Tagebuch, Mittwoch, 1. März 2017 – Letzte Seminararbeit

Gestern bastelte ich den ganzen Tag an meiner allerletzten Seminararbeit meines Studiums rum und betrachte sie jetzt als fertig. Heute gehe ich NATÃœRLICH nochmal rüber und dann schicke ich sie der Korrekturfee. Wenn ich sie zurückbekomme, werde ich erwartungsgemäß noch an ein paar winzigen Baustellen arbeiten, aber dann geht sie zum Dozenten, und dann werde ich eisessend wehmütig auf dem Sofa sitzen, weil ich jetzt keine Hausarbeiten mehr schreiben werde. Das war’s.

Meine Arbeit teilt sich in zwei Teile. Im ersten betrachte ich die Stilrichtung des Expressiven Realismus (Schreibweise des Erfinders) kritisch, im zweiten überprüfe ich, ob Leo von Welden ein expressiver Realist ist, wie von Zimmermann vorgeschlagen. Kurzfassung Teil 1: totaler Blödsinn, Kurzfassung Teil 2: nö. Aber das kann man natürlich auch auf 75.000 Zeichen ausführen.

Wobei genau das die Schwierigkeit war. Kreativer Kopf (und Sammler, wer hätte es gedacht) dieser Stilrichtung Rainer Zimmermann widerspricht sich nämlich gerne selbst. Für ihn bildet der expressive Realismus die Realität ab und interpretiert sie künstlerisch. Kann man so stehenlassen. Gleichzeitig zeigen Maler und Malerinnen des expressiven Realismus aber auch eine Art Gegenrealität, wenn die Wirklichkeit zu schlimm ist wie zum Beispiel in der Zwischenkriegszeit. Da gelten dann auf einmal auch „arkadische Landschaften, bukolische Badeszenen, leuchtende Blumenstücke“ als Wirklichkeit. Oder, auch lustig: Einerseits sieht man den expressiven Realisten an, dass sie welche sind, weil sich eine „Einheit“ ihrer „stilistischen Ausprägungen“ herausgebildet hat. Gleichzeitig aber zeigt sich in ihren Bildern „eine große Bandbreite von künstlerischen Ausdrucksformen“. Wie soll man gegen sowas argumentieren außer dauernd „MAKE UP YOUR FUCKING MIND!“ in den Lesesaal zu brüllen? Also innerlich.

Beim ersten Teil war ich dementsprechend damit beschäftigt, sein 400 Seiten dickes Buch fachfräulich zu zerlegen. Als ich damit fertig war, freute ich mich auf den zweiten Teil, denn nun konnte ich schön alles Wissen zu Leo abrufen. Blöderweise war das natürlich alles viel zu viel, was ich wusste, und ich konnte wieder nur einen Bruchteil all der schönen Dinge aufschreiben, die in meinem Kopf rumlagen.

Darüber jammerte ich mal wieder F. voll, der selbst Wissenschaftler ist und daher weiß, wie sehr ich damit hadere, nicht ALLES aufschreiben zu können. Er erzählte mir zum tausendsten Mal, dass das ja der Witz an Wissenschaft sei: Man besetzt einen Standpunkt, führt den hübsch aus und lässt sein Werk dann los, damit andere Wissenschaftlicherinnen darauf aufbauen können. Genau das ist ja das Tolle an Wissenschaft: Sie hört nie auf. Dem kann ich natürlich zustimmen, aber weil ich weiß, dass ich noch viel mehr besetzen, ausführen und loslassen könnte, bricht mir halt immer mein kleines faktenhordendes Herz. Ich bin SO kurz davor, aus Spaß eine von-Welden-Biografie anzufangen, nur für mich, damit ich mal alles loswerden kann, was ich über den Mann rausgefunden habe, aber da mir die Masterarbeit im Nacken sitzt, ist das kein so guter Plan.

Als ich mit dem Textteil glücklich war, bastelte ich das Abbildungsverzeichnis. Dazu holte ich Bilder von meinem iPhone und vom USB-Stick, auf dem Scans aus verschiedenen Bibliotheken drauf waren. Dann scannte ich zuhause noch Zeug ein: Bilder aus Büchern, die ich mir geliehen hatte und ein Polaroidfoto der Künstlertochter, das sie mir freundlicherweise geliehen hatte. Ich trug alles zusammen, beschriftete die Abbildungen, so weit es ging („Maße und Verbleib unbekannt“), dann druckte ich den ganzen Berg einmal aus und durchkämmte alles nach Rechtschreibfehlern, komischen Bezügen und verglich die Fußnoten mit dem Literaturverzeichnis.

Und dann war der Tag rum.