„Und, Anke, wie war so dein achtes Semester?“

(Erstes, zweites, drittes, viertes, fünftes, sechstes, siebtes Semester.)

Ich habe gelernt, dass meine Zeit an der Uni irrwitzig schnell vergeht. Gerade eben habe ich mich immatrikuliert und jetzt spreche ich mit meiner Dozentin schon das Thema für meine Masterarbeit durch. Irgendwo ist ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum und sein Name ist Kunstgeschichte.

Ich habe gelernt – oder aufgefrischt –, dass es keinen schöneren Ort für mich gibt als die Bibliothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte. Es dauert ungefähr eine Viertelstunde, bis das Internet läuft, ich in der hauseigenen Suchmaschine rumgedengelt und danach Bücher und Zeitschriften aus den Regalen in den fünf Stockwerken an meinen Tisch geschleppt habe und anfangen kann zu arbeiten. Egal wie mies gelaunt oder traurig oder hysterisch glücklich ich ankomme, nach einer Viertelstunde steckt meine Nase in irgendwas Gedrucktem, ich sehe Bilder an und lese schlaue Worte, mein Puls geht runter und ich bin geistig an wunderbaren Orten unterwegs, die immer noch nicht langweilig werden.

Ich habe gelernt, mein Privatleben mit dem Studium zu kombinieren. Das war das große Problem im BA-Studium und meinem Hin- und Herfliegen zwischen München und Hamburg, dass ich nirgends richtig war bzw. irgendwann bei steigendem Aufwand für die Uni lieber in München bleiben wollte, obwohl mein Privatleben in Hamburg war. Nach der Trennung von Kai war die neue Beziehung zu F. hier nicht ganz problemlos, weil es sehr ungewohnt für mich war, plötzlich beides hier zu haben. Es hätte eigentlich alles einfacher werden müssen, aber ganz so leicht konnte ich elf Jahre und alte Gewohnheiten dann auch nicht abschütteln. Kurz vor Semesterbeginn fand der endgültige Abschied von Hamburg statt, und daher war dieses Semester das erste, in dem ich komplett hier war und auch nirgends mehr hinmusste. Auch das hat mich anfangs etwas aus der Bahn geworfen, aber in den letzten ein, zwei Monaten beruhigte sich alles. Ab und zu kommt noch Traurigkeit hoch und das darf sie auch, aber im Prinzip bin ich jetzt angekommen. Und allmählich kriegt mein Kopf das auch mit, dass nicht nur ich und die Uni hier sind, sondern auch noch jemand anders. Das ist sehr schön.

Ich habe gelernt, dass es sehr sinnvoll ist, seine Hausarbeiten ins Netz zu stellen, denn sie sind anscheinend eine hervorragende Visitenkarte. In diesem Semester habe ich erstmals kunsthistorische Texte geschrieben, die nicht für die Uni waren, und damit würde ich dann jetzt gerne öfter Geld verdienen, bitte. Das kann ich nämlich ziemlich gut.

(Ja, ich habe noch Träume.)

Ich habe gelernt, wie toll ich es finde, in Archiven in alten Dokumenten zu blättern. Überhaupt: Archive! Bibliotheken! Dieses ganze gedruckte Wissen, das ich schon beim Überfliegen erfassen kann. So sehr ich das Digitale liebe – ich bin ein bisschen nervös darüber, dass manches nur als Pixel auf einem Bildschirm erscheint und nirgendwo fassbar außerhalb eines Servers festgehalten wird. Andererseits mag ich die Flüchtigkeit von Twitter oder ähnlichem auch gerne, und ich glaube, Historiker*innen der folgenden Jahrhunderte werden ganz froh sein, nicht durch noch mehr Zeug waten zu müssen.

Ich habe gelernt, wie viel ich schon gelernt habe. Allmählich klappt das ganz gut, angesammeltes Wissen abzurufen und in einen neuen Kontext zu setzen. Wo ich im BA bis zum Schluss dachte, okay, ich weiß nichts, merke ich jetzt bei jedem Referat oder beim Schreiben, okay, ich weiß ein bisschen. Und wenn die Promotion durch ist, weiß ich immerhin über einen winzigen Teilbereich der Kunstgeschichte so richtig viel. Darauf freue ich mich jetzt schon.

Ich habe (mal wieder) gelernt, dass Geschichte einen größeren Aufwand erfordert als Kunstgeschichte und ich immer ein schlechtes Gewissen gegenüber meinem Hauptfach habe, wenn ich das Nebenfach so bepuschele. Ich habe aber auch gelernt, wie sehr ich mich nach zwei Semestern Pause wieder aufs Historicum gefreut habe. Und jetzt muss ich quasi schon wieder Abschied nehmen, denn es kommt nur noch ein Semester, in dem ich in beiden Fächern Vorlesungen und Seminare habe – im Sommersemester 2017 wartet nur noch, nur noch, haha, die Masterarbeit.

Ich habe gelernt, dass mich ein Thema so fesseln kann, dass ich es nicht loslassen möchte. Deswegen werde ich mich für die eben angesprochene Masterarbeit noch einmal mit Anselm Kiefer und Richard Wagner beschäftigen. Auf unserer schlauen Website steht, dass man Anfang des dritten MA-Semesters mit der Prüferin Kontakt aufnehmen soll wegen des Themas – schon erledigt und alles abgenickt bekommen. Check!

Ich erinnere mich an meine inneren Turbulenzen während der Hausarbeit zu dem Thema, als ich auf jeder Seite und bei jedem Unterpunkt merkte, dass ich noch so viel mehr zu sagen hätte. Ich freue mich sehr darauf, all das endlich aufschreiben zu können, und ich freue mich auch darüber, dass meine Faszination für dieses Thema gehalten hat. Innerlich hatte ich irgendwie drauf gewartet, dass mich ein neues Thema anspringt, aber nein. Kiefer und Wagner wollen noch was von mir. Wagner war bis an sein Lebensende mit einem seiner Werke nicht glücklich und meinte mal: „Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig.“ So geht es mir mit dieser Arbeit. (Um das Ganze mal so richtig hoch aufzuhängen.)

Ich habe gestern meinen Stundenplan fürs Wintersemester gebastelt, der mir ausnehmend gut gefällt. Und als er fertig war, war ich gleichzeitig sehr glücklich – weil er mir so gut gefällt – und sehr traurig, weil ich weiß, dass es der letzte ist, den ich noch basteln muss. Ich möchte noch nicht aufhören zu studieren, weil es noch so viel gibt, was ich studieren könnte. Falls irgendjemand mich als Speakerin für ein bedingungsloses Grundeinkommen buchen möchte – Mail genügt. Ich war trotz aller Widrigkeiten in den letzten vier Jahren mit meiner Arbeit für die Uni deutlich glücklicher als in den Jahren zuvor mit meiner Arbeit für Werbeagenturen. Ich bin dankbar für den Quatsch, den ich dort schreiben durfte, denn dieser Quatsch finanziert mir gerade fünf Jahre Studium und wenn ich nicht dauernd teuren Gin kaufen würde, auch noch mindestens ein Jahr der Promotion. Das ist toll, aber ich glaube trotzdem, dass die Welt eine bessere ist, seit ich keinen Quatsch mehr im Akkord produziere, sondern über Wagner und Kiefer nachdenke.

Ich möchte auch generell glauben, dass Menschen sich persönlich mehr und tiefergehender weiterbilden würden, wenn sie die finanziellen Möglichkeiten hätten. Das mag naiv sein, aber ja, ich glaube, dass wir alle einen besseren Tag hätten und eine bessere Gesellschaft schaffen könnten, wenn wir nicht die ganze Zeit damit beschäftigt sein müssten, Geld für Miete und DSL einzusammeln. Ich habe in den letzten Jahren mehr theoretische und/oder wissenschaftliche Texte gelesen als jemals zuvor, und ich behaupte, das hat mich zu einem reflektierteren und damit besseren Menschen gemacht. Ich wünschte, dass mehr Menschen diese Möglichkeit hätten.