Finding Neverland

Finding Neverland (Wenn Träume fliegen lernen, UK/USA 2004, 106 min)

Darsteller: Johnny Depp, Kate Winslet, Dustin Hoffman, Julie Christie, Freddie Highmore, Kelly Macdonald
Musik: Jan A. P. Kaczmarek
Kamera: Roberto Schaefer
Drehbuch: David Magee und Alan Knee (nach seinem Theaterstück
The Man Who Was Peter Pan)
Regie: Marc Forster

Trailer

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Über die meisten Filme bilde ich mir bereits nach wenigen Minuten ein Urteil. Mag ich ihn, liebe ich ihn, finde ich ihn langweilig oder empfinde ich ihn als persönlichen Affront. Bei Finding Neverland stand mein Urteil auch nach wenigen Minuten fest: überkandidelter Bla. Zu gekünstelt, zu gewollt, zu sehr wurde versucht, eine Welt zu erschaffen, die es nicht gibt. Es geht um den Schriftsteller J. M. Barrie und wie er angeblich auf die Idee zu Peter Pan gekommen ist; eine nette kleine Fantasie, mehr nicht, putzige Kinder, schöne Ausstattung, britischer Akzent, Picknick im Park, hübsch anzuschauen, fluffige Intellektualität. Hab ich mir gedacht. Und lag damit richtig schön daneben.

Zunächst sehen wir, wie Johnny Depp als Barrie die verwitwete Mrs. Davies (Kate Winslet) kennenlernt und mit ihr ihre vier Söhne. Eigentlich lernt er sogar zuerst den kleinen Peter (knick-knack) Davies kennen, der unter einer Parkbank liegt, auf der Barrie doch an seinem neuen Theaterstück schreiben will. Stattdessen beginnen die beiden einen Dialog, der sich anhört, als ob der Dreikäsehoch gerade Oxford mit summa cum laude abgeschlossen hat, so präsize und un-jungenhaft schwadroniert der Zwerg den Schriftsteller zu. Ab da hatte ich eigentlich mit dem Film abgeschlossen, weil er mir zu kalkuliert rüberkam. Aber irgendwie passte die Art, wie erwachsen die Kinder sprachen, dann doch in die seltsame Welt voller Fantasie, von der uns Finding Neverland erzählt.

Der ganze Film fühlte sich auf einmal nicht mehr wie ein Film an, sondern wie ein altes Bilderbuch, eins von diesen in Leder gebundenen oder zumindest in einen dunklen, schweren Pappeinband, eins von diesen Büchern, die man als Kind kaum aus dem Bücherregal bekommen hat, so schwer waren sie. Und wenn man sie dann aufgeschlagen hat, entströmte ihnen ein eigentümlicher Duft, nach Papier und Staub und uralten Buchstaben. Ganz egal, wovon die Geschichte handelte, die das Buch erzählte – das, was spannend war, war das Buch selbst. Genauso habe ich Finding Neverland empfunden: Die Geschichte war schlicht und schnörkellos – man ahnt von Anfang an, dass die Kinder blitzschnell das Leben von Barrie erobern, genau wie Mrs. Davies, auch wenn da die Story nicht ganz so platt weitergeht wie man vermuten könnte –, aber die Art, wie diese Geschichte erzählt wurde, hat sich ganz vorsichtig und heimlich in mein Herz geschlichen. Genau wie ich alte Bücher nie aus der Hand legen wollte, weil sie sich so speziell angefühlt haben, wollte ich auch aus Finding Neverland nicht wieder gehen, weil er mich nach anfänglichem rationalen Ablehnen ganz plötzlich erwischt hatte.

Ganz plötzlich waren nämlich die irrealen Szenen, die anfang die normale Spielhandlung unterbrechen, nicht mehr ein banales Vehikel, die Fantasiewelt von Barrie und den Kinder klarzumachen, sondern sie waren wahr gewordene Träume. Ganz plötzlich saß ich im Kino und gleichzeitig im Theater und schaute der Uraufführung von Peter Pan zu, als ob ich die Geschichte noch nie gehört hätte. Ganz plötzlich war ich eins von den Kindern, die Barrie strategischerweise im Theater platziert hatte, um die harte Schale der erwachsenen Zuschauer zu knacken. Ganz plötzlich waren Wendy und Tinkerbell und Captain Hook nicht mehr Figuren, die man schon tausendmal gesehen hatte, sondern ganz neu – und vor allem: ganz echt. Und sie haben mich durch ihre Neuartigkeit und Unmittelbarkeit zu Tränen gerührt, weil ich auf einmal wieder ihren Zauber nachvollziehen konnte. Den Zauber der Kindheit, die nie zuende gehen soll und die Tragik des Zeitvergehens, die Unausweichlichkeit des Erwachsenwerdens und damit die Zeit der Verantwortung, der Schmerzen und des Abschieds.

Finding Neverland hat mich ganz einfach überrascht. Er beginnt konventionell und fast zu brav und wird plötzlich sentimental, ohne kitschig zu sein und fantastisch, ohne albern zu sein. Plötzlich staunt man wieder über das, was auf der Leinwand passiert, plötzlich leistet man sich wieder hemmungslose Gefühle, die doch so gar nicht zum edwardianischen England passen wollen, plötzlich will man nicht mehr über die noch zu schreibende Kritik nachdenken, sondern man, nein, ich, ich wollte einfach nur mit riesengroßen Kinderaugen auf die Leinwand starren und mich freuen, dass dort gerade eine ganz simple Geschichte erzählt wird von Freundschaft, von Fantasie, vom Schreiben, von Ideen, vom Glauben an das, was möglich ist. Rational betrachtet also sentimentaler, unglaubwürdiger Quatsch. Emotional betrachtet genau das, was sowohl ein gutes Buch als auch ein guter Film erreichen können: dass einem dabei das Herz aufgeht und dass man danach das Gefühl hat, etwas Wunderschönes erlebt haben zu dürfen. Auch wenn es die halbe Taschentuchpackung gekostet hat und ich mir eingestehen musste, mal wieder in meinem Leben geirrt zu haben.

13 Antworten:

  1. Ich kann mir nicht helfen, bei dem deutschen Titel “Wenn Träume fliegen lernen” denke ich immer, es handelt sich um eine doofe, tränenreiche Romanze.

    Wieso denkt in Deutschland niemand daran, sich diese beknackten Übersetzungen entweder zu sparen oder mal sein Gehirn dafür einzuschalten? Vor allem fehlt mir im Plakat irgendein, wenn auch klitzekleiner, Hint auf Neverland. Ohne diese beiden Informationshäppchen würde ich mir den Film NIE anschauen.

    Aber deine Kritik lese ich trotzdem erst, wenn ich ihn gesehen habe… :-)

  2. Ok, mit dem Plakat habe ich mich wohl geirrt… *schäm*

  3. Als ich den letzten Sommer gesehen hab, hab ich mir versucht vorzustellen, welches Publikum wohl bereit ist, sich dies gegen Bezahlung anzuschauen. Es gelang mir nicht. :)
    Vorstellbar erscheint es mir immer noch nicht, ist es doch eher eine Sonntagsabendsunterhaltung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur ohne die übllichen TV-Akteure.

  4. Der Sache mit den Filmtitelübersetzungen kann ich nur voll zustimmen. Mein Negativbeispiel dafür ist schon seit Jahren ‘And so I married an Axemurderer’, aus dem bei uns ‘Liebling, hälst Du mal die Axt?’ wurde. Katastrophal! Leider war der Film auch Scheiße.

    Finding Neverland werde ich mir aber auf jeden Fall anschauen! Vielleicht läuft der hier ja sogar im Original…

  5. Viel, viel, viel schlimmer finde ich die “Ãœbersetzung” “Ein (un)möglicher Härtefall” für “Intolerable Cruelty”. Und das war zu allem Ãœberfluss auch noch ein guter Film…
    “Wenn Träume fliegen lernen” ist aber wirklich mal wieder ne Glanzleistung, hab’ ich auch schon gedacht.

  6. Wie würdet Ihr denn bitte “Finding Neverland” übersetzen? Ihr habt natürlich recht, mit den schlechten Ãœbersetzungen, aber ich muß doch auch mal Ãœbersetzer in Schutz nehmen, ist nämlich manchmal gar nicht so einfach. Ist doch auch ein schönes Thema in der Werbung. Denkt sich Texter nen schönen Claim aus, der leider manchmal unübersetzbar in andere Sprachen ist. Dumm, wenn das ne internationale Kampagne werden soll. Also, ich bin gespannt auf Vorschläge.

  7. Wenn man weiß, dass die Kampagne international ist, wird vorher abgeklärt, ob der Claim auf Englisch sein soll. Oder man macht einfach die Fremdsprachigkeit zum Programm, wie z.B. Audi, die auch im Ausland mit „Vorsprung durch Technik“ werben – einfach, weil dadurch die gute, deutsche Ingenieurskunst mitschwingt.

    Das Übersetzen von Filmtiteln ist eine ganz andere Sache. Meist sieht der fremdsprachige Verleih den Film nicht mal, bevor er sich einen tollen Titel für die deutschen Plakate überlegen soll. Man kriegt eine Inhaltsangabe, und dann wird lustig drauflosgetextet. Und bei einer Beschreibung, die bestimmt in die Richtung ging wie: „Schriftsteller auf der Suche nach Inspiration – findet neue Familie – verliebt sich – schreibt Weltbestseller“ kann da durchaus so ein Grütz wie „Wenn Träume fliegen lernen“ rauskommen. „Finding Neverland“ ist für mich eindeutig weniger kitschig, und das hätte ich auch gerne bei einem deutschen Titel gesehen. Ohne lange zu überlegen: Ich hätte mit sowas wie „Auf der Suche nach Nimmerland“ gut leben können.

  8. ‘Finding Neverland’ ist kitschig, keine Frage. Das war ja vielleicht beabsichtigt.
    Aber um irgendwelchem Ãœbersetzungsmurks zuvorzukommen, sollten die Verleihe die meisten Filme einfach unübersetzt lassen. Grundkentnisse in Englisch haben immerhin ‘ne ganze Menge an Leuten.

  9. Bei dem Thema kann man ewig weitermachen… Z.B. mit den englischen Titeln im Original englischer Filme, die aber nicht dem Originaltitel entsprechen.

    Also z.B.:

    “Cellular” = “Final Call”
    “Antitrust” = “Startup”

    Immer extrem verwirrend, wenn man ahnungslos davon ausgeht, das sei der Originaltitel.

  10. Zitat: Finding Neverland stand mein Urteil auch nach wenigen Minuten fest: überkandidelter Bla. Zu gekünstelt, zu gewollt, zu sehr wurde versucht, eine Welt zu erschaffen, die es nicht gibt.

    Mein Urteil war exakt das selbe mit dem Unterschied, dass mich der Film von nichts anderem überzeugen konnte… Tränendrüsen drückender Schmalz ohne Tiefgang. Bin echt enttäuscht und hatte mehr erwartet… Kann echt nicht verstehen, was die Leute daran finden!

  11. Ein Film bei dem ich den deutschen Titel besser fand als das englische Original:

    Chicken Run – Hennen rennen

  12. >Wenn Träume fliegen lernen

    ist das ein scherz? das muss ein scherz sein. uieberhaupt, frau groener, teilen sie doch mal ihre messenger-daten mit, so geht das ja nicht.

  13. Haben uns Neverland im Frankfurter(Main) Valentin gegeben – sehr stilvoll mit mitgebrachtem Sushi (anläßlich Gebu) vorweg. Wirklich ein Film der sich ins Herz schleicht. Sehr schöner Review, Anke! Director Marc Foster stammt ja aus Ulm und hatte mit Monster’s Ball bereits Zeichen gesetzt. Bin gespannt auf sein Stranger than Fiction.

    Ja und das mit den Filmübersetzungen ins Deutsche ist meist eine Katastrophe – sein lassen.