Training Day

Training Day
(USA 2001)

Darsteller: Denzel Washington, Ethan Hawke, Scott Glenn, Tom Berenger, Dr Dre, Snoop Dogg, Macy Gray
Drehbuch: David Ayer
Kamera: Mauro Fiore
Musik: Mark Mancina
Regie: Antoine Fuqua

Dein erster Tag. Ganz egal, wo – in der neuen Schule, im neuen Job, egal. Du kennst die Regeln noch nicht, du weißt noch nicht, wer die Guten sind, wer die Bösen, mit wem kannst du reden, bei wem solltest du lieber die Klappe halten. Schön, wenn sich dann jemand deiner annimmt und dich rumführt. Jemand, der dir zeigt, wo dein Spind ist, wie die Kaffeemaschine funktioniert, jemand, der dir sagt, an wen du dich wenden kannst, wenn dein Rechner abstürzt. Und diesem jemand vertraust du natürlich. Denn er ist schließlich derjenige, der dich in alle Geheimnisse deines neuen Umfelds einführt. Er muss einer von den Guten sein. Oder etwa nicht?

Jake Hoyt (Ethan Hawke) ist Polizist beim LAPD. Sein Ziel: Er will einer von den Jungs sein, die Drogendealer verhaften, sie vor Gericht und dann für lange Zeit in den Knast bringen. Der erste Schritt ist geschafft: Er wurde in das berühmt-berüchtigte Narc Squad aufgenommen. Er darf sich bewähren. Heute ist sein erster Tag. Und der Mann, der ihm die dunklen Seiten von Los Angeles zeigen soll, ist ein hoch dekorierter, erfahrener Cop: Alonzo Harris (Denzel Washington).

Wir lernen Alonzo zusammen mit Jake als einen recht eigenwilligen Charakter kennen. Statt sich das morgendliche Staff Meeting zu geben, sitzt Alonzo lieber im Coffeeshop und frühstückt. Statt eines normalen Wagens fährt er einen aufgemotzten, schwarzen Chevy, wie jedes Gangmitglied ihn gerne hätte. Und statt eines relativ unauffälligen Äußeren trägt er schwarzes Leder und riesige Kreuze um den Hals. Passenderweise predigt er auch gern. Jeder seiner Leitsätze, die sich Jake anhören muss, könnten auch von der Kanzel herunter tönen: Um die Schafe vor den Wölfen zu schützen, muss man selber zum Wolf werden.

Jake kennt niemanden wie Alonzo. Und er kennt den Job der Drogenfahnder nicht. Also tut er das, was alle Rookies in neuen Jobs tun: Er hört zu, sagt zu allem ja und denkt sich seinen Teil. Alonzo ist unkonventionell, aber das heißt nicht, dass er ein schlechter Cop ist. Er redet ne Menge, aber wer weiß? Vielleicht hat er ja recht.

Erst als die beiden ihren ersten Job zusammen erledigen, kommen Jake Zweifel. Jake verhindert eine Vergewaltigung und will die beiden Täter festnehmen und anklagen. Alonzo löst das Problem schneller und seiner Meinung nach effektiver: Er schlägt die beiden professionell zusammen. Im Auto entbrennt darüber die erste Diskussion: War das Recht? Alonzo fragt den Rookie fast spöttisch: “What do you want?” Und Jake muss wirklich kurz überlegen, bevor er sagt: “Justice.” Und genau das hätten die beiden doch gekriegt, mein Alonzo und nennt seinen jungen Kollegen „Crimefighter“. In einem Tonfall, als würde er „Schwachkopf“ sagen.

Im Laufe des Tages wird Jake immer mehr merken, dass Alonzo Recht etwas anders interpretiert als er selber. Um seine Schafe zu schützen, ist er zum Wolf geworden und legt die Verfassung so aus, wie er sie braucht. Im Endeffekt bekommen die Bösen, was sie verdienen, und den Guten, den Polizisten, geht es mit seinen Methoden besser als ohne sie. Aber ist das noch Recht? Ist das noch Gerechtigkeit? Oder schon selbstherrliche Alleinherrschaft in seinem Revier?

Jake muss sich entscheiden: zwischen einem Leben, das Recht eigenwillig auslegt, und einem Leben, das – nach Alonzos Maßstäben – aus altmodischen und längst überholten Moralvorstellungen besteht. Und er muss sich entscheiden, wer diesen ersten Tag, diesen Training Day, als Sieger übersteht und damit auch, welche Rechtsauffassung: er oder sein Lehrer.

Training Day ist nur oberflächlich ein spannender Polizeithriller. Auf den zweiten Blick wirft er Fragen auf, die wir gerne verdrängen oder nur theoretisch-philosophisch beim Rotwein diskutieren: Wieviel Unrecht darf geschehen, um im Endeffekt Recht zu erreichen? Wieviel darf man der Minderheit antun, um die Mehrheit zu schützen? Wieviel darf sich ein Einzelner herausnehmen, um die Masse vor Gefahren zu bewahren? Oder einfach: Heiligt der Zweck wirklich alle Mittel?

Untergraben wir nicht unser eigenes System, wenn wir den Menschen, die „die Mittel“ sind, völlig freie Hand lassen? Natürlich muss das Gesetz immer eingehalten werden. Es darf nicht sein, dass sich die Polizei ungesetzlicher Mittel bedient, um das Gesetz zu schützen. Aber was ist, wenn deine beste Freundin vergewaltigt wird und die einzige Möglichkeit, den Täter zur Strecke zu bringen, ungesetzliche Mittel sind? Was ist, wenn dein Kind ermordet wird? Deine Eltern beraubt? Was dann?

Und plötzlich ist die schöne Diskussion beim Bourdeaux nicht mehr so schön. Plötzlich kommt diese kleine Stimme, die dir zuflüstert: Egal, was nötig ist, ich will, dass die Täter gefasst werden. Kann es dir jemand verübeln? Kann es falsch sein, wenn man Kriminelle mit kriminellen Methoden zur Strecke bringt? Sie haben schließlich zuerst diesen Weg beschritten, wir kommen nur hinterher, um sie zu schnappen.

Was ist Recht? Was ist Gerechtigkeit? Um diese Fragen zu beantworten, braucht es mehr als eine Flasche Rotwein. Und auch mehr als einen Film. Aber Training Day ist ein guter Anstoß, um mal wieder darüber nachzudenken, wie wir unser System aufrechterhalten. Denn natürlich gewinnen im Film am Ende die Guten. Aber irdendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass es andersrum auch okay gewesen wäre.