Herr Lehmann

Herr Lehmann
(D, 2003)

Darsteller: Christian Ulmen, Detlev Buck, Katja Danowski, Janek Rieke, Hartmut Lange
Musik-Konzept: Charlotte Goltermann
Kamera: Frank Griebe
Drehbuch: Sven Regener
Regie: Leander Haußmann

Von Herrn Lehmann sind mir zwei Zitate im Gedächtnis geblieben. Eins davon ist die wunderbare Liebeserklärung von Herrn Lehmann an seine Angebetete Katrin: „Ich liebe dich. Das ist der Punkt. Kann ich mal den Aschenbecher haben?“

In diesem Stil läuft der ganze Film. Die Handlung selbst ist nicht weiter von Belang: Herr Lehmann arbeitet in einer Kneipe, ist praktisch nur nachts wach, zieht da meist mit seinem Kumpel Karl um die Häuser und führt belanglose Gespräche mit seinen Kollegen und seinem Chef. Aber so simpel wie sich das anhört, ist es natürlich nicht. Natürlich geht es in Wirklichkeit um die Liebe, um den Sinn des Lebens, um die Angst, dieses Leben irgendwie zu verpassen und gleichzeitig um die Angst, sich eben dieser Tatsache zu stellen. Aber wer will schon über große Fragen nachdenken, wenn es ne Menge Bier gibt, noch Platz im Aschenbecher ist und die Frage im Raum steht, ob Kristall-Rainer ein Zivilbulle ist, der Erwins Kneipe dichtmachen will, weil er dort Drogengeschäfte vermutet?

Herrn Lehmann lebt von seinen skurrilen Dialogen, die man wahrscheinlich nur nachvollziehen kann, wenn man selbst mal morgens um fünf betrunken über die Wichtigkeit von Elektrolyten diskutiert hat. Oder selbst mal hinter der Theke stand. Denn wenn man zu diesen komischen Vögeln der Nacht gehört, verliert das tägliche Leben, das sich zu „normalen“ Tageszeiten abspielt, komplett seine Sinnhaftigkeit. Worüber macht der Rest der Welt sich eigentlich den ganzen Tag so einen Kopf? Das versteht man erst, wenn diese Welt der „Normalen“ plötzlich in die Nacht einbricht und den kleinen Kellnerkosmos anknackst. Und dann muss selbst ein Herr Lehmann, der sich sonst so wunderbar treiben lassen kann, einmal aufwachen.

Die Hauptfigur wird von Christian Ulmen sehr überzeugend dargestellt, dem ich persönlich so eine Tiefe gar nicht zugetraut hätte. Denn selbst, wenn seine Figur stets an der Oberfläche zu bleiben scheint, ahnt man als Zuschauer doch, dass sein Kopf eben nicht so leer ist, wie er selber gerne von sich sagt. Seinen Kumpel Karl, der ihm den Anstoß gibt, sich mit seinem Leben auseinanderzusetzen, spielt Detlev Buck in gewohnt lakonischer Manier, die hier mal nicht träge oder dumpfbackig wirkt, sondern absolut passend.

Überhaupt wirkt der ganze Film sehr stimmig – wenn man die Stimmung einer abgewrackten Berliner Kneipe zu nachtschlafender Zeit mag. Ich mag sie. Und deshalb bin ich mir auch gar nicht sicher, ob ich will, dass sich Herr Lehmann ändert. Ich mag ihn eigentlich so, wie er ist. Wer sagt denn, dass man mit 30 sein Leben in geordnete Bahnen laufen lassen muss? Wer sagt denn, dass hinter der Theke stehen nicht auch ein klasse Job sein kann? Herr Lehmann scheint das aber irgendwann zu glauben, und so müssen wir ihn gehen lassen. Schade. Denn ich habe immer noch das zweite Zitat von ihm im Ohr:

Der letzte Teil des Films spielt am 9. November 1989. Herr Lehmann sitzt mit seinem ungefähr achten Bier am Tresen, als eine Frau der versammelten Runde mitteilt, dass die Mauer offen sei. Ein Kumpel von Herrn Lehmann meint: „Das muss man sich wohl mal angucken“, worauf Herr Lehmann nur sagt: „Erstmal austrinken.“

Genau. Ja, Welt, ist okay, ich weiß, dass du da bist. Aber es gibt Wichtigeres als dich. Es gibt mich. Und es gibt das Mädchen oder den Jungen, den ich liebe. Und es gibt Freunde und eine Zukunft. Wie auch immer die aussehen mag. Aber damit beschäftige ich mich irgendwann anders. Erstmal austrinken. Und noch eine rauchen.

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