Was schön war, Montag, 13. Februar 2017 – Kunstlesen, Kunstgucken

Die Bibliothek des ZI macht neuerdings bereits um 9 statt um 10 auf, was mich sehr freut, denn dann kann ich früher anfangen und früher nach Hause gehen. Hätte ich in meinen 20ern auch nicht gedacht, aber inzwischen stehe ich lieber ein bisschen früher auf und arbeite bis in den Nachmittag anstatt ewig zu schlafen und dafür bis 21 Uhr irgendwo schuften zu müssen.

So saß ich um halb zehn (wir wollen es ja nicht gleich übertreiben) im ZI und arbeitete weiter an meiner Hausarbeit. Am Freitag hatte ich die Einleitung begonnen, die schloss ich gestern mit dem Forschungsstand ab. Wenn man überhaupt von einem Forschungsstand sprechen kann, denn der expressive Realismus ist, trotz des meist im Eigenverlag publizierenden Klüngelclans von einer Handvoll Autor*innen, der Kunstgeschichte relativ egal. Ein wunderschönes Thema, um sich daran abzuarbeiten. Gestern durchstöberte ich die wenigen Rezensionen, die es gab, und begann, mich am Begriff dieser Stilrichtung, die meiner Meinung nach keine ist, abzuarbeiten. Ich las also bergeweise Kram über den Realismus und den Expressionismus, rollte dauernd die Augen, wenn ich wieder zum Originaltext zurückmusste, war aber glücklich und zufrieden in meinem Büchermeer und merkte überhaupt nicht, wie die Zeit verging.

Um kurz nach vier schrieb mir F. eine DM, durch die ich bemerkte, wie spät es war. Wir waren um halb sechs verabredet, um uns Spaniens goldene Zeit in der HypoKunsthalle anzuschauen, und ich musste vorher unbedingt noch in die Stabi, um ein Buch abzugeben, das gestern fällig war. Die Stabi ist nämlich brutal in ihren Zahlungsforderungen und will sofort sieben Euro, wenn man ein Buch nicht wieder hergibt. Netterweise war ich beim Schreiben gerade an einem Punkt angelangt, an dem ich abbrechen konnte, stellte also mein Büchermeer brav ins Regal bzw. behielt ein paar Bücher im Handapparat, zog meinen Rucksack aus dem Schließfach und radelte zur Stabi. Ich hatte am Sonntag in weiser Voraussicht mein Rad wieder flott gemacht, nachdem es über die verschneite Zeit im Keller sehnsüchtig auf mich gewartet hatte. Buch abgegeben, nach Hause geradelt, den Rechner im Rucksack gegen Übernachtungszeug ausgetauscht und per Bus in die Kunsthalle gefahren. Um fünf vor halb da gewesen! (Beckerfaust!)

Die Ausstellung war okay, aber nicht überwältigend. Einige wenige Stücke fand ich aber doch herausragend, zum Beispiel das Gemälde Der heilige Johannes auf Patmos von Juan Bautista Maino; man sieht Johannes eher sinnierend in einer ruhigen Landschaft aufs Meer blickend, sein Attribut, der Adler, lagert entspannt-komisch neben ihm. Mir gefiel an dem Bild, dass es ein Landschaftsbild war – so ziemlich das einzige in der Ausstellung. F. meinte, er habe an einem weiteren Bild gelesen, dass Landschaften einfach nicht so en vogue waren im Spanien des Barock (ich habe kaum Bildtexte gelesen, und wir waren auch nach nur einer Stunde wieder draußen). Laut Wikipedia war Maino ein Schüler El Grecos, weswegen er vermutlich in dessen Saal hing, wo er natürlich noch mehr auffiel in seiner stillen Schlichtheit zwischen den ganzen exaltierten, überlangen Menschengestalten.

Ein paar Räume weiter trafen wir Velázquez wieder, den wir ausgiebig im Prado hatten bewundern dürfen. Wir waren uns einig, dass wir eine Leihgabe von dort – ein Porträt Philipps IV. – auch vor Ort gesehen hatten, aber so oft, wie Velázquez den König gemalt hat, waren wir uns nicht ganz sicher. F. guckte noch die Velázquezze an, während ich schon in den nächsten Raum ging – und dort breit grinsend nach einem kurzen Rundumblick stehen blieb. F. hatte dann auch seinen wissenden Gesichtsausdruck drauf, als er zu mir aufschloss, denn ich stand beseelt vor einem Stillleben Cotáns. Dem Mann bin ich verfallen, seit ich ihn in einer Vorlesung sah, und habe das F. vermutlich stundenlang im Prado erzählt – die gleiche Vorlesung wies mich übrigens auch auf Chardin hin, dessen Stillleben ich ebenso verfallen bin. Als wir im Prado waren, habe ich, glaube ich, laut gequietscht, als ich den Cotán entdeckte, weil ich nicht wusste, dass dort einer hängt. Aus der Bildbeschreibung vor Ort lernten wir, dass es nur sechs Stillleben gibt, die zweifelsfrei Cotán zugeschrieben werden können. Jedenfalls meinten wir gestern abend, dass das dort gestanden hätte. Ich hatte auf die Wikipedia als Quelle für diesen tollen Fakt getippt, aber dort stand nichts (jedenfalls nicht in der deutschen oder englischen Ausgabe). Daher lest ihr diesen Blogeintrag auch erst etwas später als gewohnt, denn ich tippe ihn im ZI, wo ich natürlich erstmal nachschauen musste, ob diese Aussage stimmt. Sowas kann ich ja nicht mehr einfach so ungeprüft schreiben. Seit wenigen Minuten kann ich bestätigen: Es gibt wirklich nur sechs zweifelsfrei Cotán zugeschriebene Stillleben, und es gibt sogar nur vier, die in öffentlichen Museen hängen (im Prado, in Chicago – da kam die gestrige Leihgabe her – sowie in San Diego und Granada). Ich kann jetzt also von mir behaupten, die Hälfte aller für mich zugänglichen Stillleben Cotáns gesehen zu haben. Ha!

(Die Quelle für den Fakt, falls das jemand in der Wikipedia eintragen will: Jordan, William B.: An Eye on Nature. Spanish Still-Life Paintings from Sanchez Cotán to Goya, 2. überarbeitete Auflage, London 1997, S. 28.)

Nach dem Museum gab’s endlich was zu essen, was dringend nötig war, denn ich hatte seit meinem üblichen morgendlichen Cappuccino und Saft nichts zu mir genommen. Wir gönnten uns Pizza bei Ciao Ragazzi, die meiner Meinung nach aber nicht ganz so gut war wie beim verwandschaftlich verbundenen Unternehmen direkt gegenüber, Lo Studente. Trotzdem schmackhaft, und mit Pizza macht man mich ja immer glücklich.