Für Emilia zum ersten Geburtstag

Mein schnuffiges Patenkind ist am Freitag ein Jahr alt geworden. Zur Feier des Tages gab’s die obligatorischen Schuhe (die ungefähr so aussehen, nur nicht silber-rot, sondern weiß-blau und mit hellblauer Sohle), dieses schöne Shirt (und wenn ich schon mal beim Bestellen bin, für mich dieses* und dieses** Shirt) und folgenden Brief:

Liebe Emilia,

heute ist dein erster Geburtstag. An den wirst du dich wahrscheinlich nicht mehr erinnern, wenn du alt genug bist, diesen Brief selber zu lesen, aber ich wette, dein Vater und deine Mutter werden dutzende von Fotos machen, auf denen du bestimmt wie immer fürchterlich niedlich aussehen wirst. Vielleicht hast du auf einem sogar mein T-Shirt an, das ich dir zu deinem Geburtstag schenke. Es ist aus Kanada, und ich hoffe, dir gefällt es. (Und ich hoffe, ich kriege wegen des Aufdrucks keinen Ärger mit deinen Eltern.)

Vor genau 362 Tagen habe ich dich das erste Mal gesehen. Da warst du drei Tage alt. Deine Mutter war noch etwas fertig von der Geburt und dein Vater war ganz fürchterlich besorgt um dich, weil du nicht richtig essen wolltest. Das hat sich aber glücklicherweise gegeben. Ich habe mich am Anfang gar nicht getraut, dich anzufassen oder auf den Arm zu nehmen, so klein warst du und so zart. Du hast geschlafen, als ich dich besucht habe. Deine Augen waren ganz fest geschlossen, und du hast kleine Fäuste mit deinen Händchen gemacht. Ich habe dich minutenlang nur angeguckt, weil du so winzig warst und so vorsichtig geatmet hast, dass ich auch automatisch ganz vorsichtig und leise mit dir mitgeatmet habe.

Als ich dich das erste Mal auf dem Arm hatte, warst du ungefähr einen Monat alt. Deine Mutter hat dich mir in den Arm gelegt und du hast etwas überrascht ausgesehen, dass da jetzt wer anders ist als deine Eltern und deine Großeltern, aber anscheinend hat es dir in meinem Arm gefallen. Du hast mich einfach nur angeguckt, und ich habe zurückgeguckt. So lange, bis deine Eltern Witze darüber gemacht haben. Du warst ganz warm und hast nach Haut und Babypuder gerochen, und dein Atem war hörbarer als noch vor vier Wochen im Krankenhaus. Du hast noch nicht gelacht, sondern einfach nur geguckt. Ich würde gerne wissen, was du gedacht hast, als du vier Wochen alt warst. Ich hoffe, du hast Dinge gedacht wie, Hier ist es aber nett, ich werde so gut umsorgt und gefüttert und ins Bettchen gebracht. Hier gehe ich erstmal nicht wieder weg.

Ein paar Monate später konntest du schon krabbeln. Das ist ja eigentlich eine schöne Sache, aber deine Mutter hat schon ein bisschen die Zeit vermisst, als sie dich einfach irgendwo hinlegen konnte und du dich nicht vom Fleck bewegt hast, weil du erstens noch nicht wusstest, wie man sich vom Rücken auf den Bauch dreht und zweitens, wie man dann die Hände und Füße benutzt, um sich abzustoßen und über den Fußboden zu robben. Aber das hast du, wie gesagt, ziemlich schnell rausgekriegt. Du siehst aus wie eine kleine Krabbe, wenn du unterwegs bist. Dein Kopf ist hochgereckt, als ob du gucken möchtest, was es alles auf der Welt zu entdecken gibt, bevor du loskrabbelst. Deine Eltern mussten die Wohnzimmertür schließen, als du anfingst, in der Wohnung auf Entdeckungstour zu gehen, und ein Gitter vor der Küche anbringen. Als ich einmal bei euch zu Besuch war, hast du angefangen zu weinen, weil du an der geschlossenen Tür nicht weiterkamst, aber deine Mutter hat dich sofort beruhigt und dich wieder auf deine bunte Spieldecke gelegt, womit du anscheinend auch zufrieden warst.

Um deine Spieldecke beneide ich dich übrigens sehr. Es gibt Felder, die man aufklappen kann und einen Spiegel und Klettverschlüsse mit Blumen und es ist alles ganz fürchterlich bunt. Außerdem hast du ein Mobile über deinem Bett hängen aus Fischen und ziemlich viel pädagogisch wertvolles Spielzeug, mit dem deine Eltern aus dir ein schlaues Mädchen machen wollen. Das klappt bestimmt. Auch wenn deine erste Vorführung für die Patentante (einen kleinen Becher in einen großen stecken) nicht ganz funktioniert hat, weil du lieber den großen Becher in den kleinen stecken wolltest.

Seit ein paar Monaten kannst du sogar schon stehen, wenn du dich irgendwo hochziehen und festhalten kannst. Bei deiner Taufe im Februar bist du „nur“ gekrabbelt, aber gerade vor ein paar Tagen hat dein Vater mir erzählt, dass du dich inzwischen am Tisch oder an der Kommode hochziehst, stehst – und dann kurz deine Stütze loslässt und versuchst, dich auszubalancieren. Aber ganz alleine kannst du noch nicht stehen geschweige denn laufen. Wahrscheinlich sind deine Eltern auch heimlich ganz froh darüber, denn du bist schon ganz schön schnell, wenn du krabbelst. Und du hast auch ziemlich fix herausgefunden, wie man die abgerundete Kindersicherung von den spitzen Tischkanten einfach abziehen kann.

Vor ein paar Wochen waren deine Mutter und ich zum ersten Mal mit dir bei Ikea. Warum das so toll ist, wirst du später verstehen, wenn du ein großes Mädchen oder eine junge Frau geworden bist. Dein erstes Mal schien dich aber noch nicht wirklich zu interessieren. Du hast in deinem Sitz hoch oben auf dem Einkaufswagen gelegen und milde lächelnd dabei zugesehen, wie deine Mutter und ich stundenlang nach Teelichtern, Tischdecken und Bettwäsche gewühlt haben. Wir haben auch versucht, schöne Bettwäsche für dich zu finden, aber die mit den Dinosauriern sah irgendwie nicht so toll aus wie im Katalog, und für die giftgrüne Decke konnte ich deine Mutter nicht begeistern. Auf jeden Fall bist du nach einer guten Stunde friedlich eingeschlafen und erst im Auto wieder wachgeworden. Du lagst angeschnallt auf dem Vordersitz. Ich saß hinter dir und habe Faxen gemacht, um dich zum Lachen zu bringen, was auch funktioniert hat. Du hast im Moment noch nicht viele Zähne, und die, die du hast, sind so komisch verteilt, dass es ganz füchterlich albern aussieht, wenn du lachst, und deswegen muss ich auch lachen, wenn du lachst.

Du hast vor ein paar Monaten deine Stimmbänder entdeckt und blubberst an manchen Tagen in einer Tour vor dich hin. Es klingt noch nicht so, als wolltest du uns irgendetwas sagen, aber es macht zumindest gute Laune. Auch wenn dein Vater so gerne von dir mal „Papa“ hören möchte, wenn du auf ihn zeigst und nicht, wenn du auf einen Stoffhund zeigst. Aber das kommt bestimmt noch.

Gestern hat deine Mutter dir zum ersten Mal etwas auf ihrer Gitarre vorgespielt. Du hast es gewürdigt, indem du in deine Spielzeugkiste geklettert bist und dich mit deinem Schlafsack zugedeckt hast. An deiner Höflichkeit musst du wohl noch ein bisschen arbeiten.

Liebe Emilia, ich wünsche dir von Herzen alles Gute zu deinem ersten Geburtstag und hoffe, wir werden noch viele, viele weitere Geburtstage von dir feiern können. Du bist, soweit ich das beurteilen kann, ein sehr freundliches und neugieriges Kind. Und dazu siehst du auch noch herzallerliebst aus. Du bist das erste Kind, das ich kenne, das ich dauernd knutschen möchte. Und das will wirklich was heißen. Frag deine Eltern (die ich übrigens auch dauernd knutschen möchte).

Alles Liebe von deiner Patentante
Anke


* Der Pazifist Kerl mag das Shirt nicht.
** Alle denken, ich sei Bayern München-Fan.

24 Antworten:

  1. Ui, das Khan T-Shirt rockt! Warum ist mir sowas noch nie über den Weg gelaufen?

    Aber wer dabei an Fußball denkt, kann erstens nicht lesen und war zweitens früher nicht oft genug im Kino.

  2. banzaaaaaaaiiiiiiii

    wäre es für mich, aber mit stellaaaaaaaaaaaaaa könnte ich auch leben.

    schöner brief, ihr patenkind wird es ihnen sicher mal danken. ich führ meiner so eine art tagebuch, dass sie dann mal in späteren jahren bekommt und sich vielleicht an dieses und jenes erinnern kann, mit bilder und fotos und allem drum und dran.

  3. Schön, dass es das ‘boyfriend’-Shirt auch in einer ‘girlfriend’-Variante gibt.

  4. Tagebuch hatte ich mir auch überlegt, aber ich glaube, dass ich dazu nicht genug von ihr mitkriege. Obwohl ich schon ne Menge mitkriege, aber ich bin eben nicht jeden Tag da und erlebe ihre Fortschritte hautnah mit. Und Fotos machen ihre Eltern in Massen. Da dürfte sie versorgt sein. (Meine Fotos sind leider auch meist ziemlich schlecht.)

  5. Hallo Anke,

    einen sehr schönen Brief hat dein Patenkind da gekriegt! Es gibt übrigens 2 erstaunliche Parallelen: Meine Tochter heißt (immerhin so ähnlich) Emili, und wir haben am Sonntag (diesen, nicht letzten ;-) ihren ersten Geburtatag gefeiert. War sehr schön, allerdings hat Emili leider keine Tante mit einer derart ausgeprägten poetischen Ader!
    Von Emilis Tante gabs dafür ein Saxophon, welches bei jeder sich bietenden Gelgenheit loströtet – pädagogisch äußerst wertvoll :-)

    Ich wünsche dir weiterhin viel Freude mit Deinem Patenkind! Solltest du einmal das Bedürfnis haben, die Geduld Emilias Eltern auf die Probe zu stellen, oder willst du sie einfach nur ein bischen ärgern ärgern, kann ich nur raten: Verschenke (selbstspielende) Musikinstrumente!!!

  6. spielt alles keine rolle… und sollten es auch nur 4-5 einträge pro jahr werden so sind es auf 18 jahre doch noch ein paar. und alles wird irgendwie witzig, denke ich.

  7. Jetzt mal unabhängig von dem schönen Brief: das Bild erinnert mich an “The Ring”. Geht das nur mir so? Falls ja, gucke ich eindeutig zu viele Filme.

    “Schnuffig” erkläre ich hiermit zu meinem persönlichen Wort der Woche. :)

  8. Ich kann mich partout nicht erinnerern, in welchem Film das Kind die Händchen auf die Mattscheibe voll Schnee legt. “Poltergeist”? Oder eben “The Ring”?

  9. Ich dachte es wäre gerade aus der Glotzkiste herausgekrabbelt, hätte sich abgetrocknet und etwas Feineres angezogen. Aber wenn das Kind einfach nur seine Hand auf den Schirm patscht, dann hat das natürlich nichts mit “The Ring” zu tun. ,)

  10. Hm, also in “The Ring” gibt es die Szene meiner Meinung nach nicht. Da starren alle immer nur wie gebannt aus der Distanz auf den “Ameisenkrieg”. Aber auch in “Poltergeist” kann ich mich an sowas nicht erinnern…

  11. Cooles Geschenk, vor allem der Brief.

  12. Mir blieb beim Lesen eben das Gesicht stehen vor Begeisterung.

    Und ich werde jetzt ein ganz toller Sozialforscher und finde heraus, daß in Deutschland in genau neun Monaten der nächste “Babyboom” beginnt.

    Eine Werbekampagne für das Schönste der Welt. Kein Parlamentarier im Publikum, der das mal eben durchpauken könnte? (Natürlich aus männlicher Sicht absolut selbstlos… ;-) )

  13. für eine die von sich behauptet sowas wie ne kinderhasserin zu sein, zumindest kinder im eigenen haus, hamse das aber ganz schön liebevoll geschrieben.

  14. Nennt mich dumm und unkultiviert, aber warum komm ich als einziger nicht drauf, was mit ‘khaaaaan’ gemeint ist ?

  15. @ ix: Demnächst muss ich das erste Mal babysitten. Mal sehen, wie ich dann klinge.

  16. @ genzo… auch ich habe nicht den blassesten Schimmer
    ( ich war aber tatsächlich früher gaaaanz selten nur im Kino )

    Der Brief ist eine so schöne Idee!
    Ich erkenne meine Nichte darin, teilweise.
    Schön!
    Danke

  17. Dieser Eintrag hat mich doch an manch lustige Begebenheit mit meinem Patenkind erinnert. Unter anderem auch an das erste Mal Babysitten alleine, als die Kleine morgens fröhlich ins Babyphon rief, daß sie schon wach sei, wo ich doch so gerne noch geschlafen hätte. Und dann noch das Windelwechseln ohne Kontaktlinsen…

    Ich wünsch Dir auf jeden Fall viel Spaß, bitte hinterher unbedingt davon berichten :-)

  18. Hymne auf die Patenkinder

    …Ich weiss jetzt nicht genau, ob mich die kleinen Nachbarsmaedel, die gerade etwa zum 11. Mal ‘Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann’ anstimmen oder aber Anke mit dem Geburtstagsbrief an ihr Patenkind dazu inspiriert haben, auch mal wieder etwas über mein P…

  19. @ genzo: Ich hab’s als Referenz an “Star Trek – The Wrath of Khan” gesehen. Aber eigentlich fand ich nur das Blau so schön. Da hätte auch “Ka-zaaaaaam” draufstehen können.

  20. Liebe Anke,
    ein schöneres und persönlicheres Geschenk als Deine in Worte gefaßten Erinnerungen für Dein Patenkind konntest Du wirklich nicht machen. Mach ein zuverlässiges Backup davon, damit Du es Emilia später vorlesen kannst, bzw. sie es dann später selbst lesen kann.

    Viele Grüße,
    pepperman

  21. Liebe Anke,

    toller Brief das – mein Patenkind ist gerade zwei Jahre alt geworden, und ich hatte leider weder dieses noch letztes Jahr diese grandiose Idee zu einem Brief.

    Aber eigentlich wollte ich etwas ganz anderes fragen: Wie komme ich zu der Ehre, unter Deinen Links zu erscheinen (Technorati sei Dank)?

  22. Anscheinend lese ich dein Weblog ganz gern :-)

  23. Ach Mensch, Anke, das ist soooooo ein schöner Brief. Freue mich für Dein Patenkind. Sie wird ihn später mal lieben.

  24. wunderschön.

    unser sohn ist derzeit 36wochen – also im prinzip -1 monat – und ich hoffe, irgendwer schreibt ihm irgendwann auch mal so etwas schönes.