Was schön war, Montag, 5. September 2016 – Originale

Am gestrigen Montag fuhr ich ein weiteres Mal zur Tochter Leo von Weldens, denn ich hatte vergessen, eine Radierung anständig abzumessen und so richtig glücklich war ich mit dem Foto davon auch nicht. Außerdem waren mir während der Arbeit noch ein paar Sachen eingefallen, die ich fragen konnte, und ich bat die Dame am Telefon schon, mir bestimmte Dokumente rauszulegen, die sie mal erwähnt hatte.

Dieses Mal erwischte ich den Zug, kam pünktlich an und wurde wieder mit Wasser und Obst empfangen. Mein „Aber bitte machen Sie sich keine Umstände!“ wurde konsequent überhört. Die Dokumente lagen bereit, ich fotografierte, vermaß Bilder, guckte noch weitere Bilder durch, ich erzählte, was ich bisher so rausgefunden hatte, und dann meinte die Tochter, sie hätte da noch einen Ordner mit Unterlagen, vielleicht wäre der von Interesse?

Ich blätterte kurz rein und fing innerlich an zu schwitzen. Ich hatte vor Wochen an das Bundesarchiv in Berlin (ehemals Berlin Document Center) geschrieben und nachgefragt, ob man nachvollziehen könne, ob von Welden Mitglied in der Reichskammer der bildenden Künste gewesen war; in der Forschungsliteratur steht nämlich, dass man ihm die Mitgliedschaft verweigerte. Aus dem Aktenbestand ist herauszulesen, dass von Welden immerhin bekannt war (ich schrieb schon mal über die Karteikarte, die ihn als BeKA = besondere Kulturaufgaben einstufte), eine Mitgliedschaft war aber nicht zu belegen. Außerdem wird in der Literatur ständig ein Brief des Kunstvereins Freiburg zitiert, der ihn im März 1937 nicht ausstellen wollte, weil er sich nicht sicher war, ob von Welden „Untermenschen“ zeichnet; diese Ablehnung soll erstens begründen, dass von Welden keine regimekonforme Kunst produzierte (ein Katalog verstieg sich zur Einschätzung, dass seine Kunst als „entartet“ galt), zweitens belegt sie die inkonsequente NS-Kunstpolitik, bei der die rechte Hand manchmal nicht wusste, was die linke tat, denn von Welden durfte immerhin (laut Literatur) 1943 in Berlin und 1944 in Stuttgart ausstellen. Berlin konnte ich nachweisen, Stuttgart nicht. Ach ja, das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg hat sich inzwischen gemeldet (dankeschön!): nichts von Leo zu finden aus dem Kunsthaus Schaller/Stuttgart; auch nicht, ob diese Austellung überhaupt stattgefunden hat. Der einzige Beleg in der Literatur ist, ich zitiere zähneknirschend, „Erwin Bareis in einem unbezeichneten Stuttgarter Zeitungsartikel vom Februar 1944“. Ich meine, dass Bareis zu diesem Zeitpunkt für den NS-Kurier geschrieben hat, der netterweise in der Bayerischen Staatsbibliothek liegt. Ich habe den kompletten Februar mehrfach durchgeblättert und dann noch Januar und März, aber ich habe den Artikel nicht gefunden. Das schaffe ich für diese Arbeit nicht mehr, aber aus purer Neugier werde ich wohl mal die Landesbibliothek Baden-Württemberg belästigen, ob sie eine Ahnung hat, wo Herr Bareis sonst noch veröffentlicht haben könnte.

Aber zurück zu Leo: dass ich ihm inzwischen einen Riesenschwung Ausstellungen, Buch- und Zeitschriftenillustrationen nachweisen kann – geschenkt. Aber was unter anderem in diesem unschuldigen Aktenordner zu finden war: ein Anmeldeschein über Bilder, die von Welden an den Kunstverein Freiburg schickte für eine Ausstellung, die im Juli 1937 stattfinden sollte, lausige vier Monate nach der Ablehnung. Kleines Detail am Rande: der Ablehnungsbrief ist mit „Mit besten Grüßen“ unterzeichnet, die mehrfache Korrespondenz zur Ausstellung mit „Heil Hitler“, jeweils vom gleichen Herrn. Da will ich nicht zuviel reinlesen, aber anscheinend war der Kunstverein jetzt auf Linie, nachdem er im März 1937 noch vom Wechsel in der Kreisleitung geschrieben hatte, der das dementsprechende Zögern ausgelöst hatte, was denn jetzt (noch?) ginge an Ausstellungen.

Das beste Detail an diesem Anmeldeschein ist aber: Auf ihm hat von Welden eine Mitgliedsnummer der Reichskammer aufgeführt. Und nicht nur auf diesem: Mir liegen noch zwei weitere Einreichformulare für Hamburg und die GDK 1941 (!) vor, auf denen die gleiche Nummer auftaucht. Die Dokumente scannte ich gestern ein und schickte sie an meinen Kumpel im Berliner Archiv, der mich gebeten hatte, mich nochmal zu melden, falls ich noch was finde. Ich denke, das habe ich.

Aber das war noch nicht alles.

Von Welden verlor 1943 bei einem Bombentreffer sein Atelier, weswegen die bisherige Forschungsliteratur sagen konnte, wir wissen nicht genau, was der Mann vorher gemalt hat. Seit gestern habe ich eine Aufstellung, die vermutlich für das Kriegsschädenamt ausgefüllt wurde, in der der Atelierinhalt beschrieben wird – mit Bildtitel, Technik und Abmessungen. Eine Seite der vier fehlt, aber viele seiner Werke vor 1943 kann ich jetzt benennen. Das ist für mich so spannend, weil es mich ja wahnsinnig macht, dass der Mann extra für die GDK Nazischeiß produziert hat, während er sonst nur lustige Bauern und Kokotten malte. Auch eine persönliche Auseinandersetzung mit seiner Umwelt habe ich bisher nicht gekannt. Jetzt habe ich Bilder, auf denen seine Frau und seine Tochter zu sehen sind sowie weitere Landschafts- und Menschendarstellungen. Kein Nazischeiß, wo-hoo!

Ich habe Verlagskorrespondenz für weitere Buchillustrationen, die ich noch nicht kannte, ich habe noch weitere Ausstellungsbeteiligungen gefunden, ich habe seinen Fremdenpass, der bis September 1945 galt und damit belegt, dass er sich nicht so recht um die deutsche Staatsbürgerschaft bemüht hatte, die eigentlich eine Grundvoraussetzung für die Reichskammermitgliedschaft war. Deswegen weiß ich immer noch nicht, was ich von dieser Nummer halten soll – gehörte die jemand anders? War er Mitglied und wurde im Zuge von verschärften Bedingungen wieder rausgeschmissen? Wieso sollte sich die Gauleitung München-Oberbayern Ende 1938 bei der NSDAP-Ortsgruppe Schwabing nach ihm erkundigen, um ihn in die Kammer aufnehmen zu können, wenn er schon drin war?

Weiterhin habe ich jetzt Belege zum Reichsarbeitsdienst, von dem er als Kriegsmaler Ende 1941 an die russische Front geschickt wurde; das konnte ich bisher nur durch Literatur belegen, aber nicht durch Originaldokumente. Und da ist noch mehr Zeug, aber das breche ich hier jetzt mal ab.

Ich war gestern sehr lange mit Scannen und Lesen und Tiefdurchatmen beschäftigt, denn einiges in meiner Arbeit muss nun mal wieder umgeschrieben werden, aber das mache ich mit Freuden. Mir ging es gestern wie bei meinen Archivbesuchen – dieses herrliche Gefühl, in Originalen zu blättern anstatt in Sekundärliteratur. Klar liebe ich meine ganzen dicken Bücher, aus denen ich so viel lernen durfte, aber wie toll das ist, mit Quellen zu arbeiten, habe ich erst in diesem Semester verstanden. Zunächst in der Geschichtshausarbeit, für die ich Lebenserinnerungen aus dem 19. Jahrhundert las, und dann in dieser Hausarbeit, für die ich in einem Nachlass wühlen darf und durch ein halbes Leben in Korrespondenz blättere. Das ist so viel direkter und nachvollziehbarer als wenn man es in einem Buch präsentiert bekommt. Ich habe die Chance, selber Schlüsse zu ziehen, mir selber ein Bild von Dingen zu machen – eigentlich genau das, was ich auch mit Kunstwerken tue. Ich bastele mir ein Bild eines Malers zusammen, das nicht ganz dem entspricht, was ich durch die Literatur von ihm bekommen habe bzw. es um entscheidende Facetten erweitert. Das ist ziemlich großartig.