Was wäre mein Leben ohne Amazonrezensionen?

„Roman so langweilig wie das Leben der Hauptperson des Romans, 25. Juli 2000, Von Ein Kunde.

Diese Rezension stammt von: Madame Bovary (Taschenbuch)

Gustave Flaubert, bekannt als Perfektionist hat mit diesem Roman die ganze spontaneität vermissen lassen, die ein Buch angenehm zu lesen machen. Der Roman ist so langweilig, so schwerfällig geschrieben wie es das Leben von Madame Bovary ist. Man könnte sogar meinen Flaubert habe das Buch absichtlich so geschrieben damit der Leser die langeweile ihres Lebens nicht nur liest sondern auch fühlt. Der Roman ist dennoch ein muss für alle Fans der bedeutenden Romane dieser Welt, und um der Allgemeinbildung wegen. Nicht mehr und nicht weniger. Besser ist es auf Hugo, Zola, Beckett, Sartre oder Camus auszuweichen.“

Frau Bovary musste sich mit einem Stern begnügen.

dérive, die Zeitschrift für Stadtforschung, hat in ihrer neuesten Ausgabe das Thema „Stadt und Comic“. Danke an Johanna für den Hinweis.

Thomas Knüwer in einem sehr schönen Artikel über die Generation C64 und warum Herr Schäuble allmählich vor uns Angst bekommt:

„Lassen wir es uns auf der Zunge zergehen: Da soll die Telekommunikation verdeckt überwacht werden wegen Terrorismusgefahr. Oder auch wegen simplen Verbrechern. Alles eins, geht es nach Wolfgang Schäuble. Denn es heißt auch, schön simpel erklärt für die politische Generation Web 0.0:

„Angriffe auf die Integrität und Sicherheit von Datensystemen bergen in unserer modernen Informationsgesellschaft ein hohes Gefahrenpotenzial. Kriminelle können mit einem Mausklick Tausende schädigen.“

Ja, wie jetzt? Es geht also um Betrüger? Schon sie rechtfertigen eine massive Aufweichung rechtsstaatlicher Kriterien? Ja, meint das Schäuble-Papier:

„Eine zunehmende Bedeutung haben internetgebundene Angriffe auf Rechnersysteme von Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen …

Deutsche Firmen stellen auf Grund der hohen Innovationskraft ein überdurchschnittlich attraktives Ziel für fremde Nachrichtendienste dar.“

Was wird da alles in einen Topf geworfen? Kampf gegen Terror, Kriminalität und deren Prävention, die anscheinend nicht Firmen leisten sollen – sondern der Staat.

Gut möglich, dass die Wirtschaft von dieser Vorstellung mäßig begeistert ist. Denn wieso sollte der Staat mehr Kompetenz im – ohne Frage wichtigen – Kampf gegen Wirtschaftskriminalität und -spionage entwickeln, als ihre spezialisierten Dienstleister? Jener deutsche Staat, der es in einem Treppenwitz von Projekt seit über zehn Jahren nicht schafft, einen digitalen Polizeifunk zu errichten?

Das Mischmasch der Argumente ist bizarr, so wie diese Äußerungen:

„Beispielsweise werden Terroristen in Ausbildungslagern systematisch im Umgang mit moderner Informationstechnik und konspirativer Kommunikation geschult.“

Wahrscheinlich benutzen die sogar Facebook, wird irgendwann ein Politiker einwerfen. Denn für deutsche Volksvertreter ist ja sogar das Einstellen wackeliger Videos bei Youtube ein Zeichen von „Professionalisierung“ der Terroristen.

Zu dem Marmeladeeintrag kommt übrigens ne Menge Post in dem Tenor: „Ich musste sofort Aprikosenmarmelade kaufen.“ Wenn euch das recht ist, drucke ich mir alle diese Mails aus und halte sie dem nächsten Kunden unter die Nase, der meine Longcopyanzeigen nicht haben will, weil ja Bilder viel toller sind und keiner was lesen will und Worte auch nicht so töfte verkaufen wie Fotos. Wirklich? WIRKLICH?

„Tout à coup, Edgar-Lagardy parut.

Il avait une de ces pâleurs splendides qui donnent quelque chose de la majesté des marbres aux races ardentes du Midi. Sa taille vigoureuse était prise dans un pourpoint de couleur brune; un petit poignard ciselé lui battait sur la cuisse gauche, et il roulait des regards langoureusement en découvrant ses dents blanches. On disait qu’une princesse polonaise, l’écoutant un soir chanter sur la plage de Biarritz, où il radoubait des chaloupes, en était devenue amoureuse. Elle s’était ruinée à cause de lui. Il l’avait plantée là pour d’autres femmes, et cette célébrité sentimentale ne laissait pas que de servir à sa réputation artistique. Le cabotin diplomate avait même soin de faire toujours glisser dans les réclames une phrase poétique sur la fascination de sa personne et la sensibilité de son âme. Un bel organe, un imperturbable aplomb, plus de tempérament que d’intelligence et plus d’emphase que de lyrisme, achevaient de rehausser cette admirable nature de charlatan, où il y avait du coiffeur et du toréador.“

Gustave Flaubert, Madame Bovary, Gutenberg-Project.

„Plötzlich trat Lagardy als Edgar auf.

Er besaß jene schimmernde Blässe, die den glühenden Rassen des Südens etwas von der Majestät der Marmorbilder verleiht. Seine kräftige Gestalt umhüllte ein braunes Wams; ein kleiner, ziselierter Dolch schlug ihm gegen den linken Schenkel, und er rollte schmachtend die Augen und entblößte dabei seine weißen Zähne. Es hieß, eine polnische Prinzessin habe ihn eines Abends am Strand von Biaritz singen hören, wo er Fischerbbote ausgebessert habe, und habe sich in ihn verliebt. Sie habe sich um seinetwillen ruiniert. Anderer Frauen wegen habe er sie sitzenlassen, und sein Ruf als Mann mit großen Liebesabenteuern diente nach wie vor seinem Ruhm als Künstler. Der gerissene Mime war sogar darauf bedacht, in die Vorankündigungen der Presse einen poetischen Satz über die bezaubernde Wirkung seiner Person und die Sensibilität seiner Seele einzuschmuggeln. Er besaß eine schöne Stimme, unerschütterliche Selbstsicherheit, mehr Temperament als Intelligenz, mehr Pathos als Empfindung, was alles dazu beitrug, diese bewundernswerte Scharlatansnatur noch mehr hervortreten zu lassen, die etwas von einem Friseurgehilfen und etwas von einem Toreador in sich vereinigte.“

(Reclam, Stuttgart 1972, Seite 276/77, Übersetzung von Ilse Perker und Ernst Sander)

Bücher 2009, Mai

Darwyn Cooke/Dave Stewart – DC: The New Frontier, Vol. 1/2

Mitte der 50er Jahre treffen sich in den USA anscheinend alle Superhelden, die im DC-Universum zu Hause sind und verteidigen mal eben die Welt gegen Außerirdische. Klingt erstmal bescheuert, macht aber wahnsinnig viel Spaß, weil jede Figur genug Hintergrund bekommt, um ihr Tun zu erklären, weil viele, viele Storylines gleichzeitig ablaufen, bis alles im bunten Finale zusammenkommt, und weil der gesamte Stil so herrlich naiv-fortschrittsgläubig ist. The New Frontier fühlt sich an wie ein Propagandafilm der US Army für Astronauten, appelliert dauernd an hehre Werte, ohne dabei zu moralinsauer zu werden und schwappt fast über vor Begeisterung für Jetpiloten und Raketen, die vielleicht irgendwann mal zum Mond fliegen werden. Ich fand’s sehr unterhaltsam.

Frank Miller/David Mazzucchelli/Richmond Lewis – Batman: Year One

Der Beginn der Freundschaft zwischen Batman und Jim Gordon. Laut Wikipedia und IGN Comics der beste aller Batmans. Kann ich nicht beurteilen, hat mir aber sehr gut gefallen.

Darwyn Cooke/Matt Hollingsworth – Catwoman: Selina’s Big Score

Sehr bunt, eher ein Heist-Movie als ein Comic. Selina Kyle alias Catwoman versucht, eine Bande von Komplizen zusammenzutrommeln, um einen Millionenraub zu begehen. Natürlich gibt es Gegner und Freunde und Leute mittendrin, egal, schnelle Geschichte, ungewohnter Zeichenstil, sieht alles eher wie mit Pinseln gemalt als feinlinig gezeichnet aus. Gute Sache.

Karen Duve – Taxi

Mal wieder was ohne Bilder. In Taxi schreibt Karen Duve über eine junge Frau, die nach der Schule Taxifahrerin wird, weil ihr nichts Besseres einfällt und sie Geld braucht. Die Zeit hinter dem Steuer wird deutlich länger als geplant, und ihr ganzes Leben gruppiert sich schließlich um ihre nächtlichen Arbeitszeiten, seltsame Fahrgäste und Kollegen, die zu Lebengefährten und Wohnungsnachbarn werden.

Immer, wenn ich Karen Duve lese, stolpere ich über Sätze, die mir kurz den Atem stocken lassen, weil sie in irgendwelche Kerben hauen, die ich mit mir rumtrage, ohne es zu wissen. Sie ist mir bis jetzt in jedem Buch sehr nahe gekommen, weswegen ich schon im Vorfeld weiß, dass ich das Buch, das ich gerade lese, a) verschlingen werde und b) dauernd damit ringe, es wegzulegen. Ich kenne keine andere Autorin, deren Stil, Themensetzung und Wortwahl mich so mitnehmen. Und so war auch Taxi eher eine Katharsis als ein entspanntes Leseerlebnis. Aber genau wie ihre anderen Bücher ist es eine absolute Empfehlung.

Jeph Loeb/Tim Sale – Catwoman: When in Rome

Den habe ich geliebt – und zwar, weil er nicht den üblichen düsteren, unheilsschweren, das-Schicksal-von-Gotham-City-hängt-von-mir-ab-Tonfall hat, sondern ganz im Gegenteil fast wie eine Sitcom oder ein Buddy Movie daherkommt. Catwoman verschlägt es nach Rom, wo sie mit dem Riddler fertigwerden muss und sich Batman in ihre Träume schleicht. Sehr unterhaltsam und wunderbar getextet. Deswegen bin ich dem Autor/Zeichner-Duo Loeb/Sale erstmal treu gelieben mit:

Jeph Loeb/Tim Sale – Batman: The Long Halloween

Eine laaaange Serie von Morden an der Falcone-Familie, die immer an Feiertagen stattfinden, beschäftigt Batman. Und Commissioner Gordon. Und Staatsanwalt Harvey Dent, der im Laufe der Serie zu Two-Face wird. Mit Gastauftritten von Catwoman, dem Joker, Poison Ivy, dem Pinguin, Mad Hatter, dem Calendar Man, Scarecrow und Solomon Grundy. (Nebenbei: noch mehr Feinde, die ich aber noch nicht kennengelernt habe, finden sich hier. Sehr praktisch for future reference.) Der Band ist sehr episch, sprengt teiltweise die gewohnten Tableaus, um für ein Bild eine ganze Doppelseite zu opfern, was sich auch immer lohnt.

Jeph Loeb/Tim Sale – Batman: Dark Victory

Nochmal das gleiche Team, noch ein Batman – und zu den ganzen Fieslingen kommt jetzt auch noch Nervbratze Robin. Den Kleinen mag ich ja (noch?) gar nicht, was einerseits mit meiner generellen Abneigung Kindern gegenüber zu tun haben mag, andererseits meiner Abneigung altklugen Kindern in komischen Kostümen gegenüber. Der zweiten Sorte begegne ich im Alltag netterweise so gut wie nie, und auch Dark Victory hätte halbwegs ohne den Zwerg funktioniert. Gut, die schöne Parallele der beiden Waisenjungs passt natürlich prima, aber das ganze Konzept „Lonesome Wolf kriegt einen Sidekick“ mag ich nicht wirklich. Trotzdem hat mir Dark Victory gefallen, einfach weil ich anscheinend alles mag, was Loeb und Sale zusammen produzieren.

Marcel Proust – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 2: Im Schatten junger Mädchenblüte

Der kindliche Erzähler, der von Monsieur Swann und seinen Lebensumständen fasziniert ist, über die wir im ersten Band der Recherche viel erfahren haben, verliebt sich im zweiten Band in Swanns Tochter Gilberte – und 700 Seiten später als Jugendlicher gleich in eine ganze Schar junger Mädchen, die er im Badeort Balbec kennenlernt. Diese Schar ist die titelgebende Mädchenblüte: ein Bukett junger Damen. Wir lernen Albertine kennen, die den Erzähler abweist, und damit ist das Buch dann zuende.

Wie hier schon in den Bemerkungen zum ersten der sieben Bände angemerkt: Die Welt fühlt sich anders an, wenn man Proust liest. Jede Zeile nimmt einen mit, mal in gefühlte Gemäldegalerien, dann in das mondäne Paris der Jahrhundertwende, dann in beeindruckende Landschaften; alles passiert in Sequenzen und Andeutungen und wenig in einer logischen Abfolge, wie ich sie aus „normalen“ Büchern gewohnt bin. Man muss sich immer ein, zwei Seiten in den Stil reinkämpfen, aber dann kann man das Buch kaum weglegen. Wie auch mein Zahnarzt feststellen musste, auf dessen Stuhl ich die Wartezeit mit Marcel überbrückt habe und über dem ich überhaupt nicht mitbekommen hatte, dass inzwischen Arzt und Arzthelferin amüsiert um mich rumstanden und mir beim Lesen zuschauten. Ich war selten so entspannt beim Zahnarzt.

Frank Miller/Lynn Varley – The Dark Knight Strikes Again

Nach gefühlten 100 guten Comics musste endlich mal ne Gurke kommen – hier ist sie. The Dark Knight Strikes Again hat gute und spannende Ansätze wie die mediale Gleichgültigkeit der Amerikaner, die sich mehr darüber aufregen, dass eine Band sich auflöst als dass ihr Präsident nur ein Hologramm ist, das von Bösewicht Lex Luthor gesteuert wird. Außerdem spannend: dass Miller, der aus Batman den düsteren Ritter gemacht hat, ihn jetzt auf ein bonbonbuntes Metropolis loslässt und damit seine eigene Kreation wieder vom Sockel reißt. Das war’s dann aber auch schon; der Rest ist wildestes Rumgehüpfe der Superheldenriege, die hier aus lauter Charakteren besteht, die nur Namen sind und keine Personen, die mir irgendwas bedeuten. Und während mir die Zeichnungen (wie immer bei Frau Varley) gut gefallen haben, war die Kolorierung doch eher von der Sorte „Zu viel Löschpapier auf der Zunge und zu oft das Photoshop-Tutorial „Farbverläufe“ mitgemacht“.

Edit: Der Kerl macht mich gerade grinsend (überheblich grinsend!) darauf aufmerksam, dass Frau Varley die zugekiffte Koloristin war und die Zeichnungen von Herrn Miller stammen. Dann hab ich das bei Ronin also auch falsch verstanden. Comics und ihre vielen Verfasser sind viel zu kompliziert bei diesen Temperaturen.