Links vom 6. September 2012

Herr Buddenbohm war nach 34 Jahren mal wieder reiten und macht daraus einen dieser Artikel, die ich bei ihm im Blog so liebe (wie alle anderen auch, aber die ganz besonders): Erst lächelt man, dann lacht man, dann wird man nachdenklich, und dann ist da dieses warme, leicht bittere Gefühl im Bauch, und man schaut sich um und nickt und denkt sich, ja, so ist das dann wohl.

„„Jetzt der Papa“, sagte die Reitlehrerin.

„Klar“, sagte ich, „kein Problem. Das letzte Mal ist ja erst 34 Jahre her.“ Und schon war ich oben. Na gut, nicht ganz. Schon lag ich quer über dem Pferd und dachte intensiv darüber nach, wie denn das Aufsteigen bloß früher ging, während die Söhne fragten, was Papa da denn machte und die Reitlehrerin und die Herzdame mir ernsthaft versicherten, dass man mir das wirklich gleich ansehen könne, dass ich früher sehr viel geritten sei.“

33 Musicians On What John Cage Communicates. 100 years ago today, John Cage was born. In celebration of his birthday, we asked contemporary musicians across a wide range of genres and backgrounds — not only in classical music, but also pop, rock, metal, electronic and experimental — what they’ve taken from the late composer’s musical and philosophical ideas.“

„Divorced, beheaded, died, divorced, beheaded, survived.“ Eine Liste von Eselsbrücken zur Geschichte. Und zu vielen weiteren Gebieten. Der obere gehört natürlich zu den Frauen von Heinrich VIII. Via @therealstief.

Felix sinniert über den USA-Aufenthalt seines Sohnes und schlägt den Bogen zu Facebook.

„ich mag den gedanken, dass sich auch mit der vernetzten welt ausser ein paar parametern wie geschwindigkeit, zugänglichkeit und wahlmöglichkeiten, nichts entscheidendes an unserer grundsituation geändert hat. wir waren schon immer soziale wesen. heute sind wir soziale wesen auf speed und mit ungleich mehr optionen als früher. aber das bedürfnis, sich mit gleichgesinnten zusammenzuschliessen, auszutauschen und zu kommunizieren ist nicht neu.“

Nicht das Internet macht uns dumm, es fing eigentlich schon mit der Schriftsprache an, weil wir uns nichts mehr merken mussten. Und Bücher sind auch Teufelszeug. Eine kleine Geschichte des Kulturpessimismus. Via @perlentaucher00.

„Bücher sind das World of Warcraft des 18. Jahrhunderts. Sie machen fett, zerstören soziale Beziehungen und sind so schlimm wie harte Drogen, wenn nicht gar schlimmer. Junge Männer und vor allem junge Frauen tun es: lesen, lesen und lesen. Und natürlich lesen sie nur Schund, Belletristik etwa. Der Pfarrer Johann Rudolph Gottlieb Beyer warnt 1795:

‘Die erzwungene Lage und der Mangel aller körperlichen Bewegung beim Lesen führt zu Schlaffheit, Verschleimung, Blähungen und Verstopfungen in den Eingeweiden, namentlich zu Hypochondrie, die beim weiblichen Geschlecht, recht eigentümlich auf die Geschlechtsteile wirkt.’“

Ein rabenhaftes Dankeschön …

… an @kullerfieps, die mich mit Edgar Allan Poes Complete Stories and Poems überraschte.

Der Mann ist seit einem Tweet von @mrs_lionet wieder verstärkt auf meinem Radar, weil ich folgenden Satz so gerne mag: “Sometimes I’m terrified of my heart; of its constant hunger for whatever it is it wants. The way it stops and starts.” Ich habe keine Ahnung, aus welchem Gedicht oder aus welcher Geschichte er stammt, auch Google wusste nicht weiter als bis zu diesem Buch, und daher landete es auf meinem Wunschzettel – und eben auf meinem Agenturschreibtisch. Vielen Dank, ich habe mich sehr gefreut.

(Für die Langsamen unter euch: Die Überschrift lehnt sich natürlich an dieses Gedicht an, das auch im Buch steht.)

Schlaraffenland-Lesung

Ich hatte Stevans Buch in meiner Monatsbücherliste schon empfohlen, aber ich mach das hier noch mal. Und vor allem empfehle ich euch, in eine seiner Lesungen zu stürmen – die Termine stehen auf der oben verlinkten Website. Ich hatte gestern abend im wie immer schnuffigen trific die Gelegenheit, den Autor anzuhimmeln, während er einem mies gelaunten Koch eine Stimme verlieh, einer piepsigen Kellnerin und einem überheblichen Kochblogger. Dazu gab’s vier sehr schmackhafte Gänge, die natürlich auch im Buch vorkamen, und den tollsten Rheinhessen, den ich je trinken durfte.

tl:dr: Hört dem Mann zu, wenn er in eurer Nähe ist.

#609060 oder: Mein Problem mit dem Mem

(Bevor’s weitergeht, bitte alle noch mal die Überschrift lesen: MEIN Problem mit dem Mem. Nicht deins, nicht euer. Meins.)

Journelle schrieb vor einigen Wochen einen sehr schönen Artikel, in dem sie sich darüber aufregte, dass es für sie, eine Größe 40/42-Trägerin, kaum Klamotten gibt, die anständig passen und dass die Modefotografie weiterhin auf eher kleine Damengrößen setzt bei der Kleidungspräsentation – was Menschen, die eine größere Größe als 32/34 tragen, nicht wirklich weiterhilft bei der Entscheidung, ob dieses Kleidungsstück denn nun gut an einem aussehen könnte. Ihr Artikel endet folgendermaßen:

„Mir wurde klar, dass es keinen logischen Grund gibt, warum Mode nicht an normalen Körpern gezeigt werden sollte.

Die einzige Erklärung die mir einfällt ist, dass irgendwelche Leute Interesse daran haben, modediktatorisch ihre persönlichen Vorlieben durchzusetzen und das so geschickt anstellen, dass wir alle glauben, dass wir und nicht sie sich irren.

Da ich ein Freund von Serien bin, habe ich beschlossen, mich jetzt regelmäßig vor dem Verlassen des Hauses zu fotografieren und bei Instagram und Facebook hochzuladen. Nicht weil mein Modegeschmack besonders erlesen wäre, sondern einfach weil ich meinen normalen Körper eingepackt in Oberbekleidung sichtbar machen möchte.“

Seitdem fotografieren (wunderbar!) sich mehr und mehr Menschen, weiblich und männlich (wunderbar!), in ihrer Oberbekleidung und posten die Bilder bei Instagram (wunderbar!). Tolle Idee. Aber.

Mein erstes Problem ist ein Teil des Artikels, mein zweites und drittes eins, das mit den Bildern zu tun hat. Aber 4. wird dann total hoffnungsvoll.

1. Im Artikel wird das Wort „normal“ verwendet. Ich stehe sehr auf Kriegsfuß mit diesem Wort, weswegen ich es in meinem Buch auch konsequent in Anführungszeichen geschrieben habe. Denn wer definiert, was normal ist? Momentan definieren das genau die Menschen, die sich anfangs fotografiert haben – die Damen und Herren, denen ich aus meiner Dickenwarte unterstellen möchte, sie seien schlank. Inzwischen tauchen die ersten Bilder mit dicken Menschen auf, was mich sehr freut, aber sie wirken genau so, wie wir dicke Menschen eben auch in der nicht-digitalen Öffentlichkeit wirken: nicht normal. Nicht einer Norm entsprechend.

Das mag jetzt das totale Haarespalten sein, um die Aktion doof zu finden. Ist es nicht. Ich hatte nur von Anfang an das Gefühl, dass diese Fotogalerie keine ist, in der ich auftauchen möchte. Ich will mit meinem nicht-normalen Körper nicht in einer Reihe von Mädels stehen, die – und hier unterstelle ich mal ganz fies etwas – beim Anblick meines Körpers als erstes NICHT denken, wow, total normal, sondern: Puh, bin ich froh, dass ich nicht so aussehe. Weil es eben nicht normal ist so auszusehen wie ich aussehe.

Trotz des fürchterlichen Hypes um die angebliche Adipositas-Epidemie BOOGA BOOGA BOOGA gibt es längst nicht so viele fette Menschen, wie die meisten nicht-fetten Menschen glauben (möchten?). Vielleicht guckt ihr euch mal kurz in eurem Büro, eurer Uni, auf der Straße oder im Bus um? Da sind ne Menge Menschen, die so aussehen wie ihr und sehr wenige, die so aussehen wie ich. Ihr seid die Norm. Ich bin es nicht.

2. Es gibt in der Fatosphere eine Angelegenheit, die so ziemlich jede/n Blogger/in, der oder die sich mit dem Thema Fat Acceptance befasst, aufregt: die sogenannten „headless fatties“. In den allermeisten Artikeln, in denen es um die angebliche Adipositas-Epidemie BOOGA BOOGA BOOGA geht, ist ein Bild zu finden, auf dem ein dicker Mensch zu sehen ist. Nein, meist ist es ein fetter Mensch, gerne mit engen Shirts, aus denen Fettwülste quellen, Hosen, die kurz davor sind zu platzen, unbedeckte Arme, damit man die Bingo Wings gut sehen kann. Und: Diese Menschen haben keinen Kopf. Wozu auch? Sie dienen schließlich nur als angsteinflößende Bebilderung – sieh her, Kind, das sind die Klopse, die deine Krankenkassenbeiträge verfressen!

Die Methode, Menschen nicht mehr als Menschen wahrzunehmen, indem man sie nur als Körper oder Körperteil zeigt, ist alt und billig. Sehr viele sexistische Anzeigen arbeitet mit dieser Methode, und feministische Blogs prangern zu Recht an, dass Frauen gerne mal auf Brüste und Arsch reduziert werden. Genauso widerlich finden wir Dicke es, auf unsere Üppigkeit reduziert zu werden. Wir sind kein Schreckensszenario, wir sind Menschen. Größere als die meisten von euch, aber trotzdem: Menschen.

Mit diesen „headless fatties“ im Hinterkopf habe ich bei den ersten #609060-Bildern scharf die Luft eingezogen. Weil sie für mich in der unseligen Tradition stehen, zu reduzieren. Ihr fotografiert euch ohne Kopf, ihr reduziert euch selbst auf eure Kleidung, auf eure Äußerlichkeit – also genau auf das, auf das ich mich ums Verrecken nicht reduzieren lassen will. Ich muss dem Rest der Welt jeden Tag beweisen, dass ich mehr bin als eine dicke Hülle. Deswegen liebe ich eine bestimmte Flickr-Gruppe sehr: Fatshionista. Darin zeigen sich dicke Menschen ebenfalls in ihrer Kleidung, aber von Kopf bis Fuß. Man sieht eine gesamte Persönlichkeit und nicht nur Klamotte.

3. Zum Abschluss ein ganz persönliches Problem, das ich mit vielen dicken Menschen teile, die Fotos von sich ins Internet stellen: Gerade unsere Bilder tauchen gerne mal auf widerlichen Facebookseiten auf, wo sich Arschlöcher einen darauf runterholen, wie eklig wir aussehen. Mir ist das netterweise noch nicht passiert, aber ich lese genügend Fat-Acceptance-Blogs, um zu wissen, dass das kein Einzelfall ist. Ja, das kann schlanken Menschen auch passieren, aber ich ahne, dass da der Spott keine 200 beschissenen Kommentare lang ist. (Das ist aber nur eine Vermutung. Bekanntlich lese ich extrem selten Kommentare, vor allem zum Thema Dicksein, weil meist gleich einer der ersten fünf die üblichen Vorurteilsfässer aufmacht, die ich schlicht nicht mehr lesen will und muss.)

4. Obwohl ich selbst Bauchschmerzen bei der Aktion habe, gestehe ich jeder/m zu, sie großartig zu finden und sich an ihr zu beteiligen. Mir persönlich hat es in meiner Körperwahrnehmung und -annahme sehr geholfen, bei Fatshionista Frauen zu sehen, die mir ähneln. Man fühlt sich weniger allein, wenn man weiß, dass man es nicht ist. Daher ahne ich, auch wenn es mir persönlich schwer fällt, es nachzuvollziehen, dass auch 40/42-Frauen andere Frauen brauchen, die ihnen ähneln. Für mich ist ja jede Frau unter 44 schlank, aber ich weiß, dass das meine 48/50-Brille ist. Wenn euch diese Bilder also helfen, dann her damit, mehr damit, nicht aufhören. Ich werde nicht in der Galerie auftauchen, aber wenn auch nur eins der Bilder euch hilft, den Satz zu sagen, den ich seit Monaten zufrieden sage, wenn ich vor dem Spiegel stehe, dann bitteschön.

Der Satz lautet:
Das bin ich, und so sehe ich aus.

Links vom 2. September 2012

– Es gibt einen Rover-Report vom Jet Propulsion Laboratory der NASA: kurze Updates auf YouTube darüber, was der kleine Curiosity gerade so auf dem Mars treibt. Die Updates erscheinen mehrmals in der Woche und sind nur wenige Minuten lang – perfekt für den kleinen Infohappen. In dieser Folge habe ich zum Beispiel gelernt, dass auf den Rädern des Rovers neben den üblichen Rillen in der Bereifung auch ein Morse-Code versteckt ist, der sich auf der Marsoberfläche im Sand (?) abdrückt; damit können die Wissenschaftler_innen die Radumdrehungen messen und so feststellen, wie weit der kleine Racker gefahren ist.

– In der Digital Concert Hall kann man den Berliner Philharmonikern vom Sofa aus zusehen. In der umfangreichen Bibliothek sind diverse Konzerte zu finden, und man kann sich auch Live-Konzerte anschauen. Das ganze ist nicht umsonst, aber auch nicht wirklich teuer: Es gibt verschiedene Ticket-Modelle, mit denen eigentlich jeder genau das kriegen müsste, was er oder sie gerade mag. Wenn ich das richtig verstanden habe, kostet das teuerste Angebot 149 Euro, mit dem man ein Jahr lang das Archiv leerhören kann sowie 30 Live-Konzerte geliefert bekommt. Wow.

– Ich lese gerade die Rainer-Werner-Fassbinder-Biografie Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben von Jürgen Trimborn, die mir bisher sehr gut gefällt. Deswegen twitterte ich gestern ein paar Sätze, woraufhin Herr ronsens mir die Dokumentation Deutsche Lebensläufe – Rainer Werner Fassbinder empfahl. Die Empfehlung gebe ich gerne weiter.

Twitter-Lieblinge August 2012