Favorite Entries 2004

31.12.2004
Frau Ingeborch (Gott hab ihr Blog selig) hatte letztes Jahr einen schönen Fragebogen, den ich einfach nochmal ausfülle. Auch wenn er dieses Jahr widerlich wundervoll verknallt klingt, wie ich beim Korrekturlesen festgestellt habe. Außerdem hat der olle Dahlmann ihn schon vor mir ausgefüllt, was mich peripher anfrisst, weil mein Beitrag hier seit zwei Wochen auf Halde liegt. Blogger’s vanity.

1. Zugenommen oder abgenommen?

Zugenommen. Zweisamkeit heißt doppelt kochen und doppelt abschmecken und Nachtisch kann man ja eh nie genug haben, da mach ich lieber ein bisschen mehr.

2. Haare länger oder kürzer?

So lang wie letzten Dezember. Im Sommer habe ich mal kurz den Pferdeschwanz in die Hand genommen und die Schere angesetzt, weil mir das Gewusel im Nacken auf den Zeiger ging. Aber jetzt sind die Haare wieder so lang wie vorher. Mal wieder Zeit für die Schere.

3. Kurzsichtiger oder weitsichtiger?

Genauso kurzsichtig wie letztes Jahr.

4. Mehr Kohle oder weniger?

Mehr.

5. Mehr ausgegeben oder weniger?

Mehr. Raus damit, Wirtschaft ankurbeln.

6. Mehr bewegt oder weniger?

Ein bisschen mehr. Mal mit dem Kerl spazierengehen oder manchmal die halbe Stunde zum Kerl gehen anstatt das Auto zu nehmen. Und der Weg in die neue Agentur wird per Bus zurückgelegt: Das sind jeden Morgen wahnsinnige 300 Meter Fußweg zur Bushaltestelle/Agentur statt bisher 30 zum Auto.

7. Der hirnrissigste Plan?

Mich mit allen Menschen gut verstehen zu wollen. Bin gescheitert. Aber ich versuch’s nächstes Jahr einfach nochmal. Irgendwann klappt das schon.

8. Die gefährlichste Unternehmung?

Unit-Runde auf dem Ponyhof. Habe seitdem wieder ein Asthmaspray im Rucksack.

9. Der beste Sex?

Des Öfteren, ja, gerne, immer wieder, achissesschön. (ICH WAR JAHRELANG SINGLE, ICH DARF JETZT SO RUMSEUFZEN!)

10. Die teuerste Anschaffung?

Der Umzug mit all seinen Folgekosten. Die Umzugskartons waren allerdings umsonst, weil sie mir von einer freundlichen Leserin geschenkt wurden (bin immer noch begeistert). Neue Küchenmöbel, neues Sofa, Sessel, Regale, Kommode, Wandfarbe, Pinsel … you do the math.

11. Das leckerste Essen?

Geburtstagsfressen im Cox.

12. Das beeindruckendste Buch?

Sterntaucher von Astrid Paprotta.

13. Der ergreifendste Film?

Touching the Void.

14. Die beste CD?

Astronaut von Duran Duran. (Die subjektiv beste, nicht die, die alle Kritiker toll finden, oder? Dannisjagut.)

15. Das schönste Konzert?

Eröffnungskonzert der Hamburger Symphoniker. War das einzige Konzert, auf dem ich dieses Jahr war.

16. Die meiste Zeit verbracht mit …?

… dem Kerl.

17. Die schönste Zeit verbracht mit …?

… uns beiden.

18. Vorherrschendes Gefühl 2004?

Keep it coming.

19. 2004 zum ersten Mal getan?

Gesangsunterricht genommen. Eigene Texte auf einer Bühne vor Publikum gelesen.

20. 2004 nach langer Zeit wieder getan?

Verliebt sein.

21. Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?

Neider, Nörgler, Nervensägen, die die Blogs!-Veröffentlichung biestig begleitet und das ganze Erlebnis etwas unschöner gestaltet haben, als ich mir das naiverweise vorher vorgestellt hatte. Die kaputte Waschmaschine, die die halbe Tiefgarage überflutet hat (thank you, Lord, for my Haftpflichtversicherung). Die Beule in meinem Auto, die ich immer noch spazierenfahre, weil ich mich nicht mal für drei Tage von Rocky trennen kann.

22. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Dass ich kein OS X und vor allem keinen Airport brauche. (Bin gescheitert. Und inzwischen auch gerne.)

23. Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?

Nach dem piepsigen und total unmännlichen Tonfall zu urteilen, kam der selbstgebastelte Adventskalender für den Kerl ganz gut an.

24. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?

Jedes Lächeln, das ich mitkriege, wenn er glaubt, dass ich es nicht mitkriege.

25. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

„Ich liebe dich.“

26. Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?

„Ich liebe dich.“

27. 2004 war mit einem Wort …?

Einfach klasse, kurz vor fantastisch. Wo war doch gleich die Repeat-Taste?
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30.12.2004

The year in pictures
Business as usual at Anke’s: der Rückblick von filmtext.

Quälendste Filmminute:

Die Kreuzigung in The Passion of the Christ. Die Sekunden, in denen die Leinwand schwarz blieb, während das World Trade Center in sich zusammenstürzte, in Fahrenheit 9/11.

Entzückendste Filmminute:

“No Capes!” aus The Incredibles. Wie Bill Murray mit der Stoffeule in der Hand im Krankenhaus auf Scarlett Johansson in Lost in Translation wartet.

Mit XX hätte ich gerne diesen Film gesehen:

Something’s Gotta Give mit dem Kerl anstatt mit meinem besten Freund. Perfekter Knutschfilm. Schön, wenn dann auch wer zum Knutschen neben einem sitzt.

Freudigste Entdeckung:

Dass Theater eigentlich viel toller ist als Kino.
(Die Spielwütigen)

Liebste Filmkritik:

Wie immer Stephanie Zacharek von salon.com, von der ich eigentlich jede Kritik mag. Beispielhaft sei hier die zu The Phantom of the Opera genannt, in der sie sich unter anderem fragt, ob die Maske des Phantoms nur deshalb ohne Extra-Befestigung hält, weil sie durch Eiter an seinem matschigen Gesicht festklebt: „The Phantom of the Opera lasts about 629 minutes (or maybe it’s just 627), and it isn’t over until the chandelier falls. If only we weren’t left feeling like its crushed, helpless victims, pinned under 1,000 pounds of cheap crystal.“

Aus dem Film bin ich gegangen:

Aus keinem. Wobei ich dieses Jahr auch nicht so oft im Kino war wie die letzten Jahre. Und wie immer hat nicht jede DVD vor meinen Augen Gnade gefunden. Da waren schon ein paar Stinker dabei.

Aus dem Film hätte ich gehen sollen:

The Terminal, Der Untergang, Ocean’s Twelve.

Hier hätte ich gerne mitgewirkt:

(T)Raumschiff Surprise. Meine Star Trek-Uniform passt nicht mehr.

Knutschen würde ich gerne mit:

Immer noch mit Viggo oder Kiefer. Aber ich setze mal Gaél Garcia Bernal und Patrick Dempsey mit auf die Liste.

Schönster Filmsatz:

“It’s all going to be gone soon. What do we do?”
“Enjoy it.”

(Eternal Sunshine of the Spotless Mind)

Verfilmt werden sollte mal:

Sag ich nicht. Sonst macht’s womöglich noch wer vor mir.

Ich freu mich auf:

The Aviator. Beyond the Sea. Batman Begins. Sophie Scholl. Meet the Fockers. Million Dollar Baby. House of Flying Daggers. Closer. Kinsey. Alfie. Ray. Sideways und viele weitere Filme mit Ein-Wort-Titeln.
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27.12.2004

Pretty when you cry

Das Nichtmädchen hat ihren Jahresrückblick gemacht und dabei auch ihre fünf Lieblingsblogs aufgezählt. Ich habe es nach Frau Lu auf einen ehrenwerten zweiten Platz geschafft, allerdings mit dem Zusatz: „auch wenn sie nachlässt – oder täuscht das?“

Das frage ich mich seit einigen Wochen oder Monaten auch. Ich habe seit längerem das Gefühl, wieder und wieder das Gleiche zu schreiben. Agenturkleinkram, Filmartikel, mal kommentiert, mal nicht, wie geht’s mir heute, was macht der Kerl … die Filmkritiken sind viel weniger geworden, seitdem ich jemanden habe, mit dem ich regelmäßig meine Abende verbringe anstatt alleine ins Kino zu gehen. Ich habe deswegen ein schlechtes Gewissen, aber gleichzeitig sehe ich nicht ein, deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben, weil es ziemlich klasse ist, nicht mehr allein zu sein. Aber genau dieses Nicht-mehr-allein-Sein hat bei mir dazu geführt, anders zu schreiben. Oder bilde ich mir nur ein, anders zu schreiben?

Ist etwa doch was an der Theorie dran, dass man besser schreibt, wenn man schlecht gelaunt ist? Wenn ich mich durch meine alten Einträge klicke, gerade die, die zu Therapiezeiten entstanden sind, klingt des Öfteren eine Suche durch, ein Sehnen, ein Wunschdenken, Fantasie, Bilder, Unfassbares. Wenn ich meine momentanen Einträge lese, klingt alles nach geordnet, fertig, passt schon. Was sich in meinem realen Leben ganz, ganz wundervoll anfühlt, sorgt in meinem „Zweitleben“, nämlich dem, das ich in der Öffentlichkeit führe, dafür, dass sich dieses Leben anscheinend immer langweiliger liest.

Andererseits gibt es Weblogs, die trotz glücklicher Beziehung und geregeltem Alltag der Schreiber stets gut sind, immer Neues bieten, täglich ungewöhnlich bleiben. Also kann man die Theorie des „Nur gut, wenn scheiße drauf“ getrost in die Tonne treten. Was ist es dann?

Meine Faszination mit dem Medium ist nicht mehr ganz so groß wie am Anfang. Obwohl ich nicht zu den ganz early adopters gehöre, deren Weblogs noch in kleinen finnischen Clubs gespielt haben, bin ich doch schon etwas länger dabei. Das Neue ist inzwischen nicht mehr neu, die „Szene“ viel unübersichtlicher geworden, die Leserschaft vielleicht etwas fordernder. Die Alternativen sind nur einen Klick entfernt; wo es mir nicht gefällt, verweile ich gerade noch zwei Sekunden, bevor mich diese Seite nie wieder sieht. Man muss lauter brüllen, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Oder man muss anders brüllen als der Rest, einen eigenen Inhalt haben, eine eigene Stimme.

War meine Stimme jemals unverwechselbar? War ich jemals „anders“ und doch so gefällig, um eine konstante Leserschaft an mich zu binden? Ich kann es nicht sagen, ich konnte noch nie über meinen eigenen Kram urteilen. Ich erinnere mich daran, fünfzehn verschiedenen Leuten meine Textauswahl für das Blogs!-Buch vorgelegt zu haben, einfach, weil ich nicht sagen konnte, welcher Text buchwürdig war und welcher zu persönlich, zu banal, zu langweilig. Und selbst jetzt, wo das Buch raus ist und die Texte damit unveränderlich, bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht den dämlichsten Grütz im ganzen Buch geschrieben habe.

Der Prozess des Buchmachens hat meine Faszination für das Thema Weblog auch ein wenig verändert. Die Zusammenarbeit mit so vielen Autoren schafft Reibungspunkte; nicht jeder kann mit allen anderen etwas anfangen. Einige haben sich von Anfang an relativ bedeckt gehalten, andere haben sich an die vorderste Front geschmissen; ich habe das gemacht, was mir zum jeweiligen Zeitpunkt richtig erschien. Aber je länger alles gedauert hat, desto weniger sicher war ich mir mit dem, was ich tat, schrieb, in die Öffentlichkeit brachte. Zum Schluss habe ich nur noch brave, politisch korrekte Platitüden abgeliefert oder es zumindest versucht, weil ich keine Angriffsfläche bieten und einfach nur in Ruhe schreiben wollte, ohne immer „eine von diesen Blogs!-Schreibern“ zu sein. So wie vorher auch.

Dass es nicht wieder so werden konnte wie vorher, ist mir inzwischen klar geworden. Niemand kann es allen recht machen, keiner schreibt in einen luftleeren Raum hinein. Ich habe mehrmals unbewusst einen schönen Flame losgetreten, weil ich nicht weiter als bis zur Nasenspitze gedacht und geschrieben habe. Ich habe sicherlich einige Leser, die mich so richtig schön scheiße finden und die sich jeden Tag davon überzeugen möchten, dass ich immer noch richtig schön scheiße bin. Whatever floats your boat. Aber warum kommen die anderen wieder? Die, die mich gerne lesen? Was ist besonders an meinem Weblog? Oder auch: Warum lese ich selbst eigentlich Weblogs?

Ich lese Weblogs aus einem Grund: Der Inhalt desselben überrascht mich, rührt, begeistert, informiert, fasziniert mich und das konstant über einen längeren Zeitraum. Kann ich das mit meinen Zeilen auch? Kann ich qualitativ bestehen neben den anderen Weblogs, die zum Beispiel bei Blogstats mit mir die oberen Ränge bekleiden? Gerade Blogstats sagt mir: Ja, das kann ich anscheinend. Aber wenn ich mich selbstkritisch frage, kann ich es nicht sagen. Ich weiß nicht, warum mich Leute lesen. Ich weiß auch nicht, warum sie mich irgendwann nicht mehr lesen. Und ich weiß nicht, warum mir mein Weblog im Moment nicht mehr ganz so gut gefällt wie vor einem Jahr.

Komischerweise hat das neue Layout und das dazugehörige Redaktionssystem dieses Gefühl nur noch verstärkt, anstatt (wie geplant) ein „frischer“ Neuanfang zu sein. Das Layout gefällt mir immer noch und auch jeden Tag besser, aber mit WordPress habe ich meine Schwierigkeiten. Früher hatte ich ein HTML-Dokument für jede Woche, das ich „händisch“ jeden Abend befüllt habe. Ich hatte tagsüber, bei der Arbeit, keinen Zugriff auf meinen Rechner zuhause und konnte daher nichts zwischendurch posten, selbst wenn ich manchmal gewollt hätte, um aktuell zu sein. Und jetzt, wo ich den Vergleich habe zum Jederzeit-spontan-posten-Können, stelle ich fest, dass ich meine alte Seite vermisse. Ich schreibe nicht befreiter, sondern gehetzter. Ich vermisse den wöchentlichen Rhythmus, mit dem ich das Dokument selbst ins Archiv gestellt habe, das Monatsarchiv gestaltet habe, meine Lieblingseinträge in die jeweiligen Unterkategorien verschoben habe. WordPress macht alles alleine, und ich habe das Gefühl, dass meine Einträge nur noch an mir vorbeirauschen. Alles fließt, nirgends ein Anfang, nirgends ein Ende, ich kotze meine Buchstaben fast mechanisch aus.

Ich weiß, dass diese Stimmung nicht lange anhält – bald gibt es wieder einen Film, zu dem ich etwas schreiben kann (wenn ich denn ins Kino gehe) oder ich finde einen wunderbaren Artikel, zu dem ich meinen Senf dazugeben möchte oder es entsteht mal wieder eine Alltagsbegebenheit, die sich interessanter anfühlt als der Rest meiner unanstrengend gleichförmigen Tage. Aber darauf zu warten, ist zäh. Und ich finde es im Moment selbst schwierig, die Faszination für dieses Weblog aufrecht zu erhalten.
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22.12.2004

Deppentod

Sich das Firmenlogo-Pin durch das Revers in die Herzgegend pieken.

(Ich glaube, ich trage das doch lieber rechts.)
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16.12.2004

Weihnachtsmann, c/o Amazon

Ein Buch vom Wunschzettel geschickt bekommen, das sogar in Geschenkpapier gewickelt ist, kurz grinsend denken: Hey, das ist ja wie Weihnachten, dann innehalten und sich vor die Stirn hauen: Es IST Weihnachten, du Hirn.
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01.12.2004
Daran denken, das Schleifchen zuhause vergessen zu haben anstatt an die Krankheit selbst.



Daran denken, in den vergangenen Jahren das Outfit passend zur Schleife gewählt zu haben.



Daran denken, dass man erst einmal im Leben einen AIDS-Test machen musste/wollte/besser ist das. Wie lange die Wartezeit war. Wie eklig das Gefühl am Telefon, wenn die Praxistante das Ergebnis im Computer sucht. Sich fragen, ob sie einen bei einem positiven Ergebnis in die Praxis bitten, um in Ruhe alles zu erklären oder ob sie einem das so locker am Telefon sagen und dann fragen, ob man vielleicht einen Termin haben möchte, nächsten Mittwoch vielleicht oder lieber Freitag, da sind wir aber nur bis 12 da?

Die Erleichterung ob des Ergebnisses. Gleichzeitig das ganz kleine, miese und doch so verlockende Gefühl, ach schade, jetzt wäre mein Leben so schön verplant gewesen, jetzt hätte ich ne Krankheit, an der ich alles ausrichten kann, jetzt dauert es nicht mehr so lange, bis dieser ganze Quatsch hier vorbei ist, noch bis 40, dann ist gut, dann muss ich nicht mehr darüber nachdenken, was ich aus meinem Leben mache, ob ich Kinder will oder nicht, ob ich jemals wieder einen Mann abkriege oder nicht, ob ich jetzt doch endlich mal ne Diät durchhalte, um einen Mann für die Kinder abzukriegen, wäre alles kein Thema mehr gewesen. Und dünner wäre ich auch geworden. Ganz von alleine.



Daran denken, dass jede hochnäsige Anmerkung, immer schön mit Kondom, soviel Zeit muss sein, selbst im hormonellen Überschwang noch einen klaren Kopf behalten, wer ficken kann, kann auch verhüten, das kriegt man doch wohl hin, alles Quatsch, der Kopf war aus, alles egal, wird schon nix passieren, nee, eigentlich hab ich nicht mal das gedacht, eigentlich habe ich überhaupt nicht mehr gedacht, eigentlich habe ich erst nachher darüber nachgedacht, eigentlich habe ich erst dann gedacht, wie doof ich war und wie doof ich wahrscheinlich auch in Zukunft sein werde, weil die Hormone ja anscheinend stärker sind als mein Hirn, das blöde Weichei, nicht mal mehr darauf kann man sich verlassen.



Ich weiß nicht mal seinen Nachnamen.
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29.11.2004

Die Hand im Rücken

Gestern in der Kirche. Erster Advent, viele Kinder, vorne war eine kleine Landschaft aufgebaut, und die Kinder mussten die Figuren, die in die Landschaft gestellt werden sollten, in der ganzen Kirche zusammensuchen, während der Pastor ihnen (und uns) die Geschichte von Maria und Josef und dem Engel und den Königen und den Hirten erzählte. Neben mir in der Bank saß ein Vater mit seinem Sohn, der fasziniert nach vorne guckte, wo sich fünf Kinder um die Landschaft scharten, mit den Figuren spielten und dem Pastor zuhörten. Er hörte auch zu; der Keks in seiner Hand war vergessen, die Jacke, an der er die ganze Zeit rumgenestelt hatte, lag unbeachtet neben ihm. Er sah zufrieden und gespannt aus.

Der Vater allerdings fand es nicht so schön, dass sein kleiner Liebling hinten in den Kirchenbänken saß, wo man sich doch vorne so schön produzieren konnte. Er schob ihn mehrmals in den Gang zum Altar und bedeutete ihm, loszugehen und mitzumachen. Der Kleine guckte verwirrt von Papa zum Kindergewusel und wieder zu Papa, ging ein paar Schritte nach vorne, blieb dann stehen, knabberte an seinem Keks, schien zu überlegen – und ging schließlich wieder zur Bank zurück. Dort setzte er sich ruhig hin und guckte wieder lächelnd nach vorne. Der Keks interessierte nicht mehr und Papa auch nicht.

Ich weiß, wie sich die Hand im Rücken anfühlt. Geh doch nach vorne, geh zu den anderen, geh doch mal spielen, sag doch mal hallo, warum hast du keine Freunde, warum bist du immer alleine, wieso willst du nichts mit den anderen machen? Ist das nicht langweilig, hinten zu sitzen und nur zu gucken und nicht mitzumachen?

Nein. Ganz im Gegenteil. Hampelt ihr ruhig da vorne rum. Ich sitze hier hinten und gucke und mache mir meinen eigenen Kopf. Ganz alleine, ganz in Ruhe, ganz in Frieden. Ich hätte dem Kleinen am liebsten gesagt, dass er weiter das machen soll, was er für richtig hält. Der Hand im Rücken ausweichen oder die Stirn bieten. Ich hätte ihm gerne gesagt, wie mächtig das macht, wenn man es hinkriegt. Die Hampelmänner werden weiter versuchen, ihn zu kriegen. Hoffentlich ist er mit 14, 24, 34 immer noch so stark wie mit 4.
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25.11.2004

Fuzzy

„Mich wundert ja, dass du noch keinen Blogeintrag über meine Bauchnabelfusseln geschrieben hast.“

„Ich will nicht, dass meine Leser wissen, dass mein Kerl Fusseln im Bauchnabel hat. Da ist schon wieder einer! Du produzierst die! Und immer in blau!“

„Ich bin bestimmt nicht der einzige mit Fusseln im Bauchnabel.“

„Das ist garantiert so’n Männerding. Ich kenne jedenfalls keine Frau, die Fusseln züchtet.“

„Das könnte daran liegen, dass Frauen keine Haare um den Bauchnabel rum haben.“

„Jedenfalls im Idealfall. Uah.“

„Ich könnte die Haare ja abrasieren.“

„Untersteh dich! Da nehme ich ja lieber die Fusseln in Kauf. Hab ich wenigstens was zum Spielen.“

„Ich bin gerade ein bisschen beleidigt, dass du mit meinen Fusseln spielst.“

„Du bist nicht beleidigt, du hast bloß keine freie Sicht auf den Fernseher, wenn ich über deinem Bauch meditiere.“

„Das auch. Aber, wie gesagt, ich bin wirklich erstaunt darüber, dass davon noch nix im Blog steht.“
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16.11.2004

Wheezy Gröner

Ich bin allergisch gegen Katzen. Und, wie ich seit Donnerstag weiß, auch noch gegen Pferde.

Wir hatten unsere halbjährliche Unitrunde (Ringelpiez mit Anfassen, Verbrüderung, mal außerhalb der Arbeit mit Kollegen abhängen, Spaß haben, Kampftrinken). Die letzte ging in den Hanseatic Gun Club (wer Lust hat, wühlt sich in Anke1 bis zum 19. Mai durch), diese ging – keine Ahnung wohin. Uns wurde vorher nicht gesagt, was wir machen; die einzige Ansage war: „Warm anziehen.“ Also setzten wir uns nichtsahnend und gespannt um 11 in den gemütlichen Reisebus, prügelten uns altersgerecht um die Stullen und schaukelten auf die Autobahn Richtung Süden. Nach einer knappen Stunde erreichten wir Dahlenburg im Niedersächsischen, und die Ahnungen, die wir angesichts des mitgeführten Wäschekorbs voller Möhren und Äpfel schon hatten, bewahrheitete sich: Wir waren auf einem Reiterhof.

Direkt hinter dem Hoftor begann schon die Stallgasse. Die ersten Pferdchen guckten aus den Türen, die ersten Kollegen boten Leckerlis an, und Anke rotzte die ersten Taschentücher voll. Nach der Begrüßung durch die resolute Gestütsherrin mit Kleinkind im Schlepptau gab es die Stallführung, bei der ich nicht zum Niesen kam, weil ich die Luft anhielt ob des typischen Stallgeruchs, den ich seit meiner Kindheit nicht wirklich leiden kann. Klar, ich bin ein Mädchen und vom Land und damit prädestiniert zum Pferde-toll-finden (tue ich ja auch), aber den Geruch von den Viechern fand ich schon immer grenzwertig. Vor allem den Geruch von zehn von ihnen auf einem Haufen. Ich blieb also ein Anstandssekündchen im Stall, hörte den beknackten Namen zu (wer nennt ein dickes Pony Rebell?) und bahnte mir schnellstmöglich den Weg wieder nach draußen, wo ich in Ruhe weiterniesen konnte.

Die nächsten Attraktionen waren ein Esel, der ein beliebtes Fotomotiv war (Stadtkinder halt), und ein Wildschwein, das mit Weißbrot gefüttert wurde. Ein blondes Mädel mit pinkfarbenem Lippenstift und glitzernder Wimperntusche schickte uns dann auf den Weg zur Weide, wo wir zwei Stuten mit ihren Fohlen abholen sollten. Der Spaziergang in der Sonne tat gut, ich nieste nicht mehr, genoss die frische Luft und fühlte mich wie im Urlaub. Nach unserer Rückkehr gab’s erstmal Mittag; deftige Kartoffelsuppe, Brot, Bierchen dazu. Meine Art Partnerin übernahm die Rolle der Kompaniemutter und schöpfte aus riesigen Schüsseln die Suppe in Plastikteller, die auf den zwei großen Tischen verteilt wurden. Als wir fast mit dem Essen fertig waren, standen plötzlich zwei Ponys im Raum, an denen uns erklärt wurde, wie man Pferde striegelt und wie man auf ihnen reitet.

Ich kann es nicht mal leiden, wenn Hunde bei Tisch rumhängen, aber Pferde hatte ich bis dato noch nicht beim Essen gehabt. Ich wunderte mich mal wieder über die Landbevölkerung, ahnte aber auch, dass eine meiner Freundinnen (Tierärztin und Bauernhofbewohnerin) das völlig normal finden würde, dass da eben ein Hottehü im Esszimmer steht.

Nach dem Essen stand eine Planwagenfahrt an. Wer Lust hatte und über ein gewisses Maß an Können verfügte, könne aber auch nebenher reiten, wurde uns gesagt. Einige meldeten sich zum Probegaloppieren, und wir gingen dazu in die Reithalle.

Sobald wir in der Halle waren, merkte ich, dass mein Hals ein bisschen enger wurde. Ich nieste nicht mehr, sondern atmete flacher und angestrengter. Nach wenigen Minuten ging ich wieder ins Freie, wo es aber nicht besser wurde. Meine Lunge fing an, leise vor sich hinzufiepsen, aber ich dachte immer noch, ach, das wird schon wieder. Mein letzter Asthma-Anfall war Jahre her, ich hatte seit Ewigkeiten kein Spray mehr benutzt geschweige denn eins dabei, und irgendwie hatte ich anscheinend völlig vergessen, dass der enge Hals eben nicht einfach so wieder weggeht, sondern dass ich dafür Medikamente brauche. Anders kann ich es mir im Nachhinein nicht erklären, dass ich nichts gesagt habe, sondern mich stattdessen kurzatmig in den Planwagen gesetzt habe, in dem Decken für uns lagen, die mit Allergenen nur so imprägniert waren. Sobald wir losfuhren, wurde das Atmen immer schwieriger; ich reckte den Kopf zur Frischluft, die von vorne kam, und dachte überhaupt nicht daran, mal irgendjemand Bescheid zu sagen, dass es mir nicht gut ging. Alles, was ich dachte, war: atmen. Atmen. Atmen.

Ein Kollege fragte mich schließlich, ob alles okay sei, woraufhin ich nur noch keuchte, dass ich keine Luft kriege, gleichzeitig stoßatmete und anfing zu heulen. Der Planwagen wurde sofort angehalten, ich stolperte nach draußen und versuchte, in tiefen Zügen Luft zu holen, was natürlich nicht geht, wenn die Lunge schon dicht ist. Ich fiepste lustig weiter, Tränen der Anstrengung liefen mir über die Wangen, und anscheinend wurde das Gutsvolk angerufen, dass sie mich bitte mit dem Auto abholten und zum Arzt schafften. Ich habe davon nicht viel mitgekriegt. Ich weiß nur noch, dass meine Art Partnerin zum Händchenhalten mit mir gefahren ist und Smalltalk mit dem Gestütsbesitzer gemacht hat. Das Gestüt liegt auf dem platten Land; wir mussten erst zwölf Kilometer ins Nachbardorf fahren, um zu einer Apotheke zu gelangen. Die Angestellte dort schickte mich 100 Meter weiter zu einem Arzt, der das Stethoskop nur kurz an meinen Rücken hielt und sofort die Cortisonspritze aufzog.

Jeder, der Cortison verteufelt, hat noch nie Atemnot gehabt. Das Zeug wirkt wahnsinnig schnell; so ungefähr muss sich ein Junkie beim Schuss fühlen wie ich mich auf dem Behandlungsstuhl gefühlt habe, als meine Lunge innerhalb von Sekunden wieder frei wurde. Auf einmal ist der Druck um den Hals weg, die Luft geht wieder ganz tief in den Bauch rein und nicht nur bis zum Kehlkopf, die Verkrampfung löst sich, die Angst verschwindet.

Ich musste noch zehn Minuten da bleiben, weil der Arzt mich nochmal abhorchen wollte. Währenddessen hatte meine Art Partnerin irgendwelche Allergie-Tabletten für mich besorgt, die ich auch gleich in der Praxis schlucken musste. Danach wurden wir wieder auf den Hof gebracht, wo der Rest der Truppe inzwischen angekommen war. Unsere Unit-Mama hatte den Busfahrer angewiesen, mich nach Hamburg zurückzubringen, denn ich sollte natürlich nicht mehr direkt auf den Hof und am besten schnellstmöglich aus den Klamotten raus.

So kam ich in den fragwürdigen Genuss, ganz alleine in einem riesigen Reisebus über die dunkle Autobahn zu fahren. Der Busfahrer legte, ohne dass ich was gesagt hätte, eine DVD ein, und so guckte ich Wild Wild West, während der Bus sich seinen Weg durch das Hamburger Schanzenviertel bahnte, teilweise durch Straßen, in die ich mich nicht mal mit dem Auto reintraue, weil sie so eng sind. Sehr beeindruckend.

Mein Chef hat mich schwören lassen, zum Arzt zu gehen und mir wieder ein Spray verschreiben zu lassen, das ich dann bitte während der Arbeitszeit in der Schreibtischschublade aufbewahren soll, damit er weiß, dass mir nichts passiert. Das werde ich wohl tun. Obwohl es mich selbst am meisten überrascht hat, dass die Allergie bzw. das Asthma wieder da sind. Ich dachte, das Thema wäre seit Jahren durch. War wohl nix. Genauso hat es mich überrascht, dass man alles vergisst, was man bei Anfällen schon erlebt hat. Die Panik war wieder da, die Hilflosigkeit und auch gleichzeitig die irrige Annahme, ach, das wird schon wieder. Eigentlich müsste man sich doch daran erinnern, dass es eben nicht wieder wird, sondern dass man Hilfe braucht. Mein Hirn ist ein noch größerer Depp als meine Lunge.
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08.11.2004
„Du wickelst deine Worte so schön in Geschenkpapier ein.“
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2
8.10.2004

Montag

Immer gut, das Raucherabteil zu buchen, weil es grundsätzlich leerer ist als die Nichtraucher-Ecke. Und da ich vorhabe, am Vorabend der Lesung mit der Stattkatze, dem Herrn Dahlmann und der Frau Emily einen trinken zu gehen und dabei auch gnadenlos zu rauchen, kann ich mich auch schon während der Zugfahrt von Hamburg nach Berlin langsam akklimatisieren. Also: Air auf den iPod, die Marlboro in den Mundwinkel, den Schäfchenpunkten draußen zugucken, langsam über die ehemalige Grenze schaukeln und sich geistig darauf vorbereiten, in 24 Stunden scheiße nervös zu sein.

In Berlin am Zoo angekommen, wird zuerst das Wichtigste an der Hauptstadt erkundet: Dunkin’ Donuts. Ich weiß nicht, warum diese wunderbare Errungenschaft der menschlichen Nahrungskette ihren Weg noch nicht bis nach Hamburg gefunden hat, aber wenn ich mal eine Online-Petition starten würde, dann hierfür. Der Sechserpack ist schnell ausgewählt, die Pappschachtel wird verstaut, und dann erst wird der Taxistand angesteuert. Auf der Fahrt zum Alexanderplatz ins Park Inn stelle ich fest, dass die Berliner anscheinend noch schmerzbefreiter Auto fahren als die Hamburger. Ich dachte immer, wir würden uns schon einen Scheiß um Mindestabstand und Geschwindigkeitsbegrenzungen scheren, aber da ist Berlin noch einen Zahn härter. Ich bin in zehn Minuten im Hotel. Die Zeitersparnis ist aber sofort dahin, da ich beim Einchecken allen Ernstes 15 Minuten in der Warteschlange stehe. 4 Sterne my ass. Wie im Penny Markt.

Das Zimmer selbst ist nett, der Ausblick aus der 22. Etage okay, soweit ich das um 18 Uhr beurteilen kann. In aller Eile wird das Haar nochmal durchgewuschelt, Parfum nachgelegt und das Make-up neu verteilt, denn der Herr Dahlmann als Entscheider hat uns um 19.30 Uhr ins Prassnik beordert, angeblich nur zehn Fußminuten von mir entfernt. Da hat Herr Dahlmann allerdings meinen mangelnden Orientierungssinn und meinen Berlin-Stadtplan von 1996 nicht mit eingerechnet.

Ich laufe zunächst in die falsche Richtung, lerne so aber schon den S-Bahnhof am Alex kennen und entdecke den nächsten Dunkin' Donuts, direkt am Cubix Kino. Kann mal irgendwer den Namensgebern sagen, dass alle Worte auf -ix allmählich komplett out sind? Apropos ix: Herr Schwenzel sollte eigentlich auch mit von der lustigen Bloggerpartie sein, hat es aber vorgezogen, eine lebensbedrohliche Veneninfektion vorzutäuschen und sich nach Köln ins Krankenhaus abgeseilt. Mädchen. Unsereins irrt währenddessen wieder zurück zum Alex und sucht einen Fußgängerüberweg. Der war in der Zone anscheinend nicht eingeplant trotz schönerer Ampelmännchen als im Westen, und so stolpere ich in die fiese Unterführung, erwische natürlich bräsigerweise den falschen Ausgang und mache den ganzen Weg doppelt. Schon leicht angeschwitzt und viel zu spät erblicke ich endlich ein Straßenschild, das mit einem Namen in meinem Stadtplan korrespondiert und bin immerhin in der richtigen Richtung. Frau Emily ruft währenddessen auf dem Handy an, denn eigentlich wollte ich mit der U-Bahn kommen, aber den Plan hatte ich schon wenigen Minuten als völlig undurchführbar verworfen. Ich frage mich an dem Abend sehr oft, wie ich es jemals geschafft habe, in London die ganzen Museen zu finden, die ich besucht habe, wenn ich nicht mal in dieser unserer Hauptstadt auch nur annähernd weiß, wo ich bin.

Irgendwann entdecke ich das Prassnik, wo Emily, Don und Anke (die andere Anke) bereits Getränke geordert haben. Ich bestelle ein Bier, gucke mir zum ersten Mal Frau Emily live und Frau Stattkatze überhaupt an und freue mich, hier zu sein. Anke und Don überschütten uns mit guten Tipps zur Lesung: „Kein weißes Papier“, „Keine Kohlensäure, das gibt Schluckauf“, „Langsam, deutlich, langsam, langsam“, „Die kommen, weil sie euch mögen und nicht, um mit Tomaten zu werfen“. Meine Nervosität legt sich ein bisschen, wir quatschen, ich esse Toast Hawaii und bin am Ende des Abends erstaunt, dass man für eine warme Mahlzeit und drei Bier nur 8 Euro 70 zahlen muss. In Hamburg kriegt man dafür gerade mal nen Milchkaffee.

Anke begleitet mich noch ein Stück in Richtung Hotel. Der Weg ist ein anderer als der, auf dem ich gekommen bin. Ich gehe an der Volksbühne vorbei, sehe bereits die Leuchtschrift Roter Salon, direkt dahinter der Fernsehtum. Mir wird wieder schlecht, ich habe Big Brother verpasst, und der Kerl zum Festhalten kommt erst morgen.


Dienstag

Die Leser (Emily, Herr Shhhh, Andrea, Frank und ich) sind um 10 mit Herrn Alphonso und Herrn Pahl verabredet: zum Lesen, Proben, Warmwerden, Ablauf absprechen und Texte aufnehmen.

Nach meinen gestrigen Erfahrungen beschließe ich, wahnsinnig früh loszufahren, um pünktlich zu sein. Diesmal finde ich sowohl die richtige U-Bahn als auch das richtige Gleis als auch Dons Adresse (wenn auch nicht die richtige Klingel), und stehe daher um 9.35 Uhr in Dons Wohnung. Herr Alphonso kocht Tee, ich werfe mich auf den bequemen Sessel und lese Probe. Gut, dass ich so früh da war, denn so hört keiner meine ersten erbärmlichen Versuche. Außer Don, der alles aufzeichnet und mir, der alles gnadenlos vorgespielt wird. Ich lese noch schneller als ich spreche, meine Satzenden hören sich eine Oktave höher an als die Anfänge und ich verstehe mich selbst kaum. Weitere gute Tipps, diesmal von Don 2 nach Don 1 und Stattkatze: „Mehr mit den Mundwinkeln arbeiten“, „Alles gaaaanz deutlich aussprechen“, „Lächeln“ „Mit der Stimme unten bleiben“.

Ich werde allmählich warm, Frau Emily kommt endlich aus dem Bad, Andrea klingelt, Herr Shhhh bringt den Sportraucher Herrn Waldar zwei Kumpels mit, deren Identität mir für immer verborgen bleiben wird, und spricht mich beharrlich mit Mama an, Herr Pahl kommt zu spät und redet sich mit Selbstmördern auf Gleisen und Zugumleitungen raus, und Frank ist noch nervöser als ich. Und liest vor allem noch schneller als ich! Mir geht es schlagartig besser, weil ich nicht mehr die einzige bin, die von Don auf Fehler hingewiesen wird.

Wir diskutieren die Textauswahl. Die, die ich wollte, will Don teilweise nicht, die, die er aussucht, finde ich nach viel Honig ums Maul dann auch okay. Jeder von uns liest einen Text aus dem Buch und einen weiteren, der nicht drin ist. Außer Andrea, denn ihre Buchbeiträge sind entweder zu lang oder zu kurz. Als der Ablauf steht, gehen wir alle in Dons Büro rüber und drucken die Texte auf gelbem Papier aus. Eher aus der Not heraus, weil Herr Alphonso das weiße Papier nicht findet, aber Emily und ich haben noch die Stattkatze im Ohr und freuen uns.

Es ist inzwischen 13 Uhr, wir besetzen den kleinen Chinamann an der Straßenecke, der zwar gut kocht, aber auch gerade renoviert, und essen zwischen Schlagbohrgeräuschen und Küchenlärm. Um 14 Uhr werde ich ein bisschen hibbelig, gehe alleine wieder ins Dons Wohnung und lese mir selbst die Texte mehrmals vor. Schön langsam, schön mit den hochgezogenen Mundwinkeln, schön deutlich. In meinem Kopf hört es sich an, als ob ich in Zeitlupe lese, aber in der Aufnahme klingt es richtig.

Die anderen trudeln ein, und wir beginnen mit den Aufzeichnungen. Dafür wird Emilys Gästematratze zwangsgeräumt und als Schalldämpfer in die Ecke gestellt. Davor das Mikro, und davor wir. Einer nach dem anderen. Herr Shhhh fängt an und rotzt seinen Text professionell runter. Ich bin neidisch, aber auch sehr stolz auf meinen Sohnemann, der viel schöner liest als seine Mama. Dann kommt Frau Emily, die ein wenig mit den Textseiten zu kämpfen hat. Weil wir sehr nah am Mikro stehen, müssen wir den Text ganz komisch verrenkt an uns vorbei halten, um ihn lesen zu können. Emily liest, bricht ab und Don spielt ihr wenige Sätze vor. Zum ersten Mal fällt ihr auf, wie komisch sie mit dem Zungenpiercing liest, und sie nimmt es raus. Emily und ich reden zehn Sekunden lang über Piercings, bevor uns Sickgirl Alphonso mit dem Rauswurf droht, weil ihm schlecht wird. Emily liest ohne Piercing weiter, währen der Retht von unth noch then Minuten tho redet wie Frau Emily mit Pierthing. Thie findet eth theithe, wir finden eth luthtig.

Andrea liest vom iBook ab, was noch komplizierter ist als das Papierhalten. Frank ist mehr mit Langsamlesen beschäftigt als mit Papier, ist aber ziemlich genervt von der seltsamen Haltung und schlägt vor, den Text an die Matratze zu pinnen. Ehe Frau Em ihr Reisenähset gefunden hat, hat Frank einen von seinen argh-Buttons geopfert und den Drahtbügel rausgebogen. Damit bohrt er nun seinen Text an die Matratze und braucht fünf Anläufe, bis Don zufrieden ist. Frank und ich versichern uns gegenseitig, dass, wer uns wirklich verstehen WILL, uns auch versteht, und dass die Leute, die uns nicht folgen können, es auch nicht wert sind.

Inzwischen ist es fast 18 Uhr. Kai und Don machen sich auf den Weg in die Volksbühne, ich fahre ins Hotel, um mich in die Lesungsklamotten zu werfen und die Texte noch jeweils viermal durchzuarbeiten. Ich male Pausenzeichen und Stimme-runter-Zeichen und schreibe mir ganz dick LANGSAM oben drüber.

Um kurz nach sieben komme ich am Roten Salon an, werde am Eingang rotzig gefragt, wer ich denn sei, weil ich natürlich keine Eintrittskarte habe und kann zum ersten Mal sowas sagen wie: „Ich lese hier heute abend.“ Stolz wie Bolle komme ich in den Saal, der noch leer ist und treffe auf meine Mitstreiter. Don und Kai gehen ihre Moderation nochmal durch, Herr Shhhh raucht eine nach der anderen, Emily und Andrea trinken Whisky (angeblich für die Stimme) und Frank schluckt Emilys Bachblütentropfen literweise. Ich will einfach nur, dass es anfängt, damit es ganz schnell wieder vorbei ist. Ich hibbele sinnlos in der Gegend rum, begrüße Lyssa und Heiko, der im Laufe des Abends das mieseste Foto von mir macht, das ich je gesehen habe, and believe me I've seen a few, erkenne Frau Elfengleich nicht, weil ich sie auch noch nie vorher gesehen habe, treffe Frau Julie, bin über den bayerischen Singsang von Herrn dekaf entzückt, kann gerade noch Herrn Dahlmann, Herrn Lumma und die Stattkatze begrüßen, und dann werden wir auch schon auf die Bühne zitiert. Jetzt ist mir wirklich schlecht.

Der Saal ist ausverkauft. Ich sehe davon nicht viel, weil uns gnädigerweise die Scheinwerfer blenden. Eingeklemmt zwischen Andrea und Frank lausche ich der Einführung des Verlegers, den Worten von Don und Kai, und dann bin ich die erste, die lesen darf/soll/muss/will. Ich lese Salzkartoffeln (google it oder listen to it), komme gut durch, freue mich auf meinen ersten Applaus für den ersten eigenen Text, den ich jemals vor Leuten vorgetragen habe und – Herr Pahl runiert den Moment, weil er sofort nach meinem letzten Ausatmen sagt: „Das war Anke Gröner blablabla“ ... das Publikum klatscht ein wenig in seine Abmoderation rein, aber trotzdem bin ich ein wenig stinkig. Egal. Es ist anscheinend niemand rausgegangen, was ich als Erfolg werte. Was die anderen machen, weiß ich nicht mehr. Ich sitze nur noch debil grinsend auf der Bühne und gucke ins Licht. Die Zeit geht wahnsinnig schnell rum, schon ist die erste Leserunde vorbei, und die zweite steht an. Jetzt beantworten wir Fragen von Don und Kai zu uns, zu unserer Auffassung von Blogggen, der Öffentlichkeit, dem Realitätsbezug ... wir hatten jeweils zwei Fragen vorher abgesprochen und hatten so Zeit, uns wahnsinnig kluge Antworten zu überlegen. Ich weiß nicht mehr, was ich gefragt wurde, und ich weiß auch nicht mehr, was ich geantwortet habe, aber ich weiß, dass plötzlich eine Frage kam, die ich noch nie gehört hatte. Das sage ich auch: „Hey, die war gar nicht abgesprochen.“ Im Nachhinein erzählt Kai, dass wir ein bisschen vor dem Zeitplan von anderthalb Stunden für alles waren und dass Don und er deshalb noch Spontanfragen gestellt habe. Auch an die erinnere ich mich nicht mehr. Aber an das Vorlesen der Eisente (google it oder listen to it oder schau nach bei der Morgenpost, deren Artikelschreiberin während der Lesung wahrscheinlich dreimal auf dem Klo war, denn mein richtiger Beruf wurde, glaube ich, so oft erwähnt), bei der ich auch ein paar Lacher kriege, über die ich mich sehr freue.

Im Anschluss an die Texte darf das Publikum Fragen stellen. Hendrik outet sich als mein Groupie, als er fragt, wie lange mein Blog noch geschlossen bleibt, weil er das doch jeden Morgen so gerne liest. Ich antworte (wie sehr diese Antwort stimmt, könnt ihr anhand dieses Eintrags überprüfen), dass das Blog so lange dicht bleibt, bis Frau Elfe mir ein schönes, neues, anständiges, erwachsenes Blogsystem installiert hat. Aus dem Dunkel kommt der Ruf: „Mit Permalinks?“, was ich bejahe, worauf ich den größten Applaus des Abends kriege. (Nichtblogger im Publikum: „Was für ein Wort war das gerade?“ „Keine Ahnung, aber die beiden Jungs da vorne freuen sich so drüber, lass ma mitklatschen.“)

Dann verlegen wir weitere Fragen an die Bar. Die Lesung ist vorbei, Frank und ich schweben auf Wolken, die anderen sind die Öffentlichkeit seit Frankfurt ja schon gewohnt und daher nicht ganz so aufgekratzt. Ich fange an, mir Martini Bianco in den Kopf zu schütten und mich mit Hendrik über die Einstürzenden Neubauen zu unterhalten. Dann kommt ein Journalist, der für das Deutschlandradio einen Bericht über die bobs macht, auf Andrea und mich zu und schleppt uns zum Interview. Ich gebe das erste Interview meines Lebens und fühle mich arschcool bis zum Anschlag.

Danach bin ich allerdings schlagartig müde und will eigentlich nur noch ins Bett. Die versammelte Bloggeria im Saal geht geschlossen in eine Punk-Pizzeria in der Nähe, der Kerl und ich huschen noch schnell bei einem Türken vorbei, der nur für die kerl’sche Currywurst den Grill nochmal anwirft, und dann sind wir im Hotel. Der Kerl, dessen zweiter Vorname „Rationalität“ ist, meinte, die Lesung sei ja wohl planmäßig verlaufen und nickt ein, sobald das Licht aus ist. Ich gucke ins Dunkel und bin glücklich über die Erfahrung, die ich heute auf der Bühne und davor und danach machen durfte und knutsche die Schlafmütze, weil er dann so schön doof grinst. Aber ich habe wieder Big Brother verpasst.


Mittwoch

Morgens entdecke ich die Aufschrift auf dem Gebäude, das dem Hotel gegenüber steht. Auf die circa 200 Meter lange Fassade ist auf den Beton zwischen den Fenstern das Ende (?) von Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin gepinselt. Jedenfalls klingt „1929 wird noch kälter“ für mich wie der letzte Satz. Ich freue mich, Literatur an einem unerwarteten Ort entdeckt zu haben.

Der Kerl und ich gucken uns die Ausstellung „40 Jahre ADC“ im Kunstgewerbemuseum an, die total für die Tonne ist. Anscheinend haben die Jungs nur die Seiten des zur Ausstellung gehörenden Buchs farbkopiert, in billige Glasrähmchen gepinnt und an die Wand gehängt. Teilweise kann man die Copys nicht lesen, weil die Typo zu verwaschen ist. Das einzig gute ist die DVD, die prämierte Spots aus 40 Jahren zeigt. Mir fällt auf, wie eklig die 80er Jahre waren, und ich schäme mich plötzlich für jedes einzelne Kleidungsstück, das damals in meinem Schrank war. Im Buch ist die DVD natürlich nicht drin. Ich blättere trotzdem 69 Euro für das Teil hin, weil ich gerne die Copys lesen will, die ich in der Austellung nicht erkennen konnte und verfluche nicht zum ersten Mal die Spacken vom ADC.

Danach fahren wir zur Nachbesprechung zu Don, wo Emily ohne Make-up sitzt und nur nach Hause will. Der Chinamann hat seine Schiebetür anscheinend fertig installiert, heute hört man nur den Wok und das niedliche Geplapper von drei Berliner Omis, die sich freuen, dass der Cafe au lait („ole, ole“) so schön billig ist.

Der Kerl will Comics kaufen, ich will ins Hotel, denn abends steht für mich Les Misérables im Theater des Westens auf dem Programm, während der Kerl schon wieder nach Hause muss. Wir knutschen zum Abschied vor dem Chinamann, ich winke Emily, Andrea und Don zu und bedauere es, mich nicht anständig von Frank und Herrn Shhhh verabschiedet zu haben.

Ein paar Stunden später sitze ich in der ersten Reihe im Theater des Westens (immerhin im zweiten Anlauf gefunden – das Theater, nicht die Sitzreihe) und muss mich mit Mama und stimmbruchgeplagtem Sohn hinter mir rumplagen, die mich anzicken, dass ich gefälligst das Mützchen abnehmen soll („Sowas aber auch“), die aber selbst munter nach jeder Nummer erstmal deutlich hörbar ein Fazit der letzten fünf Minuten ziehen. Das Musical läuft nur noch bis Ende Dezember; anscheinend hat es auch jeder außer mir schon zehnmal gesehen: Das Pärchen neben mir diskutiert die Ähnlichkeit der Barrikaden mit denen in New York und dass der Typ, der den Valjean singt, als romantische Besetzung einfach nichts taugt. Mir gefällt's trotzdem, ich bedauere, dass das Theater nur zu zwei Dritteln ausverkauft ist, gönne mir in der Pause einen Sekt und flenne erwartungsgemäß dadurch im zweiten Akt noch mehr als im ersten. Am liebsten würde ich bei einigen Songs mitsingen, die ich dann doch schon mal gehört habe, lasse es aber sein und hüpfe mit verheultem Make-up wieder in die S-Bahn am Bahnhof Zoo, die mir einen Blick auf die Reichtstagskuppel (wieder nicht geschafft), die Museumsinsel (wieder nicht geschafft) und noch mehr Kram in Berlin ermöglicht, den man sich ja dann doch irgendwann mal angucken müsste. Der Kerl ruft an, er sei zuhause angekommen und wünscht mir eine gute Nacht. Ich habe wieder Big Brother verpasst.


Donnerstag

Ich sitze im Zug und tippe den Bericht über die letzten drei Tage, wünsche mir, dass ich zwei statt einer Woche Urlaub genommen hätte, gönne mir einen 2 Euro 60-Kaffee im Zug und finde es ziemlich bezeichnend, dass mir der iPod Ozzys Mama, I'm coming home spielt, als ich in Hamburg das Berliner Tor passiere.

(Hat irgendwer ER aufgezeichnet?)




13.09.2004
Small things, perfect moments.

Der Augenblick im Denny's in Fort Wayne, irgendwann Mai 1999. Ich war seit ein paar Tagen in den USA, bei Karl, bei Tom, bei Ron, bei meiner Zweitfamilie, beim Golfen, beim Filmegucken, beim Pokern, Biertrinken, Rauchen. Ich habe versucht, Rons Papagei deutsche Schimpfwörter beizubringen. Ich habe Tom zur Arbeit gefahren, um dann mit seinem Auto über den Highway zu kurven, die Sonne zu genießen und Rush Limbaugh im Radio zu verfluchen. Ich habe an einer Baustelle gehalten und mich darüber gewundert, dass es hier jemanden gibt, der ein Schild hält, das den Autofahren sagt, dass sie jetzt weiterfahren dürfen anstatt dass eine Ampel das tut. Ich war bei Wendy's und habe die braune Papiertüte, in der der Burger verpackt war, behalten, weil ich den Kontrast zwischen dem altmodischen Logo und der aufgedruckten Internet-Adresse so hübsch fand. Ich habe Livin' la vida loca hundertmillionenmal gehört und mich darüber gefreut, dass die first come, first serve-Regel an Kreuzungen wirklich funktioniert. Ich bin mit Karl stundenlang durch die Mall geschlendert, ohne irgendwas zu kaufen. Ich habe mir von Karls Großvater von seiner Zeit als Soldat in Deutschland erzählen lassen und mich gefragt, ob das stimmt, dass die Kürbisse bei uns anders schmecken als hier. Ich habe jeden Augenblick genossen, aber dieses ganz bestimmte Gefühl hatte sich noch nicht eingestellt. Dieses Gefühl, das ich letztes Mal bereits beim Anflug auf Chicago hatte. Das Gefühl, das mir sagt: This is home. You're safe. And it's not the movies, it's real. Mein ganz persönliches Amerika-Gefühl eben. Es ließ noch auf sich warten, obwohl ich alles tat, um mich davon zu überzeugen, dass doch alles klasse war.

Und dann saßen Karl und ich eines Abends bei Denny's. Er knabberte an seinen Pommes, ich schlürfte geräuschvoll einen Schoko-Shake, und draußen ging die Sonne unter.
Ich fragte die Bedienung, ob ich eine Speisekarte kaufen könne als Andenken für einen Freund zuhause. Sie fragte, wo ich herkäme, ich sagte Deutschland, und wir plauderten ein wenig. Währenddessen wurde der Himmel dunkelrot, dann dunkelblau, die Straßenlaternen und neon signs flackerten auf, Karl hatte seine Pommes vernichtet, und mein Schoko-Shake war zu schnödem Kakao geworden. Ich guckte nach draußen, besah mir die Autos, die Wolken, die Menschen, die Lichter, guckte zu Karl, der davon fasziniert war, dass ich von allem in Amerika fasziniert war, und dann kam die Bedienung wieder an den Tisch. Sie gab mir eine Speisekarte und meinte, sie wäre ein Geschenk. "Something to remember us by.“

Und da war es. Das Gefühl, auf das ich gewartet hatte. Mein Gefühl. Dass ich alles hinter mir gelassen hatte, was mich belastete: meine unsichere Jobsituation, meine nicht vorhandenen Zukunftspläne, meine unaufgeräumte Wohnung, mein Genervtsein von mir selbst, meine Traurigkeit, meine Einsamkeit. Ich hatte nur mich mitgebracht, und das reichte, um mich sicher zu fühlen. Und alles, was noch zählte, war hier an diesem Tisch: mein Seelenverwandter, ein Geschenk einer Fremden und eine kleine freundliche Geste. Und die Aufforderung, sich an all das zu erinnern.

I'll do that. It hurts a little. But it's worth it.




07.09.2004
Guess what Anke did yesterday:



Genau. Anke war singen.

Seit einigen Monaten habe ich im Hinterkopf, Gesangsunterricht zu nehmen. Ich singe, seit ich denken kann. Meine englischen Vokabelkenntnisse kommen daher, dass ich Songtexte verstehen und mitsingen wollte. Ich bin allerdings niemand, der vor Leuten singt. Im Kinderchor, klar, in der Kirche, auch kein Thema. Aber mich vorne auf eine Bühne stellen und singen – no way. Ich war auch nie der Meinung, eine besondere Stimme zu haben. Aber vor ein paar Monaten sind zwei Freunde von mir und ich zu einer Party gefahren. Die beiden haben vorne zum Radio mitgegrölt, und ich dachte mir hinten irgendwann, ach egal, singste halt mit. Und als ich bei Pinks „Bahahahabyyyy, you're mine“ zum ersten Mal aus vollem Hals mitsang, drehten sich beide um und meinten nur: „Wow.“

Seitdem habe ich unserer Empfangsdame in meiner alten Agentur mal vorgesungen, die ausgebildete Musicalsängerin ist, um festzustellen, ob da vielleicht doch ein bisschen Stimme in mir schlummert. Sie meinte, dass auf jeden Fall Potenzial da sei (im Klartext: ein Plattenvertrag wird's nicht, aber da müsste ich ja auch nach vorne auf eine Bühne) und hat mir die Nummer ihres Gesangslehrers Tony gegeben. Nach ein paar Tagen Zieren und Zögern habe ich ihn angerufen, und gestern hatte ich meine erste Stunde.

Was soll ich sagen? Es – war – so – geil.

Tony ist Amerikaner, ausgebildeter Tenor und zurzeit einer der drei Dirigenten von Der König der Löwen – die Stunden finden übrigens im Theater statt, allerdings natürlich hinten im Verwaltungstrakt und nicht vorne, wo's spannend wäre. Er hat zum Einstieg Tonfolgen auf dem Klavier gespielt, die ich nachgesungen habe. Anfangs noch etwas zittrig und nervös, aber schon nach wenigen Minuten freier und voluminöser. Dabei musste ich im Zimmer rumlaufen oder bei höheren Tönen so tun, als würde ich einen Frisbee schmeißen – inklusive Armbewegung und Kraftaufwand. Das Spannende dabei: Ich habe mich so auf den Arm und den imaginären Frisbee konzentriert, dass ich plötzlich in Tonlagen gesungen habe, von denen ich nie geglaubt hätte, dass ich sie hinkriegen würde – einfach weil ich nicht darüber nachgedacht habe, ob ich da wohl hinkomme, ob sich das gut anhört, ob ich genug Luft habe blablabla. Ich habe mittendrin in den „Etüden“ angefangen zu lachen, weil ich mich so gefreut habe, wie toll es klang und wie wenig nach DSDS erste Castingrunde, was ich insgeheim befürchtet hatte.

Nachdem ich warm war, habe ich zwei Lieder singen dürfen: Send in the clowns aus A Little Night Music und No one knows who I am aus Jekyll & Hyde. Tony hat einige Takte vorgesungen, ich hab leise mitgesummt und dann selbst gesungen. Dazu hat Tony mich auf dem Klavier begleitet. Auch hier habe ich kurz innegehalten, aber diesmal nur für mich: Ich singe! Ich singe, und jemand begleitet mich auf dem Klavier! Und es klingt für die erste Stunde schon verdammt annehmbar. Ist das SCHÖN!

Ich hatte leider nichts zum Aufnehmen dabei, wie Tony mir geraten hatte, so dass sich das Üben für nächste Woche als ein kleines Problem herausstellt. Ich habe zwar die Noten hier, aber leider weder mein Akkordeon oder meine Geige, um mir den Anfangston zu geben oder mir die Melodie nochmal zu vergegenwärtigen. Ich glaube, ich muss meine Melodica mal suchen, um für nächste Woche vorbereitet zu sein.

Der Kerl musste übrigens danach für Stunden meine geperlten Tonfolgen ertragen, denn ich wollte gar nicht mehr aufhören zu singen. Es hat soviel Spaß gemacht und soviel gute Laune, auch wenn mir meine Schultern jetzt weh tun und ich müde bin vom vielen Adrenalin. Es war einfach klasse. Und bis nächsten Montag schicke ich jetzt die Clowns rein und frage mich, wer ich bin. Mimimimiiiiiii ...




03.09.2004
Deine Locken, die ich mit dem Finger nachziehe, wenn sie sich über deiner Stirn kringeln. Deine Fingernägel, die widerstandslos über meine Haut gleiten. Deine griechischrömischimposante Nase, die sich in meiner Halsbeuge verliert. Dein Rücken, der in einem perfekten, sanft definierten Schwung ausladender und für meine Küsse einladender wird. Deine Schultern, die breit genug für meinen Dickkopf sind und weich genug, um sich nicht an meinen zu stoßen. Deine Lippen, die immer noch nach immer neu schmecken. Dein Atem, an den ich mein Ohr halte, wenn du schläfst. Dein Blau, das hell aufschimmert, wenn du morgens die Augen öffnest. Deine Hände, die meinen Körper nachzeichnen. Deine Arme, die mich einfangen. Dein kleines Lächeln, wenn du mir ein großes geschenkt hast.
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21.08.2004
Gestern ist wieder ein Stück meiner Jugend dahingegangen: Ich musste mein Zungenpiercing rausnehmen.

Seit zwei Tagen tat meine Zunge weh; es fing an mit „ein bisschen empfindlich sein“ und endete gestern mit „Schlucken fühlt sich an, als ob ich mit Rasierklingen gurgele“. Jedesmal, wenn ich das Piercing angestoßen habe, hat es widerlich weh getan, und auch ohne den Piercer meines Vertrauens oder einen Arzt zu fragen, war klar: Das Teil muss raus. Also habe ich Händchen und Piercing gut abgetrocknet und mit ein bisschen Gewalt die untere Kugel gelöst, so dass ich die obere Kugel mit dem Stift aus der Zunge ziehen konnte. Und siehe da – der Schmerz war weg. Um die Mulde, die das Piercing in acht Jahren Tragen hinterlassen hat, ist die Zunge noch etwas empfindlich, aber es ist deutlich besser als vorher.

Meine Zunge fühlt sich jetzt sehr leicht an. Ihr fehlt diese kleine Stahlhantel, mit der man so schön an den Zähnen klappern konnte, was meinen Zahnarzt jedesmal stoßseufzen ließ; man konnte prima Rillen in Eiscreme und Nutellabrote machen, und das Küssen hat sich ein bisschen anders angefühlt. Ich habe meinen Kerl gebeten, mir die nächsten zwei Wochen (Minimum) zu sagen, dass es sich viel, viel, aber sowas von wirklich total viel besser anfühlt, mich ohne Piercing zu küssen, und natürlich werde ich es ihm jedesmal glauben.

Ich weiß noch, wie ich damals ein bisschen von mir selbst überrascht in den Piercing-Laden gegangen bin, um mir die Zunge durchstechen zu lassen. Alle Horrorstorys, die ich vorher gehört hatte, haben sich in meinem Fall netterweise nicht zugetragen. Keine Gesichtslähmung, keine Nervenschäden, und ich konnte auch noch das englische Ti-Äitsch fehlerfrei aussprechen. Von den fünf Piercings, die ich im Laufe meines Lebens hatte, hat die Zunge am allerwenigsten weh getan, nämlich gar nicht. Ich habe zwar gesabbert und geblutet, aber es war komplett schmerzfrei. Die Zunge war danach allerdings drei Tage lang zentimeterdick, aber dafür bekommt man ja auch die lange Lanze eingesetzt, wenn man sich piercen lässt. Eine Woche später kam die etwas kürzere Stange rein, und wiederum eine Woche später das kleine Schmuckstück, das ich bis gestern im Mund hatte.

Ich weiß, dass ich das Piercing nicht einfach so wieder einsetzen kann, wenn die Entzündung abgeklungen ist, denn einen Versuch habe ich bereits hinter mir. Vor vier Jahren war ich der Meinung, ich sei allmählich durch mit der Piercing-Phase und habe es rausgenommen. Und bereits drei oder vier Stunden später hatte ich das Gefühl, dass mir etwas fehlte. Also wollte ich den kleinen Silberling wieder einsetzen, musste allerdings feststellen, dass meine Zunge wirklich ein prima Heilfleisch hat – im Gegensatz zu anderen Körperteilen, wie zum Beispiel der Rücken, wo meine schöne Bandscheibennarbe nicht ganz so abgeheilt ist wie ich es gerne hätte. Oder ich habe einen dermaßen krummen Rücken, dass es normal ist, dass die Narbe eine kleine Biegung macht. Jedenfalls war das Loch in der Zunge bereits nach wenigen Stunden ziemlich gut abgeheilt, ich im Gegenzug allerdings ziemlich bockig, so dass ich mit mehr Gewalt, als so empfindlichen Körperteilen wie Zungen gut tut, das Piercing wieder reingewürgt habe. Ich habe geheult, ich habe geblutet, und ich habe lauter geflucht als jemals zuvor. Wenn auch ohne Konsonanten, denn die kann man ziemlich schlecht aussprechen, wenn man gerade seine Zunge in der Hand hat.

So durfte mein Piercing noch weitere vier Jahre meinen Mund zieren. Die Entzündung ist noch nicht ganz weg, und ich weiß, wie es aussieht, wenn ich morgen oder übermorgen versuche, den Stift wieder durch die Zunge zu stecken. Es wird nicht funktionieren. Und ich habe diesmal keine Lust auf Heulen und Bluten und Ohne-Konsonanten-Fluchen. So nehme ich seit gestern ein bisschen weinerlich von meinem Lieblingspiercing Abschied.

Gut, dass wenigstens mein Nasenring noch da ist. Der ist auch schon fast 20 Jahre lang mein Begleiter, und das wird er auch bleiben, außer ich bekomme Lepra, und mir fault die Nase ab. Aber spätestens dann lasse ich mir den Bauchnabel piercen, auch wenn der Schmuckstein in den Speckröllchenrollen verschwindet. Ganz ohne Metall geht es einfach nicht.




06.08.2004
"If you can't stand the heat, get out of the kitchen."

Okay, Truman, I'm in the hallway. Now what?




31.07.2004
SamstagSieben mit viel Wasser auf meiner Mühle. Danke für die Fragen.

1. Die Rechtschreibreform ist gut, weil ...
... sie einiges vereinfacht hat. Nicht mehr radfahren und Boot fahren, sondern Rad fahren und Boot fahren. Kein großes Du mehr, sondern alles klein; nur die förmliche Anrede Sie bleibt groß und macht sie daher besonders. Kein Wegfallen mehr von Konsonanten wie bei Brennessel und Schiffahrt. Und mir persönlich gefällt die neue Schreibweise von Paragraf und zurzeit (analog zu derzeit) viel besser als die frühere.

2. Die Rechtschreibreform ist schlecht, weil ...
... einiges komplizierter ist als vorher. Die Regel mit s, ss oder ß zum Beispiel. Ich habe in der Schule die wunderbar simple Regel gelernt: Es gibt im Deutschen kein einziges Wort, ich wiederhole gerne: kein einziges Wort, das auf ss endet. Konnte man sich prima merken. Und statt diese Regel zu belassen, wurde sie verkompliziert. Heute muss ich bei jedem Wort überlegen, ob der Vokal vor dem s nun lang oder kurz ist, also ob ich ein ß oder ein ss setze, wie bei Fuß oder Fluss. So sehr ich das ß mag – ich hätte nichts dagegen gehabt, es komplett abzuschaffen und damit eine Fehlerquelle zu eliminieren, anstatt die Chance noch zu vergrößern, Fehler machen zu können.

Außerdem sind manche neuen Schreibweisen Sinn verfälschend (formerly known as sinnverfälschend) wie zum Beispiel allein stehend. Es ist für mich ein Unterschied, ob ich alleine stehen kann oder ob ich keinen Partner habe. Bisher wurde die eine Möglichkeit getrennt, die andere zusammen geschrieben. Heute schreibt man beides getrennt, und ich finde es unlogisch.

Was mich generell nervt, ist, dass mehrere Schreibweisen nebeneinander existieren. Man darf Jogurt, aber auch Joghurt schreiben, freudscher oder Freud'scher Fehler, Portemonnaie oder Portmonee. Jeder wie er mag. Was zur Folge hat, dass man sich nicht mehr auf das gedruckte Wort z.B. in Zeitschriften oder Büchern verlassen kann. Ich habe meine gute Rechtschreibung dadurch gelernt, dass ich viel gelesen habe und mir so die korrekte Schreibweise fast nebenher merken konnte. Wenn ich heute drei Magazine vergleiche, schreibt jeder auf eine andere Weise – auch gerne nochmal nach der alten, heute also falschen Rechtschreibung. Vielleicht weil auch viele Redakteure die neue noch nicht so verinnerlicht haben.

In meinem Job war es wichtig, die neue Rechtschreibung so schnell wie möglich zu lernen, denn die meisten Kunden wollten von vornherein keine „alten“ Texte mehr. Und obwohl es natürlich für alles ein Lektorat gibt und ich eine Menge Texter kenne, die nicht mal die alte Rechtschreibung beherrschen, ist es einfach mein ganz eigener Anspruch an mich, korrekt schreiben zu können. Also habe ich mich hingesetzt und Regeln gepaukt. Aber gerade bei Getrennt- und Zusammenschreibung muss ich vieles nachschlagen, weil ich mir einfach nicht merken kann, ob jetzt z.B. eine Verbindung von einem Verb im Infinitiv und einem zweiten zusammen oder getrennt geschrieben wird (man schreibt es immer getrennt). Beim Blogs!-Buch, wo ich alle meine Texte nochmal Korrektur gelesen habe, waren trotzdem noch fünf kleine Fehler drin. Immerhin weiß ich nun, dass man des Öfteren mit großem ö schreibt. Aber es schleichen sich in meine Ergüsse immer noch Macken ein, einfach, weil ich bei vielen Worten gar nicht darüber nachdenke, ob sie inzwischen vielleicht anders geschrieben werden.

Ich glaube trotzdem, dass es falsch wäre, die Reform zurückzunehmen. Sie sollte in einigen Fällen nachgebessert werden, aber auf keinen Fall möchte ich wieder zur alten Schreibweise zurück. Auch wenn ich vorher gejammert habe wie nichts Gutes, dass ich mich nie an ein Doppel-S gewöhnen würde – es ging schneller als ich gedacht habe.

Peinlich finde ich die FAZ, die ja weiterhin nach der alten Rechtschreibung schreibt; sie erinnert mich an ein bockiges Kind im Supermarkt, das sich auf die Erde schmeißt, weil es kein Snickers kriegt. Ich habe mir die neuen Regeln mehr oder minder vollständig angeeignet, die Schulkinder lernen sie seit Jahren – was würde es bringen, das Ganze wieder rückgängig zu machen? Warum sollte man zweimal neue Regeln lernen, wenn einmal völlig ausreicht? Und auch wenn ich großen Respekt vor vielen deutschen Schriftstellern habe – dieses Genöle, man wolle die alte Rechtschreibung wiederhaben, ist doch affig. Ich konnte mich umstellen, dann kann Günter Grass das doch erst recht.

3. Mein deutsches Lieblingswort in diesem Jahr ist ...
Idiosynkrasie. Wie jedes Jahr. Hab ich vor 100 Jahren in einem MAD-Heft gelesen. Ist das erste Wort, bei dem ich mich erinnere, die Bedeutung nachgeschlagen zu haben.

4. Mein deutsches Unwort in diesem Jahr ist ...
Ich mag Worte wie Knorpel oder Propf Pfropf nicht. Die klingen so organisch-eklig.

5. Das Wort, das ich immer falsch schreibe, ist ...
Es gibt zwei Worte, bei denen ich etwas langsamer tippe. Einmal Atmosphäre (h oder kein h?) und Marilyn wie in Monroe. Wo das i und wo das y? Eselsbrücke: wie im Alphabet. Erst das i, dann das y.

6. Es gibt im Deutschen kein Wort für „nicht mehr durstig“ (nicht mehr hungrig = satt). Mein Vorschlag für ein solches Wort:
Ich kann mit „nicht mehr durstig“ prima leben. Kunstworte finde ich doof.

7. Der Verein Deutsche Sprache fordert weniger Anglizismen. Dieses englische Wort/dieser Spruch nervt mich am meisten:
Mich nervt eher der Verein Deutsche Sprache als irgendein Anglizismus. Die komische Altherrenrunde, die am liebsten aus
E-Mail E-Post machen würde, nur weil es ums Verrecken deutsch klingt, kann ich einfach nicht ernst nehmen. Sprache ist etwas Lebendiges; sie profitiert von fremdsprachigen Einflüssen und wird dadurch reicher. Pseudo-Anglizismen wie Handy oder Showmaster oder Werbesprüche wie „Come in and find out“ oder (mein Negativliebling) „The Future. Together. Now.“ sind natürlich grenzwertig, aber solange sie nicht komplett falsch sind, sehe ich kein Problem.

Außerdem finde ich das Feindbild allmählich langweilig. Wo ist die Bürgerbewegung gegen den allgemein fremdsprachlichen Einfluss? Ich wollte schon immer ne Demo gegen Haute Couture machen. Oder gegen Paparazzi. Oder la ola. Haben die Jungs eigentlich auch was gegen kreative deutsche Wortschöpfungen wie unkaputtbar?




14.07.2004
An manchen Tagen passiert einfach gar nichts Außergewöhnliches. Man wird wachgekuschelt, albert schlaftrunken rum, steht auf, fährt zur Arbeit, schreibt, korrigiert, denkt aus, lernt dazu, telefoniert, surft, fährt nach Hause, kocht, isst zusammen, redet, schweigt, liest, lacht, liebt, schläft ein. Und am nächsten Morgen fällt einem auf, dass das, was so banal klingt, ein wunderschöner Tag war. An dem gar nichts Außergewöhnliches passiert ist. Nur das normale Leben.

Was für ein Leben. Was für ein Tag. Was für ein kleines Wunder.




08.07.2004
In der Mittagspause in den nahegelegenen Spar-Markt geschlendert, weil ich Japp auf Grießbrei hatte (Fertigprodukte, I salute you). Im Spar-Markt leuchtete mir als erstes eine Kiste Limetten entgegen, mein übermüdetes Nach-Präse-Hirn reagierte pawlowartig auf den Schlüsselreiz und wollte plötzlich nur noch eins: Cocktails. Literweise. Einfache, damit man nicht so viele Zutaten kaufen musste. Aber bei Limetten geht ja eh nur einer wirklich. Also ging ich zielstrebig auf die Kiste zu, als sich – whooosh – eine typische Eisente, komplett mit zartrosa Twinset und Perlenkettchen, direkt vor mich drängelte und damit begann, jede einzelne Limette anzutesten.

Ich hab bis heute nicht verstanden, wie genau man den Reifegrad einer Südfrucht feststellt, es ist mir meistens auch egal, schließlich wird das Zeug eh zerstoßen und mit Schnaps übergossen und zugezuckert, scheiß drauf, ob die noch drei Tage hätten liegen müssen. Ich schlich also etwas ziellos in der Obstecke umher, weil ich dachte, Frau Eisente müsste doch nach 20 Sekunden fertig sein, aber weit gefehlt. Nachdem sie ungefähr die halbe Kiste durchgedrückt und dabei ganze zwei Limetten in ihren Einkaufskorb gepackt hatte, erinnerte ich mich daran, dass ich ja eigentlich Grießbrei kaufen wollte, ging zum Kühlregal, griff mir die Drogen und trödelte wieder zum Obst. Frau Eisente war weg. In nicht mal zehn Sekunden lagen sechs Limetten in meinem Körbchen, und trotz Müdigkeit fiel mir ein, dass ich auch noch braunen Zucker brauchte.

Ich bog voller Vorfreude auf hemmungslosen Alkoholkonsum in den Gang mit dem Zucker ein und – stand direkt hinter der Eisente, die sich nicht entscheiden konnte, welchen der drei braunen Zuckersorten sie nun nehmen sollte. Sie nahm die erste Tüte, schüttelte sie, drückte sie, stellte sie wieder zurück, nahm das Päckchen, das neben der Tüte stand, schüttelte es, wollte es wieder ins Regal stellen, aber – eine flinke Hand kam ihr dazwischen. Frau Gröner war nämlich inzwischen etwas ungeduldig geworden, griff sich den erstbesten verdammten Zucker, der da war und sprintete in die Alkoholabteilung, um ja vor der Eisente beim Pitú zu sein. Ich kam an, sie war nicht da, ich dachte, ich hätte gewonnen. Im Hochgefühl meines Sieges ging ich zur Kasse, nur um dort – ihr ahnt es – wieder direkt hinter der Eisente zu stehen, die anscheinend bereits über Pitú verfügte. Und außerdem über eine EC-Karte, mit der sie natürlich zahlen wollte. Um ihren billigen Triumph perfekt zu machen, stieg sie nach getätigtem Einkauf in einen schwarzen Boxster und fuhr offen davon, während ich mich vernichtet wieder ins überhitzte Büro schleppte.

Ich war kurz davor, den Pitú schon in der Agentur anzubrechen. Aber ich hab's bis zuhause ausgehalten und sogar auf dem Heimweg noch ein Fläschchen Ginger Ale für den Kerl gekauft, weil dieser dem Alkohol nicht so verfallen ist wie unsereiner.

Der muss ja auch nicht gegen Eisenten einkaufen.




06.07.2004
Rage against the coffee machine.




01.07.2004
Man könnte einfach alles auf PMS schieben oder den Vollmond oder die Tatsache, dass der Kerl einem die letzten Pringles Sour Cream & Onion weggemampft hat, auf die man sich den ganzen Tag gefreut hatte, oder man könnte sagen, dass der Tag im Texterflöz alles andere als glatt gelaufen ist, dass man mal wieder eins von diesen Meetings hatte, aus denen man rauskommt und erst heulen und dann kündigen will und bei denen man sich die ganze Zeit fragt, ob man jemals eine gute Zeile geschrieben hat und wenn ja, ob das bloß das berühmte Korn des berühmten Huhns gewesen ist, oder man könnte es darauf schieben, dass man ziemlich übermüdet ist, weil man sich ein bisschen mit dem Kerl in der Wolle hatte, und das zehrt doch immer so an den Nerven, selbst wenn man auf alle Frauenzeitschriften dieser Welt gehört und sich noch am selben Abend versöhnt hat, denn man soll ja nicht im Streit ins Bett/auseinander/aus dem Haus gehen, also versöhnt man sich und kuschelt und liegt dann trotzdem noch ne Stunde wach und denkt sich, früher hätte man nach einem miesen Tag den Teddy vollgeflennt oder ne DVD geguckt oder einfach ne Flasche Wein leergemacht, stattdessen liegt man in einer nackten Umarmung und kann sie doch nicht genießen und ist müde und kann doch nicht schlafen, weil man soviel denken muss, und am nächsten Morgen ist man noch müder und weiß, dass man noch so ein Meeting vor sich hat und dass übermorgen Vollmond ist und dass man bald wieder die ob-Schachtel vom oberen Regalbrett aufs griffbereite packt, und man kann sich gar nicht entscheiden, welchem der vielen Faktoren man jetzt eine aufs Maul hauen soll, weil man so fürchterlich, fürchterlich traurig ist.




22.06.2004
Meine 15 Minuten Ruhm auf Spiegel Online: Magazin im Blog-Pelz:
„Und dabei hat Phlow einen sehr eigenen Stil gefunden. „Es ist eine Art subjektiver Journalismus", erklärt Sauer: „Wenn unsere Filmkritikerin Anke Gröner einen Streifen erbärmlich findet, dann kann man bei uns diese Kritik in der Ich-Form finden. Im traditionellen Journalismus wäre das ein Fehltritt. Ich finde das hingegen ausgesprochen wohltuend, grenzt es doch für jeden Leser klar erkennbar Fakten von subjektiven Einschätzungen der Autorin ab."

Genau das macht die Qualität von Phlow aus. Besonders die Film- und Musikkritiken heben sich durch Ausdrucksstärke und Emotionalität erfrischend vom PR-Blabla der kommerziellen Konkurrenz ab."

(Oh, Cinema, where art thou? Why dost thou not call?)




11.06.2004
Ich hatte ja schon einmal auf das wunderbare Werk Eats, Shoots & Leaves von Lynne Truss hingewiesen. Das mache ich hiermit nochmal, denn das kann man gar nicht oft genug tun.

Das kleine Büchlein wendet sich an die so genannten sticklers – Menschen, denen bei falscher Zeichensetzung schlecht wird. Ich zähle mich auch zu diesem Menschenschlag, obwohl wir es nicht leicht haben, denn natürlich gelten wir bloß als blöde Besserwisser. Aber, und in dieser Ansicht bestärkt Eats, Shoots & Leaves kleine Rechtschreibrechthaber wie mich, Zeichensetzung ist wichtig:

„Punctuation marks are the traffic signals of language: they tell us to slow down, notice this, take a detour, and stop. (...) Punctuation directs you how to read, in the way musical notation directs a musician how to play.“

Und wer wüsste besser um seine Leser als ein Schriftsteller? Milan Kundera wird nachgesagt, dass er einmal einen Verleger feuerte, weil der aus einem Semikolon einen Punkt machen wollte. Kundera wäre ein wunderbares Opfer für einen Ladenbesitzer in Bristol gewesen, der absichtlich falsch geschriebene Schilder in seinem Schaufenster platzierte, damit Leute in den Laden kamen und sich beschwerten – und er ihnen etwas aufschwatzen konnte.

Truss erzählt auch die Geschichte über den Humoristen James Thurber, der in den 30er Jahren für den New Yorker geschrieben und sich ewig mit dem Herausgeber Harold Ross über die Kommasetzung gestritten hat:

„If Ross were to write 'Red, white, and blue' with the maximum number of commas, Thurber would defiantly state a preference for 'red white and blue' with none at all, on the provocative grounds that 'all those commas make the flag seem rained on. They give it a furled look.'“

Trotzdem war Ross der Chef und setzte sich durch: „Thurber was once asked by a correspondent: 'Why did you have a comma in the sentence 'After dinner, the men went into the living-room?' And his answer was probably one of the loveliest things ever said about punctuation. 'This particular comma,' Thurber explained, 'was Ross's way of giving the men time to push back the chairs and stand up.'“

Das Schöne an Eats, Shoots & Leaves sind nicht nur kleine Anekdoten wie die oberen. Lynne Truss merkt man ihre Liebe zu den Satzzeichen an; sie hat für jedes eine fast zärtliche Beschreibung. Hier zum Beispiel für den viel geschmähten und selten richtig verwendeten Apostroph:

„Yet by contrast to the versatile apostrophe, they (full stops) are solid little chaps, to say the least. In fact one might dare to say that while the full stop is the lumpen male of the punctuation world (do one job at a time; do it well; forget about it instantly), the apostrophe is the frantically multi-tasking female, dotting hither and yon, and succumbing to burnout from all the thankless effort.“

Oder sie erklärt liebevoll den Unterschied zwischen Doppelpunkt und Semikolon:

„Expectation is what these stops are about; expectation and elastic energy. Like internal springs, they propel you forward in a sentence towards more information, and the essential difference between them is that while the semicolon lightly propels you in any direction related to the foregoing ('Whee! Surprise me!'), the colon nudges you along lines already subtly laid down.“

Meine persönlichen Feinde sind Ausrufezeichen. Ich setze sie ungern, weil sie so vulgär daherkommen. Truss drückt es folgendermaßen aus:

„In the family of punctuation, where the full stop is daddy and the comma is mummy, and the semicolon quietly practises the piano with crossed hands, the exclamation mark is the big attention-deficit brother who gets overexcited and breaks things and laughs too loudly.“

Eats, Shoots & Leaves erzählt von den Ursprüngen der Zeichen, woher sie kommen und warum sie so aussehen, wie wir sie heute kennen. Es zeigt natürlich auch den korrekten Gebrauch, sowohl im britischen als auch im amerikanischen Englisch. Es stellt einen Vergleich zwischen dem geschriebenen Wort in Büchern und im Internet auf und huldigt der Erfindung der Emoticons. Und es gibt einem – jedenfalls mir – dieses wohlige Gefühl, nicht alleine zu sein mit seiner Faszination für Sprache und was sie alles bewirken kann, wenn man sie richtig einsetzt.

Mein Lieblingssatzzeichen ist das Semikolon, der kleine König der Interpunktion. Ein Freund von mir, ebenfalls Texter, und ich haben neuerdings eine Wette laufen, wer es als erster schafft, ein Semikolon in einer Copy beim Kunden durchzukriegen. Denn Kunden können die Faszination für den kleinen Schatz selten nachvollziehen.

Ich arbeite seit kurzem in einer neuen Agentur. Dabei betreue ich einen Kunden, der das gleiche Produkt herstellt wie ein Kunde in meiner alten Agentur. Die Art, über dieses Produkt zu schreiben, ist ähnlich, soll aber natürlich etwas anders klingen; gemeinsam ist beiden Kunden allerdings, dass sie keine Semikolons mögen (da war übrigens gerade eins – ist es nicht niedlich?). Während der „alte“ Kunde lieber Punkte haben wollte und so aus meiner wunderbaren Aufzählung auf einmal fünf Hauptsätze wurden, die martialisch hintereinander herschritten, mag der „neue“ Kunde Kommata lieber, so dass nun meine Sätze widerstandslos ineinandersuppen. Ich arbeite trotzdem weiter daran, irgendwann Kunden von der Schönheit cleverer Interpunktion zu überzeugen. Das wird noch ein bisschen dauern, fürchte ich. Solange könnt ihr Eats, Shoots & Leaves lesen, damit ihr genauso sentimental werdet wie ich, wenn es um mein Handwerkszeug Sprache geht.

(Ich brauch mal ein Taschentuch. Und ein paar korrekte Gedankenstriche zur Aufmunterung.)




02.06.2004
Nothing rhymes with Blog.

Notizblock

Kein Bock

Clock

Cog

Cock

Doc

Dock

Eierstock

Gorch Fock

Jogg!

Kloc

Rock

Schmock

Sock

Spock

Wok




27.05.2004
Gestern einkaufen gewesen, ganz in Gedanken nach Hause gefahren, direkt vor der Haustür einen Parkplatz gefunden, mich darüber gefreut, die Einkaufstüten aus dem Kofferraum gewuchtet, den Schlüssel aus der Jacke gefischt, beim Aufschließen gestutzt: Der passt ja gar nicht? bis mir wieder einfiel: Ich wohne hier seit zwei Monaten nicht mehr.

Goldfischhirn Gröner strikes again. Big time.




25.05.2004
Mein Text-CD in Hochform: „Das klingt ja wie aus'm Glückskeks.“

(She works hard for the money, so hard for it, honey ...)




21.05.2004
„Ich hab unter deiner Decke geschlafen – die riecht so gut nach dir."




19.05.2004
Schon komisch, wie schnell man von Hamburg nach Indiana kommt. Jedenfalls per Geruch, Geräusch oder Gefühl.

Manchmal reicht der Geruch von Chlor, und ich muss an Karls Küche denken und daran, dass ich mich immer vor einer Gasexplosion gefürchtet habe, sobald er den Herd angemacht hat. Das Geräusch von Pokerchips lässt mich an die fiesen Abende denken, die wir mit seinem Freund Tom und seinem Bruder und viel zu viel Budweiser verbracht haben und an denen ich wirrste Varianten von stud poker gelernt und bis heute behalten habe. Und bei jedem Becher eiskaltem Ben & Jerry's in meiner Hand denke ich an meinen ersten Besuch in einem amerikanischen Supermarkt, bei dem ich fast in die Kühlschränke gekrochen bin, so sehr hat mich die Größe der Teile beeindruckt.

Und manchmal bekommt man sogar alles auf einmal. Einen Geruch, ein Geräusch, ein Gefühl.

Wir hatten gestern in der Agentur unsere so genannte Unitrunde. Dabei wurde unser Team von den Cheffes an einen uns vorher nicht bekannten Ort geführt, wo wir dann uns vorher nicht bekannte Dinge tun würden. Wir trabten also gespannt durch die Hamburger Innenstadt – Thalia Theater? Müssen wir Text lernen? Kunsthalle? Malen? Oder gucken wir uns bloß die Baustelle der Europa-Passage an? –, bis wir vor einer unscheinbaren Tür stehenblieben, die, glaube ich, niemandem von uns jemals aufgefallen war. Aber die Aufschrift an der Tür war deutlich: Hanseatic Gun Club.

Wir würden in der Gegend rumballern dürfen. Mit echten Knarren und scharfer Munition. Der Alptraum jedes Zivildienstleistenden.

Sobald ich das Türschild gelesen hatte, hatte ich ein Grinsen im Gesicht, das den ganzen Nachmittag nicht wieder wegging. Und als ich die automatische Pistole in der Hand hatte, war alles wieder da: die Erinnerung an die Nachmittage mit Karl und Tom auf einer shooting range, drei Sandbahnen, die wie selbst geschaufelt aussahen und sich malerisch direkt hinter einen Campingplatz mitten in der Pampa schmiegten. Meine anfängliche Angst vor den Knarren, die Tom zu dutzenden aus seinem Waffenkoffer holte (stilecht mit NRA-Aufkleber und "Guns don't kill people. People kill people"-Glückskeksweisheit). Meinen Respekt, den mir die beiden vermittelten, indem sie mir jeden Hebel an jeder Waffe erklärten, bevor ich sie überhaupt anfassen geschweige denn laden durfte. Und dieses unglaubliche Gefühl, als ich zum ersten Mal eine Waffe abgefeuert habe.

Als der Plan aufkam, mal auf die shooting range zu fahren, um mir das ultimative Touri-Erlebnis zu bescheren, hatte ich mich mit Händen und Füßen gewehrt. Ich war wirklich nicht wild darauf, mit echter Munition in der Gegend rumzuknallen und hatte, ehrlich gesagt, auch ein bisschen Schiss. Die beiden haben locker gesagt, wenn du nicht willst, dann musst du nicht. Guck erstmal zu, und wenn du doch Bock hast, sag Bescheid.

Also habe ich zugeguckt, wie die beiden Toms Arsenal scharf gemacht haben. Als ich fragte, worauf sie denn überhaupt schießen würden, grinste Tom nur, öffnete den Kofferraum seines Autos und zerrte drei Müllsäcke voll leerer Bierdosen heraus: "Real Americans aim at real American targets – Budweiser cans."
Karl und Tom bestückten die Sanddüne der 25 Yards-Bahn (die 50er und 100er waren zu meinem Blindfisch-Glück besetzt), stellten sich in Positur und begannen, die Dosen abzuschießen. Natürlich dauerte es nur ungefähr 30 Sekunden, bis ich es auch mal versuchen wollte. Und so habe ich meine erste Waffe in die Hand genommen: eine halbautomatische .40er. Sie war schwerer als ich erwartet hatte, obwohl sie noch nicht geladen war. Ich muss gestehen, ich war von der Optik ziemlich beeindruckt. Innerhalb einer Sekunde war das Unbehagen, eine tödliche Waffe in der Hand zu haben, der Faszination gewichen, ein Stück absolut präzise, kühle Mechanik zu erleben.

Ich habe das Magazin mit den Kugeln bestückt, habe mir nochmal das Zielen erklären lassen, das Entsichern, den Abzug, das Schießen. Tom und Karl hatten mir auch erzählt, dass der Rückstoß sehr stark sei und dass ich mich nicht erschrecken solle. Hab ich natürlich trotzdem, denn auf dieses Gefühl, dass mir gleichzeitig beide Hände hochgerissen und die Schultern zurückgedrückt wurden und es gleichzeitig trotz Ohrstöpseln noch höllisch laut knallte, war ich trotz aller Erläuterungen nicht vorbereitet. Aber nach dem ersten Schreck war ich angefixt. Ich habe wie Dirty Harry breitbeinig im Sand gestanden und wie blöde Bierdosen weggeknallt. Und meine Fresse, hat das einen Heidenspaß gemacht.



Im Laufe meines Urlaubs waren wir noch mehrmals auf der range, teils mit noch mehr Bierdosen (selbst geleert, selbst abgeschossen), teils mit Zielscheiben, die wir in einem Anglerladen beim Campingplatz gekauft haben. Ich bin der .40er treu geblieben, habe aber auch noch mit einem .38er Revolver rumgeballert und der Desert Eagle, eine .44er, die so schwer war, dass ich nach jedem Schuss die Arme runternehmen musste. Dieses Erlebnis und das Gefühl, das ich mitgenommen habe, waren einmalig: sehr intensiv, sehr besonders und sehr amerikanisch.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich dieses Gefühl nochmal erleben würde, jetzt, wo Karl nicht mehr mit mir auf Bierdosen schießen kann. Aber komischerweise hat es sich fast so angefühlt, als wäre er gestern dabei gewesen. Ich habe ihn gespürt, als ich zum ersten Mal die Pistole und danach den Revolver in die Hand genommen und erstaunt festgestellt habe, dass sich meine Hände an das Gefühl sofort erinnern, eine Waffe zu halten. Ich hatte keine Angst mehr vor dem Rückstoß und dem Knall, weil ich wusste, was kommt. Und ich habe mich sofort wieder an den seltsamen metallischen Geruch erinnert, der danach an den Händen klebt.

Es war schön, mal wieder nach Indiana zu kommen, auch wenn der Kloß im Hals im Laufe des Abends immer dicker wurde.
Hab mir ne gute Agentur ausgesucht.




13.05.2004
Die Frau Emily geht also gerne zu McDonald's. Ja, wer nicht. Ich auch. Ich hab da sogar mal gearbeitet.

Ich muss sagen, von allen Studentenjobs, die ich so hatte, war McDonald's einer der angenehmeren. Das mag daran gelegen haben, dass ich in einem sehr netten, recht jungen und vor allem schnellen Team gearbeitet habe, für das diese 1-Minuten-Kampagne überhaupt kein Problem gewesen wäre. Das mag auch daran gelegen haben, dass ich meistens die Nachtschicht hatte (bis 7 Uhr morgens), was bedeutete, dass ich recht wenig Kindergeburtstage zu erdulden hatte. Und im Zweifelsfall ist mir ein Trupp debiler Discogänger, die sich immer noch auf 98 Dezibel unterhalten, lieber als eine Horde Fünfjähriger, die noch nicht wissen, was Zucht und Ordnung ... aber das wissen die meisten Discogänger um 4 in der Frühe auch nicht mehr. Egal. Auf jeden Fall hat es Spaß gemacht.

Als Einstieg musste man damals eine Zeitlang in der Küche arbeiten, dann durfte man schnellstmöglich an die Kasse. Grund (der sich bis heute bestimmt nicht geändert hat): Die Leute lassen sich lieber von Mädels bedienen.

In der Küche habe ich mit Salat angefangen. Bis heute erinnere ich mich verzückt an die eingeschweißten Zehnerrollen hartgekochter Eier, die man aus ihrer Plastikröhre rausploppen konnte, um sie im Eierschneider für den Chefsalat zu zerteilen.

Nächste Station war das so genannte Dekorieren. Im Klartext: Matsch auf Brötchen verteilen. Vor einem liegt ein Tablett mit zwölf toasterfrischen Brötchen (buns), auf die man aus futuristisch klackernden Trichtern Ketchup und Senf klickt. Dann greift man ins Zwiebeltöpfchen, um kleingeschnittene Zwiebelstückchen wie eine Prise Salz auf die Brötchen zu streuen. Jedes Brötchen bekommt noch eine eingelegte Gurkenscheibe (eine!), und dann folgt das Kommando, das ich so geliebt habe zu brüllen: „Auf zwölf?“ worauf die Kontrolle (der Mensch, der hinter der Ausgabe steht und die Burger einwickelt) nach einem kurzen Blick auf die Vorräte zurückbrüllt: „Auf sechs!“ Oder auf vier oder auf neun oder auf irgendwas zwischen 0 und 12. Was bedeutet: Auf diese Anzahl von Brötchen kommt ein Scheibchen leckerer Käse, das aus einem langweiligen Hamburger die Geschmacksexplosion Cheeseburger macht.

Beim BigMäc ist natürlich alles anders. Hier gibt es eine Art Pistole (kenne ich auch aus dem Baumarkt, wo man Fugenkitt reinspannt), in der BigMäc-Sauce ist, die man auf die Brötchen spritzt. Der Gourmet bekommt hier zwei (zwei!) Scheibchen Gurke und eine Handvoll Eisbergsalat.

Wenn man mit dem Dekorieren fertig ist, gibt man das Tablett an den Griller weiter, damit der die Buletten (patties) draufpackt. Am Grill standen fast immer Kerle, denen es nichts ausgemacht hat, sich ständig mit heißem Fett vollzuspritzen bzw die es körperlich geschafft haben, acht Stunden lang nach jedem Grillvorgang mit einem Riesenspachtel den Grill abzuschaben, damit er wieder sauber war. Ich Dekoriertante musste ja nur alle zehn Minuten mal ein bisschen Salat und Zwiebeln zusammenfegen, die vielleicht danebengegangen waren. Soviel zum Thema Sauberkeit. In dem store (wie wir cool people sagen), in dem ich gearbeitet habe, konnte man vom Fußboden essen. Ernsthaft.

Die Station, die ich am langweiligsten fand, war die Fritteuse. Apfeltaschen, Fischmacs, Chicken McNuggets. Jede Fritteuse hatte neben dem „Fertig!“-Lämpchen noch ein eigenes Piepsen, so dass man auch akustisch unterscheiden konnte, was raus musste. Die Nuggets lagen nach dem Frittieren in kleinen Wärmeschubladen aus Draht, in die man dann flugs mit der Kelle reingehen und lustig Sechser, Neuner oder Zwanziger füllen konnte. Dabei war man angewiesen, auch ja darauf zu achten, nicht mehr als die vorgeschriebene Anzahl in die Kartons zu packen (Gipfel des zivilen Ungehorsams! Zehn Nuggets im Neunerkarton!). Bis heute zähle ich nach, ob ich nicht endlich endlich endlich mal einen zuviel gekriegt habe. Habe ich aber noch nie.

Den Warnhinweis „Vorsicht, heiß!“ auf den Apfeltaschen sollte man übrigens ernst nehmen. Jedenfalls wenn sie frisch sind. Wenn sie aus dem Fett kommen, liegen sie erstmal eine halbe Stunde lang in der Küche zum Auskühlen, und selbst dann ist die Füllung noch das Zentrum der Sonne. Bevor sie ins Fett kommen, sehen die Taschen übrigens farblich aus wie Nacktmulle. Kleine, rechteckige Nacktmulle. Ich liebe das Zeug.

Aber am schönsten waren die Schulungsvideos. Während der ersten Tage musste ich mir in der Mittagspause Lehrfilmchen angucken, in denen mir erklärt wurde, wie das Arbeiten bei McDonald's so funktioniert. Was alles in der Küche passiert, wie lange die Brötchen im Toaster bleiben (30 Sekunden? Vergessen) und vor allem, wie man sich der Kundschaft gegenüber zu verhalten hat. Natürlich immer freundlich, immer höflich und – immer bestrebt, ein komplettes Menü zu verkaufen. Die schönen Sparmenüs von heute gab's damals noch nicht, und daher war man angehalten, bei der Bestellung „Einen Cheeseburger und ne Cola“ freundlichst nachzufragen: „Möchten Sie Pommes frites dazu?“, bei „BigMäc, Fanta und ne große Pommes“ „Möchten Sie ein Dessert dazu?“ und bei Kindern – gar nichts. Schade, wäre leichte Beute gewesen und meine persönliche Rache für die Kindergeburtstage („Der kleine Philipp darf sich heute seinen eigenen Hamburger machen, gell, Philipp? Die Tante zeigt dir mal, was da alles drauf kommt.“ Ob die Tante will oder nicht). War aber oberste Regel: Kindern nix andrehen. Lieber ein lustiges Fähnchen oder einen crazy Luftballon dazulegen. Ja, damals waren Kinder noch mit einem Fähnchen glücklich zu machen.

Die Schulungsvideos sind natürlich für den amerikanischen Markt produziert worden, wahrscheinlich Ende der 70er Jahre, wenn ich mich korrekt an die Frisuren und Brillen erinnere. Für die Kolonien wurden die Filmchen dann von irgendwelchen Praktikanten übereifrig nachsynchronisiert, so dass ich in der Pause vor Lachen kaum zum Essen kam. Essen durfte man damals für zehn Mark am Tag. Und so gerne ich das Zeug mag, es stimmt schon: Nach drei Tagen kann man echt keine BigMäcs mehr sehen. Meistens lief mein Essen auf Salat, ein, zwei Buns nur mit Käse drauf, O-Saft und Wasser raus. Mal ein Eis zum Nachtisch. Und vielleicht ein paar Chicken McNuggets.

Abends ging's dann ans Großreinemachen. Die komplette Küche wurde quasi unter Wasser gesetzt, die Milkshake-Maschine in Einzelteile zerlegt, alles, was noch in der Auslage war, wurde weggeschmissen, und dann wurde jede, aber auch wirklich jede Ecke in der Küche geputzt bis zum Abwinken. Die Kerle mussten die Müllsäcke zum Shredder bringen, wo eine weitere Regel in Kraft trat: nie zu nah am Shredder stehen. Irgendwelche Spaßvögel haben damals gerne die Plastiktabletts mit ihren Packungsüberresten in den Müll geschmissen. Und wenn die in den Shredder kommen, schmeißen die ganz unschöne, große, ziemlich scharfe Plastikspäne.

Was ich eigentlich sagen wollte: Die 1-Minute-Regel ist in einem gut laufenden Store überhaupt kein Problem. Warum ich trotzdem jedesmal ewig warte oder im McDrive rechts ranfahren muss – keine Ahnung. Aber ich ärgere mich immer drüber, weil ich weiß, dass es anders geht. Und ich kann bis heute das Pommes-Piepsen vom Chicken McNuggets-Piepsen unterscheiden. Ich liebe es.




01.05.2004
It's not a message. It's just a shirt.

It's not a message. It's just a haircut.

It's not a message. It's just a song.

It's not a message. It's just a building.

It's not a message. It's just a sheep.

It's not a message. It's just a website.

So get off my back.




27.04.2004
tach, frau x,

schöne mail. ich finde mich in so ziemlich allem wieder. im allein ins kino gehen vor allem und das auch gut finden (ich bin schon immer lieber alleine ins kino gegangen). jetzt plötzlich jemanden zu haben, der eventuell mitkommen würde. und dann plötzlich dieses gefühl haben, wenn er nicht mitkommt, ihn zu vermissen, obwohl man früher niemanden vermisst hat, der neben einem sitzt. ganz blöd.

ich war ewig solo und hatte den gedanken, wieder jemanden zu finden, wirklich abgehakt. also wirklich und echt und irgendwann auch nicht mehr bedauernd. eher so: dann isses eben so. manche menschen bleiben eben ihr leben lang alleine, und das ist dann eben so. soll ich mir jetzt jeden tag versauen, weil ich niemanden habe, dem ich kuschelige smse schicken kann?

ich war schon immer gerne alleine, und deswegen hatte ich auch keine langeweile oder dieses gefühl, das ich an meinen freundinnen immer so gehasst habe, dieses: nee, da kann ich doch nicht alleine hingehen. ich kann doch nicht alleine in den urlaub fahren, ich kann doch nicht alleine ins museum blablabla. logisch kannst du. ich jedenfalls. und daher habe ich mich irgendwie und irgendwann mit der situation arrangiert und gesagt, okay, dann bleibt das jetzt so.

ich denke, deswegen kann ich den kleinen kerl auch so genießen, und deswegen habe ich mich nicht so völlig verändert wie die mädels, die du beschrieben hast. dieses völlige aufgehen in einer beziehung. das hatte ich abgehakt und deswegen freut mich jetzt jede kleinigkeit (oder großigkeit), die passiert. ich nehme nichts als selbstverständlich, stelle aber auch fest, dass es dinge gibt, mit denen ich gut leben konnte und die jetzt plötzlich anders sind.

klar -- das ewige zusammenglucken. ich bin froh, dass der kerl und ich nicht zusammenwohnen (mal abgesehen davon, dass ich auf meine alten tage noch ein ganz kleines bisschen ordentlich geworden bin und er die totale junggesellenbutze hat). ich würde das alleinesein sehr, sehr vermissen.

apropos vermissen. ich hatte völlig vergessen, wie anstrengend sehnsucht ist. wie sehr es nervt und natürlich gleichzeitig wunderschön ist, weil man merkt, dass man liebt, aber es eben trotzdem NERVT, wenn man sich kaum auf die arbeit konzentrieren kann, weil der morgen so schön war oder die nacht oder man sich eben auf den abend zusammen freut. ich kann mich da nur wiederholen: es ist wunderschön, und es geht mir gleichzeitig total auf den geist.

ich denke, das ist eine sache, die ich vermisse: dieses wissen, ich bin alleine, ich bestimme alleine über meinen abend, ich freue mich vielleicht auf einen film oder mein buch oder meinen rechner, aber wenn das aus irgendwelchen gründen nicht hinhaut (länger arbeiten), dann ist das auch okay. wenn ich mich den ganzen tag auf den kerl freue und er dann sagt, er müsse arbeiten (völlig okay) oder er will unbedingt fußball gucken (gnarg), dann tut das auf einmal weh. und diesen schmerz der zurückweisung hatte ich auch vergessen. ich hatte vergessen, dass man auf einmal jedes wort auf die goldwaage legt, dass man plötzlich wieder ein bisschen abhängig ist von der stimmung eines anderen. wenn mir ein kollege was blödes an den kopf wirft, werfe ich es zurück und zeige ihm den stinkefinger. wenn der kerl mir was blödes sagt, fange ich an zu heulen, zu diskutieren oder denke ne woche drüber nach. und das nervt auch. dieses plötzliche reflektieren über sich selbst, wo man doch gerade in der therapie gelernt hatte, sich so anzunehmen wie man ist und das auch hingekriegt hat. und plötzlich hinterfragt man sich wieder. bliäch.

aber das schöne ist natürlich, dass das alles kleinkram und kinkerlitzchen sind und dass die schönen seiten alles, aber auch wirklich alles aufwiegen. jedenfalls bei mir. ich kann jedenfalls kaum glauben, dass jemand wie mein schnuffi mich so mag wie ich bin, dass er mir zuhört, wenn ich was sage, dass er sich das merkt, dass er auf mich eingeht ... der ganze kram eben, der ihn von einem kollegen oder freund unterscheidet. dass auch er meine worte auf die goldwaage legt und sich einen kopf macht. dass ich plötzlich für jemanden wichtig geworden bin. das ist toll. und wunderschön. und in manchen momenten einfach überwältigend.

puh :-)

mann, klinge ich verknallt. eklig :-) und in diesem moment fällt mir ein, dass wir heute unser dreimonatiges haben. jedenfalls nach meiner zeitrechnung (nacht der golden globes). kerls rechnung ist eine woche später (nacht der super bowl), aber auch nur, weil er sich den 1. besser merken kann als den 25. die kleine nase.

liebe grüße
die grönersche




24.04.2004
Und wieder keine Friday Five. Dann klaue ich meine samstägliche Fremdinspiration diesmal eben aus Neon: Der Soundtrack meines Lebens.

Cool Girl von The Teens. Lief auf der ersten Party, an die ich mich erinnern kann. Garantiert ohne Jungs.

I won't let the sun go down on me von Nik Kershaw. Der Song, bei dem ich angefangen habe, generell bei Songs auf den Text zu achten. Eine Folge davon war, dass ich ab sofort bei jedem Lied die Vokabeln nachgeschlagen habe, was insofern gut statt geeky ist, weil mein Englisch heute ziemlich klasse ist. Eine weitere Folge, die eher geeky als gut ist, war, dass ich natürlich angefangen habe, fiese Texte voller Pubertätsschmerz und Weltverzweiflung zu schreiben und die dann knallhart mit der Akustikgitarre vertont habe.
(Oder mit dem Akkordeon. La Gröner. Die Diva des Cool.)

Shine on you crazy diamond von Pink Floyd. Der Song, zu dem mein erster Freund und ich 14 Minuten lang rumgeknutscht haben. Da fällt mir ein: Der Kerl und ich haben noch keinen gemeinsamen Song; wahrscheinlich, weil unser Musikgeschmack nicht ganz kompatibel ist. Ich sehe uns schon beim ersten Tanz als frisch verheiratetes Paar, wie wir den Bandleader an der Bontempi kurz beiseite nehmen: Können Sie irgendwas von Moby im 3/4-Takt spielen?

Language is a virus von Laurie Anderson. Erste CD, die ich mir gekauft habe. Damals, Saturn-Hansa, Hannover, ca. 1985, als CD-Player noch 800 Mark kosteten (die günstigen).

The miracle von Queen. Lief konstant im besten Dänemark-Urlaub aller Zeiten. Gute Freunde, viel zu esssen, viel zu trinken, Gesellschaftspiele, mein erster Stephen King, ein Kerl, der mich nachts beschützt hat, wenn ich gelaubt habe, tote Katzen vom Kuscheltierfriedhof würden das Ferienhäuschen stürmen, Meer, Strand, Drachensteigenlassen, faul auf Holzbohlen in der Sonne liegen. Und Queen hören. Rauf und runter.

La isla bonita von Madonna. Lief im Radio, als ich zum ersten Mal in der Fahrschule auf die Autobahn durfte. Mein Fahrlehrer hat kurz ne Runde Aramis nachgelegt, sich die Sonnenbrille aufgesetzt und meinte nur: Unter 140 fahren wir hier nicht wieder runter.

Nothing aus A Chorus Line. Hab ich in meinem ersten Auto immer vor mich hingesungen, weil die dämliche Ente kein Radio hatte.

Se a vida é von Pet Shop Boys. Kam über Bordradio auf meinem ersten Flug von Amerika bzw. von Karl wieder „nach Hause“ (haha). Acht Stunden Dauerheulen.

Always look on the bright side of life von Monty Python. Der Song, den ich als Mantra vor mich hingesummt und -gesungen habe, als ich in Damp an der Ostsee wieder laufen gelernt habe nach der OP.

Go the distance aus Disneys Hercules. Singe ich immer, wenn ich nicht weiß, wo ich mit mir hinsoll:

"I have often dreamed of a far off place
Where a hero's welcome would be waiting for me
Where the crowds will cheer when they see my face
And a voice keeps saying, this is where I'm meant to be

I'll be there someday, I can go the distance
I will find my way if I can be strong
I know ev'ry mile will be worth my while
When I go the distance I'll be right where I belong"




20.04.2004
Ich habe es mir so sehr angewöhnt, über mich und so ziemlich alles, was mich betrifft, hier zu schreiben, dass es mich immer mehr Anstrengung kostet, mich zurückzuhalten. Denn ich kann gerade nicht alles sagen, was ich möchte.

Dass ich in Bezug auf die Arbeit vorsichtig bin – kein Thema. Dass ich viele Flames und generelles Rumgekotze für mich behalte – nach dem albernen 20six-Genöle im letzten Jahr auch kein Ding. Das tut mir auch nicht weh, denn über die Arbeit rede ich mit Kollegen, und Rumnölen kann ich notfalls auch vor meinem Spiegelbild (generell ein guter Zuhörer).

Aber vor einiger Zeit ist etwas sehr Schönes in meinem Leben passiert, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich überhaupt so großartig darüber reden will. Der geneigte Leser hat sicher schon mitbekommen, dass ein gewisser Kerl sich in viele meiner Zeilen geschlichen hat. Und meistens tut er das, indem ich launig über ihn plaudere, indem ich mich über einige seiner Gewohnheiten amüsiere und indem ich auch über mich und meine Gefühle schreibe. Und das Ausmaß dieses „Über meine Gefühle schreiben-Wollen“ hat mich selbst etwas überrascht. Und nicht nur das.

Ich bin davon überrascht, wie sehr meine kleine Mädchenseele Herzchen als i-Punkte in E-Mails verwenden will, wie sehr es mich danach drängt, ein Flugzeug zu mieten und „Ich bin so dermaßen in dich verknallt, Alter, das glaubste nich“ in den Himmel zu schreiben, wie dümmlich-verzückt ich gucke, wenn ich seine Zahnbüste in meinem Badezimmer sehe, aber eben vor allem: wie sehr ich in jeder, aber auch in wirklich jeder verdammten Zeile in diesem Weblog über ihn schreiben möchte.

Kein Thema, höre ich die weiblichen, ebenfalls verknallten Leser schon. Mach ruhig, wir lesen Kitsch echt gerne. Wenn's sein muss, höre ich dagegen die männlichen Leser, die von ihren Mädels wahrscheinlich genauso zugesüßholzraspelt werden wie mein Kerl von mir. Auf keinen Fall, höre ich mich selber sagen, das ist privat – und noch wen höre ich: den Kerl. Der liest hier nämlich jedes Wort mit, und nicht nur deshalb haue ich mir seit Wochen auf die Finger, um nicht völlig liebestrunkenen Blödsinn zu schreiben. Ich habe immer ein bisschen das Gefühl, ihn bloßzustellen mit dem, was ich schreibe, obwohl ja niemand weiß, wer er ist. Trotzdem. Ist eben so ein Gefühl.

Und deswegen bin ich vor einiger Zeit auf ein Zweitblog ausgewichen, in dem ich herzzerreißende Lyrik poste und mir den ganzen Weiberkram von der Seele texte.

Dann ist doch eigentlich alles in Ordnung, oder?

Nein, ist es nicht.

Ich hasse mein Zweitblog. Das hier, dieses Blog, ankegroener.de ist mein Zuhause. Ich habe lange daran gearbeitet, dass es sich so anfühlt, wie es sich anfühlen soll. Ich schreibe über Dinge, die ich liebe, in einer Art, die ich mag. Ich habe eine Leserschaft, dir mir zu einem sehr großen Teil sympathisch ist, so ich sie kenne; jedenfalls habe ich selten das Gefühl, nee, das kannste jetzt nicht schreiben, das versteht keiner oder damit stoße ich Leute vor den Kopf oder das passt irgendwie nicht. Das hier passt alles. Das bin ich. Und mein Zweitblog ist eben nur ein blödes Zweitblog. Wie ein Zweitwagen, den man auch nur dann fährt, wenn die Lieblingskarre in der Werkstatt steht.

Es ist anonym, und schon das geht mir auf die Nerven, weil mir jedes anonyme Blog auf die Nerven geht. Es hat eins von diesen Massenhoster-Layouts, weil es eben von einem Massenhoster gemassenhostet wird. Es befindet sich in guter Nachbarschaft zu Strick- und Schülerinnen-Weblogs, was mich komischerweise nicht so stört, denn das scheint ein sehr dankbarer Leserschlag für meinen Mädchenkram zu sein. Das, was mich am meisten stört, ist genau das, was mich vor Wochen in die Arme von Zweitblog getrieben hat: Keiner weiß, wer ich bin. Und damit beißt sich mein Problem in den eigenen Arsch.

Also – was tun, sprach Zeus usw. Ich will keine leeren Fässer aufräumen und Götterkotze wegwischen. Ich will in meinem Weblog verliebten Mädchenscheiß absondern und den Kerl in allen Details beschreiben, weil ich alle Details an ihm verdammt gerne mag. Und es nervt mich wahnsinnig, dass ich das eben nicht kann. Oder nicht will. Weil ich ihn dann eben doch nicht teilen mag. Und dann wieder doch. Und dann wieder nicht. Hargh.

Eine Beziehung zu führen, ist doch schon kompliziert genug. Dass es noch komplizierter wird, wenn man sie öffentlich führt, war mir nicht so klar.




15.04.2004
Hätte ich gewusst, dass diese Verwirrtheit im Herz,
hätte ich gewusst, dass dieses Verlangen überall,
hätte ich gewusst, dass das Vermissen immer stärker,
hätte ich gewusst, dass das Sehnen nicht weniger,
hätte ich gewusst, dass Zeit viel zu wenig Momente viel zu kurz,
hätte ich gewusst, dass alles unbekannter alles komplizierter,
hätte ich gewusst, dass ich auf einmal wir –
ich hätte trotzdem.




12.04.2004
Da denkt man, man ist allmählich erwachsen, man hat einen Steuerberater, baut Ikea-Krempel brav nach Anleitung auf, mietet einen Tiefgaragenstellplatz und sagt das auch der Versicherung, damit man weniger zahlen muss, hat endlich einen Ordner für wichtige Unterlagen, frühstückt, bevor man zur Arbeit geht, raucht (im Prinzip) nicht mehr, überlegt ernsthaft, für die neue Terrasse einen Sonnenschirm zu kaufen, macht sich zum ersten Mal Gedanken über eine Lebensversicherung, und im Zuge dieses „Jau, erwachsen sein rockt" packt man tatendurstig seine Stofftiere in eine Kiste und stellt sie in die Abstellkammer – und keine zwei Minuten später holt man sie wieder hervor, entschuldigt sich bei seinem Teddy, den man von den Eltern geschenkt bekommen hat, als man noch kein Jahr alt war, knuddelt ihn, küsst ihn und setzt ihn auf den Nachttisch, wo er hingehört.

(Aber die anderen sind wirklich in der Abstellkammer.)

(Noch.)

(Habt ihr Toy Story nicht gesehen?)




11.04.2004
Die Drei Kleinen Worte sind übrigens drei verdammt große Worte.




18.03.2004
Ein Satz spukt mir seit zwei Wochen im Kopf rum. Er stammt vom schnuckeligen Vikar®, der ihn in seiner Predigt zu dieser Textstelle verwendet hat: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ (Hebräer 11, 1)

Es ist jetzt fast auf den Tag genau ein Jahr her, seit ich wieder zur Kirche gehe. Ich bin konfirmiert, bin aber irgendwann aus der Kirche ausgetreten, habe mich jahrelang als Agnostiker bezeichnet, und mir war organisierte Religion eher suspekt. Aber egal, welche Art Gotteshaus ich zum Beispiel auf Reisen besichtigt habe – Kirche, Synagoge, Moschee, Tempel –, ich habe immer eine Art Ruhe empfunden, sobald ich diese spirituellen Orte betreten habe. Jedes Gotteshaus hatte auf mich seine eigene Wirkung, aber jedes hinterließ in mir ein Gefühl von Vertrauen. Selbst in den Zeiten, in denen ich nicht an Gott geglaubt habe, hatte ich immer im Hinterkopf: Wenn du irgendwann gar nicht mehr weißt, wo du hinsollst, kannst du immer noch in eine Kirche gehen.

Und als es mir letztes Jahr so fürchterlich schlecht ging, die Therapie nur anstrengend und noch nicht stärkend war, da bin ich eben in einer Kirche gelandet. Und auf einmal waren all die Gefühle wieder da, die ich zu Konfirmanden- und Kindergottesdienstzeiten hatte, die mir damals sagten, dass es richtig ist, was ich glaube: diese Sicherheit, dass jemand da ist, an den man sich wenden kann. Dieses Gefühl, dass man vertrauen kann, ja, dass man muss. Und dass man daraus die Kraft zieht, jeden Tag positiv zu beginnen.

Ich weiß, dass sich das total esoterisch versülzt anhört. Ich habe auch sehr, sehr lange mit mir selbst gehadert, diese Gefühle wieder neu zuzulassen. Aber der Wunsch, jede Ratio einfach auszuschalten, jede Coolness fahren zu lassen, jede Überlegung, nee, das ist doch blöder, 2000 Jahre alter Quatsch, einfach eine Überlegung sein zu lassen, dieser Wunsch war stärker als meine „Argumente“ dagegen. Und so habe ich dem Wunsch nachgegeben. Es war ein Gefühl wie: „Na gut, Gott, dann mach halt. Ich geb auf. Ich glaube wieder an dich, ich finde es schön, in die Kirche zu gehen, ich finde es beruhigend, in der Bibel zu lesen, jajaja, ist okay. Du hast gewonnen. Aber auf Kirchentage gehe ich trotzdem nicht, ich werde eine verwöhnte Konsumgöre bleiben, ich werde auch weiterhin meine Prada-Brille tragen und nie, nie, nie Birkenstocks. Das kannst du dir gleich abschminken. Und wenn ich jemals einen dieser blöden Fisch-Aufkleber auf meinem BMW haben sollte, dann erschieß mich.“

Und so habe ich es zugelassen, wieder zu glauben. Es hat sich ein bisschen angefühlt wie Autonomie aus der Hand zu geben. Aber gleichzeitig hat es sich angefühlt wie ein selbstbestimmter, mutiger Schritt in die richtige Richtung. Ein Schritt in Richtung „Ich wünsche mir, dass die Welt ein besserer Ort wird als sie es jetzt ist. Und vielleicht kann ich mit meinem Glauben, meiner Zuversicht, meiner Freundlichkeit und meiner Hoffnung dazu beitragen.“

Der Satz, den der Vikar gesagt hat, lautet: „Der Gläubige weiß nicht, dass es einen Gott gibt. Der Gläubige WILL, dass es einen Gott gibt.“




13.03.2004
Ich arbeite zwar in einer anständigen Werbeagentur, aber was einem tagtäglich auf dem Klo begegnet, ist einfach nicht mehr feierlich: Die Plastik-Stopper, die die Türen davor bewahren, in die pinkfarbene Wand zu krachen, heißen allen Ernstes Bummsinchen. Und nach knallhartem Factchecking im Internet habe ich erfahren, dass es noch einen großen Bruder von 40-Millimeter-Durchmesser-Bummsinchen gibt. Der hat fette 60 Millimeter Durchmesser und heißt – ihr ahnt es bereits – Bumms.

Mich würde interessieren, wer auf diesen Produktnamen gekommen ist. Da hat doch garantiert der Chef selbst Hand angelegt.

Wie sagte mein Kumpel Olli doch neulich: „Kunde, spitz' die Feder! Texten kann ein jeder!“




08.03.2004
Für zwei Sekunden die christliche Tradition des Abendmahls verfluchen, die einen dazu zwingt, sich 20 Minuten früher als sonst aus den Armen des Kerls zu schälen, denn beim Abendmahl muss man ja nach vorne in den Altarraum, wo einem der Pastor in die Augen schaut oder der schnuffige Vikar, wenn er Leib und Blut verteilt, und da will man ja nicht aussehen wie ein Schlumpf, so wie sonst, wenn man sich einfach in der Mitte der Kirche einkuschelt, um in Ruhe und alleine und unbehelligt zu singen und zu beten und zu sich selbst zu finden, dafür muss man nicht unbedingt frisch geduscht sein, da reicht auch die Baseballmütze über den verwuschelten Haaren, das merkt ja keiner, weil niemand direkt neben einem steht oder sitzt, die Kirche ist ja sowieso viel zu leer, das merkt man am meisten bei den Liedern, wo man immer dankbar für die Orgel ist, die den Hall etwas mindert, der von den Kirchenbänken aufsteigt, aber heute ist Abendmahl, da würde der Bettgeruch doch auffallen, der Geruch nach Wärme und Zuhause und einer wunderschönen Nacht, wenn man vorne steht zwischen den Omas, die nach Pralinen oder Staub riechen und den alten Männern, bei denen es eher Old Spice ist oder Einsamkeit und den jungen Müttern mit Anhang, die nach ausgespuckter Milch riechen, nein, da kann man nicht nach Glück duften, lieber nach Duschgel und Zahnpasta, was ja auch schön ist, aber man verflucht eben doch für zwei Sekunden diese Tradition oder die sich selbst auferlegten Zwänge oder die Zivilisation oder die Uhrzeit, die einen dazu bringt, sich aus dieser wundervollen Höhle aus Armen, Brust und Halsbeuge zu schälen, um in die Kirche zu gehen, und man fragt sich für ebenfalls zwei Sekunden, warum man das überhaupt macht, bevor einem wieder einfällt, dass man das macht, weil es gut tut, weil es schön ist, weil es einem bewusst macht, wie gut die letzte Woche war, trotz allem, und wie schön die nächste sein wird, trotz allem, weil jemand da ist, der auf einen aufpasst und an den man sich wenden kann, auch wenn der keine Höhle aus Armen, Brust und Halsbeuge hat, aber dafür genau das gleiche Gefühl vermitteln kann, ein Gefühl von Aufgehobensein, von Willkommensein, von Freude und Verlässlichkeit, und so deckt man den Kerl zu und lässt ihn schlafen und freut sich auf den Gottesdienst und das Abendmahl und die morgendliche Dusche und die Fahrt durch den Schnee und die Sonne und den Sonntag und die Aussicht, in zwei Stunden wieder in der Höhle sein zu dürfen, die immer noch nach Zuhause duftet.




07.03.2004
I know I wanted to leave you for now
Leave alone your laughter
And these wonderful kisses
But I already regret having said good-bye.

Because I still have your smell on my hands
And your touch on my skin
And your smile on my lips,
My bed feels like the loneliest place on earth.
---



24.02.2004
Ich nehme Bezug auf einen Leserkommentar, in dem Unmut darüber kundgetan wurde, dass ich meinen „boyfriend“ (O-Ton Kerl) immer „Kerl“ nenne. Nach einer ausführlichen Diskussion mit meinem „Lebensabschnittsgefährten“, in der die Begriffe „geiles Stück“, „Schatz“ und „Typ“ fielen, schlug mein „Knackarsch“ „Herr D.“ vor. Ich hoffe, das ist jetzt genehm.
(The things you do for your readers.)




24.02.2004
Ein Ausflug in meinen werbischen Freundeskreis: Wenn aus bisher ganz normalen Menschen Eltern werden.

Nein, ich bin nicht schwanger. Aber dafür eine gute Freundin von mir. Das Texterehepaar ist natürlich zu beschäftigt (vulgo: zu faul), sich selbst über den Namen ihres Nachwuchses Gedanken zu machen. Daher findet in wenigen Wochen ein Pitch statt, um dem kleinen Mädchen, das voraussichtlich Anfang Juni das Licht der Welt erblicken wird, einen anständigen Rufnamen mitzugeben.

Das ganze wird so aussehen: Jeder von den handverlesenen Gästen muss sich drei Namen überlegen. Diese werden dann ethymologisch hergeleitet, berühmte Namensvetterinnen werden genannt und überhaupt wird der Name gegenüber der Konkurrenz vehement verteidigt, denn: Es kann nur einen geben.
Obwohl: Ich sehe die arme Pratte schon mit fünf Namen enden, weil die Eltern sich nicht entscheiden können. Ich erinnere mich an diverse Ikea-Einkaufstouren, wo man auch nie sicher war, ob man jetzt diese oder lieber jene Lampe oder vielleicht doch eher die Teelichter ...

Jedenfalls bin ich zurzeit bemüht, schöne Mädchennamen zu finden. Also weniger schöne als die, die ich meinen imaginären Töchtern geben würde, denn die rücke ich natürlich nicht raus. Ich treibe mich daher seit Wochen auf irgendwelchen Babynamen-Webseiten rum, die teilweise sehr, sehr widerliche Vorstellungen davon haben, wie Mädchen heutzutage heißen sollen. Ich habe bereits eine ganze Liste von „Bezeichnungen“, die gnadenlos raus sind. Hier eine kleine Auswahl von Scheußlichkeiten. Bitte beachten Sie auch die kreativen Schreibweisen.

Amadea (wenn's für Wolferl nicht gereicht hat)

Arwen (kein Kommentar. Liv ist übrigens auch raus)

Benita (muh)

Bonnie (is over the ocean, my bonnie is over the sea ...)

Camilla (klingt wie ne Binde. Oder wie ne hässliche Geliebte)

Cheyenne (in mein Wigwam, Baby)

Eileen (tulura-ey, come on ...)

Geeske (heiratet später Hauke. Oder Finn)

Hellena (neue deutsche Rechtschreibung)

Jacklin (extrem deutsche Rechtschreibung)

Joy (Batikröcke, Räucherstäbchen, Bauchtanz)

Kimberly (backt ganz toll Torten und sieht auch so aus)

Lorena (der Dödel ist unser Feind)

Ludowika (hieß die Mutter von Romy Schneider in Sissi nicht so?)

Mandy (für Eislaufmuttis)

Marusha (entweder Pornostar oder DJane. Beides nicht wirklich gut)

Maxima (Großkotzika)

Metta (fährt im Jetta und isst Lätta und wird trotzdem immer fetta)

Monique (warum nicht gleich Angelique?)

Nadeschda (Studienrätinnen-Mutter über 40)

Ninja (lernt schon im Kindergarten Selbstverteidigung und wird lesbisch)

Océane (Eltern wollten immer mit Delfinen schwimmen, sind aber bei Rudis Lass dich überraschen nie rangekommen)

Pippi (du, lass uns doch einfach nie erwachsen werden, du)

Savannah/Shoshana (siehe Cheyenne. Habt ihr alle ne Macke?)

Sille („k“ is an evil letter)

Tessy (ich kenne einen Dackel, der so heißt)

Tiffany (der Diamant, den ich deiner Mama nie kaufen konnte)

Tsunami (da fällt mir nix mehr zu ein)




20.02.2004
Wieso ich gekündigt habe? Weil ich etwas anderes machen wollte. Was genau das war, war mir selbst nicht so klar – endlich das Buch schreiben, mit dem mir Freunde seit Monaten in den Ohren liegen, endlich die Drehbuch-Exposes fertigkriegen, die in der Schublade auf mich warten, endlich Antwort auf den Sitcom-Piloten bekommen, der immerhin schon bei zwei Sendern vorliegt, mich endlich bei der Cinema als Redakteur bewerben, endlich ins Ausland gehen, endlich ... irgendwas. Aber erstmal raus aus der Werbung. Und dann sehen wir weiter.

Und so habe ich Ende Dezember meiner schnuffigen Agentur den Rücken gekehrt und wollte alles ganz anders machen. Aber bevor ich alles ganz anders machen konnte, habe ich mich noch schnell auf eine Copywriter-Stelle in London beworben, die eine deutsche Agentur ausgeschrieben hatte. Leider kam die Bewerbung zu spät; die Stelle war bereits besetzt, aber die Agentur fand meine Mappe hübsch und hat sie mal intern rumgereicht. Und so wurde ich eines Tages angerufen und zum Vorstellungsgespräch gebeten, das ausgesprochen nett war. Einen Tag später rief, ohne dass ich mich da beworben hatte, eine weitere Agentur an, die mich mal kennenlernen wollte. Und wiederum einen Tag später rief meine alte Agentur an, die mich für sechs Wochen frei buchen wollte, weil ein Texter einen langen Urlaub genommen hatte. Und die mir außerdem meinen alten Job wieder anbieten wollte.

Und so habe ich ein bisschen in mich reingehorcht und überlegt, ob ich wirklich wieder texten will. Und ich musste mir eingestehen (und das komischerweise ganz gerne), dass ich den Job vermisst habe. Es hat auch, ehrlich gesagt, nur fünf Minuten gedauert, bis das passiert ist.

Vielleicht habe ich nur das Gefühl vermisst, zu wissen, was ich tue. Vielleicht haben mich die viel zu vielen Möglichkeiten eingeschüchtert. Oder es war die simple Sehnsucht, wieder jeden Morgen zu einer festen Zeit aufzustehen, jeden Tag in ein spannendes Büro zu gehen und jeden Tag mit Kollegen rumzuspacken. Denn selbst, wenn die Kunden mal genervt haben und die Tage länger wurden als sie sollten – es hat trotzdem Spaß gemacht, zur Arbeit zu kommen, sich auszutauschen, Geschichten zu hören, zu lernen, zu lachen.

Ich habe zur Probe erstmal den freien Job angenommen und sitze seit zwei Wochen wieder in meiner alten Agentur, aber nicht im gleichen Gebäude wie vorher. So kenne ich zwar die Kollegen und natürlich die Kunden, aber es fühlt sich trotzdem ganz neu an. Und nebenbei verdammt gut. Und deswegen glaube ich, dass es genau das war, was ich gebraucht habe: einen Schnitt zu machen. Einfach zu sagen: Nee, ich mag jetzt nicht mehr. Ich hab keine Ahnung, was dann kommt, aber ich gehe jetzt. Dieses Gefühl hat mich so stark gemacht und gleichzeitig so entspannt, dass ich endlich mal von außen auf meine Situation gucken konnte. Mal durchatmen konnte. Mal nachdenken konnte, ohne fünf Meetings im Hinterkopf zu haben. Und erst da habe ich gemerkt, wie gerne ich meinen Job habe.

Und so habe ich auch das zweite Angebot angenommen und bin ab 1. April in einer neuen Agentur. Mit neuen Kunden, neuen Kollegen, für eine schöne Ecke Geld mehr und mit einem Büro nur für meine Art Direktorin und mich – und einer Tür, die man zumachen kann. Kein Großraum mehr. Das hatte ich noch nie. Ich werde an meinem ersten Tag wahrscheinlich vor Glück weinen und die ganze Zeit die Tür öffnen und ganz schnell wieder schließen.

Was mich am meisten an der Situation freut, ist die Tatsache, dass mir das alles irgendwie in den Schoß gefallen ist. Beziehungsweise, dass ich locker mit meiner Mappe in der Gegend rumgelaufen bin und zu hören bekommen habe, dass es ziemlich nett ist, was ich in den letzten Jahren so zustande gebracht habe. Vielleicht war es auch das, was ich mal gebraucht habe: dass mir jemand Externes sagt, dass ich einen guten Job mache.

Die Kündigung war die richtige Entscheidung, selbst wenn ich in der Werbung geblieben bin anstatt nach Hollywood zu ziehen. Ich lerne gerade das Gefühl zu schätzen, ins kalte Wasser gesprungen zu sein und gemerkt zu haben, dass ich nicht untergehe, sondern stattdessen ganz locker ans Ufer schwimmen kann. (Und hoffentlich liest keiner in der neuen Agentur diese Metapherngrütze, sonst überlegen die sich das mit meiner Einstellung nochmal.)

Wie sagte Frau Lyssa doch so schön, als ich ihr von den ganzen unerwarteten Jobs erzählte, die sich bereits im Januar abgezeichnet haben: „Du schaffst es nicht mal, VIER WOCHEN arbeitslos zu sein.“

Tscha. Wer einen kann, soll einen mitnehmen, hat mein Opa immer gesagt. Der Januar war überhaupt ein klasse Monat. Da muss sich der Rest des Jahres schon verdammt lang machen.




15.02.2004
Calling up Betty at 5 in bed

I

Einen guten Cappuccino erkennt man daran, dass es ewig dauert, bis der Zucker im Milchschaum untergeht. Er sollte sich einige Zeit auf der Milchhaube halten, bevor er zu schwer wird und braun gefärbt versinkt. Das Loch, das er in die Haube gerissen hat, sollte sich wieder schließen, damit man das Spiel wiederholen kann, so lange, bis der Löffel im Zuckerschlamm steht. Dann kann man behutsam den Rest des Schaums unterheben. Und dann kann man den Cappuccino trinken, denn nach der ganzen Prozedur hat er genug Zeit gehabt, zur richtigen Temperatur abzukühlen.

Ich beobachte den Milchschaum mit dem Zucker jetzt schon zum dritten Mal. Es ist genauso faszinierend, wie Wasser zuzuschauen, wenn es im Abfluss verschwindet. Oh, merken: Sobald ich in Australien bin, nachgucken, ob das Wasser da wirklich andersrum abfließt.

Zu meiner dritten Tasse Cappuccino brösele ich an meinen Aufbackcroissants rum und überlege, was ich draufschmiere. Ich entscheide mich für Nutella und brösele und zuckere weiter vor mich hin.
Wenn Susann jetzt hier wäre, würde sie sagen, lass den Quatsch. Nimm nicht so viel Zucker. Und Croissant isst man nicht mit Nutella. Sie würde sich aufrecht an den Küchentisch setzen, formvollendet ihren Croissant mit einem Hauch von Butter bestreichen und ihn in kleinen, mundgerechten Häppchen essen, ohne dass ihr Lippenstift verschmiert.

Satt und zufrieden liege ich im Bett und starre an die Decke. Das Bett ist zu groß, aber nicht zu leer. Es ist nur ein Instinkt, antrainiert in jahrelanger Beziehungsarbeit, aber ich lange auf ihre Seite rüber, wie jeden Morgen, als ob sie da wäre und mich ungeschminkt anschauen würde, zweifelnd, wie das Wetter wird, ob der Job vielleicht heute Spaß macht, ob die neue Kollegin dünner ist als sie. Und ich streiche ihr die Haare aus der Stirn, küsse sie und versichere ihr, dass das Wetter klasse wird, der Job heute besser als je zuvor und die neue Kollegin eine blöde Schlampe ist. Und sie wird sich unwirsch wegdrehen und mir sagen, dass es regnen wird, ihr Job sie ankotzt und die neue Kollegin sich nach oben geschlafen hat.

Ich lange auf ihre Seite rüber und schnippse die Krümel meines Nutellacroissants auf den Fußboden.

Das Telefon klingelt. Ich lasse den Anrufbeantworter rangehen und höre mit wohligem Schaudern, wie Susanns Stimme verkündet, dass wir beide nicht da sind.
Es ist Tom.
„Geh schon ran, ich weiß, dass du da bist. Du hast übermorgen Abgabetermin, ich hoffe, du hast es nicht vergessen. An dem Auftrag hängt ne Menge. Steh endlich auf, du Irrer, und geh an das verdammte Telefon.“
Tom pöbelt noch ein wenig weiter, in der Hoffnung, mich mit Beschimpfungen zu motivieren. Das hat schon im Büro nicht geklappt. Und jetzt funktioniert es auch nicht. Im Geiste übersetze ich alle seine Flüche ins Englische, nur so als Training. Vielleicht muss man auch in Australien mal jemanden beschimpfen.

Susann ist immer gerne nach Frankreich gefahren. Einfach so an der Atlantikküste spazierengehen, Parfüm aus Grasse mitbringen und natürlich ein Foto vom Eiffelturm runter. Wir waren ganz oben auf der dritten Plattform. Mein Französisch ist mies, ich mag keine Schnecken und ich trinke lieber Bier als Rotwein. Aber das sind natürlich nur Klischees, wurde ich jedesmal vor der Abfahrt belehrt. Und jedesmal musste ich mich in Paris wie ein Idiot fühlen, wenn ich es wagte, zum Essen une bière zu bestellen.

Unser letzter Urlaub ist noch gar nicht so lange her. Kurz vor Susanns Auszug haben wir ein romantisches Wochenende in Paris gebucht. Was als Versöhnungsversuch gedacht war, endete in einem wüsten Streit auf dem Père-Lachaise, weil ich Bourbon auf Jim Morrisons Grab kippen wollte, was Susann unglaublich peinlich war. Sie rauschte davon, nahm den Lageplan mit und ich könne ja sehen, ob ich mich auch ohne sie zurechtfinden würde. Ich trabte also los, entschlossen, meinen Bourbon über einem Promi-Grab auszuschütten, rannte kopflos in irgendwelche Richtungen, unterschätzte völlig die Ausmaße dieses Friedhofs und blieb schließlich keuchend, teils aus Anstrengung, teils aus Wut, vor einem Grab stehen. Da ich den Inhaber nicht kannte, köpfte ich die Flasche Bourbon und nahm einen tiefen Schluck. Durch den Boden der Flasche entdeckte ich eine Rucksacktouristin, die in einem Lageplan blätterte. Ich ging auf sie zu und fragte in mühsamem Französisch, ob sie mir helfen könne, den Ausgang zu finden, damit ich meine blöde Freundin einholen kann, die hoffentlich nicht gerade das Hotelzimmer leer räumt und mich alleine ohne Pass auf einem Friedhof zurücklässt.

Betty guckte mich freundlich, aber völlig verständnislos an und zwitscherte: „Do you speak English?“


II

Was auch immer Susann den Rest des Tages in Paris gemacht hat, ich weiß es nicht. Ich erinnere mich, gefragt zu haben, damit sie aufhörte, dieses nervige Schmollgesicht zu ziehen. Aber sobald sie anfing zu erzählen, hörte ich nicht mehr zu, sondern sammelte die Hotel-Handtücher aus dem Badezimmer ein und stopfte sie in meinen Koffer.

Betty und ich sind den ganzen Tag von einem Museum ins nächste gerannt, weil sie unbedingt die Seerosen von Monet sehen wollte. Ich folgte ihr auf dem Fuß und hörte mir ihre Lebensgeschichte an, die ungefähr genauso banal klang wie meine. Aber bei jedem Punkt, der einen ihrer Sätze beendete, wurde ihre Stimme geheimnisvoll tiefer, so dass ich es kaum erwarten konnte, den nächsten Satz zu hören. Und bei jeder Pause, die sie machen musste, wenn sie auf dem Metro-Plan das nächste Museum suchte, kräuselte sie ihre Stirn, so dass ich mich zusammenreißen musste, um nicht mit der Hand darüber zu fahren, um die Linien wegzuwischen. Und bei jeder Anekdote sprühten ihre Augen kleine Funken, die in meine Richtung flogen und als Feuerwerk bei mir ankamen.

Nach den Seerosen saßen wir vor dem Museum und guckten in den Himmel. Betty drehte für uns beide Zigaretten. Ich sah ihr dabei zu, wie sie die Tabakportion gleichmäßig verteilte und glattstrich, das Papier zu einer Röhre drehte und beide Klebseiten anleckte. Das sei das Geheimnis, sagte sie und schob die Papierhälften zu einer perfekten Zigarette zusammen. Sie entzündete sie, nahm einen Zug und blies einen Rauchkringel in die Luft, der sich erst nach einer Ewigkeit auflöste. Wir gingen in ein Café, wo ich ihr erklärte, woran man einen guten Cappuccino erkennt. Sie drehte mir Zigaretten, während ich den Zucker in ihre Tasse rieseln ließ.


III

Tom hat aufgehört, auf meinen – meinen! – Anrufbeantworter zu bellen. Ich rolle mich aus dem Bett und lösche das Band.
Wenn Tom die Zeichnungen haben will, muss er sie schon selber machen. Oder in meine Wohnung einbrechen und kriminell werden. Davor will ich ihn bewahren. Ich beginne, auf dem Fußboden herumzurollen. Das Zimmer dreht sich um mich. Die Wandfarben ändern sich. Der Boden unter mir wird kalt. Ich bin in der Küche angekommen. Ich erhebe mich und wühle nach meinen Zigaretten. Ich zünde mir eine an und gehe ins Schlafzimmer zurück, wo unter dem Bett die fertigen Zeichnungen liegen. Ich halte das Feuerzeug an das Papier und beobachte, wie meine Grundrisse in Flammen aufgehen. Die Asche fliegt im Zimmer umher. Ich trete die schwarzen Flecken in den Teppich und warte auf verbale Gegenwehr, von irgendwo her in der Wohnung. Es bleibt still, und ich lächele.

Tom haben meine Entwürfe immer gefallen. Er findet sie realistisch und doch kreativ, wie aus dem Lehrbuch und doch neu. Wir kennen uns seit der Schule. Er hat studiert, ich nicht. Er hat geheiratet, ich nicht. Er hat eine Firma, ich nicht. Er zahlt mein Gehalt. Jetzt nicht mehr.

Ich habe Tom von Betty erzählt. Von ihren Funken, ihren perfekten Rauchkringeln und dass sie eine gute Cappuccino-Trinkerin geworden ist. An einem Nachmittag. Ich habe dafür Jahre gebraucht.
Tom sagt, dass Australien ein blödes Land ist, weil da Weihnachten im Sommer ist. Und ich kann ja nicht mal Hunde leiden, wie will ich es da erst mit Kängurus aushalten.
Bis dahin konnte ich ihm folgen. Dann allerdings sagte er, ob Susann es schon weiß und dass ich bei ihm eine Kündigungsfrist einzuhalten habe. Ab da habe ich nicht mehr zugehört.

Tom habe ich zum letzten Mal vor einem Monat gesehen. Susann und ich waren zum Abendessen bei ihm und Tina eingeladen. Es fühlte sich an wie immer, und ich vermisste wie immer die Hintergrundmusik, um die Fernsehserie perfekt zu machen. Vor meinem geistigen Auge lief der Vorspann, als Tina die Suppe servierte, und ich wartete auf die Werbepause, um aufs Klo gehen zu können. Tina und Susann tauschten wie immer die Rezepte für die vier Gänge aus, während Tom über Zigarren fachsimpelte und ich da saß und den dankbaren Zuhörer gab.
Als Tina das Dessert servieren wollte, musste sie eine Markierung auf dem Boden des Studios übersehen haben, denn sie stolperte, und die wunderschöne Mousse au Chocolat ergoss sich über den Tisch, Susann und Tom. Drehbuchgerecht erstarrten die drei, während ich lauthals loslachte und anfing zu klatschen.


IV

Ich rolle wieder ins Bett zurück und lande auf der Fernbedienung. Die Stereoanlage springt an und spielt traurige Musik. Ich kann gar nicht sagen, ob Susann traurig war, als ich ihr sagte, dass ich sie verlassen wollte. Es war auf dem Rückweg von Tom und Tina; sie saß am Steuer und ich drehte am Autoradio rum, um die richtige Musik zu finden. Schließlich schaltete ich es aus und sagte es ihr.
Sie fuhr einfach weiter und guckte starr auf die Straße. Ihre Handknöchel waren weiß und ihre Adern puckerten unter der Haut, aber sie weinte nicht. Das Kostüm war ganz neu.

Als wir zu Hause waren, fing sie an, die Sache auszudiskutieren. Während ich einfach nur da saß, zerpflückte sie unsere Jahre und Nächte und Träume, bis nur noch Teile da waren, die nicht zusammen passten. Sie fing an, hektisch Sachen in einen Koffer zu werfen, der von Paris noch nicht mal ganz ausgepackt war, und versuchte, die Teile wieder zusammenzufügen. Sie redete über unsere gemeinsamen Ziele und Pläne und die Wohnung und mein Leben, während ich daran dachte, dass Betty immer Zigaretten für mich drehen und ich immer ihren Cappuccino umrühren würde.


V

Seit Tagen versuchen mich Susann und Tom anzurufen. Ich liege im Bett und warte darauf, dass mein Reisepass fertig wird. Ich höre gerne ihren wichtigen Nachrichten zu, rolle zum Telefon und lösche sie sofort. Und wenn ich nicht gerade Croissants esse oder Unterlagen verbrenne, nehme ich das Telefon mit ins Bett und rufe in Australien an. Meistens ist es fünf Uhr. Entweder bei mir oder bei ihr.




12.02.2004
Anke wartet auf einen wichtigen Anruf und icq-t mit ihrem Kerl.

Anke (16:39 Uhr):
sie haben noch nicht angerufen. ich werde panisch.
Kerl (16:39 Uhr):
ich sags dir: sie haben es einfach vergessen...
Anke (16:40 Uhr):
wie kann man MICH vergessen?
Kerl (16:40 Uhr):
wart valentinstag ab. dann wirst du wissen, wer dich alles vergessen kann.

Dieses Pärchending hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.




06.02.2004
Ein Satz, den das neue Herzblatt nur bedingt gerne hört: „Ich find das so schön, dass ich dich kennengelernt habe – jetzt hab ich endlich einen Sport-Telefonjoker für Wer wird Millionär.




03.02.2004
Bei Ikea gewesen. In einem Anflug von Schnuffigkeit ein Zweierset Bettwäsche gekauft anstatt wie sonst beherrscht und stolz inmitten der ganzen blöden Pärchen, die ihre erste gemeinsame Küche aussuchen, nur zur Single-Version zu greifen.
Danach den ganzen Tag überlegt, ob das jetzt das totale Desaster heraufbeschwört, ob es Zeichen setzt, die gar nicht gesetzt werden sollen, ob es vielleicht Druck ausübt, den man ja um Gottes Willen nicht ausüben will (schließlich haben wir alle Frauenzeitschriften gelesen) und ob ich den zweiten Bezug notfalls als Reserve für Gäste deklarieren kann.
Dann überlegt, dass er es wahrscheinlich nicht mal mitkriegt, dass auf einmal zwei passende Bezüge im Bett sind und was mir das über den Stand unser immerhin einer Woche alten Beziehung sagen soll. Kennt er mich überhaupt, wenn er nicht mal mitkriegt, dass ich gerade jahrelang antrainierte Ikea-Rituale über Bord werfe?
Dann gemerkt, dass ich hier gerade ernsthaft über BETTWÄSCHE nachdenke. Sofort mehrere Folgen Sex and the City geguckt, um den Kopf wieder klar zu kriegen.




01.02.2004
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Ich habe, ehrlich gesagt, keine Top 10-Liste meiner Filme. Das liegt daran, dass sich die alle fünf Minuten ändert. Es gibt natürlich Filme, die mir persönlich viel bedeuten, die ich für mich als sehr wichtig ansehe, aber ob die dann auch in den Augen der Allgemeinheit als richtig gut gelten, ist wieder eine andere Frage.

One, Two, Three: einer der wenigen Filme, in die mein Papa uns geschleift hat, wann immer er in einem Programmkino gelaufen ist. Ich hab zwar als Kind bzw. Teenager nur die Hälfte der Witze über die deutsche Teilung, die Besatzungsmächte und die Besonderheit Berlins verstanden, aber auch so ist es meiner Meinung nach einer der schnellsten und komischsten Filme, die ich kenne.

When Harry Met Sally: die besten Dialoge, die je zwischen Männern und Frauen geführt wurden. Immer wieder.

East of Eden: der erste Film, den ich mit James Dean gesehen habe. Das führte zur ersten hemmunglosen Verknalltheit in einen Schauspieler und eine handbemalte Jeansjacke, deren Rückenteil James' Name und ein Herz aus Plakafarbe zierte. Das Tragen dieser Jacke führte übrigens zur ersten Außenseiterrolle an meiner beknackten Schule

Edward Scissorhands: Ich mag eigentlich fast alle Tim Burton-Filme, aber in keinem anderen guckt der Hauptdarsteller (in diesem Falle Johnny Depp) so herzzerreißend traurig, verloren und unverstanden. I know that feeling.

Reservoir Dogs: Ich erinnere mich daran, wie ich danach aus dem Kino kam – fassungslos über die Brutalität (ja, damals war ein abgeschnittenes Ohr noch eine aufregende Sache) und gleichzeitig absolut fasziniert von der Erzählweise. Und von Tim Roth. Aber das tut hier nichts zur Sache. Ausnahmsweise.

High Society: Ich sag nur Frank Sinatra, Bing Crosby, Grace Kelly und Satchmo. What a swell party this is.

The Ice Storm: einer meiner liebsten Baseball-Filme. Diese Kategorie hat ihren Namen, weil ich mich nach derartigen Filmen immer fühle, als hätte mir jemand eine Keule über den Kopf gezogen. The Ice Storm hat mich zittern lassen durch seine distanzierte Kälte und mich gleichzeitig berührt durch seine intime Nähe. Und ich habe mir den Namen Tobey Maguire gemerkt.

Schindler's List: Ich habe noch nie ein Kinopublikum so ruhig und fassungslos gesehen wie in diesem Film. Am Anfang hatte ich noch die üblichen Labernasen hinter mir, die sich auf den neuen Spielberg gefreut und Popcorn gegessen haben. Das hatte sich nach zehn Minuten erledigt. Und am Ende sind alle sitzengeblieben und haben den kompletten Abspann geguckt. Und selbst danach wollte man nicht aufstehen. Einfach sitzenbleiben und verarbeiten, was man gerade gesehen hat.

Stand By Me: leise, zärtlich, nie pathetisch. Eine meiner Meinung nach perfekte Momentaufnahme des Erwachsenwerdens. (Und peinlicherweise auch der Film, in dem ich Kiefer zum ersten Mal bewusst gesehen habe. The obsession starts.)

Flatliners: The obsession reaches its peak. Flatliners habe ich dreißigmal im Kino gesehen und danach noch mindestens 25 Mal auf Video und DVD. Und ich gucke ihn immer noch. Weiß der Geier warum.

Back to the Future: Bei dem Film ist mir zum ersten Mal aufgefallen, wie dicht ein Drehbuch gestrickt sein muss, damit man auch beim zwanzigsten Mal Gucken den Atem anhält, wenn Doc an der Rathausuhr rumturnt. So viele kleine, feine ausgelegte Fährten, sowohl im Bild als auch per Dialog, die sich alle perfekt auflösen – ich bin jedesmal wieder begeistert.

The Little Mermaid: Ich bin ein bekennender Disney-Gucker. Und Arielle mag ich wahrscheinlich genau deshalb, weil die total fiese und gemeine Original-Geschichte von Hans Christian Andersen, in der die Meerjungfrau zu Gischt wird, so schön verdisneyt wurde. Alles geht gut aus, die Bösen verlieren, die Guten knutschen, und Anke trocknet eimerweise Tränen.

Se7en: ähnlicher Effekt wie bei Reservoir Dogs. Als ich Se7en zum ersten Mal gesehen habe, habe ich danach im Auto die Türen verriegelt und zuhause zehnmal den Sitz der Kette an der Wohnungstür kontrolliert. Der Film ist einfach hinterhältig, perfide und böse. Bitterböse.

The Fabulous Baker Boys: ich mag Filme, die in ihrer ganzen Melancholie (sowieso meine bevorzugte Filmstimmung) immer noch einen Funken Hoffnung vermitteln. Der Moment, in dem Michelle Pfeiffer Jeff Bridges in der Bar Klavier spielen sieht und plötzlich seinen ganzen Schmerz begreift. Der Moment, in dem Jeff versteht, warum sein Bruder so ist wie er ist und er zum ersten Mal spürt, wie gut Familie tun kann. Und jeder Moment, in dem Michelle Pfeiffer singt und ihre ganze Seele offen da liegt. Wunderbar.




29.01.2004
Das Universum meint es zurzeit aber verdammt gut mit mir: gleich mehrere Jobangebote am Start, was Nettes zum Kuscheln, genug Geld auf dem Konto, eine aufgeräumte Wohnung, schickes Winterjäckchen, neuer Bagel-Laden in der Innenstadt, gute Freunde, gute Musik, gute Filme, nicht zu warm, nicht zu kalt.

Und dann schickt mir der liebe Tobias auch noch was von meinem Wunschzettel. Ich freue mich wie immer sehr über diese Art der Zuwendung (und die schöne Widmung) und bedanke mich ganz artig für Neal Stephensons Cryptonomicon.

Ach, und Universum: nicht nachlassen. Ist klasse so. Wirklich.




22.01.2004





21.01.2004





16.01.2004
The Devil's Alphabet

All memories will fade.

Blood is the new black.

Can I make it up to me?

Dare to dare.

Every moment everything is happening.

Finding faith facing fears failing faith.

Ground patient countdown to zero

Home. Heart. Happy?

I am I am I am am I?

Just this once.

Kill me kill me now.

Lesson re-learned.

Meanwhile at the ranch.

Never nothing no one.

Oh crappy days.

Pinch me and make me believe.

Quod erat expectandum.

Right left right wrong right now.

So many stories so little time.

Twenty answers.

Unforgetting unforgiven.

Very weird wonders.

When will it end?

X-rated dreams.

Yet another one.

Zig-a-zig-aaaaah.




12.01.2004
Jemandem dabei zuzusehen, wie er mit seinem Handy per Bluetooth die Maus vom Powerbook bewegt, das ungefähr 60 Zentimeter von ihm wegsteht, lässt mich wieder an der Theorie zweifeln, dass Männer und Frauen sich jemals verstehen werden.




10.01.2004
Ich wollte das Gedicht Death Is Nothing At All von Henry Scott Holland posten. Aber ich finde, es wird dir nicht gerecht. Du warst eher ein Freund von langen, fiesen Sätzen mit ner Menge spannender Vokabeln. Die Botschaft mag stimmen; die Form tut es nicht.

Dann wollte ich den Klassiker And Death Shall Have No Dominion von Dylan Thomas nehmen. Aber der ist mir einfach zu martialisch, zu schwer, zu ochnee. Ich sehe dich fast vor mir, wie du die Augen verdrehst und mir sagst, das postest du nur, weil da ne Menge langer, fieser Sätze mit ner Menge spannender Vokabeln drin sind.

Dann dachte ich an das Zitat von Alfred Lord Tennyson: "'Tis better to have loved and lost than never to have loved at all." Aber auch hier habe ich dich vor meinem inneren Auge, wie du mir von der Couch her über die Schulter guckst, während ich den Kram in mein Tagebuch schreibe und erstens nölst, dass du es nicht lesen darfst, und wenn ich es dir dann sage, dich zweitens beschwerst, dass ich dir so einen Blümchentext widmen will.

Also habe ich mich deinem absoluten Lieblingssänger zugewandt: Elvis Costello. Ich weiß noch, wie du mich hysterisch angerufen hast, als er dir nach seinem Auftritt in Indianapolis ein Autogramm gegeben hat.
Also hoffe ich, dass dir dieser Text zusagt.
Eigentlich bin ich mir sogar ziemlich sicher, dass er das tut.

"It's strange to finally find myself so tongue-tied
A change has come over me
I'm powerless to express
Every thing I know but cannot speak
And if I try my voice will break
Someone took the words away
Someone took the words away."

Karl Dewaine Glass, 10.01.1962 – 02.12.1999

Happy birthday, love. Wish you were here.