Was schön war, Donnerstag, 9. November 2017 – Manuskript und Stolpersteine

Gestern saß ich den ganzen Tag am Schreibtisch, um meine Führung durch die Städtische Galerie Rosenheim zu finalisieren. Morgen, am 11. November, führe ich eine kleine Gruppe durch unsere Ausstellung Vermacht, verfallen, verdrängt. Kunst und Nationalsozialismus, die nur noch bis zum 19. November läuft, also schnell hin da!

Da ich noch nie eine Führung gemacht habe, musste ich erstmal überlegen, was ich so alles erzählen will. Die Gruppe, die sich führen lässt, besteht ausschließlich aus meinen Blogleser*innen, daher ahne ich, dass schon ein paar Grundkenntnisse da sind. Ich weiß aber auch, dass sich niemand Blogeinträge merkt, vor allem, wenn man sich nicht dauernd mit NS-Kunst auseinandersetzt. Deswegen werde ich vermutlich ein bisschen von dem wiederholen, was ich hier im Blog schon mal angerissen oder ausgeführt habe.

Ich hangelte mich am Raumplan und unserem Katalog entlang, um mir zu überlegen, zu welchen Werken ich explizit etwas sagen will und zu welchen nicht, an welchen Exponaten ich Dinge erklären möchte und welche ich der Gruppe überlasse, damit sie sich selbst damit beschäftigt. Heute werde ich das Dokument abschließen und dann morgen vermutlich mit einem dicken Spickzettel meine erste Führung machen. Ich freue mich auf meine Versuchskaninchen und hoffe, es wird gut.

Wer noch spontan Lust und Zeit hat, sich uns anzuschließen: Wir treffen uns um 13 Uhr vor der Galerie. Bitte meldet euch kurz bei mir per Mail oder Tweet, damit wir nicht 50 Leute werden.

Gestern war der Jahrestag der Novemberpogrome und einige Menschen in meiner Timeline posteten Bilder von Stolpersteinen, die sie geputzt hatten. Ein Blogeintrag von Madame Read on my dear zum Thema hat dazu eine sehr persönliche Meinung:

„Ich wünschte an jedem 9. November wäre es still, ich wünschte einmal nur wären wir mit unseren Toten allein, ich wünschte es gäbe keine Stolpersteinputzkolonnen, keine Spruchbänder, keine Aufrufe, keine Bilder der Namen mit den Namen der Toten, die sich nicht weigern können, die blank sein sollen, denn jetzt wird ihrer gedacht und das ist auch leichter, denn die Fragen nach dem Ring mit dem blauen Stein am Finger einer anderen Frau sind schwieriger.

An keinem Tag wie am 9. November wünschte ich mir, ich könnte die Steine mit Laub bedecken, sie davor bewahren wieder Ziel deutscher Sauberkeit und Gründlichkeit zu werden, aber ich habe schon vor vielen Jahren gelernt, dass die Enkel und Kinder der Toten nur stören im unbedingten Willen zu gedenken.“

Hier in München liegen keine Stolpersteine, weil unter anderem Charlotte Knobloch das nicht möchte; sie meint, durch die im Boden verlegten Namen werden die Opfer ein weiteres Mal mit Füßen getreten. Gunter Demnig, der Künstler, der die Stolpersteine verlegt, sagt hingegen, die Menschen verbeugten sich vor den Opfern, indem sie sich bücken, um die Steine zu entziffern. Ich persönlich halte die Stolpersteine für ein sehr gelungenes Mahnmal in vielen tausend Teilen, weil es Menschen fassbar macht, die mit der irrwitzigen Zahl von „sechs Millionen“ schlicht nicht erfassbar sind, weil es eigentlich unvorstellbar ist (und dann eben leider doch nicht). Es macht aus namenlosen Opfern Nachbarn. Soweit ich weiß, sind die Stolpersteine auch in der Bevölkerung akzeptiert und erscheinen mir sinnvoller als das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin, in dem man prima schicke Selfies machen kann; Stolpersteine kann man nicht für Instagram verfremden oder damit posieren, man kann sie nur zeigen und damit genau das tun, was sie intendieren: sie zeigen, sie weisen auf etwas hin.

Der Blogeintrag hat mir aber wieder einmal klar gemacht, dass hier die Täter*innen(nachkommen) darüber entscheiden, wie der Opfer gedacht wird. Das ist im Prinzip genauso eklig wie Menschen, die anderen Menschen vorschreiben möchten, sich nicht so anzustellen, wenn ihnen Missbrauch widerfährt, ohne dass sie selbst wissen, wie sich ein solcher anfühlt. (Das Thema ist ja leider gerade wieder aktuell.) Bei den Stolpersteinen weiß ich immerhin, dass es auch genug Juden und Jüdinnen gibt, die diese Form des Gedenkens gutheißen, siehe den verlinken SZ-Artikel. Aber der Blogeintrag zeigt, dass es natürlich nicht alle sind, wie vermutlich nie irgendetwas von allen gleich beurteilt wird. Hey, wir diskutieren ernsthaft wieder darüber, ob man Nazis auf die Nase hauen darf. Gerade gestern kam mir die Absurdität dieser Debatte wieder hoch.

Ich habe keine schöne Abschlussbemerkung zu diesem Thema. Ich war nur wieder dankbar für einen Denkanstoß durch ein Blog. Wir, mich eingeschlossen, meckern ja gerne über das Internet und was für Nervensägen und Arschlöcher sich in ihm herumtreiben. An manchen Tagen ist es ganz nett zu merken, dass es eben auch andere Stimmen gibt. Auch wenn sie eine Meinung haben, an der ich mich seit gestern reibe.

Edit: In München gibt es doch Stolpersteine – auf Privatgrund. Dort greift das öffentliche Verbot nicht. Danke für den Hinweis!