Radfahren in Hamburg vs. Radfahren in München

Ich nutze mein Rad nicht, um damit lauschige, stundenlange Radtouren zu veranstalten oder mal das Umland meiner derzeitigen zwei Wohnorte zu erkunden. Ich nutze mein Rad ganz simpel als Fortbewegungsmittel, um damit in die Uni zu kommen, in den Supermarkt, in die Bibliothek, zum Gesangsunterricht, zur Lieblingsweinbar oder ins Fußballstadion. Ich fahre selten Umwege (außer wenn ich dringend zum Münchner Königsplatz muss, weil mich der immer so schön runterkommen lässt), sondern meist nur da, wo ich eben lang muss. Daher ahne ich, dass man zu allen Punkten, die im Folgenden kommen, genau das Gegenteil sagen kann, sowohl für Hamburg als auch für München, weil die Städte eben nicht nur aus den Strecken von meiner Wohnung zum Supermarkt, zur Uni und zum Fußballstadion bestehen. Aber netterweise ist das hier mein supisubjektives Blog und daher wumpe.

Radwegsqualität

Hamburg hat Radwege, die ihren Namen sehr oft nicht verdienen. Damit meine ich nicht, dass die Bezeichnung „Radweg“ übertrieben ist – schon das Wort „Weg“ ist ein gewagter Euphemismus. Ich kenne Kreuzungen, an denen ein frisch gepflasterter, wunderschöner, breiter, nagelneuer roter Radweg übergeht in: nichts. Man radelt lustig vor sich hin, hält brav an der Ampel, fährt über die Straße – und darf sich dann blitzschnell entscheiden, ob man auf dem Fußweg weiterfährt oder sich spontan in die von hinten kommenden Autos einreiht. In 150 Metern fängt der Radweg überraschend wieder an. Dann allerdings gerne in der Variante „60 Zentimeter schmales Stückchen Buckelpiste, das seit 30 Jahren von Baumwurzeln untergraben wird“. Oder in der Variante „rotes Arschloch-Pflaster aus den 70ern, das einem die Kraft direkt aus den Unterschenkeln zieht“. Oder in der Variante „ausgeblichene Linie auf dem Fußweg, die jeder Fußgänger ignoriert, weswegen man besser auf der Straße fährt“.

Es ist nicht alles fürchterlich, Hamburg hat auch sehr schöne Radwege, aber bis jetzt bin ich auf nicht viele von ihnen gestoßen. Ich habe auf meinen Strecken noch keine einzige entdeckt, auf der der Radweg sich nicht spätestens alle 500 Meter verändert. Immerhin lerne ich so, sehr vorausschauend zu fahren: Ich muss nicht nur auf sich öffnende Beifahrertüren achten, Fußgänger und Radfahrer, die einem entgegenkommen (darauf komme ich gleich nochmal zurück), sondern auch darauf, wo zum Geier der Radweg jetzt vielleicht weitergehen könnte.

München scheint eher damit zu rechnen, dass Menschen auf Fahrrädern in der Stadt unterwegs sind. Dort lässt es sich weitaus besser fahren, vor allem im Univiertel, wo quasi per Naturgesetz viele RadlerInnen unterwegs sind (und wo ich wohne). Viele kleine Straßen in der Maxvorstadt haben keine Radwege, aber man kann entspannt auf der Straße fahren, weil die AutofahrerInnen wissen, dass viele von uns Studis unterwegs sind, und in die schmaleren Einbahnstraßen darf man als RadlerIn auch in die entgegengesetzte Richtung fahren. Was München allerdings hat, was Hamburg nicht hat: die Tram. Vor der und ihren Schienen habe ich einen gehörigen Respekt und daher vermeide ich es, wenn es geht, in Straßen zu fahren, in denen auch die Tram fährt.

Noch mal zum Univiertel: Das ist in Hamburg ein einziger Schmerz im Arsch, jedenfalls per Rad. Die AutofahrerInnen haben eine schöne zwei- bis vierspurige Straße von der Grindelallee bis zum Dammtor, die RadlerInnen hingegen teilweise ein 80-Zentimer-Streifchen, auf dem auch gerne Autos parken und wo gerade jetzt eine lustige Baustelle alles noch enger macht. Teilweise ist dort auch ein richtig toller Radweg, schön breit, direkt an der Straße, wo einen alle sehen – und dann kommt von der Staatsbibliothek bis zum Dammtor ein Radweg, der für beide Richtungen gilt. Darüber musste ich sehr lachen, denn:

Geisterfahrer

Ich habe es in München zweimal gewagt, auf dem Radweg auf der falschen Straßenseite zu fahren (also entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung), weil’s eben kürzer war als bis zur nächsten Ampel zu fahren und dort zu wenden. Beide Male bin ich richtig schön angekackt worden und seitdem fahre ich brav nach Verkehrsregeln, weil ich sehr ungern angekackt werde.

In Hamburg interessieren irgendwelche Regeln keine Sau. Jeder fährt, wo gerade Platz ist, egal, ob auf dem Fußweg oder in der falschen Richtung. So lange nichts passiert, ist alles super, jedenfalls scheint das das ungeschriebene Gesetz in Hamburg zu sein. Ich als in München gedrillte Fahrerin werde dabei irre. Wie ich oben schon schrieb: Man muss zu allen üblichen Dingen, auf die man auf dem Rad achtet, auch auf Gegenverkehr achten. Und das leider nicht auf den anständigen Münchner Radwegen, sondern auf den fürchterlich schmalen Buckelpisten. Ich konnte mich anfangs nicht so recht entscheiden, ob ich das Konzept „Jeder fährt, wie er will“ besser finde als „Jeder fährt, wie er soll“, aber inzwischen bin ich gnadenlos bei „Fahrt gefälligst, wie’s in der StVO steht, ihr Nervensägen!“ Denn das ist deutlich entspannter. Und ja, ich fahre auch in Hamburg bis zur nächsten Ampel, um zu wenden. Mein kleines Stück Bayern im Norden. Was mich zum nächsten Punkt bringt:

Hügeligkeit

Man glaubt ja immer, der Norden sei so schön flach. Denkste, Puppe. Was mir im Bus oder zu Fuß nie so extrem aufgefallen ist: Hamburg ist eine einzige Hügellandschaft. Es geht wirklich ständig auf und ab. Nie so richtig hoch und richtig runter, aber in meinem Kopf denke ich dauernd: „Gnarg, Steigung, wiiiiiiii, ABWÄRTS!“ Wohingegen in München, wo man bei Föhn quasi mit der Hand die Alpen anfassen kann: alles platt. Ich kenne nur zwei Steigungen in München: Eine geht zum Grünwalder Stadion hoch, wo die Bayern-Amateure spielen, und sie ist OBERFIES, und die zweite ist am Rosenheimer Platz am Gasteig. Da darf ich in diesem Semester jeden Dienstag Morgen um 7.45 Uhr hoch, weil mein Italienischkurs an der VHS im Gasteig stattfindet. Aber so richtig schreckt mich das nicht, denn:

Fahrgefühl

In München rase ich nicht mit dem Rad – ich radele stattdessen entspannt in der Gegend rum. Vielleicht liegt es auch hier wieder an den Strecken, die ich fahre. Die Ludwigstraße zwischen Siegestor und Feldherrnhalle fahre ich extra langsam, weil ich so gerne die Gebäude angucke. Über den Odeonsplatz, an der Residenz vorbei zum Marienplatz muss ich langsam fahren, weil da Fußgängerzone ist – in der ich laut Schild im Schritttempo fahren darf, sonst würde ich das NIE TUN. Ist mir sehr recht, denn auch hier gucke ich gerne rum (die Drückebergergasse! die Oper! das Residenztheater! die Maximilianstraße! der Dallmayr! der Dom!). Erst ab Marienplatz nehme ich ein bisschen Fahrt auf, wenn ich in Richtung Sendlinger Tor fahre, vor allem, weil es da ausnahmsweise mal bergab geht („wiiiiiiii“).

Meine andere Lieblingsstrecke ist, wie schon erwähnt, über den Königsplatz und da fahre ich quasi in Zeitlupe, damit es möglichst lange dauert, über ihn rüberzukommen. Eine andere Strecke, die ich öfter fahre, ist an der Nymphenburger Straße lang – hier gibt es zwar weniger historische Ensembles zu gucken, aber der Weg ist angenehm, er führt unter Bäumen entlang und komischerweise habe ich es in München eh nie eilig, daher fahre ich auch hier eher gemächlich.

In Hamburg erwische ich mich hingegen dauernd dabei, schnell zu fahren. Das könnte auch an meinem Rad hier liegen, es ist leichter als mein Münchner Rad und ich fahre deutlich weiter vornübergebeugt. Der letzte Link ist nur so halbrichtig: Meins ist ein Damenrad, aber sonst sieht’s ungefähr so aus. Ja, ich fahre ein Aldi-Rad. Als ich mir überlegte, mal wieder Rad zu fahren, wusste ich nicht, ob das so mein Ding sein würde (little did I know), also wollte ich nicht ganz so viel Geld ausgeben. Wie sinnvoll das ist, vielleicht doch etwas mehr Geld auszugeben, merke ich an meinem Stevens-Rad: Es ist nicht viel leichter als das Aldi-Ding, aber meine Güte, fühlt es sich leichter an! Es ist deutlich leichtgängiger und gefühlt viel wendiger. Trotzdem werde ich die Räder vermutlich nicht tauschen, auch wenn ich inzwischen mehr Zeit in München verbringe als in Hamburg: In Hamburg mit seinen fiesen Wegen und dauerndem Auf und Ab brauche ich den kleinen Flitzer viel mehr als in München, wo ich ein behäbiges Schlachtross bewege. Passt schon.

Ich habe letzte Woche endlich mein Auto verkauft und natürlich lautstark auf Twitter bzw. Facebook rumgejammert, aber dann auch festgestellt: Ich habe seit 27 Jahren das erste Mal kein Auto mehr. Aber dafür zwei Fahrräder.

Frau @hammwanich hatte dazu einen schönen Kommentar: Vier Räder sind vier Räder. Stimmt.