Gut Essen, Tag 5 – das nachdenkliche Finale

Lu kennt mich seit Jahren. Sie kennt meine Essgewohnheiten seit Jahren. Und sie kennt mein Gefühl, dass Essen mein Feind ist, mit dem ich manchmal Waffenstillstand schließe, den ich aber eher bekämpfe, indem ich ihn totesse. Meistens erwischt es die Soldaten aus Schokolade, Chips und Fertigfrass, die kann man schnell erledigen, ohne sich Gedanken um sie machen zu müssen. Den Rest der Armee, die Jungs mit den Vitaminen und Nährstoffen, die so lecker in den Märkten rumliegen, die tun mir nicht weh, die kommen mir gar nicht erst ins Haus, die bleiben schön auf Distanz.

Ich will jetzt gar nicht zu sehr in die Tiefe meiner Essbehinderung gehen, aber ich habe schon mit mir gerungen, als Lus Angebot kam, mich und den Kerl mal ein paar Tage zu begleiten. Um mir die Angst vor dem Feind zu nehmen und mir vielleicht sogar zu zeigen, dass das alles ganz friedliche Kerle sind, mit denen man prima um die Häuser ziehen kann. Mein erster Gedanke war, och nee, ich mach lieber weiter kiloweise Schokolade platt. Ich kann mich seltsamerweise nicht an den zweiten Gedanken erinnern, nur dass ich schnell getippt habe: „Ja, klar, komm vorbei, du bist hiermit gebucht“ und dann auf „Absenden“ geklickt habe, bevor mein Gehirn meine Finger eingeholt hat.

In den zwei Wochen, die zwischen der Mail und Lus Ankunft lagen, habe ich extra viel Energie darauf verschwendet, die Armeen aus Gummibärchen (Entschuldigung) und Ben & Jerry’s und Lindt zu verkloppen, denn ich wusste, bald darf ich das nicht mehr. Ãœberraschung: Ich darf das immer noch. Aber nach ein paar Tagen gutem Essen ist wenigstens der Wunsch da, ihnen mal ne lange, lange Pause zu gönnen.

Ich habe nicht nur mit Lus Angebot gerungen, sondern auch mit der Frage, ob ich darüber bloggen sollte. In den letzten Jahren ist dieses Blog immer weniger privat geworden, weil es einfach zu viele Menschen gibt, die zu viel Zeit für bescheuerte Mails haben. Deswegen sind auch die Kommentare zu, und ich gebe nicht mehr ganz so viel von mir preis. Sicher immer noch genug, um ne prima Angriffsfläche zu bieten für diejenigen, die eine suchen, aber weniger als früher.

Essen ist für mich etwas sehr Privates, weil ich es nie als etwas Normales empfunden habe. Ich habe nie gelernt, normal zu essen, auch wenn sich meine Familie damit genug Mühe gegeben hat. Anfangs wollte ich nicht, und irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich habe kein Maß mehr gekannt, kein Gefühl mehr für mich und meinen Körper gehabt, habe mich zu dick gefühlt, als ich normalgewichtig war und normal, als ich schon längst alle Normen hinter mir gelassen habe.

Auch über mein Übergewicht schreibe ich sehr selten, denn das ist die simpelste Angriffsfläche von allen. Als ich es doch einmal getan habe, kamen sehr, sehr viele Mails – und keine einzige davon enthielt ein Schimpfwort. Was mich sehr gefreut hat und, das muss ich zugeben, auch freudig überrascht. Deswegen habe ich euch an meinen letzten Tagen teilhaben lassen. Einfach weil ich hoffe, dass es auch diesmal vielleicht ein paar Leute gibt, die sich etwas weniger alleine und doof und überfordert fühlen.

Ich weiß, dass mein Generve mit dem Futter nicht nach vier Tagen erledigt ist, dafür habe ich schon zu viele vergebliche Versuche hinter mir. Aber ich habe das Gefühl, dass ich diesmal weitaus mehr Input und Hilfestellung bekommen habe als sonst. Durch einen ganz einfachen und doch so schwierigen „Trick“: Ich habe gelernt, Freude am Essen zu empfinden. Ich habe gelernt, wie einfach ich glücklich zu machen bin, indem ich etwas Gutes kaufe, es ohne viel Firlefanz und 28 Zutaten zubereite und dann: esse. Genieße. In mich reinhorche, was ich gerade alles schmecke und rieche, wie es sich auf der Zunge anfühlt und wie lange ich danach satt bin.

Einige Mails sind schon angekommen, einige Blogs haben die Reihe verlinkt, und auch auf Twitter kamen ein paar Anmerkungen. Die beste Reaktion kam allerdings von Paulsens Schwester. Lu, Paulsen, seine Frau und ich saßen gestern in einem sehr netten Weinlokal zusammen, um die Woche ausklingen zu lassen, als Paulsens Telefon klingelte: „Schwester! Ich sitze hier mit Anke und Lu.“ Kleine Pause, dann fing er an zu lachen und meinte zu uns: „Meine Schwester meinte, wie lustig, ich hab gerade vor zehn Minuten Ankes Blog gelesen, die Story mit der Weinprobe. Ich wollte mir grad ne Runde Wein kaufen gehen.“

In diesem Sinne: geht essen. Und genießt es. Ich lerne das gerade.