„Ich interessier mich nicht
für dein Arschgesicht …“

Inside Man

Inside Man (USA 2006, 129 min)

Darsteller: Denzel Washington, Clive Owen, Jodie Foster, Willem Dafoe, Chiwetel Ejiofor, Christopher Plummer
Musik: Terence Blanchard
Kamera: Matthew Libatique
Drehbuch: Russell Gewirtz
Regie: Spike Lee

Trailer

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Denzel Washington sagt es im Trailer ganz richtig: “This ain’t no bank robbery.” In Inside Man geht es zwar vordergründig um eine Bande, die eine ganz bestimmte Bank überfällt, aber um was es in Wirklichkeit geht, erfährt man erst nach und nach.

Der Film hangelt sich ziemlich spannend an den altbekannten Zutaten entlang: der Überfall, die panischen Geiseln, der Unterhändler der Polizei, der mit den Gangstern kommunizieren soll, und zum Schluss natürlich die Auflösung: die Befreiung der Geiseln. Aber Inside Man kann jeder dieser Zutaten eine kleine, besondere Wendung geben. Der Überfall hört nicht damit auf, dass die Geiseln ruhig gestellt werden, sondern sie werden in den Plan miteinbezogen. Auch kann man sich selten sicher sein, wirklich eine Geisel vor sich zu haben, so gut schaffen es die Gangster, die Eingeschlossenen und uns als Zuschauer zu verwirren. Selbst die Befreiung läuft anders ab als man es erwartet.

Fehlt nur noch der Unterhändler. Denzel Washingon ist nicht der typische beherrschte Polizist, der den Gangster sofort durchschaut und die üblichen Psychospielchen mit ihm treibt. Das könnte auch an seinem Gegner liegen: Clive Owen ist der undurchsichtige Bankräuber, bei dem man von Anfang an das Gefühl hat, es ginge ihm um weit mehr als Geld. Die beiden Charaktere ergänzen sich in ihrer Intelligenz und Tatkraft, und es macht sehr viel Spaß, ihnen beim geistigen Armdrücken zuzuschauen. Den Reigen der guten Darsteller komplettieren Christopher Plummer als Besitzer der Bank, dem an einem bestimmten Schließfach sehr gelegen ist (ratet, wem noch) und der zum Schutze desselben Jodie Foster beauftragt, sich darum zu kümmern. Ihre Figur ist ein bisschen schwer nachzuvollziehen. Ich gebe zu, ich habe mich sehr gefreut, sie mal wieder in einer knallharten Rolle à la Clarice Starling zu sehen, aber warum sie nun die Machtposition hat, die sie eben hat, wurde nicht erläutert. Sie ist einer dieser „Friss oder stirb“-Drehbucherfindungen. Ich hab sie mal gefressen, denn sie bot einen zusätzlichen spannenden Aspekt. Jedenfalls hab ich noch nie in einem Bankräuberfilm gesehen, dass mal eben jemand in die belagerte Bank spaziert und den Anführer versucht zu bestechen.

Inside Man fühlt sich zwar wie klassisches Erzählkino an, schweift aber des Öfteren mal ab. Zum Beispiel zu einer kleinen Diskussion um einen Sikh, der stets für einen Araber gehalten wird und der ohne seinen Turban nichts sagen will. Oder zu einem kleinen Polizisten, der sich ausgerechnet bei Washington über die „Nigger“ beschwert. Man merkt ab und zu, dass Spike Lee Regie geführt hat, wenn auch seine sozialkritische Handschrift nicht übermäßig zu Tage tritt. Seine wunderbare Optik herrscht aber auch hier; viele kleine Finessen unterhalten, angefangen von den grobkörnig inszenierten Befragungen der Geiseln (?), die sich mit dem realen Geschehen mischen, bis zu den „Dolly-Shots“, bei denen die Akteure gleiten statt gehen. Im Mittelteil verliert der Film etwas an Tempo; man spürt fast den Übergang vom hektischen Tag zur hereinbrechenden Nacht. Das Ende wird dann wieder etwas zügiger, aber ein paar Minuten weniger hätten dem Film gut getan. Und natürlich weniger Plotlöcher, die bei einem derart ausgeklügelten Plan fast zwangsläufig vorkommen müssen, allen voran der Inhalt des erwähnten Schließfachs, bei dem man sich sofort fragt: Was hebst du den Quatsch auch auf, du Trottel?

Inside Man ist keine Neuerfindung des Films, aber sicherlich eine sehr willkommene Auffrischung des Räuber-und-Gendarm-Genres. Die Figuren sind stimmig, die Schauspieler gut, die Optik faszinierend anzuschauen, und kleine Gimmicks wie zeitliche Sprünge lassen die Erzählweise nicht zu einfach werden. Schlau, spannend, gut. Angucken.

Ich hadere immer noch mit meiner Rezension zu Das Leben der Anderen. Ich habe das Gefühl, dass sie dem Film nicht gerecht wird. Gut, dass franziskript sich auch dazu Gedanken gemacht hat.

Ich hab vor einiger Zeit dem u-magazine ein kurzes Interview gegeben. Meinereiner taucht mit mehreren anderen in einem Artikel auf, der sich mit Werten und Geld beschäftigt – jedenfalls klang die Mail des Redakteurs so, der mich um das Interview bat. Wir haben uns auf einen Milchkaffee getroffen, und ich habe mich bemüht, nicht allzuviel Quatsch in 20 Minuten von mir zu geben. Der einzige Satz, an den ich mich erinnere, war die Antwort auf seine Frage, inwiefern mein Texterdasein ins Privatleben überschwappt, worauf ich spontan – und leider ehrlich – gesagt habe: „Ich gucke Liebesbriefe auf Rechtschreibfehler durch.“

Der Satz ist aber nicht im Artikel gelandet. Stattdessen wurde meine gesamte schillernde Persönlichkeit auf folgendes Statement reduziert: „Geld bedeutet für mich, Quatsch machen zu können, zum Beispiel zehn Packen DVDs auf einmal zu kaufen.“

Hm. Naja. Obwohl: Eigentlich trifft’s das doch ganz gut.

Edit: Der Redakteur des betreffenden Artikels hat mich gerade angemailt, nachdem er meine Zeilen hier gelesen hat. Er meinte, ich klänge etwas enttäuscht, dass nur so wenig von mir im Artikel auftauchen würde (und ich hoffe, ich habe die Mail jetzt nicht falsch verstanden). Deswegen vielleicht nochmal zur Verdeutlichung: Ich fand sowohl das Interview spannend (denn ich geb nicht so oft welche) als auch den Artikel, den ihr lesen könnt, wenn ihr euch das durchaus empfehlenswerte u_magazine kauft.

(Memo to me: Ironie („schillernde Persönlichkeit“) geht nicht im Weblog. Weißt du doch eigentlich.)

Das Leben der Anderen

Das Leben der Anderen (D 2006, 132 min)

Darsteller: Ulrich Mühe, Ulrich Tukur, Sebastian Koch, Martina Gedeck, Thomas Thieme, Hans-Uwe Bauer, Herbert Knaup
Musik: Stéphane Moucha, Gabriel Yared
Kamera: Hagen Bogdanski
Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck
Regie: Florian Henckel von Donnersmarck

Trailer

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Es fällt mir schwer, über Das Leben der Anderen zu schreiben. Wahrscheinlich, weil sich der Film so nahe anfühlt, so echt, so „noch nicht lange genug her“. Er erzählt immerhin eine Geschichte aus einem Land, das heute meine Heimat ist – das wiedervereinigte Deutschland. Dass dieses Land einmal zwei Länder war, vergesse ich manchmal schon, denn für mich persönlich hat sich nicht viel geändert. Ich bin im Westen aufgewachsen und kenne die DDR nur aus Verwandtenbesuchen und einigen Jugendfreizeiten. Wobei „kennen“ schon zu hoch gegriffen ist. Ich weiß eher, wie es sich anfühlt, in Amerika zu leben als wie es sich angefühlt haben muss, in der DDR zu leben. Das Ende dieses Staates habe ich im Fernsehen mitbekommen und nicht am eigenen Leib. Und mit Kuschelfilmen à la Good-bye, Lenin oder Sonnenallee wurde ein Bild der DDR transportiert, das im Prinzip zeigte: War alles halb so wild. Dass dem nicht ganz so war, zeigt dagegen Das Leben der Anderen.

Der Film beginnt gleich damit, uns die Gangart klarzumachen: Wir erleben ein Verhör, das über Stunden dauert und mit dem Geständnis des Verdächtigen endet. Auf Tonband, das Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler (Ulrich Mühe) seinen Studenten an der Stasi-Hochschule vorspielt. Wir lernen etwas über die Geruchsprobe, die jedem Verdächtigen abgenommen wurde, genau wie wir später erfahren, dass die Stasi von jeder verkauften Schreibmaschine in der DDR eine Schriftprobe hatte, um staatsfeindliche Texte sofort zuordnen zu können. Von Anfang an fühlt man sich als Kinozuschauer sehr unwohl – unwohl nicht nur deshalb, weil die Geschichte unappetitlich ist, sondern weil sich die gesamte Organisation der Stasi, das Mauscheln der Mitarbeiter, das Sich-nie-sicher-sein-Können so fürchterlich absurd anfühlt. Wie in der Szene, in der ein Vorgesetzter (Ulrich Tukur) einen Untergebenen einen staatsfeindlichen Witz erzählen lässt, so nach dem Motto, ach, da stehen wir doch drüber – um ihn dann direkt nach der Pointe nach Name und Abteilung zu fragen.

Ulrich Tukur ist der Vorgesetzte von Gerd Wiesler, der sich quasi freiwillig auf eine Zielperson ansetzt: die Schauspielerin Christa (Martina Gedeck), die er verehrt. Sie lebt mit dem Theaterautor Georg Dreymann (Sebastian Koch) zusammen, hat allerdings nebenbei noch ein nicht ganz freiwilliges Verhältnis mit einem Minister, wie Wiesler bei der Überwachung feststellt. Alle vier Hauptpersonen gestalten ihre Figuren sehr persönlich und überzeugend. Tukur ist unnahbar und man kann ihn überhaupt nicht einschätzen, Koch wirkt stets gehemmt in seinem Bemühen, nicht aufzufallen, denn er ist einer der wenigen Dichter, die im Osten publizieren und auch im Westen gelesen werden. Aber auch er gerät irgendwann an seine Grenze, als ihm nämlich klar wird, dass seine geliebte Christa ein Verhältnis hat. Martina Gedeck kann nicht mal blauer Lidschatten entstellen; sie ist wie immer wunderbar lebendig, warm, greifbar, und es fällt einem besonders zum Schluss fürchterlich schwer, ihr dabei zuzusehen, wie sie aus einer ausweglosen Situation beharrlich den Ausweg sucht.

Der Film lebt allerdings von Ulrich Mühe. Ganz beherrscht und überzeugt von dem, was er tut, beginnt er den Film und die Überwachung des Pärchens. Aber je mehr er den beiden und deren freigeistigen Freunden zuhört, auf dem Dachboden über der Wohnung, wo er Tag um Tag und Nacht um Nacht sitzt, je mehr er sie und ihr Leben kennenlernt, desto mehr fragt er sich, ob es richtig ist, was er tut. Der Film erspart uns eine hollywood-reife Wandlung, bei der er seine Vorgesetzten konfrontiert und sehenden Auges zum Märtyrer wird. Nein, Wieslers Verwandlung läuft subtiler ab. Sie beginnt mit einem Musikstück: der Sonate vom guten Menschen, ein Stück, das für den Film komponiert wurde, von dem aber so getan wird, als wäre es klassische Musikliteratur. Angeblich habe Lenin gesagt, wann immer er diese Musik höre, würde er daran zweifeln, die Revolution fortsetzen zu können. So geht es auch Wiesler, der Dreymann beim Spiel zuhört, der damit einen Trauerfall verarbeiten will, an dem die Stasi nicht ganz unschuldig ist. Anscheinend zum ersten Mal überdenkt Wiesler, was er tut und wem er damit vielleicht etwas antut. Mühe bleibt dabei aber sehr spärlich im Ausdruck, überhaupt ist er sehr beherrscht in dem, was er tut und was er von sich preisgibt. Vielleicht eine Reminiszenz an die Stimmung in der DDR: nie zuviel von sich preisgeben – wer weiß, wer mithört oder mitschneidet.

Ich will die Geschichte gar nicht weiter erzählen; es reicht zu wissen, dass die Story zwar erfunden ist, sie sich aber leider sehr wahr anfühlt, was es eben so schwer macht, dem Film zu folgen. Das Leben der Anderen vermittelt einen Eindruck davon, welcher Irrsinn im „anderen“ Deutschland geherrscht haben muss, wenn selbst die Flucht ins Privatleben nicht mehr garantiert war, denn auch der eigene Partner konnte ein IM sein. Das Leben der Anderen vermittelt aber gleichzeitig auch einen Eindruck von der Borniertheit der Führer dieses Staates. Der Minister sagt es großkotzig zu Beginn des Films: „Menschen ändern sich nicht.“ Wenn dem so wäre, hätten wir immer noch zwei deutsche Staaten, denn anscheinend können sich Menschen ändern und auch Veränderungen fordern. Wiesler ändert sich; nicht genug, um den Lauf der Geschichte zu beeinflussen, aber genug, um ein Leben zu schützen, das sonst vielleicht gefährdet gewesen wäre. Sein eigenes Leben ändert sich durch seine Tat ebenfalls, und erst in der letzten Szene erhält er dafür einen gerechten Lohn. Das Leben der Anderen ist ein bisschen sein eigenes geworden.

Wenn ich 14 wäre, würde ich dafür Geld kriegen

Ich bin gestern das erste Mal ernsthaften Patentantenpflichten nachgekommen, denn die Mutter meines liebreizenden Patenkinds wollte auf einem Kirchenflohmarkt einkaufen – nicht nur für Emilia, sondern auch für das demnächst ankommende Geschwisterchen. Wie wir wissen, ist ein Flohmarkt nichts anderes als ein getarnter Sommerschlussverkauf, weswegen Mama beide Hände frei haben muss. Und wenn Papa sich beim ADC rumtreibt, muss sich halt die Patentante um 8 Uhr morgens widerwillig aus den Armen vom Kerl schälen, um um 8.50 Uhr das Kind in Empfang zu nehmen bzw. den Abschied von Mama zu übertünchen, die sich um Punkt 9 auf die Klamotten, Bücher, Spielzeuge und wasauchimmer stürzen möchte.

Ich war noch nie mit Emilia alleine, außer wenn sie geschlafen hat. Und deswegen war ich ein wenig nervös, denn ich kann immer noch nichts mit Kindern anfangen, ich will immer noch keine haben, und wenn ich ganz ehrlich bin, machen mir Kinder ein ganz kleines bisschen Angst. Einfach, weil sie mir noch nicht in bestem Hochdeutsch vermitteln können, was denn ihr Begehr sei. Wenn ich bei den Kindseltern Blumen gieße, bekomme ich von der Kindsmutter immer einen deppensicheren Plan, wie zu verfahren ist (nein, ich kann auch nicht mit Pflanzen). So eine Anleitung habe ich mir für gestern auch erbeten, aber anscheinend hat die Zeit nicht gereicht. Mir wurde nur gesagt, dass der Nemo-Ball uns gehört – andere Blagen auf dem kleinen Spielplatz an der Kirche dürften gerne damit spielen, aber ich solle bitte darauf achten, wo der Ball bliebe. Was zur Folge hatte, dass ich eher auf den Ball als auf Emilia geachtet habe. Außerdem wurde mir eine Tasche in die Hand gedrückt mit Getränken, Keksen, Taschentüchern, Emilias Lieblingsbuch und Windeln, deren Vorhandensein mich kurz erstarren ließ. Dann war Mama weg und Emilia guckte mich an.

„Ake“.
„Ja, genau, ich bin die Anke. Du kennst mich von tollen Geburtstagsgeschenken und Fotos, auf denen du an meiner Kreuzkette rumzerrst und mir die Mütze vom Kopf haust.“
„Ake.“

(Das wird die längste Stunde meines Lebens.)

„Mama.“
„Mama ist im Shoppingrausch, aber die kommt gleich wieder. Willst du auf das komische Pferdchen hier?“
„Mama.“
„Mama kommt gleich wieder. Mit nem Berg Ringelshirts vermutlich. Willst du mal auf das Bobby-Car dahinten?“
„Mama.“
„Mama kommt gleich wieder. Willst du mal den Ball haben?“
„Nemo.“
„Ja, das ist der Nemo-Ball. Wollen wir Ball spielen?“

Das Kind dreht sich wortlos weg, lässt den Ball liegen und geht in ein kleines Holzhaus, wo es aus dem Fenster guckt. Ake geht hinterher und guckt ins Fenster rein.

„Huhu!“

Da! Ein erstes Lächeln. Das probiere ich nochmal, das ging ja einfach.

„Huhuhuhuuuu!“

Sie lacht! Sie hat Spaß! Ich bin nicht komplett unbegabt in zwischenmenschlichen Beziehungen! Yay!

„Bus.“
„Ja, da ist ein Bus. Ein großer Bus.“
„Bus.“
„Ja, ein Bus.“ (Hoffentlich sieht mich keiner.)
„Bus weg.“
„Ja, jetzt ist der Bus weggefahren.“
„Auo.“
„Ja, das ist ein Auto.“ (This is a yellow bus. This is a red bus. Watch the yellow bus. Bzzz.)
„Auo ot.“
„Ja, das ist ein rotes Auto.“

Schweigen.

„Huhu!“
Und sie lacht wieder. Ake rennt in den folgenden zehn Minuten von Fenster zu Tür zu anderem Fenster, singsangt „Huhu“, und Emilia lacht. Dann läuten die Kirchenglocken, und Emilia kriecht aus dem Haus.

„Bimbim.“
„Ja, das sind die Glocken, die machen bimbim.“ (Verwirrt es sie, wenn ich anfange, bimbam zu sagen?)
„Ahn.“
„Ja, da ist ein Hahn oben auf der Kirche. Guck mal, der dreht sich.“
„Ahn.“
„Ja, das ist ein Hahn.“
„Bimbimbimbimbimbim.“
(Mama.)

Der Spielplatz wird voller. Um 9 Uhr durften zuerst die Schwangeren den Saal stürmen (ich habe einige Mütterpässe im Anschlag gesehen), bevor um 9.30 Uhr auch der Rest des Volks eingelassen wurde. Beziehungsweise weitere Frauen. Um mich herum tummeln sich inzwischen vier bis sechs Väter und mindestens zehn Kinder. Drei davon habe ich sofort als Arschlochkinder identifiziert, weil sie das Holzhaus mit Bobby-Cars verrammeln und Emilia nicht mehr rein kann. Ist ihr egal. Sie guckt weiterhin dem sich drehenden Wetterhahn zu, und ich suche mal wieder nach Nemo.

„Nemo.“
„Ja, das ist Nemo. Hier, hol den Ball.“ (Hol’s Stöckchen!)

Funktioniert auch. Ich klatsche in die Hände, wenn ich den Ball will, und nach wenigen Minuten macht Emilia das auch. Dann hält sie die Hände vor den Bauch, als ob sie ihn fangen will. Ich rolle den Ball zu ihr, bis er ihr an die Füße kullert, und sie hält weiterhin die Hände hoch. Erst wenn ich sage, dass ich den Ball möchte, löst sie sich aus dieser sehr putzig anzusehenden Stellung, hebt den Ball auf und wirft ihn mir zu.

„Ball.“
„Ja, das ist der Ball. Schön, dass du weißt, dass das Ding Ball heißt und nicht Nemo.“
„Mama.“

Emilia macht sich auf den Weg zum Eingang des Kirchengebäudes, wo sie Mama vermutet. Zwischen ihr und dem Eingang liegt ein kleines Schneefeld, das es zu durchstapfen gilt. Ich gehe neben ihr her, und auf einmal greift sie nach meiner Hand, um sicheren Tritt zu finden. Ich muss zugeben, dass ich so verfickt gerührt war wie selten, weswegen hier auch ein Kraftausdruck hinmuss, damit sich mein Uterus wieder beruhigt. Nach dem Schnee kommt fester Boden, und ich merke, dass sie verdammt schnell ist, wenn sie will. Ich kann sie gerade noch kurz vor der Tür schnappen, und weil mir nichts Besseres einfällt, nehme ich sie auf den Arm. Scheint ihr auch recht zu sein. Ihr Gesicht ist zehn Zentimeter von meinem weg, und sie guckt mich an.

„Ake.“

(Ich fang gleich an zu heulen. Welcher Idiot hat mich ausgerechnet am Tag meines Eisprungs zum Babysitten angeheuert?)

Ich hatte in den vergangenen Minuten Zeit, die Papas zu beobachten, wenn sie ihre Blagen auf dem Arm haben, und genau wie sie hüpfe ich jetzt mit Emilia in der Gegend rum und schaukele sie wild umher. Sie kreischt vor Vergnügen, und ich frage mich, warum ich die viel zu dicke Winterjacke angezogen habe. Ob ich ihren Apfelsaft trinken darf?

Ich setze sie wieder ab, und sie rennt schnurstracks zum Holzhaus. Gerne. Ich setze mich auf die Bank neben das Fenster im Haus und führe die gleiche Unterhaltung über Busse und Autos wie oben. Mal sehen, ob sie sich die Begriffe Mercedes, BMW, Golf und Ampelschaltung gemerkt hat, wenn ich sie wiedersehe.

Mein Handy klingelt. Der Kindsvater ruft aus Berlin an, um sich an meinem Schicksal zu weiden. Ich jammere erwartungsgemäß ein wenig, muss aber zugeben, doch irgendwie Spaß zu haben. Die Arschlochkinder wollen ins Haus, aber als sie die gackernde Emilia sehen, drehen sie ab. Und auf einmal ist Mama wieder da. Ich bin ein ganz kleines bisschen stolz, dass sich Emilia nicht sofort auf sie stürzt („Oh Gott, ich dachte, ich sehe dich nie wieder, sondern muss bei dieser seltsam ungelenken Frau aufwachsen”), sondern nur kurz „Mama“ sagt und dann „Bus weg“.

Wir packen die diversen Einkäufe in den familienfreundlichen Van („Mama art.“ „Ja, Mama arbeitet.“ „Ich glaube, sie meint, ich habe einen Bart“), verstauen Emilia im Kindersitz, verabschieden uns, und ich gehe zu meinem familienunfreundlichen Uralt-BMW. Ich fühle mich komisch. Komisch gut. Komisch, weil ich immer noch keine eigenen Kinder haben will. Aber gleichzeitig gut, weil sie anscheinend doch nicht so seltsam sind wie ich dachte. Wieder was gelernt. Ake schlau.

„Ever tried? Ever failed?
No matter.
Try again. Fail again.
Fail better.“

(Samuel Beckett)

(bei fragmente gefunden)

Ich hadere gerade sehr mit mir und meinem selbstgewählten Amazon-Moratorium. Auf Salon habe ich einen Buchtipp gelesen, der mich so lala angesprochen hat. Ich habe bei amazon.com daraufhin mal ein anderes Buch des empfohlenen Verfassers nachgeschlagen – bei .com wegen der wunderbaren Search-Inside-Funktion, mit der .de ja nicht so recht nachkommt –, und nun bin ich vom Stil des Buchs Going Native von Stephen Wright ziemlich angefixt. Hier die erste Seite.

Schon der erste Absatz drängt mich geradezu zum 1-Click-Button. „Rho is at the kitchen sink peeling furiously away at a carrot when she draws her first blood of the day, and, of course, it’s unmetaphoric, and her own.“ Her first blood – da kommt also noch was. Of course – die ganze Enttäuschung, die in diesen Worten steckt. It’s unmetaphoric – finde ich einfach wunderbar, kann ich gar nicht erklären. Der Ausschnitt fühlt sich so farbig an, so lebendig und gleichzeitig seltsam morbide, die Beschreibung, dass sie für einen Moment nur ein Paar faszinierter Augen ist, die Wortkombinationen: „ (…) the cut is plunged into the aerated stream of her Puraflo faucet, the finger wrapped in a floral blue paper towel. The show’s over.“ spricht mich in seiner Kurzatmigkeit auch sehr an.

Ich versuche, dem Buch noch etwas zu widerstehen. Aber das ist seit längerer Zeit mal wieder eine neue Stimme. Für mich jedenfalls neu, der Mann schreibt ja nicht erst seit gestern.

(So many books, so little time.)

Seit gestern ist der Pirelli-Kurzfilm The Call online. Hm. Och. Naja. Seltsam uninspirierte Mischung aus dem Exorzisten und Christine. Gedreht wurde das Werkchen von Antoine Fuqua und produziert hat das ganze Leo Burnett (aaaah, crazy Navi) Italy. An die BMW-Filme kommt es leider nicht ran. Und außerdem muss man Naomi Campbell ertragen, die ich schon in Fotostrecken nicht leiden kann.

(via Fischmarkt, dem Weblog von SinnerSchrader)

Wo wir gerade bei Werbung sind: Gestern habe ich beim charmanten Griechen „Olympisches Feuer“ in der Schanze (satt und betrunken für 8 Euro, kannmannichmeckern) bei einer Gauloises-Promotion ein gar schickes Feuerzeug gewonnen. Die Aufgabe, die aber sowas von gar nichts mit Zigaretten zu tun hatte, war: Buchtitel raten. Die freundliche Promo-Blondine hielt ein Kärtchen hoch, auf dem der Name des Hauptcharakters stand, und man musste dann den Titel des Werks sagen. Wer also, wie in meinem Fall, irgendwas mit Hans Castorp und Estragon anzufangen wusste, war danach im Besitz eines blausilbernen Sturmfeuerzeugs. Meine Kollegen fanden mein „Ich weiß es, ich weiß es“-Gehabe zwar doof, aber WENN IHR MAL WIEDER IRGENDEINEN FILMNAMEN BRAUCHT, KOMMT EUCH MEINE „WER WIRD MILLIONÄR“-BILDUNG WIEDER GELEGEN. HÖRT MIR DOCH AUF.

Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Stöckchen her:

1. Was hast du vor zehn Jahren gemacht?

1996 habe ich noch in Hannover gewohnt, habe gekellnert und „studiert“. Meaning: die lustigen Filmseminare besucht („The Western in American Culture“, „Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel der Filme der 50er Jahre“) und sonst nix. Außerdem habe ich auf die Antwort der dffb gewartet, bei der ich mich im Januar beworben hatte, um Drehbuch zu studieren. Die Antwort kam im April, und ich wurde zur Prüfung im Mai eingeladen, die ich allerdings grandios versiebt habe. Eins der wenigen Dinge, über die ich mich bis heute ärgere. Turnusmäßig. Mindestens einmal im Monat.

2. Was hast du vor einem Jahr gemacht?

Polkas gesungen.

3. Fünf Snacks, die du besonders gerne hast:

Vor WW: alles, was pro Bissen mindestens 200 Kalorien hat.

Seit einem Jahr: Paprika mit Miracel Whip Balance und nem Berg Knoblauch drin (ja, ich bin jetzt eine der Frauen, die vor dem Fernseher Gemüsesticks statt Crunchips knabbern, komplett unsexy, ich weiß), Apfel in Honig gedippt, Quark mit Erdbeeren und Banane, Toast mit Tunfisch und Käse überbacken, Parmaschinken auf Backblech kross gebacken.

4. Fünf Songs, von denen du den Text komplett kennst:

Ich kenne ne Menge Songs komplett. Ich habe früher meine Englischvokabeln damit aufgebessert, indem ich Plattenhüllen übersetzt habe (Platten, liebe Kinder, keine CDs). Ich erinnere mich daran, dass ich aus Nik Kershaws I won’t let the sun go down on me den Begriff forty winks und G&T gelernt habe oder aus The Riddle das Wort scullery, das ich allerdings bis heute noch nie anwenden konnte. Heute lerne ich Englisch mit OWAD bzw. freue mich darüber, wenn ich das Wort des Tages schon kenne.

Zur Frage: Ich kann The Riddle noch auswendig, sehr viele Billy-Joel-Songs (auch We didn’t start the fire), American Pie von Don McLean (zwei Stunden before Google vor der Anlage gesessen und versucht, den Text rauszuhören), viele Duran-Duran-Songs (am liebsten Rio) und ein paar von Robbie (gerne Let love be your energy). Von dieser neumodischen, modernen Musik, die die jungen Leute heute so hören, kann ich gar nix.

5. Fünf Dinge, die du tun würdest, wenn du ein Millionär wärest:

Wieviele Millionen hab ich denn? Gehen wir mal von ner Menge aus: Erstens mal ein sabbatical von der Werbung einlegen, nach Amiland fliegen, Auto kaufen und drei Monate durch die Gegend fahren. Dann: dableiben und doch noch an einer Uni Drehbuchschreiben lernen (dann kauf ich mir meine Bildung eben!). Dann: wieder nach Hause zum Kerl kommen und ihn gleich in den nächsten Urlaub schleifen (Rom? Wien? Neuseeland?). Dann: Nach überprüfter längerer gemeinsamer Urlaubstauglichkeit eine fette Wohnung mit Elbblick kaufen und den Kerl höflichst bitten, sie mit mir gemeinsam zu beziehen („Der Westflügel gehört ganz dir, Schatz“). Und dann: viele teure Autos kaufen, die man schon immer mal haben wollte.

6. Fünf Dinge, die du gerne machst:

Lesen. Schreiben. Filme gucken. Essen. Knutschen.

7. Fünf Kleidungsstücke, die du nie wieder tragen wirst:

Den apricotfarbenen Blazer, die Glitzerstulpen und die roten Stiefeletten aus den 80ern. Sämtliche High Heels, die ich besessen habe, weil ich seit der Bandscheiben-OP keine hohen Absätze mehr tragen kann. Und das blaue Anglerhütchen von Nike, mit dem ich, wenn ich die fassungslosen Blicke meiner Freunde richtig gedeutet habe, komplett grenzdebil aussehe.

8. Fünf deiner liebsten „Spielsachen“ (Beschäftigungen):

Mein iBook. Mein DVD-Player. Mein Auto. Mein iPod. Mein Dem Kerl sein Game Cube seiner.

(via Dramaking)

Noch ein Dankeschön, diesmal an Mike, der mir freundlicherweise Four Quartets von T.S. Eliot hat zukommen lassen, und an Marc, der mir ein Buch geschenkt hat, das nicht auf meinem Wunschzettel stand: Mutanfall – Gedichte zum Glauben von Christina Riecke. Ich habe mich über beide Werke sehr gefreut, vielen Dank euch beiden. (Und natürlich auch für euch ein Smiley :-)

Die Learnings des gestrigen Tages: Auch Essig kann irgendwann mal schlecht werden.

Des Weiteren: Wenn du Linsen über den Tag einweichst, weil du abends einen gar leckeren Linsensalat zaubern willst, weich einfach doppelt so viele Linsen ein, wie du brauchst, falls du zufällig total eklig schmeckenden Essig über die eine Hälfte kippst.

Und zu guter Letzt: Fischstäbchen schmecken auch ganz toll.

ah, how i like those 404s.

Douglas Coupland führt das erste Interview seines Lebens – mit Morrissey. Es ist nicht wirklich ein Interview dabei herausgekommen, aber ein schöner Artikel, in dem Coupland auch etwas über das „Medium“ Interview an sich sagt. Und etwas über Morrisseys riesigen Kopf und darüber, dass der Herr inzwischen wieder dem Zölibat abgeschworen hat, was laut Coupland seiner Musik ganz gut getan hat: Papal attraction.

My own experience with being interviewed is mixed. I suppose they’re a part of my job, and as I would like readers to connect with my books, I do them. I’ve also made many lifelong friends whom I first encountered as interviewers – as a writer, they’re a terrific way to meet and add smart new people to one’s life. But in recent years I’ve come to question the process. It’s too artificial and, in 2006, oddly archaic. And mostly, it involves too many levels of disbelief suspension: Hi. I’m your interviewer. I have this magic totem called a Sony, and I’m going to put it on the table here, and as long as the Sony is there I possess whatever power over you that you allow me to have. If you grant me no power, I will turn on you and brand you an asshole in print and trash your work. If you give me too much power, I will be contemptuous of you and also trash you and your work. If you’re too nice, I will despise you. If you’re too bland, I’ll just phone this interview in and we’ll both have wasted valuable time.

To me, interviews are mostly about trying not to make the interviewer think I’m too much of an asshole. I think that’s the experience with most interviews these days, mine and most everybody else’s. Let’s face it, pretty much any info you need is already out there on Google. Interviews never go away any longer. They just pile up and up and up for the rest of time. If people want to know something about a subject, they can just find it themselves. All that remains is control of the asshole yes/no switch. Do you want an interviewer to flip it? Remember – if you don’t want people thinking you’re an asshole, it means you allow your interviewer to torture you. It all boils down to how strongly you believe in the totemic Sony.

(Und zack! ist der neue Coupland, Jpod, der am 18. Mai erscheint, auf meinem Wunschzettel.)