Donnerstag, 22. Februar 2024 – HH-H

Nach längerer Zeit mal wieder im ICE von Hamburg nach Hannover gesessen. Die Bäume in Eschede sind ziemlich groß geworden.

Mittwoch, 21. Februar 2024 – Franz und Caspar

Nach Hamburg geflogen. Ja, geflogen, pünktlich und stressfrei trotz gerade erst beendetem Streik, mit freiem Mittelplatz. Deutlich entspannter angekommen als nach sechseinhalb Stunden im Zug, gleich am Flughafen ein Franzbrötchen erworben, weil wenn man schon mal hier ist.

Im Hotel: „Zimmerwünsche? Ganz oben mit Alsterblick?“ Gerne, Motel One!

Dann in die Kunsthalle gegangen, denn der Grund für meinen Besuchs war die Ausstellung zu Caspar David Friedrich. Mein Zeitticket galt von 16 bis 19 Uhr, die Website warnte davor, gleich zu Beginn des Zeitfensters da zu sein, weil voll. Ach was. Ich wartete also bis 16.30 Uhr und ging optimistisch davon aus, dass sich dann schon alles etwas entzerrt hätte, im Hinterkopf die Blockbuster Bruegel (Wien), Vermeer (Amsterdam) und Turner (München), die zwar auch alle voll waren, aber erträglich, gerade wenn man eben nicht dann reinwill, wenn alle mit ihren Karten wedeln.

Aber um 16.30 hatte sich mal so gar nichts entzerrt im blöden Kubus aka der Galerie der Gegenwart. Ich war selten so von einer Ausstellungsarchitektur genervt wie hier, es ist einfach zu eng für die Masse an Mensch, die hübsche Landschaften im Kleinformat angucken will. Und selbst die Großformate, die, wenn sie ganz normal drüben im Haupthaus der Kunsthalle hängen, Platz haben und atmen können, fühlten sich hier plötzlich eng und eingequetscht an. Einer meiner Lieblinge, das „Eismeer“, hatte zwar eine Wand für sich, aber die war ungefähr so lang wie mein Badezimmer aka nicht wirklich breit. Man konnte kaum seitwärts ans Bild gehen, weil da halt Wand war, weswegen man mit, ich erwähnte es, zu vielen Leuten in einer Traube davorstand und darauf hoffen musste, dass mal jemand sein Handy wegpackte, mit dem grundsätzlich alles und immer fotografiert wurde.

Immerhin: Ein anderer Liebling, der „Mönch am Meer“, hatte eine längere Wand, aber bei meinen insgesamt drei Runden durch die Ausstellung waren zweimal Führungen davor, die ja gerne einen festen Klumpen bilden, nicht, dass sich da jemand dazwischendrängelt, der nicht dafür bezahlt hat OMG! Beim dritten Mal konnte ich etwas näher ran, aber gestern waren gefühlt sehr viele Leute da, die sonst vielleicht seltener ins Museum gehen: Man bekam deutlich zu spüren, dass man nicht so nah rangehen sollte, sondern zwei Meter vor dem Bild zu stehen hat, wo alle anderen auch stehen. Das ist natürlich Blödsinn, denn wozu gucke ich mir denn Originale an? Genau: um mal dicht davorzustehen. Natürlich keine 20 Minuten, damit auch andere mal dürfen, aber die blieben gestern alle in einem größeren Abstand. Sofern das in den engen Räumen möglich war, denn es gab nur wenige Werke, vor denen wirklich Platz war, ansonsten schob man sich in der Masse durch enge Gänge und an Zwischenwänden vorbei. Kompletter Ausfall.

Neu für mich entdeckt: „Blick auf Arkona mit aufgehendem Mond“, eine für mich in dieser Größe überraschende Zeichnung. Ebenfalls neu für mich und sofort verliebt: „Morgennebel im Gebirge“ sowie „Grabmale alter Helden“. Ansonste viele Landschaften, bei denen ich innerlich versuchte, mal durchzuatmen und aus meiner Grundgenervtheit rauszukommen. Das gelang mir aber erst, und damit hätte ich selbst nicht gerechnet, beim guten alten „Wanderer über dem Nebelmeer“, den ich natürlich auch schon kannte, weil er auch sonst in Hamburg hängt. Das Ding ist so tot-gememet und eigentlich total verbrannt, weil man ihn so oft sieht, aber: Er funktioniert. Bei dem Werk wartete ich nicht, bis alle ihre Fotos gemacht hatten und hielt auch keinen Abstand, sondern stellte mich einfach mal für zwei Minuten direkt vor das Bild, egal, ob gefühlt hinter mir alle nölten. Ja, ihr habt auch bezahlt, aber dann wartet halt, so wie ich bisher auf euch gewartet habe. Dann machte ich den Kopf aus und guckte und es passierte das Unerwartete: Alles andere war auf einmal egal. Die Leute, die Hitze, die Stimmen, die Enge. Man stand über den Wolken und guckte in die Ferne. Und alleine für diesen Augenblick vor einem Werk, von dem ich es wie erwähnt so null erwartet hatte, hat sich das ganze gelohnt.

Im Stockwerk drüber waren noch moderne Auseinandersetzungen mit Friedrichs Werk und im Haupthaus war auch noch irgendwas, aber ich war nach der dritten Runde, in der es sich immerhin etwas leerte, weiterhin so genervt von allem, das ich mir den Rest des Programms schenkte. Schließlich hatte ich noch eine Abendverabredung mit dem Ex-Kerl, der mich zu The Vegan Eagle ausführte (Empfehlung!), und mehr Zeit mit dem Mann war mir dann wichtiger.

Weil ich oben die anderen Blockbuster erwähnte: Natürlich sind solche Ausstellungen immer zu voll, natürlich sollte mich sich den Wanderer und das Eismeer einfach mal so in der Kunsthalle angucken, denn sie sind ja immer da, natürlich sind die Bruegels in Wien gemütlicher ohne die Masse an geliehenen Werken drumrum. Aber in Wien und in Amsterdam bei Vermeer sowie in München bei Turner hatte man schlicht größere Räume. Selbst wenn man jetzt gerade mal nicht vor das gewünschte Bild kam, konnte man seinen Blick schweifen lassen und woanders hängenbleiben. Hier gab es nichts zu schweifen, gerade auf meiner ersten Runde war das ein totaler Almabtrieb, man schob sich halt im Tempo der Menge an allem einfach vorbei. Ich ahne, dass es Gründe dafür gibt, diese Ausstellung nicht in den wundervollen Riesensälen des Haupthauses zu machen, aber es ist trotzdem äußerst unglücklich.

Das Rijksmuseum, das vermutlich andere Mittel zur Verfügung hat, als der Kulturbetrieb hier, hat nach dem Ansturm auf die Vermeer-Tickets die Öffnungszeiten brachial ausgedehnt, gute Idee. Aber dafür braucht man natürlich Leute. Ich ahne auch, dass der Gesamtverdienst dort vielleicht nicht ganz so offensichtlich im Vordergrund stand, denn es waren deutlich weniger Leute in den Räumen. Es war immer noch voll, natürlich, aber es verteilte sich schlicht besser. So auch bei Turner: Der Kunstbau des Lenbachhauses ist ein einziger langer Raum, weswegen man nie das Gefühl hat, mitten in einer Menge zu stehen, selbst wenn es eine Menge ist, mit der man sich gerade die Kunst teilt. Von allen Blockbustern war Bruegel bisher der anstrengendste, aber auch da halfen die großen Räume. Genau die fehlten leider bei Friedrich. Und gerade für seine Werke, die mich persönlich immer zur Ruhe kommen lassen, selbst wenn es nur eine Tanne im Schnee ist auf 20 Zentimetern wie in der Neuen Pinakothek, ist das tödlich, wenn diese Ruhe schlicht wegen der Räume nicht möglich ist.

Ich setze mich jetzt in den Zug und fahre zum Mütterchen und werde auf der Fahrt den Katalog durchblättern. Ich ahne, dass mir der besser gefällt als die Ausstellung. Schade.

Dienstag, 20. Februar 2024 – Friedrich und Friedrich

Den Wikipedia-Eintrag von Adolf Friedrich von Schack etwas erweitert und ein paar wenige Digitalisate eingefügt, zum Beispiel zu seinen Lebenserinnerungen (Band 1 von 3) oder seiner Sammlungsübersicht. Die Daten hatte ich aus dem neuesten Katalog der Sammlung Schack (2009), der mit einer kulturhistorischen und politischen Biografie beginnt. Hier ein Absatz, der für mich so richtig schön Kulturgeschichte atmet.

„1842
In mecklenburgischen Diensten reist Schack nach Paris und verkehrt am Hof des Bürgerkönigs Louis Philippe. Dort lernt er die führenden Politiker und Künstler der Epoche kennen. Adolphe Thiers beeindruckt ihn mit seiner Sammlung von Kopien nach italienischen Altmeistergemälden, die er später zum Vorbild für seine eigene Kopiensammlung nimmt. Victor Hugo verehrt er neben Goethe und Byron als einen der bedeutendsten Dichter seines Jahrhunderts. Er besucht die Konzerte von Hector Berlioz und das Atelier des Malers Eugène Delacroix, dessen Dantebarke er sehr bewundert. 1844 begleitet Schack den jungen Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin auf dessen Antrittsreise an die europäischen Höfe. In Italien fungiert er als Cicerone und bringt dem Großherzog die Dichtung nahe. In Sorrent liest er mit Blick auf das Haus des Tasso Kanzonen des Dichters vor. Während der Durchquerung Siziliens auf dem Maultier rezitiert man die Idyllen des Theokrit. In Konstantinopel verbringt die Reisegesellschaft einige Zeit am Hof des Sultans. Die Fahrt durch die Dardanellen und der Blick auf Sestos und Abydos erwecken die Erinnerung an das tragische Liebespaar Hero und Leander.“

(S. 12/13)

In einem anderen Absatz wird einer der „Begründer der Kunstgeschichte“ Carl Friedrich von Rumohr erwähnt, bei dem ich natürlich sofort an etwas ganz anderes denken musste als Gemälde und Gedichte: das Kalbsbries Rumohr von Eckart Witzigmann. Wir konnten im Tantris DNA eine Neuauflage von Virginie Protat genießen, die ja leider nicht mehr am Haus ist. (Und gerade beim Verlinken und dem unvermeidlichen Blick in die ständig wechselnde Speisekarte sehe ich: Es ist auch jetzt gerade zu haben. Wenn Sie bitte mal flugs reservieren würden? Das ist quasi ein Bildungsurlaub.)

Im verlinkten Interview von Effilee erwähnt Witzigmann seine Ausgabe von Rumohrs „Geist der Kochkunst“. Es wurde 1822 veröffentlicht und ist daher längst als Digitalisat online (hier die SLUB Dresden), aber wer keine Frakturschrift mag, kann das ganze auch in moderner Ausgabe lesen.

Montag, 19. Februar 2024 – Dies und das

Am Schreibtisch gesessen, gelesen, geschrieben. Linsen gekocht. Marmorkuchen gebacken. Zwei Bücher in der Unibib verlängert, nicht weil ich sie noch brauche, sondern weil ich keine Lust hatte, sie heute zurückzubringen. Rechnungen geschrieben. Steuer für Januar gemacht (endlich). Ein paar Folgen von „Love is Blind“ geschaut (warte auf die nächste Staffel Teure-Häuser-in-den-USA-verkaufen-Pseudorealitykram zum Kopfausmachen). Den nächsten Ani aus der Stadtbücherei angefangen. Zu viel am Handy gedaddelt. Wieder die FAZ nicht vernünftig gelesen, wie so oft, seit ich sie nur noch digital habe, ich brauche Papier. Mich über Ostfriesentee in Omis Teekanne gefreut. Herzchenaugenemoji an F. geschickt.

Sonntag, 18. Februar 2024 – Schnitzel und Champagner

F. und ich wachten sehr gemütlich auf, lungerten ewig im Bett rum, lasen, daddelten am Handy, trennten uns dann kurz, um uns gegen halb zwölf an einer Tram-Haltestelle wiederzutreffen, um von dort mit Umsteigen in unser geliebtes Gasthaus Waltz zu fahren, zu dem wir sonst einfach ohne Umsteigen mit meiner Haus- und Hof-U-Bahn U2 gelangt wären, die ist aber derzeit am Wochenende wegen Bauarbeiten dicht.

Das Waltz bietet Samstag und Sonntag einen dreigängigen Mittagstisch von 12 bis 15 Uhr an, weswegen wir uns brav nur zwei Flascherln vorgenommen hatten (man schwenkt irgendwann ins österreichische Idiom um dort, es geht nicht anders). Die drei Gänge waren gesetzt, für weniger wären wir nicht aufgestanden, aber wie wir dort so gemütlich saßen, sich um uns herum die Tische füllten, wir Schnitzel und Palatschinken genossen, F. fachkundig mit dem Sommelier plauderte und es immer gemütlicher wurde, fragten wir um kurz nach 14 Uhr doch nochmal nach, wie lange geöffnet wäre, woraufhin es hieß, dass hier niemand um 15 Uhr vor die Tür gekehrt wird, bis 16 Uhr wäre okay. Daraufhin besprachen die beiden Herren die dritte Flasche, die wir ebenso gut gelaunt genossen wie alles vorher.

Wir merken uns: Von Marguet kann man alles trinken, aber das wussten wir eigentlich schon vorher. Mein bisheriger Liebling war der Oger, den ich gerade nirgends online finde; gestern kam ihm der Verzenay sehr nahe, und als Einstieg empfehle ich den Shaman, der wird auch im Tantris gerne offen ausgeschenkt. Falls Sie ein bisschen shoppen gehen wollen. Und wenn Sie in München sind, dann gehen Sie bitte einfach mal ins Waltz, es ist ein ganz wundervoller Laden. Wenn man Sonntagmittag hingeht und bis 16 Uhr bleibt und drei Flaschen trinkt, ist vom Resttag allerdings nicht mehr viel übrig, wie ich gestern feststellen durfte, als ich angeschickert Bus fuhr am hellichten Tag. Auch noch nie gemacht.

Samstag, 17. Februar 2024 – Schack und Siko

Ich besuchte zum ersten Mal die Sammlung Schack, eine private Gemäldesammlung des Dichters Adolf Friedrich von Schack (1815–1894), die seit über 100 Jahren in München im selben Gebäude verwahrt wird.

Ich war bisher der Meinung, einen halbwegs okayen Überblick über das malerische 19. Jahrhundert zu haben, musste aber feststellen, dass da noch genug Lücken waren, die ich nun schön auffüllen kann. Ich freute mich, einige Werke aus der Neuen Pinakothek wiederzusehen, die seit gefühlt zehn Jahren saniert wird und deshalb geschlossen ist; einiges hängt in der Alten Pinakothek, aber manches habe ich seit Jahren nicht gesehen. Daher stand ich etwas länger vor der „Medea“ von Anselm Feuerbach, einem meiner Lieblinge aus der Neuen Pinakothek. Noch länger stand ich vor dem „Hirtenknaben“ von Franz von Lenbach, der als pic auf einer Website mal so überhaupt nicht funktioniert. Bitte kommen Sie nach München und schauen Sie sich das in der originalen Größe von 107,7 x 154,4 cm an. Und dann wundern Sie sich mit mir über den Wandtext, wo etwas von der Faulheit des Knaben geschrieben wird, die ich persönlich eher als totale Erschöpfung in diesem verdammten Sommer wahrgenommen habe, aber wie immer ist Kunst eine sehr individuelle Sache. Es gab auch nur wenige Wandtexte, bei denen ich kurz zuckte; Begriffe wie „Orientalen“ möchte ich eigentlich nicht mehr lesen. Aber die meisten Texte fand ich wenig schwafelig und ausreichend informativ.

Am längsten lungerten F. und ich ausgerechnet bei Moritz von Schwind herum, dessen Malerei einem in der Rückschau auf das verdammte 20. Jahrhundert sehr unangenehm aufstoßen kann. Viele seiner Werke zeigen eine deutsche Idylle, die so nie stattgefunden hat, aber nach der sich seltsame Parteien zurücksehnen. Dafür kann Herr Schwind natürlich nichts, aber das fühlte sich schon anstrengend an, durch diese Welten zu wandern. Wir sprachen noch sehr lange darüber, verglichen im Kopf mit dem französischen Realismus und waren weitaus mehr mit dieser Zeit beschäftigt als ich persönlich erwartet hatte. Ein überraschend spannender Besuch.

In München findet derzeit die Sicherheitskonferenz statt, das kennen wir ja schon, dass dann alle Busse und Trams irgendwie anders fahren, aber normalerweise sitze ich diese Tage einfach aus und gehe nicht vor die Tür. Gestern war aber nun der Museumsbesuch geplant, den wir immerhin behinderungsfrei antreten konnten, aber auf dem Rückweg sahen wir schon Absperrungen und Blaulicht, was bedeutete, dass unser Bus wohl nicht fuhr. Wir nutzen also zwei U-Bahnen, trennten uns und ich wartete auf den letzten Bus, der mich nach Hause shutteln sollte, den ich dann mit unerwartet vielen Passagier*innen bestieg. Was mich dann sehr amüsierte: Wildfremde Menschen um mich herum besprachen mit anderen wildfremden Menschen, warum sie nun gerade in diesem Bus sitzen, wo sie doch sonst niemals, aber heute mit den Trams und diese eine Strecke ging auch nicht und dort ist ebenfalls gesperrt und bis wohin fährt dieser Bus eigentlich und wo kann ich umsteigen, wenn ich bis X will? Das war ebenso unterhaltsam wie meine Museumsentdeckungen.

Freitag, 16. Februar 2024 – Bäume und Beethoven

F. und ich saßen mal wieder in der Isarphilharmonie, wo uns ein recht wildes Programm erwartete. Es begann mit dem zeitgenössischen Werk „Between Trees“ (2021) der norwegischen Komponistin Kristine Tjøgersen, das spannenderweise genau so klang wie der Titel es beschrieb. Fand ich zumindest. Ich verglich das Stück im Kopf mit Lachenmann und Thorvaldsdottir, genau wie F., wie sich in der Umbaupause zum zweiten Stück herausstellte. Während Lachenmann für mich schlicht abstrakt klingt, so nach dem Motto, mal sehen, was ein Cello noch für Geräusche machen kann, und Thorvaldsdottir Töne aus einer anderen Welt an mich heranträgt, hatte ich hier wirklich das Gefühl, wie ein kleiner Mumin im Wald zu sitzen und allem zuzuhören, was sich dort bewegt. Toll.

Für mich bei zeitgenössischer Musik immer interessant: Ich sehe ein komplettes Orchester vor mir und habe manchmal trotzdem keine Ahnung, welches Instrument gerade welche Töne von sich gibt. Gestern sah ich der Harfenistin gerne zu, wie sie mit einem Stock außen an den Wirbeln ihres Instrument entlangfuhr. (Heißt der Teil einer Harfe, an dem die Saiten gespannt sind, überhaupt auch „Wirbel“ wie bei der Geige? Moment, ich googele eben … nein, die Dinger heißen „Stimmstifte“. Wieder was gelernt. Dass eine Harfe Pedale hat, wie auf der verlinkten Abbildung schön zu sehen ist, habe ich übrigens aus einem Insta-Video der Bayerischen Staatsoper gelernt. Es ist nicht alles schlecht bei Social Media!)

Gestern dachte ich außerdem, dass ich noch nie einen Mann an der Harfe gesehen habe, aber im oben verlinkten Video ist einer. Doch kein totales Mädcheninstrument. Ebenfalls gerne beobachtet: die Batterie an Zeug, die die drei Percussionist*innen vor sich hatten.

Die Komponistin war im Haus, gleich mal extra laut beklatscht. Wie man so ein Stück dirigiert, steht übrigens in der SZ, auch gerne gelesen. (Archive-Link, falls Paywall.)

Nach dem Gezirpe verkleinerte sich das Orchester und der Steinway wurde in die Bühnenmitte geschoben. Dort nahm Rudolf Buchbinder Platz, von dem ich genau eine CD im Schrank stehen habe. Ich kannte den Herrn bis vor einiger Zeit nicht, bis F. erzählte, dass seine Mutter bereits vor über 50 Jahren Konzerte mit ihm gehört habe; er begleitet sie schon so ewig. Jetzt wo ich ihn live erlebt habe, ahne ich warum. Es gab Beethovens 3. Klavierkonzert in c-Moll, op. 37. Kannte ich, hatte ich aber auch noch nie live gehört. Keine Ahnung, ob es daran oder an Buchbinder oder an was auch immer gelegen hatte, aber im dritten Satz hatte ich plötzlich Tränen in den Augen und bei der Zugabe, einem Impromptu von Schubert, das tollerweise auf meiner CD ist, flossen diese dann auch einfach. Ich weiß nicht, wo mein Kopf hinwanderte während der Musik, ich war völlig überrascht davon zu merken, dass ich nah am Wasser bin.

Ich habe ewig keine Klaviermusik gehört, ich bin eher mit Opern aufgewachsen, ich gehe eigentlich erst regelmäßig in klassische Konzerte, seit ich mit F. zusammen bin. Inzwischen haben wir diverse Pianist*innen gesehen, so dass ich, was mir gestern erstmals auffiel, allmählich Unterschiede höre. Das Fiese ist nur: Ich kann nicht beschreiben, wie diese Unterschiede sich zeigen. Das ist so ähnlich wie bei Wein, wo wir uns allmählich an sehr komplexe Flaschen rangetrunken haben, für die uns auch die Worte fehlen. Das macht mich als schreibenden Menschen natürlich wahnsinnig, dass ich Musik und Getränke nicht in Buchstaben übersetzen kann, aber ich muss bei derartigem inneren Genöle immer an Gerhard Richter denken, den man, in den 60ern, glaube ich, schon mal fragte, was er mit seinen Bildern ausdrücken möchte. Woraufhin er meinte, wenn er es in Worten sagen könnte, hätte er geschrieben.

Ich knabbere trotzdem seit gestern daran herum, die Unterschiede in Worte fassen zu wollen. Ich bin noch nicht weiter als: Bei Igor Levit habe ich das Gefühl, dass er – im guten Sinne – jede einzelne Note persönlich nimmt. Bei Buchbinder spüre ich eine unglaubliche Erfahrung und Souveränität, weil er jedes Stück vermutlich schon acht Millionen Mal gespielt hat, aber er gibt einem trotzdem das Gefühl, dass das heute abend, für mich, für uns, etwas ganz Besonderes ist. Wie gesagt, mir fehlen die Worte. Vielleicht sind unmittelbare, unaussprechliche Gefühle wie Tränen – oder Langeweile oder Freude – dann auch die richtige Reaktion.

Für die Zugabe von Buchbinder setzte sich die Dirigentin einfach mal auf einen der leeren Stühle im Orchester anstatt hinter der Bühne zu bleiben, um zuzuhören. Das kannte ich auch noch nicht, wie schön und respektvoll.

Nach der Pause gab’s noch die 1. Sinfonie von Sibelius und die war mir dann mal so richtig egal. Da hibbelte ich vermutlich etwas zuviel im Sitz herum, sorry, Nachbarin, aber ich wollte bloß nach Hause und nochmal Buchbinder hören. Mache ich jetzt gerade beim Tippen.

(Gehen Sie doch mal in ein klassisches Konzert. Immer wieder spannend.)

Donnerstag, 15. Februar 2024 – Papier und Gold

In der Stabi ein paar Quellen durchgeschaut, die mich nur so ein bisschen weiterbrachten, aber immerhin für einen schönen Thread reichten.

Einen Juwelier damit beauftragt, mir Ohrringe aus dunkelrotem Granat anzufertigen, weil mir nichts mit diesem Stein gefällt, was ich online und offline in den letzten Monaten gesehen habe. Ich möchte aber Ohrringe zu einem goldenen Ring meiner Omi haben, auf dem zwei dunkle Granate sitzen. Der Plan war gestern, bei einem Laden für Antikschmuck vorbeizuschauen und mich beraten zu lassen bzw. vielleicht einen Suchauftrag anzulegen, aber das Lädchen hatte trotz angeblicher Öffnungszeiten nicht geöffnet. Etwas frustig nahm ich die U-Bahn nach Hause, von wo ich immer direkt an einem Juwelier vorbeikomme, bei dem ich mir schon einen Ring habe weiten lassen und Ohrringe erstanden habe. Also dachte ich, fragst du doch einfach mal da nach, ob sie zufällig was mit diesem doch eher unmodernen Schmuckstein haben. Hatten sie nicht, aber dafür ungefasste Steine, die plötzlich vor mir lagen und ein paar Skizzen, wie so ein Ohrschmuck aussehen könnte, und dann hatte ich plötzlich zwei kleine, 20 bis 30 Jahre alte, facettierte Steine ausgesucht, die mich sofort aus der Schmuckschatulle angelacht hatten, eine Skizze abgenickt und eine Anzahlung gemacht. Und wenn alles klappt, sind die Ohrringe sogar schon zu meinem Geburtstag im nächsten Monat fertig und ich kann sie gleich beim schon reservierten Geburtstagsdinner mit F. ausführen.

Mittwoch, 14. Februar 2024 – Stadtbib und Lieblingsbib

Ich stand gestern nicht schon um kurz nach 9 vor dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte, um ins Bällebad zu kommen, sondern erst gegen kurz nach 10, was überhaupt nicht meine Gewohnheit ist. Aber ich musste oder wollte Bücher in die Stadtbibiothek zurückbringen, die erst um 10 öffnet, und ehe ich den Berg erst ins ZI trage und danach wieder in die Maxvorstadt, dachte ich total clever, gehste doch erst zur Rückgabe und dann in die Wohlfühloase (hello, I come from ze planet advertising, manche schlimmen Worte müssen ab und zu mal raus).

Ich trug nicht nur ausgelesene Bücher wieder zurück, sondern, und das war neu, auch ungelesene. Komplett. Nicht mal reingeguckt. Die hatte ich beim letzten Besuch, als ich bestellte Bücher abholte, einfach mal aus dem Regal gezogen, weil sie mich ansprachen, weil ich den Autor kannte und diese Autorin noch nicht, und dann lagen die Bücher bei mir rum, ich las sie nicht, ich verlängerte sie, ich las sie nicht … bis mir irgendwann auffiel: Ich muss die ja auch nicht lesen. Ich hatte sie nicht aus den wissenschaftlichen Bibliotheken zur Arbeit geliehen, sondern zum Spaß, für die freie Zeit, mit der ich machen kann, was ich will, kochen, backen, auf Insta versacken oder halt mal EIN GUTES BUCH (TM) lesen. Und diese Bücher sind bestimmt toll, aber ich habe gerade gefühlt so viele noch tollere bei mir rumliegen, dass ich sie nicht mal aufschlug und daher gestern dachte: Kind, du hast dafür nichts bezahlt, da verdirbt nichts, da tut niemandem etwas weh, wenn du die einfach zurückgibst. Und genau das tat ich dann. Das war schön. #InneresAufräumen

Unter den zurückgegebenen Büchern war leider auch eins, das ich immerhin 100 Seiten lang las, aber auch eher pflichtschuldig. Das erste Buch von Regina Scheer, Machandel, war einer meiner Lieblinge des letzten Jahres gewesen, das war eine tolle Entdeckung. Daher lieh ich mir natürlich auch ihren zweiten Roman, Gott wohnt im Wedding aus, der wieder eine Romanhandlung über die deutsche Geschichte stülpt. Das hat bei Machandel bei mir gut funktioniert, aber ich ahne inzwischen, dass das auch daran liegt, weil mir diese Teile der dort behandelten Geschichte – sowjetische Zwangsarbeiter*innen, das Leben in der DDR – nicht ganz so nah sind wie die Geschichte im Wedding, wo es um aus Deutschland vertriebene Jüd*innen geht, die Jewish Claims Conference wird erwähnt, und viel weiter bin ich nicht gekommen, weil das Dinge sind, die ich den ganzen Tag bei meiner wissenschaftlichen Arbeit im Hinterkopf habe. Darüber wollte ich keinen Roman lesen, was ich schon nach wenigen Seiten irritiert merkte, aber trotzdem noch weiterlas, vielleicht legte sich das ja. Nein, tat es nicht. Schade. Es ist bestimmt ein tolles Buch, aber jetzt gerade nicht für mich.

Aber dann endlich: BÄLLEBAD! Ich arbeitete an drei Texten gleichzeitig, weswegen sich irgendwann die Bücher so sehr um mich stapelten, dass ich sie teilweise schon wieder in die Rückgabefächer einsortierte, bevor ich komplett fertig war. Viel Gutes gefunden, einiges leider nicht, worauf ich gehofft hatte, wie immer also.

Die Photothek vom ZI ist übrigens, laut des eigenen Insta-Beitrags, „die mit Abstand größte datengebende Institution Deutschlands auf Google Arts & Culture und zählt auch weltweit zu den größten“. Inzwischen sind 100.000 Fotos online. Ich habe mich interessiert durch alte Fotos aus München geklickt.

Ein zehnfaches Dankeschön …

… an Anne, die mich mit deutlich mehr Büchern überraschte als per Mail angekündigt.

Nachdem ich gebloggt hatte, dass mir das erste Tagebuch von Maxie Wander so gut gefallen hatte, fragte die freundliche Schenkerin nach, ob ich Interesse an zwei Bänden Tagebücher von Brigitte Reimann hätte, die bei ihr durchgelesen rumständen? Hatte ich, also ging ein Paket auf die Reise, und als ich es gestern aus der Packstation holte, fiel mir auf, dass es deutlich schwerer war als normalerweise zwei Bücher sind. Kein Wunder, denn es waren gleich zehn im Paket.

Neben anderen Werken besitze ich nun drei Ausgaben Tagebücher und Briefe von Reimann sowie ihren Roman Ankunft im Alltag. Dazu gab’s noch Wanders Ein Leben ist nicht genug, die Erinnerungen ihres Mannes Fred Wander sowie die einzige Biografie Wanders, die auf Wikipedia eher nicht so gut wegkommt, aber ich habe noch keine Ahnung, ich lese in beide unvoreingenommen rein, da ich sehr gerne Biografien lese; in meinem Regal stehen davon zwei Meter.

Ganz herzlichen Dank für dieses beeindruckende Paket, an dem ich lange zu lesen habe. Ich habe mich sehr gefreut!

Montag, 12. Februar 2024 – Fragen und Antworten

Das Buch, das ich gestern im Blog erwähnte, las ich gestern abend noch durch, das ging schnell. Ich wusste doch mehr, als ich dachte, aber ich weiß immer noch nicht genug, weswegen das Buch netterweise weitere Literaturtipps hat. Zum Beispiel beim Zentralrat der Juden als Liste. Ich mochte an dem schmalen Bändchen die beiden persönlichen Stimmen sehr gerne, die sich sehr oft nicht einig waren; auch die beiden erzählen den Witz, dass zwei jüdische Menschen gerne drei Meinungen haben.

Länger nachgedacht habe ich über das kurze Kapitel zum Antisemitismus, wo Weisband versucht, Gründe aufzuzählen bzw. historische Begebenheiten wiederzugeben, die möglicherweise dafür sorgen, dass jüdische Menschen gehasst werden, sie beginnt beim christlichen Anti-Judaismus und hört beim Anti-Zionismus auf. Aber alleine diesen Satz zu schreiben, fühlt sich bescheuert an. Havemann argumentiert ähnlich.

Das Kapitel beginnt mit einer Frage:

„Warum hasst man Juden?

Eliyah: Warum hasst man Radfahrer?“

Ich musste an einen Thread von Igor Levit denken, der ja gerne mal jüdische Witze postet. Ich habe ihn ergoogelt:

„After the assassination of Tsar Alexander II of Russia, a government official in Ukraine menacingly addressed the local rabbi. “I suppose you know in full detail who was behind it.”

“Ach,” the rabbi replied, “I have no idea, but the government’s conclusion will be the same as always: they will blame the Jews and the chimneysweeps.”

“Why the chimneysweeps?” asked the befuddled official.

“Why the Jews?” responded the rabbi.“

Havemann wird noch etwas ausführlicher:

„Eliyah: Marina, ich finde es problematisch, die Frage überhaupt zu beantworten.

Marina: Warum?

Eliyah: Weil es für Hass keinen Grund gibt und man ihn auch nicht argumentativ erklären kann. Alles, was du gesagt hast, ist natürlich richtig. Das sind alles Bestandteile, die Antisemit:innen benutzen, um uns zu hassen. Aber sie würden uns auch hassen, wenn das nicht so wäre. Und sie hassen andere nicht, die genau dasselbe machen. Und deswegen ist die Frage zu beantworten, warum werden Juden gehasst, eigentlich falsch, weil die Frage bereits falsch ist. Warum wird gehasst? Hass braucht keinen Grund.“

Was ich auch wichtig fand: dass Jüd*innen nicht immer nur als Opfer wahrgenommen werden. Im Kapitel zu jüdischen Festen oder Feiertagen wird auch Jom HaShoa erklärt.

„Marina: Ich bekomme in Deutschland in der Tat mehr vom Holocaust-Gedenktag im Januar mit, allerdings ist mir der Beiklang des Jom HaShoa näher. Mir ist, als gehe er mit mehr Gedenken auch an den Widerstand einher. Immerhin ist es der Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto. Folgt man deutscher Erinnerungskultur, waren Jüd:innen schwache, ausgemergelte Opfer, die getrieben wurden wie Vieh. Und das war gewiss ein Teil der Wahrheit. Aber ein anderer Teil war eben auch, dass es Held:innen gab, dass es Widerstand gab. Dessen sollten wir vielleicht auch in Deutschland stärker gedenken.“

Und neben all den anderen wichtigen und aufschlussreichen Dingen im Buch lohnt es sich auch nur für diesen einen Satz im selben Kapitel:

Purim ist wieder einer dieser »Sie wollten uns töten, sie haben es nicht geschafft, lasst uns essen«-Feiertage.“

Marina Weisband, Eliyah Havemann: Frag uns doch! Eine Jüdin und ein Jude erzählen aus ihrem Leben, Frankfurt am Main 2021, S. 160/162, 130 und 120.

Sonntag, 11. Februar 2024 – Jüd*innen und Anti-Antisemit*innen

Beim letztjährigen Lesen des empfehlenswerten Buchs Jerusalem on the Amstel merkte ich peinlich berührt schon Wissenslücken, aber spätestens bei der Fortbildung zur Provenienzforschung fiel es mir erneut auf: Ich weiß zu wenig über alltägliches jüdisches Leben. (Und erspare mir hier jetzt jeden Hinweis, woran das in Deutschland wohl liegen könnte.) Zur Abhilfe erwarb ich ein Buch von Marina Weisband und Eliyah Havemann, das ich gestern zu lesen begann: Frag uns doch! Eine Jüdin und ein Jude erzählen aus ihrem Leben, das aus einem Tweet von Weisband entstand, aus dem eigentlich nur ein YouTube-Video von wenigen Minuten werden sollte, aber aus dem das Buch wurde.

Alleine für diese Sätze von Weisband aus dem Vorwort hat es sich schon gelohnt:

„Es ergab sich die Notwendigkeit, zumindest eine zweite Stimme in den Antworten zu haben, die ganz anders ist als meine. Das hätte zudem den Vorteil, die Hälfte der Schuld abwälzen zu können. Zu meinem Glück erbot sich Eliyah Havemann, den ich bis dahin nur ab und an auf Twitter gesprochen hatte, mir zu helfen. Wirklich kennengelernt haben wir uns also erst über die Arbeit an den Videos und an diesem Buch. Eliyah brachte sehr viel Expertise gerade in den Fragen der Religion und Halacha sowie in nicht aschkenasischen Strömungen des Judentums ein. (Wenn ihr diesen Satz nicht versteht, das ist okay. Dafür ist dieses Buch da.)“

Was die aschkenasischen Strömungen sind, wusste ich netterweise aus Amstel, aber schon bei Halacha hätte ich googeln müssen, weil ich mir nicht sicher war. Insofern: schon jetzt eine sinnvolle Anschaffung.

Der Lokalkrimi, den ich gestern erwähnte, konnte mich doch nicht überzeugen: Nach 50 Seiten fand ich es noch charmant, nach 100 nur noch nervig. Weggelegt. Mir egal, wer der Mörder ist.

Abends hatte ich den anmaßendsten First-World-Problem-Satz ever im Kopf: „Jetzt muss ich wegen dieser doofen Faschos vom Sofa runter, wo’s doch gerade so gemütlich ist.“ Aber was sein muss, muss sein, weswegen ich ab 17.30 Uhr mit F. und seinen Wacken-erprobten Camping-Lämpchen auf der Theresienwiese im Lichtermeer stand, um der AfD und anderen rechtsextremistischen Gruppierungen zu zeigen, dass wir mehr sind (SZ-Link ohne Paywall).

Viel mehr, wie sich netterweise auch in Dresden zeigte , wo sich 5000 Antifaschist*innen 1000 Rechtsextremen gegenübersahen. Auch darauf wies die Moderatorin der Kundgebung, Düzen Tekkal, hin: Wieviel mehr Mut es kostet, im Osten von Deutschland aufzustehen. Großer Applaus.

Der Abend begann musikalisch mit Enno Bunger, den ich noch nicht kannte, dessen zwei Protestsongs mir aber gut gefielen. Vor dem dritten Lied meinte Bunger, dass er eigentlich noch ein weiteres Lied aus diesem Spektrum geplant hätte, aber: „Das sieht so schön aus von hier oben, ich singe jetzt ein Liebeslied. Eigentlich hätte ich [Titel nicht gemerkt] geplant, aber das könnt ihr euch ja auf Spotify anhören.“

Ich hatte in der Dunkelheit und auf der riesigen Theresienwiese nicht schätzen können, wie viele Teilnehmer*innen es waren. Die SZ schreibt von 100.000, der BR hat Bilder. Danke, München.

Als ich wieder zuhause war, schaute ich in meine Timelines und stellte fest, dass anscheinend meine komplette Münchner Insta-Timeline auf der Demo gewesen war und Fotos gepostet hatte. Ich ja auch, wenn auch nur in der Story. Hier meine zwei Bilder von gestern. Das erleuchtete ist natürlich die Bavaria, vor der sich auch viele Lämpchen bewegten. Das sah sehr schön aus.

(Ja, ich muss mich endlich um größere Bilder im Blog kümmern.)

Samstag, 10. Februar 2024 – Mehl und Mord

Um 5 Uhr wachgeworden, what the hell, dann aber die Zeit entspannt am Handy verbracht, damit bekommt man ja durchaus einige Stündchen rum. Als es hell wurde, vom Bett an den Schreibtisch gewechselt, vor mich hingearbeitet, Dinge gelesen, Bücher bestellt, was ich halt so am Schreibtisch mache. Irgendwann das vorgestrige Rezept aus den Meal Plans nochmal zubereitet, weil es so hervorragend war und ich noch eine Avocado wegkriegen musste. Augsburg gegen Leipzig gesehen, dann Leverkusen gegen Bayern, mich dabei erwischt, Leverkusen die Daumen zu drücken. In der Halbzeitpause flugs die besten Schokomuffins der Welt angerührt, die so zart sind, dass sie fast zerkrümeln, und so bitter, dass sie dringend die Erdnussbuttercreme oben drauf brauchen. Für die hatte ich allerdings nur stückige Erdnussbutter statt feine, war mir aber egal war, bis ich versuchte, die Buttercreme durch die Spritztülle zu bekommen. Da klemmte nach drei Muffins leider etwas, weswegen ich die Spritztüte aufschnitt und die restlichen Muffins mit dem Löffel verzierte. Oder klumpig bestrich, ähem. Schmeckten aber natürlich hervorragend. Mit Buch aus der Stadtbibliothek ins Bett, ich lese gerade einen Lokalkrimi, spontan aus dem Regal gezogen, ich kannte die Autorin nicht, damit ich das auch mal gemacht habe. Bisher durchaus unterhaltsam.

Freitag, 9. Februar 2024 – Bonjour et bonne nuit

Duolingo hat ja die fiese Angewohnheit, dich dauernd an deinen heiligen Streak zu erinnern, den du bitte bloß nicht reißen lassen solltest, sonst Dürre, Komplikationen im Raum-Zeit-Kontinuum und Mundgeruch. Daher mache ich manchmal pflichtschuldig eine winzige Übung, nur um überhaupt etwas zu machen und dementsprechend brav einen weiteren Tag in der Statistik abzuhaken.

In den letzten Tagen hat mich die App beim Hebräischlernen allerdings doch mehr genervt als motiviert, ich schob die Übung bis abends im Bett vor mir her – und dort fiel mir ein, hey, du hattest dich doch 2015 oder so eigentlich mal für Französisch dort angemeldet. Kann ich die Sprache, die ich lerne, zwischendurch wechseln? Todesmutig auf die Trikolore geklickt – und seitdem rausche ich durch die kompletten Anfängerübungen en français, die ich quasi im Schlaf kann, was sich daher auch nicht ganz wie Schummeln anfühlt, sondern wie eine Bestätigung, dass doch ein bisschen was hängengeblieben ist von zwei oder drei Jahren Schulfranzösisch, einem VHS-Kurs und den zwei Semestern an der Uni in München. Na gut, wir sind noch auf dem Level „Guten Tag, Herr Dubois“ und „Gute Nacht, Sophie“ sowie „Die Mädchen essen einen roten Apfel“. Aber das ist trotzdem nett, diese Sätze auf Französisch in mein Handy zu radebrechen.

Jetzt muss ich nur noch die Motivation wiederfinden, wieder auf den Davidstern zu klicken, um dann wieder drei Minuten zu brauchen, um ein Wort zu entziffern, dessen Übersetzung ich mal wieder vergessen habe.

Donnerstag, 8. Februar 2024 – Punkt und Komma

Fast den ganzen Tag die Fahnen für meinen Aufsatz korrigiert, der im Sammelband zur Bayerlein-Konferenz erscheinen wird, die schon im Oktober 2022 stattgefunden hatte. Das musste ich als totalen Gegensatz zur Werbung lernen: Die Wissenschaft hat gerne mal Gletschertempo. Also genau das richtige für mich ungeduldiges Hibbelbienchen.

Ich korrigierte freudig dutzende von Kommata zu Punkten um, weil der Style Guide nur so halbherzig verfolgt wurde bzw. sich nach der ersten Korrekturschleife irgendwie änderte; daher baute ich selber viele Fehler ein, die auch das Lektorat nicht alle fand, aber jetzt müsste alles hübsch sein. Hoffe ich. Der Band wird Open Access erscheinen, ich werde hier bei Erscheinen groß dafür trommeln.

Das ist jetzt der dritte Aufsatz oder längere Beitrag, den ich zu Protzen geschrieben habe, und jedesmal habe ich mir einen anderen Aufhänger gesucht; das wäre ja langweilig, einfach nur Teile der Diss abzuschreiben bzw. zu kürzen. Im Text für den Katalog zu „Kunst und Leben 1918 bis 1955“ ging es um eine superknappe Darstellung und warum man sich heute noch für den Maler interessieren sollte. Für die „Bayerische Staatszeitung“ wollte ich einen knackigen Reinkommer haben, wie in der Werbung: Grab them und lass sie nicht wieder los. Daher entschied ich mich dort für die Besichtigungsbusfahrt für Künstler*innen, die mit Ingenieuren und Konstrukteuren Baustellen anschauten, um sie abzumalen. Das dürfte nicht jeder*m bekannt sein.

Für den Sammelband der Bayerlein-Konferenz war die finanzielle und künstlerische Situation Protzens vor 1933 mein Einstieg, die nicht gerade rosig war: kaum Verdienste, kaum gute Kritiken, kaum überregionale Bekanntheit. Das änderte sich spätestens 1934, als er erste staatliche Aufräge bekam, 1936 war er Juror in „Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst“ und konnte seine sieben eingereichten Werke auch, Zauberei, sowohl in München als auch in Berlin und Breslau ausstellen und teilweise verkaufen. Ab 1937 reichte die Malerei als Lebensgrundlage, was ich für nicht unwichtig halte. Spätestens hier hätte der Herr sich auf Blumenstillleben zurückziehen können, aber er malte weiter Autobahnen, weil die halt ordentlich Geld brachten.

Mein Beitrag endet unter anderem mit einem Brief aus dem Nachlass, den ich in der Diss nur sehr en passant erwähne, weil mir gar nicht klar war, mit wem Protzen korrespondierte; das fiel mir erst ewig später auf, dass Herr Lorenz schon während der NS-Zeit ein Ansprechpartner für die Maler*innen war, denen er deutlich nahelegte, sich Mühe zu geben für „die Straßen des Führers“. Daher schließe ich mit der ersten Verkehrsausstellung nach dem Krieg in München, nämlich der Deutschen Verkehrsausstellung München 1953, wo, schon wieder Zauberei, sehr ähnliche Fotografien wie schon 1934 gezeigt wurden von sehr ähnlichen Streckenabschnitten. Diese Ausstellung hatte ich nicht in der Diss, dafür habe ich nochmal im Stadt- und Staatsarchiv gewühlt.