Das Wunder von Bern

Das Wunder von Bern (2003)

Darsteller: Louis Klamroth, Peter Lohmeyer, Sascha Göpel, Lucas Gregorowicz, Katharina Wackernagel, Peter Franke
Musik: Marcel Barsotti
Kamera: Tom Fährmann
Drehbuch: Rochus Hahn, Sönke Wortmann
Regie: Sönke Wortmann

Wie macht man eine Geschichte spannend, deren Ende jeder kennt? Ganz einfach: indem man weitere Geschichten hinzufügt. So hat jedenfalls Sönke Wortmann es geschafft, aus der altbekannten Geschichte des „Wunder von Bern“ einen recht unterhaltsamen Film zu machen.

Die Story um die deutsche Nationalmannschaft, die im Endspiel der Fußball-WM 1954 die seit Jahren ungeschlagenen Ungarn besiegten, ist wirklich nichts Neues mehr. Selbst diejenigen, die damals noch nicht mal geboren waren, kennen die legendäre Radioreportage von Herbert Zimmermann: „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt …“ und den Rest kann eigentlich jeder runterbeten. Der Kniff, die Geschichte trotzdem spannend zu machen, ist der übliche, den auch schon andere historische Filme genutzt haben: Man nimmt das Großereignis nur als eine Art Tapete und erfindet ein paar Charaktere, um die es eigentlich geht. So wird der Film keine Geschichtsstunde, und wenn man Glück hat, bekommt die Story, die jeder kennt, noch ein paar neue Facetten.

Im Wunder von Bern ist einer der erfundenen Charaktere der kleine Matthias, ein absoluter Fan von Helmut Rahn, ohne den dieser angeblich kein Spiel gewinnen kann. Das glauben jedenfalls sowohl Matthias als auch Rahn. Und so steht Matthias am Schluss des Films natürlich am Rande des Spielfelds in Bern, als Rahn den Siegtreffer gegen die Ungarn erzielt.

Wie er dahin gekommen ist, erzählt Das Wunder von Bern sehr klassisch, aber nie langatmig. Matthias’ Vater Richard, gespielt von Peter Lohmeyer, kehrt nach zwölf Jahren Kriegsgefangenschaft wieder nach Hause zurück. Dort findet er eine völlig veränderte Welt vor – einen Sohn, der Musik macht, eine Tochter, die sich mit amerikanischen Soldaten vergnügt, eine Ehefrau, die selbständig eine Kneipe aufgebaut hat und eben Matthias, den er noch nie gesehen hat und mit dem er auch nicht wirklich etwas anfangen kann.

Dass sich das ändert, ist keine große Überraschung. Es ändert sich für meinen Geschmack ein wenig zu holprig, aber mehr Zeit hätte man auf den Handlungsstrang auch nicht verwenden dürfen. Schließlich gibt es noch mehr zu sehen in Das Wunder von Bern. Zusätzlich zu Matthias, der in eher ärmlichen Verhältnissen im Ruhrgebiet aufwächst, lernen wir den Reporter Paul Ackermann und seine für damalige Verhältnisse schon ziemlich emanzipierte Ehefrau kennen. Aber vielleicht steht sie auch nur komplett unter Drogen; jedenfalls grinst sie die ganze Zeit bis zum Anschlag und ist überhaupt eine so seltsame Figur, dass ich nie wusste, ob ich sie jetzt ziemlich witzig oder total widerlich finden soll. Warum wir die beiden allerdings überhaupt kennenlernen, ist mir bis zum Schluss des Films ein Rätsel geblieben. Für mich haben sie nicht wirklich zur Story beigetragen, außer, dass sie zeigen, dass für ein paar Menschen in den 50ern das Wirtschaftswunder früher begonnen hat als für den Rest, denn sie wohnen im Gegensatz zur Familie von Matthias in einem absoluten Postkartenhäuschen in München.

Meiner Meinung nach hätte man die Reportergeschichte komplett rauslassen und stattdessen so viel mehr aus der Familiengeschichte herausholen können. Fünf spannende Figuren, die mich alle interessiert haben (warum tun sie, was sie tun und in welcher Konsequenz?), deren Storylines aber fast alle irgendwie versanden. Der Film konzentriert sich schließlich nur noch auf Vater und Sohn – eigentlich okay, aber leider wenig überraschend und voller Schablonenszenen.

Trotzdem macht Das Wunder von Bern Spaß. Denn obwohl die Historie „nur“ die angesprochene Tapete ist, bekommt man eine Menge Fußball zu sehen. Sönke Wortmann hat es sehr geschickt angestellt, dass wir zum Schluss ganz wild darauf sind, beim Endspiel dabei zu sein, obwohl wir ja wissen, wie es ausgeht – durch einen ganz simplen Trick: Wir sehen vor dem Endspiel die Mannschaft nie wirklich Fußball spielen. Wir hören Radioreportagen oder erleben Kinder, die das Halbfinale gegen Österreich nachspielen – aber Rahn und seine Kollegen sehen wir wirklich erst im letzten Spiel. Und dadurch ist man noch nicht übersättigt und fiebert wirklich mit.

Wortmann arbeitet netterweise recht wenig mit Zeitlupe und dramatischen Geigen im Hintergrund, so dass das Spiel stets ein Spiel bleibt und nicht zu einer Heldentat hochgejubelt wird. Die wenigen emotionalen Klischeebilder, die der Film bietet, tun nicht wirklich weh; ich glaube sogar, wenn sie nicht da gewesen wären, hätte ich sie nörgelnderweise vermisst. Denn schließlich ist Sport eine fürchterlich gefühlvolle Sache.

Das „Wunder von Bern“ ist – in der Rückschau gesehen – immer mehr gewesen als ein Fußballspiel. Es war der Anfang eines neuen Selbstbewusstseins, der Anfang eines unvergleichlichen Aufschwungs, der Anfang einer gewissen Normalisierung in der Geschichte der Bundesrepublik. Trotzdem ist Sönke Wortmann der Versuchung nie erlegen, aus diesem Fußballspiel, das mehr ist als ein Spiel, auch einen Film zu machen, der mehr sein will als ein Film. Er ist kein großes Statement zur Lage der Nation geworden, keine nachträgliche Heldenverklärung. Ganz im Gegenteil. Er ist einfach ein sehr ordentlich gemachter Film geworden. Ein paar Dialoge waren zwar von der Sorte „Muss ich nicht haben“, aber selbst die haben nicht wirklich gestört, denn sie wurden aufgewogen durch eine sehr liebevolle und detaillierte Ausstattung, eine Menge Lokalkolorit und die guten Darsteller, die alle sehr eigenständig wirkten und nicht wie schlechte Kopien aus 50er Jahre-Filmen.

Das wirklich Schöne an Das Wunder von Bern aber ist, dass sich der Film fast wie ein Spiel anfühlt – ein Spiel voller Hoffen und Bangen, mit eigensinnigen Protagonisten, einer guten Dramatik und einem Happy End. So wie ein gutes Spiel eben sein soll. Oder eine gute Geschichte.

Eine Antwort:

  1. Alte Haloscan-Kommentare hier. Dort bitte nicht mehr kommentieren.