Good Bye, Lenin!

Good bye, Lenin! (D, 2003)

Darsteller: Daniel Brühl, Katrin Saß, Chulpan Khamatowa, Maria Simon, Florian Lukas
Drehbuch: Bernd Lichtenberg
Kamera: Martin Kukula
Musik: Yann Tiersen
Regie: Wolfgang Becker

Die DDR war für mich immer ein Land, in dem die Menschen komische Schuhe trugen und schlechte Zähne hatten. Die Schokolade schmeckte seltsam, die Bücher waren wahnsinnig billig, und im Restaurant durfte man nie die Tische zusammenschieben, wenn man sich nicht die gesamte Verachtung des sozialistischen Thekenpersonals zuziehen wollte, bei dem man entweder Club Cola oder Karotten-Orangen-Juice bestellen konnte. In der Disco musste 50 Prozent Ost-Musik gespielt werden, das Plattenlabel hieß Amiga, und bei der Grenzkontrolle habe ich immer nur an den Spiegel in meinem Rucksack gedacht und dass sie mich dafür wahrscheinlich zehn Jahre nach Bautzen schicken werden, wenn sie’s rauskriegen. Außerdem fand ich das Ost-Sandmännchen immer besser als unseres, muss heute noch bei der Melodie heulen und habe wahrscheinlich genauso verklärte Erinnerungen an diesen Staat wie die ganzen Ossis. Nur, dass ich nie in der DDR leben musste, sondern nach ein paar Wochen Urlaub oder Jugendfreizeit wieder nach Hause in den Westen durfte – und darüber auch, ehrlich gesagt, ziemlich froh war. Mir war bis heute schleierhaft, wie man sich einen Staat zurückwünschen kann, der seine Bewohner bespitzelt hat, aus dem man nicht rauskonnte, wenn man wollte und der einem vorschreiben konnte, welchen Beruf man erlernen sollte.

Bis heute, wie gesagt.

Ich habe gerade Good bye, Lenin! gesehen. Und allmählich komme ich dahinter. Ich behaupte mal, dass sich niemand aus Ostdeutschland nach der Mauer sehnt, nach der Stasi, nach den fiesen Klamotten und dem Schlangestehen. Aber ich ahne, dass sich viele einfach nach zuhause sehnen. Nach diesem Gefühl zu wissen, wo man herkommt und wo es langgeht. Genau wie „wir Wessis“ ein Gemeinschaftsgefühl beschwören, wenn wir über Die Biene Maja oder Die drei ??? reden, so wird es wohl auch „den Ossis“ gehen, wenn sie über Schnatterinchen und Pittiplatsch lachen. Alleine die Tatsache, dass ich nicht weiß, über welche Kindheitserinnerungen „die Ossis“ eigentlich lachen, zeigt mir gerade, wie wenig wir immer noch voneinander wissen.

Vielleicht hat mir deshalb Good bye, Lenin! so gut gefallen: weil auf einmal ein Gefühl da war, dass wir alle eigentlich das gleiche wollen – einen Platz, der uns gehört und zu dem wir immer zurückgehen können.

Die Story des Films: der 20jährige Alexander lebt mit Mutter und Schwester in Ost-Berlin im Jahre 1989. Die Mutter erleidet überraschend einen Herzinfarkt und fällt ins Koma. Nach acht langen Monaten erwacht sie und glaubt, alles sei wie früher. Was sie nicht weiß: Während sie schlief, ging die DDR unter, die Westmark zog ein, die Wiedervereinigung war bereits beschlossene Sache. Um jede Aufregung von ihr fernzuhalten, versucht Alexander, ihr ein kleines Reich zu schaffen, in dem die DDR fortbesteht. Die Wohnung bzw. das Schlafzimmer der Mutter ist das letzte Stück real existierender Sozialismus in Deutschland. Dafür füllt Alexander Jacobs Kaffee in DDR-Packungen, die er aus dem Müll fischt, besticht Kinder, das FDJ-Halstuch nochmal umzubinden und frohe Lieder am Krankenbett zu singen und nimmt mit seinem Westkollegen gefälschte Sendungen der Aktuellen Kamera auf.

Zu Alexanders Schwierigkeiten, einen untergegangenen Staat in einer Drei-Raum-Wohnung aufrecht zu erhalten, kommt noch die eigene Arbeitslosigkeit, die allerdings nicht von Dauer ist, die Beziehung zu einer russischen Krankenschwester und die nicht enden wollende Suche nach Spreewaldgurken.

Was den Film für mich so rührend gemacht hat, war, wie gesagt, die Tatsache, dass wir uns eben doch nicht mehr so fremd sind. Vielleicht suchen wir nicht nach Spreewaldgurken, aber jeder, ob Ost oder West, arbeitet an Beziehungen, versucht sich finanziell über Wasser zu halten und sucht eigentlich nur eine kleine Ecke im Leben, in der man es sich gemütlich machen kann – wo man sich selbst überlassen bleibt, wo es einem gut geht, wo eben zuhause ist. Manche blättern in alten Fotoalben, um sich an Augenblicke zu erinnern, in denen alles so war, wie es sein sollte. Andere brauchen einen bestimmten Geruch oder das Lieblingsbuch aus der Kindheit. Und wieder andere bekommen vielleicht beim Namen Siegmund Jähn feuchte Augen, weil das eben zuhause war. Weil das Teil der Kindheit war, an die man sich gerne zurückerinnert.

Niemand kann in seine Kindheit zurückkehren. Ich fahre auch manchmal an dem Haus vorbei, in dem ich als Kind gewohnt habe, und es fühlt sich komisch an zu wissen, dass ich nicht einfach in das Haus gehen kann und mein Kinderzimmer wiederfinde. Aber wenigstens ist alles um das Haus herum noch so, wie ich es in Erinnerung habe: Der Garten ist nicht plötzlich gelb statt grün, es hängen nicht plötzlich sozialistische Spruchbänder da, wo sonst eine Coca Cola-Reklametafel war, ich kann immer noch mit der mir vertrauten Währung bezahlen, und es kommen die gleichen Sendungen im Fernsehen wie vorher.

Wenn ich mir überlege, dass ich nicht nur das Haus verloren hätte, sondern eben auch die ganze Umgebung, würde ich mich wahrscheinlich auch danach zurücksehnen. Selbst wenn der Garten vielleicht voller Steine gewesen und mir die Reklametafel immer auf die Nerven gegangen wäre. Egal. Es wäre meine Heimat gewesen, ein Teil von mir, ein Teil, der jetzt nicht mehr da ist und den ich nie wiederbekommen werde. Und ich habe jedes Recht der Welt, diesen Teil zu vermissen.

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