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No Country for Old Men (USA 2007, 122 min)

Darsteller: Tommy Lee Jones, Jarvier Bardem, Josh Brolin, Woody Harrelson, Kelly Macdonald, Garret Dillahunt, Barry Corbin
Musik: Carter Burwell
Kamera: Roger Deakins
Drehbuch: Joel & Ethan Coen
Regie: Ethan & Joel Coen

Trailer

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No Country for Old Men ist einer dieser Filme, die einem beim Zusehen sehr zwingend erscheinen; jede Figur scheint ihren Weg vorgezeichnet zu haben, es gibt keine Zufälle, und schon bei der ersten Einstellung ist klar, wie die letzte sein muss. Erst wenn der Abspann durch ist und man mal Zeit hat, das ganze Blut abzuwischen und Luft zu holen, wird einem bewusst, dass jede Figur mehr ist als eben das: eine Figur – ohne Entscheidungsgewalt, ohne Wahlmöglichkeit. Jeder in diesem Film hatte alle Möglichkeiten der Welt, die Geschichte anders verlaufen zu lassen. Und keiner hat diese Möglichkeit genutzt. Und in diesem Augenblick der Erkenntnis wird aus einem Film eine sehr beklemmende Parabel.

Die Personen: ein Mann auf Jagd, der zufällig auf den Schauplatz eines sehr schiefgelaufenen Drogengeschäfts stößt. Die Jungs, die die Drogen wiederhaben wollen. Der Killer, der das Geld wiederhaben will. Und mittendrin der Jäger, der eine einzige falsche Entscheidung trifft und damit alles in Gang setzt. Er weiß sogar selbst, dass es die falsche Entscheidung ist, denn er sagt seiner Frau noch zum Abschied, dass er jetzt eine Riesendummheit begehen wird und er das wisse, er es aber trotzdem tun werde. Sein Motiv: Menschlichkeit. Einem Verletzten Wasser bringen. Ganz blöde Idee.

Der Jäger wird knurrig von Josh Brolin gespielt, der in seiner Wortkargheit perfekt in die weite, leere Landschaft von Texas passt. Und so klein sein Wortschatz ist, so spärlich sind seine Bewegungen, nichts ist überflüssig, alles passt – wenn seine Cleverness und Voraussicht doch nur einem besseren Ziel dienen würde als nur dem, einen Koffer voll Geld zu verteidigen. Aber sein Blickfeld hat sich auf eben dieses Ziel verengt; der Radius, der ihm zum Handeln bleibt, ist sehr klein geworden. Aufwachen – und hoffen, dass man den Abend noch erlebt. Alles wegen einer falschen, humanen Entscheidung.

Ihm auf den Fersen ist ein Auftragskiller, der sich darüber amüsiert, dass alle seine Opfer zu ihm das gleiche sagen: “You don’t have to do this.” Javier Bardem, dem man manchmal noch seine spanische Heimat anhört, muss den schlechtesten Haarschnitt aller Zeiten tragen, darf dafür aber zeigen, dass man offensichtlich verrückte Menschen nicht immer verrückt darstellen muss. Auch er erspart sich jede überflüssige Geste, hat dafür aber schön verquere Dialoge, die sich anhören, als sei in ihnen eine tiefe Wahrheit verborgen, die aber bei einigem Nachdenken nur gehässige Konversation sind. Auch er wird von der Story vorwärts gezwungen, und auch er glaubt, er könne dagegen gar nichts tun. Weswegen er seine Opfer gerne nach Kopf oder Zahl fragt, während er eine Münze wirft, um sich selbst vorzugaukeln, er hätte mit dem Fortgang der Geschichte gar nichts zu tun.

Der Dritte im Bund ist Tommy Lee Jones, der als Sheriff hinter beiden her ist – aber eigentlich auch nicht. Er kommt immer einen Schritt zu spät, aber es scheint, als ob das genau so sein soll. Er betreibt eher Schadensbegrenzung und führt im Café Gespräche mit seinem Hilfssheriff über die Schlechtigkeit der Welt und dass man ihr nicht mehr ausweichen könne. Und genauso handelt er auch: bemüht, den Schaden in Grenzen zu halten, aber im vollen Bewusstsein, dass er ihn nicht verhindern kann.

Der Film ist nicht so bösartig-lustig wie die früheren Coen-Werke; es gibt einige Szenen, bei denen man mal kurz in sich hineinlacht, weil die Situation, der Dialog oder auch nur der Blick von Bardem so seltsam ist. Aber zwei Sekunden später hat einen die Wirklichkeit wieder, es fliegen wieder Kugeln, es fließt wieder Blut. Ich persönlich fand es sehr angenehm, keinen krachledernen Humor vorgesetzt zu bekommen, der Blutvergießen als cool hinstellt. Hier war es unvermeidlich. Jedenfalls bis zum Abspann. Bis zum Durchatmen. Bis zum Nachdenken.

No Country for Old Men reißt verschiedene Themen an und lässt sie dann in der Luft hängen: Schicksal und ob wir es selbst bestimmen, Vergebung, gute Taten, die nicht belohnt werden, das Älterwerden, nicht nur das eigene, sondern auch das der Welt um einen herum und dass die Geschwindigkeit der beiden Ereignisse anscheinend nie übereinstimmt. Der Film lässt einen mit den letzten Konsequenzen allein, er selbst bleibt wortkarg, zeigt nur und belehrt nicht. Aber was er zeigt! Die Bildsprache ist in jeder Szene absolut präzise; die Gesichter sind niemals Schauspieler plus Make-up plus cleveres Drehbuch, sondern ganze Biografien; jedes Requisit passt, jedes Licht, jedes verdammte Staubkorn. Und wenn die Geschichte endlich ihren vorgezeichneten Weg gegangen ist und einem danach auffällt, dass alles auch ganz anders hätte ausgehen können, überlegt man, ob man sich No Country for Old Men gleich nochmal anguckt. In der Hoffnung, der Jäger möge sich dieses Mal anders entscheiden. Oder der Killer.

Dieser Eintrag ist der Kaltmamsell gewidmet, und sie weiß auch warum. (Merci.)