume zu sehen, er konnte immer ins Grüne gucken und hörte das Rauschen der Blätter. Das Personal hat gerne die Gardine zurückgezogen gelassen, damit er das ganze Grün sehen konnte.

In den letzten Monaten konnte Papa sich kaum noch bewegen und wurde mehrfach am Tag umgebettet. Die Pflegekräfte haben an die Wandstellen, an die er dann so lange geschaut hat, wenn er das Fenster nicht sehen konnte, bunte Bilder von Pflanzen und Blumen aufgehängt, damit er weiterhin Natur um sich hatte. Wir hatten andere Bilder an die Wände gehängt: ein Foto seiner Mutter, sein Lieblingbild von Dürer (natürlich der Hase) und einen riesigen Druck von einem Gemälde, auf dem ein Segelschiff zu sehen ist. Das hing zuhause über seinem Pflegebett, das im ehemaligen Esszimmer stand (weil Erdgeschoss). Als Papa ins Heim kam, wurde aus diesem Zimmer wieder das Esszimmer, aber auf das Bild hatte er nun zweieinhalb Jahre geschaut, und immer wenn er fragte, wo er denn hier eigentlich sei, haben wir auf das Bild gezeigt und gesagt, du bist zuhause, Papa, guck, hier ist das Segelschiff, das haben Mama und du damals gemeinsam gekauft. Dann hat er genickt und ja gesagt. F. hatte das Bild zum letzten Weihnachtsfest in druckbarer Größe abfotografiert und das Foto auf Leinwand ziehen lassen, damit er auch im Heim sein Schiff hatte.

Das letzte Lied auf der Beerdigung war „Rolling Home“.

Papa ist friedlich eingeschlafen und Mama war bei ihm und hat seine Hand halten können. Meine Schwester war zwei Stunden später im Heim und konnte Totenwache halten. Als der Bestatter kam, fragte er, ob er Papa seine Brille aufsetzen solle: „Ich kenne ihn doch nur mit Brille.“ Dorf halt.

Als ich das letzte Mal bei Papa war, gute zwei Wochen vor seinem Tod, hatte er gerade noch Ergotherapie bekommen und war von allem angenervt, wollte nicht reden und zugetextet werden. Also habe ich nur seinen Arm gestreichelt und stumm mit ihm ferngesehen. Am Tag zuvor war er ansprechbarer und hat auch noch auf Fragen reagiert: „Möchtest du was trinken?“ Ja. „Hast du Schmerzen?“ Nein. Als ich gegangen bin, habe ich so lange Tschüss zu ihm gesagt, bis er es zurückgesagt hat. „Tschüss.“

Auch Dorf. Das Fachwerkhaus, das seit Jahren vor sich hinverfällt, verfällt jetzt ganz. Angeblich werden Balken und Steine für einen Neuaufbau gerettet, aber ich weiß nicht, ob das stimmt. Weihnachten hatte ich noch das Dach fotografieren können, inzwischen ist es abgetragen.

Die Bibliothek tröstet immer, auch nur von außen.

Und der Torpfeiler, der im Dorfwappen zu sehen ist. Keine Ahnung warum, aber ich freue mich immer, wenn ich ihn sehe. Er verortet mich irgendwie. Hier komme ich her.

Wir konnten uns ab Ende Mai darauf einstellen, dass nun der letzte Teil von Papas Reise begonnen hatte. Die schwarzen Klamotten waren rausgelegt, das Bestattungsunternehmen informiert. Ich begann auf Mamas Wunsch, Traueranzeigen zu formulieren, suchte Zitate, verwarf welche, textete selbst. Eigentlich war auch schon alles entschieden, aber als es nun wirklich darum ging, sich auf einen Text zu einigen, entpuppte sich die Familie als Kunde: Jeder wollte etwas anderes, und zum Schluss nickte ich einfach irgendwas ab. Ich werde noch Jahre damit hadern, dass in der Anzeige nun „Du hast uns zum Lachen gebracht“ von „Wir sind traurig“ gefolgt wird, weil das in meinen Profiohren total clasht, aber bei meiner Schwester und mir war irgendwann der Punkt erreicht, an dem wir nur noch wollten, dass Mama zufrieden ist.

Wir hätten gerne ein Heinz-Erhard-Zitat untergebracht und wir sind uns sicher, dass das auch Papa gefallen hätte, aber das war schon in der ersten Abstimmungsrunde raus. Schade.

„Kaum dass auf diese Welt du kamst,
zur Schule gingst, die Gattin nahmst,
dir Kinder, Geld und Gut erwarbst –
schon liegst du unten, weil du starbst.“

Womit Schwesterchen und ich uns allerdings durchsetzen konnten: dass ein Foto von Papa neben dem Sarg steht, was Mama partout nicht wollte. Wir hingegen wollten nicht die ganze Zeit auf die Holzkiste gucken, und nach der Trauerfeier meinten Schwester, Schwager und ich gleichzeitig, dass wir immer das Foto angesehen hatten, auf dem Papa lacht. So werde ich mich an ihn erinnern.

Was mir auch, für mich überraschend, klargeworden ist: Ich möchte doch nicht verbrannt werden. Eigentlich hatte ich das seit Jahrzehnten im Hinterkopf, weil ich irrationale Angst davor habe, lebendig in einer Holzkiste im Dunklen aufzuwachen, über mir zwei Meter Erdreich. Nun stand aber der Sarg meines Vaters vor mir, und ich konnte wenigstens diese Kiste nochmal umarmen, streicheln, sie anfassen, weil ich wusste, dass Papa noch da ist. Dieses Gefühl wird aufhören, sobald sein Körper zu Asche geworden ist, und ich glaube, das möchte ich für mich doch nicht. Ich möchte so lange wie möglich da sein, hier sein, körperlich anwesend sein. Und irgendwann dann halt Dünger, das ist in Ordnung.

Wir hatten länger über eine Grabstelle auf dem Dorffriedhof nachgedacht. Der Bestatter meinte, die Urne könnte zu Papas Eltern ins Grab, genau wie die von Mama irgendwann und sogar wir Kinder würden noch in das Doppelgrab passen. Interessante Gesprächsführung; ich war glücklicherweise nicht dabei, sonst hätte ich genauso entgeistert geguckt wie jetzt beim Aufschreiben. Diesen Platz wollte Mama aber nicht, was wir nachvollziehen konnten, denn ihre eigene Mutter liegt auch auf diesem Friedhof, und wenn schon zu irgendwelchen Eltern, dann doch da hin, aber dann wäre sie halt nicht bei Papa, was wir alle doof fanden.

Also bot der Friedhofsgärtner weitere Plätze an, zum Beispiel im sogenannten Rhododendrongarten II. Der Garten I, in den nur Urnen kommen, ist schon belegt, der Garten III entsteht gerade. Im zweiten Garten waren aber nur noch Plätze direkt am Hauptgang frei, das Mütterchen so: „Da rennen dann dauernd Leute vorbei, da hat man nie seine Ruhe.“ Was sich für mich aus München am Telefon total albern anhörte, denn das dürfte Papa egal sein, ob da Leute an seiner Urne vorbeirennen, kam mir dann vor Ort total logisch vor: Da rennen halt wirklich dauernd Leute rum, da hat man nie seine Ruhe. Und Papa hatte sehr gerne seine Ruhe, das habe ich eindeutig von ihm geerbt.

Der Gärtner kennt uns schon lange und ich ahne, dass auch das damit etwas zu tun haben könnte, Dorf halt, denn nun wird Papas Grab das erste im Rhododendrongarten III. Dort sind fünf Plätze markiert, er bekommt den mittleren, zu dem schon ein Weg führt. Das erste Gras ist ausgesät und wir konnten am Freitag, am Tag der Feier, schon die ersten Halme und Grasflecken sehen, die bald dichter und grüner sein werden. Er liegt direkt unter zwei Eichen, die sich über der Grabstelle mit den Ästen berühren, und darunter wächst Rhododendron, die Pflanze, die auch unseren ganzen Garten zuhause überwuchert, weil er die nun einmal so gerne mochte. Es ist sehr still dort, meist schattig, und das ist ein wirklich schöner Platz. F. meinte, dass wegen der Eichen wohl auch öfter Eichhörnchen vorbeikommen würden, was für mich auch ein schöner Gedanke ist.

Nach der Trauerfeier hatte die Bestatterin das Sarggesteck schon auf das zukünftige Grab gelegt, damit wir es uns nach dem Leichenschmaus noch einmal anschauen konnten. Ich wollte gerade an der Grabstelle besinnlich werden, als mir einfiel, dass ich hier nur auf schöne Sonnenblumen und Physalis guckte, weil Papa ja noch im Sarg in der Kapelle war.

Ich hatte ein bisschen Angst vor der ganzen Kondoliererei und dem Leichenschmaus gehabt, weil ich vom ganzen Dorf fast niemanden mehr kenne und auch dachte, dass ich nach der Feier nur noch alleine verheult in der Gegend rumstehen wollte. Aber das tröstete schon sehr, dass einige Menschen da waren und mir ihr Beileid aussprachen. Ich habe mich auch sehr über eure Karten oder Nachrichten auf anderen Wegen gefreut, so doof der Anlass auch ist.

Zum Leichenschmaus war auch der Ex-Kerl aus Hamburg gekommen, worüber ich mich ebenso freute. Die Stimmung war auch nur in den ersten Minuten besinnlich, dann machten die ersten Anekdoten von Papa die Runde – „Er hat immer zur Weihnachskollekte ein kleines Stückchen Käse in Alufolie gewickelt und mit dem Geldschein in den Klingelbeutel gelegt – für die Kirchenmaus“ – „Er hat auf alles Maggi gegeben, ohne zu probieren“ – „Die halbe Kühltruhe war voll mit Schinken, den er beim Preisskat gewonnen hatte“ –, und irgendwann redete man bei Blutwurst, Hack und Zuckerkuchen („Beerdigungskuchen“) über ganz andere Dinge, zum Beispiel Frauenrugby. Auch deswegen fand ich es schön, dass Kai den Weg auf sich genommen hatte. Schwesterchen und Schwager sind fest im Dorfleben verankert, die hatten 30 Gesprächspartner; ich hatte F. und Kai.

Und irgendwann zum Schluss noch ein paar Verwandte, die ich alle zehn Jahre mal sehe. Eine fragte mich dann auch, wo ich eigentlich gerade sei, Bremen? München. Ach, München. Und dann nach einer kleinen Pause: „Das ist hier alles nicht so deins, oder?“ Woraufhin ich, vermutlich zum ersten Mal, ehrlich meinte: „Nein.“ Ist es nicht. Es ist schön, hier zu sein, für wenige Tage, auf der elterlichen Terrasse zu sitzen und das ganze Grün und die ganze Ruhe und dass auf den Straßen nicht so viel los ist und die Gemeindebibliothek und der Wappenpfeiler. Aber dann will ich doch ganz dringend wieder in die Stadt, wo Busse nicht nur zu Schulzeiten fahren und ich nicht ins Nachbardorf pendeln muss, um zum Hausarzt zu kommen oder 20 Kilometer in die Großstadt zur Fachärztin. Landleben ist bestimmt schön, aber alt werden möchte ich dort nicht.

Aber Papa war dort immer gerne, und das freut mich, dass er das Leben leben konnte, was er sich vorgenommen hatte. Ich bin froh darüber, dass ich noch von ihm Abschied nehmen konnte; das hatte ich mir im Heim angewöhnt, ihm immer zu sagen, dass ich ihn liebhabe, weil ich nicht wusste, wie oft ich es ihm noch sagen werde können. Und deshalb halte ich mich auch an dem letzten Tschüss so fest, auch wenn es nicht die letzten Worte sind, die ich mit ihm gesprochen habe.

Mach’s gut, Papa. Ich hab dich lieb.