Catch Me If You Can

Catch Me If You Can (2002)

Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tom Hanks, Christopher Walken, Martin Sheen, Nathalie Baye, Amy Adams
Drehbuch: Jeff Nathanson nach einem Buch von Frank Abagnale
Kamera: Janusz Kaminski
Musik: John Williams
Regie: Steven Spielberg

Catch Me If You Can beginnt mit einer Fernseh-Quizshow, in der das Rateteam aus drei jungen Männern einen verurteilten Verbrecher erkennen soll. Seine Taten werden vom Moderator vorgelesen: Der Mann hat sich als Pilot, Arzt und Anwalt ausgegeben, er hat Schecks in Millionenhöhe gefälscht, und er hat es geschafft, die Polizei jahrelang an der Nase herumzuführen, bis er schließlich gefasst wurde – und das alles, bevor er 19 Jahre alt war.

Ich finde es immer wieder spannend zu sehen, wie Regisseure und Drehbuchautoren es schaffen, mich für Filme zu interessieren, deren Ende ich bereits kenne. Denn das, was der Moderator dem Fernsehpublikum (und damit auch uns, dem Kinopublikum) vorträgt, ist der gesamte Inhalt der nun folgenden zwei Stunden.

Bei Apollo 13 zum Beispiel wusste ich auch vorher, dass die drei Astronauten heile zur Erde zurückkommen. Bei Bram Stoker’s Dracula wusste ich, dass der Graf zum Schluss das Zeitliche segnen wird. Bei Titanic wusste ich, dass das Schiff untergeht. Und bei Catch Me If You Can wird mir die ganze Handlung sogar auf dem Silbertablett serviert. Wieso bin ich trotzdem bei all den Filmen sitzengeblieben und war bis zum Ende gefesselt?

Weil bei all diesen Filmen ein Element zur reinen Geschichte hinzukam: die Charaktere. Sie waren nicht nur Akteure in einer Story, deren Verlauf wir kennen – sondern sie waren das, was der Story Herz verlieh, was sie menschlich und damit bewegend gemacht hat. Bei Apollo 13 war es der verschmähte Astronaut, der wegen Masern zu Hause bleiben musste, der schließlich das Leben der drei im All retten konnte. Bei Dracula haben wir uns mehr für das Leben der armen Mina Murrey interessiert als für den Vampir, einfach, weil wir wussten, was mit ihm passiert. Und bei Titanic haben wir mit den jungen Liebenden mitgelitten und mitgehofft – scheiß auf das Schiff: Kriegen sie sich oder kriegen sie sich nicht?

Genauso funktioniert auch Catch Me If You Can. Die Story selber ist gar nicht so wichtig, sie ist nur ein Vehikel, um die Akteure zum Zug kommen zu lassen. Leonardo DiCaprio als Frank Abagnale ist nicht einfach nur ein gerissener Krimineller, der sich einen Spaß daraus macht, Tom Hanks (als sein Verfolger Carl Hanratty) abzuschütteln, und Tom Hanks ist nicht nur der kaltherzige Polizist, der einen Halbwüchsigen zur Strecke bringen will.

Abagnale begeht seine Straftaten aus dem irrigen Wunsch, seine Eltern wieder zusammenzubringen. Er ergaunert das ganze Geld nicht einmal für sich selbst – ja, er scheint damit nie richtig glücklich zu sein, es dient ihm immer nur als Mittel zum Zweck, noch mehr Geld zu machen, um es dann schließlich seinem Vater zu geben, der damit doch bitte seine Mutter wieder becircen möge. Dass all das von vornherein nicht klappen kann, sieht Abagnale natürlich nicht so – wo soll er mit 17 Jahren auch diese Lebenserfahrung her haben? Vielleicht ist er alt genug, um sich das Handwerk der Scheckbetrügerei beizubringen, aber was das Zwischenmenschliche angeht, muss er noch viel lernen.

Und sein Verfolger, sein Schatten, den Abagnale wiederholt bittet, ihn doch einfach laufen zu lassen, damit er nicht mehr fliehen muss, damit er endlich sagen kann, dass er einfach nur ein kleiner Junge ist, der sich in eine viel zu große Uniform geworfen hat und dem das in einigen guten Momenten auch absolut klar ist? Sein Verfolger gibt nicht auf, bringt ihn schließlich zur Strecke, bleibt dabei aber immer wie eine Vaterfigur. Das wird gleich zu Anfang deutlich, als Hanratty fast bewundernd den Kopf schüttelt, als Frank ihm wieder einmal direkt vor der Nase entwischt ist. Man hat immer das Gefühl, dass er ihn nicht wirklich verknacken will – er will ihm nur seine Grenzen aufzeigen, so wie man einem Kind immer wieder beibringen muss, was richtig und was falsch ist.

Der Film spielt Mitte bis Ende der 60er Jahre, eine Zeit, die der echte Frank Abagnale als „unschuldig“ beschreibt, als eine Zeit, in der die Menschen anderen Menschen eher vertraut haben. Es mutet für unsere heutigen Augen fast irreal an, wenn man sieht, wie leicht Abagnale einen Job als Arzt bekommen hat, nur weil er eine Urkunde aus Harvard vorlegt. Man schaut sich das ganze kopfschüttelnd an – und wünscht sich doch gleichzeitig ein wenig von diesem Vertrauen zurück, von diesem Gefühl der Sicherheit: Wenn ein Mensch eine Pilotenuniform trägt, ist er ein Pilot. Ganz einfach. Wieso sollte er sonst eine Uniform tragen? Und die Frage, die ich mir die ganze Zeit im Kino gestellt habe, ist: Warum kann die Welt nicht mehr so einfach sein? So überschaubar? So geordnet?

Vielleicht hat sich das auch Frank Abagnale gefragt, als die Scheidung seiner Eltern ihn aus der Bahn geworfen hat und er sich den kindlich-einfachen Plan zurechtgelegt hat, sie wieder zusammenzubringen. Vielleicht hat auch Carl Hanratty sich überlegt: Wenn ich einen Kriminellen wieder zu einem „braven Bürger“ mache, ist die Welt wieder ein bisschen geradegerückt. Vielleicht haben die beiden deshalb dieses seltsame Verhältnis zueinander, dieses Den-anderen-Verstehen-wollen. Vielleicht, weil beide noch an das Gute, das Unschuldige im Menschen glauben.

Der Film nimmt sich die nötige Zeit, uns die Charaktere nahezubringen; er gleitet nie in ein simples Katz-und-Maus-Spiel ab. Selbst die Szenen, in denen es darum geht, Frank zur Strecke zu bringen, drehen sich eigentlich um etwas anderes: um Vertrauen. Das Vertrauen, was Frank von Brenda, seiner Verlobten, fordert, das sie allerdings bricht. Das Vertrauen, das er von Carl einfordert, bevor er sich Handschellen anlegt, und das nicht enttäuscht wird. Und es geht um Schutz, um ein Zuhause, um Familie, um irgendjemand, der für uns da ist. Für Frank waren es leider nicht seine Eltern, sondern Carl, der ihn auf den „richtigen“ Weg gebracht hat. Darum geht es in Catch Me If You Can: jemanden zu finden, auf den man sich verlassen kann.

Ich persönlich habe nichts gegen Filme, deren Ende ich kenne, wenn der Weg zu diesem Ende so einfach, berührend und dabei immer unterhaltsam erzählt wird wie in Catch Me If You Can. Der Film ist keine Wundertüte an Innovationen, er hat keinen einzigen Special Effect, aber er erzählt eine Geschichte, die heute schon wie ein Märchen klingt. Es hat mich ein bisschen erschreckt, dass die Geschehnisse gerade mal 30 Jahre her sind. Haben wir uns so schnell so sehr verändert?