Super Size Me

Super Size Me
(USA, 2004)

Drehbuch & Regie: Morgan Spurlock

Vorneweg: Ich kann den Film nicht objektiv beurteilen – falls ich jemals einen Film objektiv beurteilt habe. Ich kann es nicht, weil ich einer der fetten Menschen bin, über die das ganze Kino wohlig-schaudernd gelacht hat, als man sie über die Leinwand watscheln sah in ihren viel zu engen Hosen und T-Shirts, durch die man die Speckrollen zählen konnte. Ich habe mich selten so unwohl in einem Kino gefühlt, denn Super Size Me mag ein halbwegs gelungener Blick auf das amerikanische Essverhalten sein – ein toleranter Blick ist es nicht.

Super Size Me ist erst einmal eine Dokumentation eines ziemlich bescheuerten Experiments. Regisseur Morgan Spurlock, ein gesunder Mann in den 30ern, beschließt, sich 30 Tage lang nur von McDonald’s-Essen zu ernähren. Er muss jedes Gericht mindestens einmal bestellen, muss alles aufessen, und wenn er an der Kasse gefragt wird: “Do you want to super size your order?” muss er Ja sagen und die Riesenportion essen. Im Klartext: zusätzlich zum Burger über ein Pfund Pommes und ein Zwei-Liter-Getränk.

Der Film zeigt, wie sehr Spurlocks Gesundheit in den 30 Tagen leidet, wie seine Cholesterinwerte immer höher und seine sexuelles Verlangen immer weniger wird, wie seine Stimmung leidet, wie er kotzt und wie er in vier Wochen zwölf Kilo zunimmt. Der Film beleuchtet außerdem einige Facetten des amerikanischen Gesundheitssystems, Hintergründe der Lebensmittelindustrie und dass durch ungesunde Schulspeisungen und ein riesiges Werbebudget der großen Konzerne schon Kinder ein falsches Essverhalten lernen. Nach Spurlocks Rechnung sind 37 Prozent aller Amerikaner übergewichtig. Womit das Problem anfängt, das mir Super Size Me etwas verleidet hat: Wo beginnt Übergewicht?

Seit Jahren streiten Experten darüber, was zu fett ist und was nicht. Früher galt die Faustregel: Körpergröße minus 100 minus 15 Prozent bei Frauen, minus 10 Prozent bei Männern. Heute ist man davon wieder ein bisschen abgerückt; 15 Prozent müssen es nicht mehr sein. Vielen Dank auch. Dafür gibt es seit einiger Zeit den BMI, den Body Mass Index, der nun darüber befindet, ob wir schlank und damit attraktiv und begehrenswert sind oder mollig, dick, übergewichtig, fett und eklig und damit von vornherein ungesund und dem frühen Herztod geweiht. Und auch wenn es genügend Gegenbeispiele gibt von dicken Menschen, die 90 geworden sind und durchtrainierten Modellathleten, die mit 30 gestorben sind: Die Botschaft, die der Film vermittelt, ist: Fett ist hässlich, Fett ist ungesund, Fettleibigkeit ist eine Epidemie, die uns heimsucht, und wir müssen alles tun, damit das aufhört.

Es ist unbestritten, dass Schlanksein generell gesünder ist als Dicksein, keine Frage. Aber das Bild, das Super Size Me zeichnet, dient nicht gerade dazu, die Toleranz für die Menschen, die eben nun mal nicht gertenschlank sind, aus welchen Gründen auch immer, zu erhöhen. Die vielen Krankheiten und Todesursachen, die er als unausweichliche Folge von Fettleibigkeit anführt, können schlanke Menschen genauso ereilen. Oder ist der Herztod jetzt nur noch Menschen über 100 Kilo vorbehalten? Unbestritten ist übrigens auch, dass 10 Kilo zuviel auf den Rippen immer noch gesünder sind als jahrelange und meist vergebliche Versuche, sich dieses „Übergewicht“ durch bescheuerte Diäten abzuhungern.

Spurlock hat genau zwei kleine Vignetten im Film, die ein bisschen die Situation von Ãœbergewichtigen in Amerika anklingen lassen, und sie zeigen, was er selbst von solchen Menschen hält. Einmal berichtet ein weiblicher, etwas rundlicher Teenager davon, wie groß der Druck ist, so auszusehen wie die ganzen unterernährten Models, was unkommentiert bleibt. Ein anderes Mal spricht eine deutlich dickere junge Frau davon, dass es schwierig ist, so zu bleiben wie man ist, wenn einem andere Leute erzählen: Hey, ich hab’s geschafft abzunehmen – das kannst du auch. Und das Publikum schnauft verächtlich, wie man das aus trashigen Talkshows gewohnt ist: Die will doch bloß nicht.

Nein, vielleicht kann sie einfach nicht. Fettleibigkeit ist nicht nur angefressen, sie ist zu einem großen Teil erblich bzw. genetisch bedingt. Und selbst, wenn der Wille und die Fähigkeit da sind: Eine große Menge an Gewicht zu verlieren, ist nicht mal eben so geschafft. Es heißt auch nicht, mal ein, zwei Jahre Diät zu halten und dann da weitermachen zu können, wo man aufgehört hat. Abnehmen bedeutet, seine gesamten Essgewohnheiten aufzugeben für den Rest des Lebens. Und dass das schwierig ist, lässt der Film nicht gelten. Er preist sogar die chirurgische Magenverkleinerung als Maßnahme an; eine Operation, die erst seit ein paar Jahren bei extrem Fettleibigen durchgeführt wird und von der noch nicht bekannt ist, wie die Spätfolgen aussehen. Nicht nur der Magen wird verkleinert, der gesamte Organismus ist betroffen. Der Körper kann nur noch eine gewisse Menge an Fett, aber auch an Nährstoffen aufnehmen, wodurch man den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben hat: Was der Körper vorher zuviel bekam, bekommt er nun eventuell zuwenig.

Ich persönlich hatte einen Moment im Film, wo ich gerne etwas in Richtung Leinwand geschmissen hätte. Ein Sozialwissenschaftler erzählte die Geschichte, dass ein Raucher in einer Gesellschaft sofort darauf angesprochen würde, ob er nicht wisse, wie ungesund das sei, warum er das seinem Körper antue usw. Er wünschte sich, dass die Zeit käme, in der man dicken Menschen das gleiche sagen dürfe: “Why are you doing this to yourself, you fat pig?” Ich hätte dem Blödmann gerne geantwortet: “It’s already happening, you stupid asshole.”

Jeder, der auch nur ein Hauch zuviel (nach welchen Maßstäben auch immer) auf den Rippen hat, hat sicher schon mal im Schwimmbad einen Spruch abgekriegt. Kein Dicker wurde in der Schule nicht gehänselt. Selbst in meinen Augen absolut perfekt aussehende Menschen wie z.B. Beyoncé oder Jennifer Lopez müssen sich in der Presse als „dick“ bezeichnen lassen. Und genau da ist für mich der Punkt erreicht, wo der Schlankheitswahn komplett über die Stränge schlägt. Super Size Me hat natürlich Recht damit, dass wir unsere Essgewohnheiten ändern sollten, dass Obst und Gemüse gesünder sind als Fett und Zucker, aber wenn man schon anfängt, objektiv gesehen schlanke Menschen als eben nicht mehr schlank zu bezeichnen, dann weiß ich auch nicht mehr.

Mir ist schon klar, dass die obigen Zeilen nicht unbedingt eine Filmkritik darstellen. Ich muss einfach zugeben, dass ich vor diesem Film ein wenig die Waffen strecke. Ich fand ihn gut, ich fand ihn spannend, unterhaltsam, nachdenklich, interessant – aber ich habe fast jede Minute als Angriff gewertet. Ich habe zum ersten Mal im Kino nicht das Gefühl genießen können, in der Dunkelheit zu verschwinden und damit mal Ruhe zu haben vor irgendwelchen blöden pubertären Scherzen, die an schlechten Tagen verdammt weh tun und die mir in einer Sekunde mein eigentlich gutes Körpergefühl nehmen. Stattdessen hatte ich jedesmal, wenn ich mich im Sitz bewegt habe, um das andere Bein überzuschlagen, das Gefühl, dass mein schlanker Nachbar denkt, Kann die fette Kuh nicht mal stillsitzen?

Super Size Me zeigt sehr drastisch, wie ungesund 30 Tage Fat … Freud’scher Vertipper … Fast Food sind. Ich bin zwar der Meinung, dass 30 Tage Eierdiät ein ähnliches Ergebnis gehabt hätten, weil jede einseitige Ernährung ungesund ist, aber das wäre nicht so plakativ gewesen. Der Film hat es allerdings erreicht, dass McDonald’s die Super Size-Menüs von der Speisekarte gestrichen hat; wahrscheinlich auch, weil sie auf Spurlocks berechtigte Frage keine Antwort gefunden haben: Wer braucht ein Pfund Fritten und zwei Liter Cola?

Ich hab auch keine Antwort. Ich kann nur sagen: Ab und zu sind ein Pfund Fritten ganz nett. Und ich hab auch keine Lust, das sein zu lassen. Und ich mag keine Filme, die einen kompletten Menschenschlag über einen Kamm scheren und sie als unfähige Trottel darstellen, die zu doof zum Essen sind. Aber das ist wahrscheinlich nur eine Überinterpretation. Guckt euch den Film selbst an; sagt ihr mir, wie er war. Nach ungefähr 20 Ansätzen, diese Kritik halbwegs würdig über die Bühne zu kriegen, gebe ich offiziell auf. Und geh was essen. Nen Salat. You win.

3 Antworten:

  1. Alte Haloscan-Kommentare hier. Dort bitte nicht mehr kommentieren.

  2. Doch, man kann jahrelang schlank sein OHNE bescheuerte Diäten. Das Geheimnis heißt täglich eine Stunde Sport (nicht Pseudo-Sport, sondern Schwitzen) und gesunde Ernährung (das übliche: wenig Weismehl, wenig Indsutreizucker, viel Obst und Gemüse). Das erforert etwas Mühe und Disziplin, aber keine Diät.

    Ich geb’s zu: Ich bin ziemlich intolerant gegenüber Dicken, Rauchern, Weicheiern im generellen. Wenn sie die wollten, dann wären sie anders. Sie wollen nicht, und wenn ich das sage, dann bin ich moralisch verwerflich “intolerant”. Tja, Pech auch.

  3. Sorry. Habe das Kommentar-Ende-Dings übersehen. Bitte löschen. Danke.