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Herr Sixtus ist schuld. Er hat nach seinem Vornamen gegoogelt und uns Kommentierende quasi moralisch gezwungen, es ihm gleichzutun. Beim Anke-Googeln habe ich mal weiter rumgeguckt, wer oder was sonst noch bei meinem Namen auftaucht. Und siehe da, ein anderes Weblog erschien auf meinem Schirm. Gut gelaunt klickte ich auf den Link, um zu sehen, was eine andere Anke so ins Netz schreibt. Und die ersten Sätze, die ich von dieser unbekannten Anke las, waren folgende:

Hallo ihr Lieben,
es gibt nichts Positives mehr zu berichten. Mein Mann wird mich/uns definitiv verlassen, denn da ist nichts mehr, was noch heilen kann. Es wäre alles nur eine Quälerei. Die letzte Hoffnung ist die, das er bald von seinem Leiden erlöst wird.

Wir sind darauf vorbereitet und haben liebe Menschen, die uns beistehen.

Auch bei euch möchte ich mich nochmal recht herzlich für die vielen Genesungswünsche und Gebete bedanken.

Ich schreibe hier nicht rein, wann es soweit ist. Das kann ich nicht. Aber ich werde mich bald wieder bei euch melden, auch wenn es länger dauern wird.

Seid behütet.
Liebe Grüße, Anke

Ich würde gerne wissen, was ihr empfunden habt, als ihr diese Zeilen gelesen habt. Ich persönlich war erstmal still. Ich habe mich gefühlt, als hätte mir jemand eine Ohrfeige gegeben, so unvorbereitet haben mich diese Sätze erwischt. Und mir ist zum ersten Mal aufgefallen, wieviel Unmittelbarkeit, wieviel schmerzhafte Nähe ein Weblog ausstrahlen kann.

Mein Weblog ist für mich ein kleine alberne Spielwiese, die mir zwar viel bedeutet und mit der ich schon viel Spaß (und viel Stress) hatte, aber mal ganz ehrlich: Ich schreibe über Quatsch. Ich schreibe über bunte Bilder auf Leinwänden. Oder über blöde Sätze, die mein Kerl gesagt hat. Ich schreibe darüber, was ich im Supermarkt mache oder wer mir im Bus begegnet. Ich schreibe schon länger nicht mehr ganz so detailliert über das, was mich traurig macht. Einerseits deshalb, weil ich netterweise nicht mehr so traurig bin wie früher, andererseits aber auch, weil ich, je mehr Leser ich hatte, immer mehr das Gefühl bekommen habe: Das ist jetzt zu nah an mir dran. Das lesen zu viele Menschen, die ich nicht kenne, die mich nicht kennen, die wahrscheinlich auch nicht nachvollziehen können, wie es mir geht oder wer ich eigentlich bin.

Umso mehr hat mich der oben stehende Eintrag berührt. So zufällig (denn ich bin eben zufällig auf die Seite gestolpert) mitgeteilt zu bekommen, dass ein geliebter Mensch bald nicht mehr leben wird, hat mich in einer Sekunde spüren lassen, wie gut es mir geht. Wie verdammt gut es mir geht, dass ich über bunte Bilder auf Leinwänden und den Kerl schreiben kann. Und es hat mir gleichzeitig gezeigt, welche Macht Weblogs haben – über mich, den unvorbereiteten Leser, aber auch für den Autor, der mit seinen Worten so viel bewegen kann. Wieviel Trost Weblogs bieten können – für den Autor, wenn ehrlich-anteilnehmende Kommentare hinterlassen werden und für den Leser, weil er hoffen kann, vielleicht mit seinem Kommentar ein winziges bisschen geholfen zu haben. Und wieviel Mut es manchmal kostet, ein persönliches Weblog zu führen (denn man macht sich verwundbar) oder auch zu lesen (denn man kommt jemandem ungewollt sehr nahe).

Die Autorin hat mit dem Weblog einen Weg gefunden, sich mitzuteilen und so ihren Schmerz nicht „nur“ mit Familie und Freunden zu bewältigen, sondern darüberhinaus noch von einer unbekannten Leserschaft Kraft zugesprochen zu bekommen. Ich kann nur hoffen, dass ihr das (öffentliche) Schreiben hilft, mit ihrer Situation fertigzuwerden. Ich wünsche ihr von Herzen alles Gute.

(Und ich scheue mich, sie zu verlinken. Es fühlt sich an, als würde ich stören. Ihr wisst ja, wie ihr sie findet, wenn ihr sie denn finden möchtet.)

15 Antworten:

  1. *tieflufthol* da hats mir gerade ein bißchen die Schrift verschlagen.
    Man hat diese natürliche Barriere nicht. Diese Mauer, die einen im realen Leben schützt. Vor genau solchen Sätzen.
    Hier wird man plötzlich mit einer Emotion konfrontiert, die unerwartet kommt. Im realen Leben kommt das alles langsamer.
    Ein guter Freund von mir hat gerade seinen Vater an den Krebs verloren. Aber das war irgendwie besser “vorbereitet”.
    Erst wurde der Krebs festgestellt, immer wieder Untersuchungen, Diagnosen.
    Später dann die Chemotherapie. Es ging bergauf und wieder bergab. Und als er schließlich gegangen ist, war er glaube ich froh darüber.
    Das ist eigentlich näher. Aber der Schutzwall wird mit der emotionalen Belastung gleichzeitig dicker.
    Hier steht noch nicht einmal über dem Text, dass man vielleicht einen brauchen könnte. Und ich glaube, dass ist der Grund aus dem solche Sätze querdurchschlagen. Den dünnen Schutz den man in dem Moment nur hat glatt durschlagen, wie eine Kugel eine Schicht Papier. Ist ja auch nichts da, was sie aufhalten könnte.
    Ich habe gestern geschluckt, als ich im Lawblog diesen Eintrag gefunden und daraufhin das zugehörige Weblog dann hier.
    Unvorbereitet. Nicht ganz so, wie bei Anke. Aber unvorbereitet.In solchen Fällen, in solchen Minuten, Stunden, fällt es mir schwer, daran zu glauben, dass irgendwie alles seinen Grund und seinen Sinn hat. Alles!
    Und manchmal rufe ich dann bei Leuten an, die mir lieb und teuer sind, frage ob alles in Ordnung ist, und freue mich mit ihnen kurz darüber.

  2. Eines meiner ersten Blog-Erlebnisse war ein ähnliches, als ich durch Zufall/Google auf die Website eines jungen Mannes gelangte, der vor Kurzem seine Freundin an eine langsame Krankheit verloren hatte und der sehr bewegend und sehr aufrichtig von seinem Schmerz und seinem Leben mit dem sterbenden und nun ohne den geliebten Menschen schrieb. Ich finde es sehr bewundernswert, so etwas so öffentlich zu machen, weil es genau dahin trifft, wo wir alle doch am empfindlichsten sind.

    Einerseits halte ich es für einen sehr unkomplizierte Weg, Freunden die Möglichkeit zu geben, teilzuhaben, ohne daß diese vielleicht jeden Tag dabei sein können, und vielleicht auch die Barriere abzubauen, die vorhanden sein könnte, die Angst davor, zu stören, obwohl Nähe doch das wichtigste ist.
    Andererseits glaube ich, daß es eine sehr wichtige Entlastung für den Mitleidenden oder Hinterbliebenen sein kann, einen (schreibenden/mitteilenden) Weg zu anderen aufbauen zu können, bestimmt auch Rückhalt und Bestätigungen durch Kommentare zu erhalten.

    Und so bin ich auch irgendwie an Deiner, Frau G.s, Website (nachträglich) hängen geblieben: es war der Eintrag, als der “Kerl” noch Karl hieß, Du über ihn, Eure gemeinsame Zeit und den Verlust geschrieben hast. Das hatte mich wirklich sehr beeindruckt, die Geschichte an sich (weil ich selbst noch nie etwas ähnliches erlebt habe – das schöne wie das traurige – und weil ich mich so sehr und so gern mit einem anderen freuen kann, wenn er seinen liebsten Menschen auf der Welt gefunden hat), aber durchaus auch, wie Du sie in Worte gefaßt hast (daß Du mit Worten Dein Geld verdienst, fiel mir gottseidank erst später auf ;) [Falls Deine Logfiles vor ein paar Wochen jemanden zeigen, der eine ganze Nacht bis 4 Uhr morgens auf Deiner Seite herumgeklickt hat: das war wohl ich]

  3. Auf Berichte im Netz hin Gefühle zu entwickeln ist ziemlich naiv.

    Wer sagt mir, dass die “Anke” welche scheinbar von einem Sterbenden berichtet nicht etwas ausprobieren will, das sie in der Journalisten- oder Schreibschule lernte oder eine Schriftstellerin/Schriftsteller der die Reaktionen fürs neueste Buch testen will.

    Wer sagt mir, dass Sie Frau Gröner nicht die Tricks der Werbebranche anwenden und mit diesem Eintrag nur auf den ersten Platz Ihres Vornamens bei Google verweisen wollen, ohne dass es etwas albern daherkommt.

    Wer sich fangen lässt von den Rattenfängern im Netz wird mit Sauf-, Freß- oder Brechanfällen oder ähnlichem bestraft. Weil der Verstand über den Körper dem Gefühl mitteilen will, hier läuft etwas schief.

  4. Danke für die Aufklärung über das böse Internet. Jetzt gehts meinem Verstand, meinem Körper und meinem Gefühl doch gleich viel besser.

  5. willst du ein best of der festplatte von dem imac, den ich vor 1,5 jahren in ebay gekauft hatte? eigentlich sollte ich über diese festplatte ein buch schreiben inkl. wie ich per google, die vorbesitzerin am gardasee in italien ausfindig gemacht hab.

  6. Keine Ursache, Frau Gröner. Ich mache mir gerne Ihre Tricks zu eigen, das gleicht sich aus. Als böse würde ich das Internet nicht bezeichnen. Es ist wie ein Messer, gleichermassen für Mord wie fürs Brotschneiden geeignet. Aber das wissen sie ja sicher.

  7. @withered
    Dann müßte man also “Berichte im Netz” durch jede Art von Geschriebenem, Darstellungen, zum Ausdruck Gebrachtem ersetzen können – man dürfte kein Buch mehr lesen und mit den Protagonisten mit[leiden|fiebern|heulen|freuen], man dürfte keinerlei Ideen aus den Werken von Schriftstellern oder Philosophen mitnehmen, denn es könnte ja alles… und wer sagt dir denn…

    Ich finde das ziemlich abgeklärt und engstirnig, geradezu verwelkt… Gefühle entwickeln heißt ja auch noch nicht, daß man jedem alles glaubt.

    Es ist doch das der Grund, weshalb Menschen zum Stift oder in die Tasten greifen, nicht nur, um Dinge zur Kenntnis zu bringen, sondern um Gefühle zu wecken, Überlegungen hervorzurufen durch Worte und mit dem, was sie vielleicht zwischen die Worte zu legen die Meisterschaft besaßen.

  8. Vielleicht bin ich heute nur wegen der Hitze so genervt, aber ich lasse mir ungern „Tricks“ unterstellen, wo ich einfach nur schreiben will. Halt dich ein bisschen zurück in meinem virtuellen Zuhause, Bloom. Ich mag keine Kommentatoren, die auf meinen Teppich kotzen.

  9. Was ich im Internet ja so richtig nervend finde sind all diese verdammt coolen Säue die in irgendwelchen Foren oder Kommentaren ihre Abgebrühtheit zu Markte tragen müssen.

    (Verzeihen Sie Frau Gröner, das war jetzt sehr unangemessen. Aber in letzter Zeit nimmt das in manchen Blogs, die ich sehr schätze, etwas überhand mit der Laufkundschaft.)

  10. Das war überhaupt nicht unangemessen. Ich denke da ganz ähnlich.

  11. Anke, das ist halt der Fluch des Werbetexters. Von dem her hast du natürlich (gewissen engstirnigen Menschen gegenüber) einen grossen Nachteil gegenüber “normalen” Bloggern. Damit wirst du wohl oder übel leben müssen. Wenngleich ich auch glaube, dass Bloom der einzige hier (und auch sonstwo) ist, den die Geschichte nicht zu Tränen rührt. Ich hoffe für die arme Frau, dass sie nie hier (oder zumindest nie bei diesem Beitrag) landet.

  12. Jetzt hast Du mich auch angestiftet zu googeln. Abgesehen davon, hat mich das was Du von dieser fremden Anke schreibst auch sehr berührt. Meine Mutter ist schwerst krank mit Krebs. Ich schreibe darüber bewußt nicht in meinem Weblog, einfach weil mir das alles viel zu intim und persönlich ist. Es ist vielleicht auch eine Typ-Frage, ob man über solche Erlebnisse in seinem Weblog schreibt oder nicht. Letztlich muß jeder selber entscheiden, ob und vor allem was und wie er oder sie in ihrem/seinem Weblog in so einem Fall schreibt und es steht niemandem zu darüber öffentlich zu urteilen – ist zumindest meine Meinung. Beides hat seine Gründe und Berechtigung.

    Was ich allerdings furchtbar finde, sind die Fälle, die es schon mehrfach gab, wo Leute über angebliche Krebserkrankungen geschrieben haben und soundso viele Menschen haben es geglaubt, versucht zu helfen etc. etc. und am Ende stellte sich heraus, es war alles nur Lüge.
    Damit werden irgendwie alle ein Stück weit diskreditiert, die über solche Erfahrungen schreiben, weil sich Mißtrauen bei den Lesern einschleicht, ob das denn nun stimmt oder nicht, etc. etc. Schwierige Materie.

  13. Vertrauen und Zweifel

    Bim Surfen bin ich auf das Weblog von Anke Gröner gestoßen. In ihrem Posting untitled schreibt Anke über das Weblog einer Frau, deren Mann im Sterben liegt. Dieses Posting sowie das Weblog dieser Frau haben mich sehr betroffen gemacht.
    Auf eine ga…

  14. Na, ich hoffe, dieses Blog ist nicht zu verwechseln mit Bettelmails für krebskranke Kinder.
    Ich erlaube mir die Naivität, hier mitzufühlen.

  15. Dieses Blog wird wahrscheinlich viel zu wenig gelesen

    Da googlet der Karsten mal seinem Namen für ein Posting in seinem BLOQ7. Die Idee hat er aus dem Blog six umbrellas, welches die Idee aus dem Blog von Anke Gröner hat, das seinerseits wiederum die aus dem Blog von Sixtus hat.

    Die ganze Idee kommt mir i