Tagebuch Samstag/Sonntag, 3./4. November 2018 – Grrrr und Hach

Sehr lange am Samstag geschlafen bzw. gedöst; lag vermutlich daran, dass ich nicht alleine im Bett war, das ist immer schön, zu zweit ewig rumzugammeln. Dafür war der Vormittag dann plötzlich schon fast um, ich hetzte noch zum Einkaufen, und dann musste ich mich schon in die Stadionklamotten werfen, um den Zug um 13.30 nach Augsburg zu kriegen.

Der FCA spielte gegen den Aufsteiger aus Nürnberg, und obwohl ich überhaupt nichts gegen die Stadt habe (Kunstarchiv! Fahrerlose U-Bahnen! Rostbratwürstchen!), ist mir der Fußballverein fürchterlich unsympathisch, keine Ahnung, warum. Einen Vorgeschmack auf die volle Fankurve bekamen wir schon an der Tramhaltestelle, wo die ersten Ultras rumnervten. Wir verzogen uns und warteten auf eine der nächsten Trams, die eher mit grünweißrot gekleideten Menschen besetzt war. Vor dem Spiel war ich super entspannt, ach, der Aufsteiger, ach, der olle Glubb, und nach wenigen Minuten schoss Herr Finnbogason auch das eins zu null. Die erste Halbzeit gehörte dem FCA und ich war weiterhin entspannt – bis nach der Halbzeitpause alles anders wurde. Die Nürnberger hatten sich daran erinnert, wie man Fußball spielt, der FCA hatte das anscheinend vergessen, und trotz eines wunderschönen Freistoßtores von Schmid ging die Partie 2:2 unentschieden aus und fühlte sich wie eine Niederlage an. Extrem pampig latschten wir zur Tram zurück und ich quengelte innerlich noch eine Stunde vor mich hin.

Zurück in München war dann auch das angepeilte Lokal total überfüllt, aber in der Alternativ-Location war noch genau ein Tisch für uns frei. Wir ließen uns pakistanische Köstlichkeiten statt Schnitzel servieren und waren wieder besser gelaunt. Noch ein Einschlafbierchen und wieder gemeinsam ins Bettchen. Das ist auch immer schön.

(Ja, ich weiß, ich klinge wie ein Teenager, der noch nie einen Freund hatte. Ich mag das aber ganz gern, mich wieder so albern verknallt zu fühlen.)

Sonntag wollte ich nicht ganz so lange rumgammeln und begann schon mal mit Saturday Night Live, während F. noch selig schlummerte. Nutellatoast und Assamtee, dann wollte ich eigentlich lesen, aber dann doch irgendwie lieber hirntot vor einer Serie rumgammeln. Ich entschied mich für die neue Amazon-Prime-Produktion mit Julia Roberts, Homecoming, von deren zehn Folgen ich gestern sieben schaffte – und mich spätestens seit dem Abspann der ersten Folge fragte, ob das Produktionsteam mich verarschen will. Jede Folge dauert ungefähr 21 Minuten, wonach noch drei Minuten DRAMATISCHER ABSPANN folgen. Die Schauspieler*innen sind top, die Ausstattung auch, aber die Story ist so albern auf zehn Folgen MIT DRAMATISCHEM ABSPANN gestreckt und die ständig unheilvoll dräuende Musik von einem miesen Agentenfilm von 1956 geklaut, dass ich nur noch mit den Augen rolle. Fieserweise will ich aber wissen, wie es ausgeht, also muss ich noch drei weitere Folgen mit den Augen rollen.

Netterweise hatte ich abends ein wunderbares Kontrastprogramm: Im Gasteig führten der Monteverdi Choir und das Orchestre Révolutionnaire et Romantique unter der Leitung von Sir John Eliot Gardiner Verdis Requiem auf.

Ich kenne mich mit Requiems null aus, ich weiß nicht, ob die immer der gleichen Struktur folgen (Verdis Requiem folgt, soweit ich der katholischen Begleitung glauben darf, einer Messe), ich hatte daher nichts, woran ich mich festhalten konnte so wie in den üblichen Sinfonien oder Klavierkonzerten, wo man schön im Kopf die Sätze abhaken oder Variationen zählen kann. Hier ließ ich mich einfach überrollen, und Kinders, wenn irgendetwas einen überrollen kann, dann das Dies Irae, was in dieser Aufnahme bei 08.43 losfeuert. In der Philharmonie mit ihrem verschachtelten Zuschauer- und Bühnenraum traten dafür noch vier zusätzliche Musiker*innen rechts und links auf eine Art Balkon, so dass wir altertümliche Posaunen (?) in Stereo hören konnten. In solchen Momenten fühle ich mich auch immer wie ein Teenager, der noch nie in einem klassischen Konzert war und erwischte mich dabei, grinsend und/oder mit offenem Mund dazusitzen. Posaunen in Stereo hatte ich aber wirklich noch nie!

Ich war ansonsten wie immer in der Klassik damit beschäftigt, mir die Klamotten der Damen genauer anzuschauen. Bei den Herren in ihren Pinguin-Outfits ist ja nie was zu holen, aber hier war immerhin ein Man Bun bei den Bratschen und ein schöner Hipster-Vollbart bei den Celli zu bewundern. Mein Liebling war eine Dame in der ersten Geige, die Hosen trug (immer ein Pluspunkt bei mir), dazu ein recht legeres Oberteil, und mit ihren kecken Ponyfransen und vor allem den 10-Zentimeter-Killerheels hätte sie auch super in eine Rockerkneipe hinter die Theke gepasst.

Die Solist*innen waren dem Anlass entsprechend auch in schwarz gewandet, die Sopranistin mit ein bisschen Glitzer am Ohr und Gürtel. Ich musste verwundert an mir feststellen, dass ich irgendwie über Tenöre weg bin. Jahrelang war das meine liebste Lage bei den Jungs, und gestern dachte ich nur beim ersten Einsatz des Herrn, pfft, Show-Off; guckt mal, wie hoch ich singen kann. Ein echter Kerl singt Bass! Total unfair, weiß ich auch, aber der Bass gestern war auch richtig schmelzig, nicht so brummig. (Meine Klassik-Adjektive sind auch noch Teenager.)

Aber irgendwann vergaß ich Klamotten und die innere, über Tenöre naserümpfende Rentnerin und hörte einfach nur noch zu, weil es so wunderschön war. Zwischendurch krachte das Thema (das ist vermutlich der falsche Begriff) vom Dies Irae noch zweimal rein, wenn ich richtig aufgepasst habe, und gerade, als ich dachte, so, jetzt bin ich drin, war das Requiem vorbei. F. holte unsere Jacken, ich wartete mit seinem Mütterchen in der Lobby, bevor wir dann noch einen kleinen Cocktail zu uns nahmen. Die 85 Minuten in der Philharmonie haben das ganze Wochenende rausgerissen. Und ich will dringend wieder Gesangsunterricht haben.