Tagebuch 26./27. Oktober – Kirchen und Kiefer

Am Montag saß ich wieder in der schönen Barock-und-Klassizismus-Vorlesung. Letzte Woche war ich leider zu erkältet dafür, weswegen ich die Besprechung von Il Gesù und den Anfang der Bauten von Francesco Borromini verpasst hatte. So bekam ich nur noch das Ende von San Carlo alle Quattro Fontane mit. Ich lernte den Begriff der kurvierten Architektur kennen (wenn eine Wand nicht gerade ist, sondern in Bögen vor- und zurückspringt), holte den Begriff der rhythmischen Travée aus dem ersten Semester wieder nach vorne (wenn eine Wand in ungleichmäßige Abschnitte geteilt ist, hier so halbwegs zu erkennen – schmales Segment, breites, schmales) und staunte über die fragmentierte Kuppeldecke, bei der die einzelnen Polygone und Kreuze nach oben kleiner werden, so dass die Kuppel höher wirkt als sie ist.

Dann schaute ich mir Sant’Ivo alla Sapienza an, wo Borromini innerhalb eines bereits bestehenden Hofes eine Kirche integriert hatte, deren Kuppel so einzigartig ist, dass die Kunstgeschichte keinen Namen für sie hat. Die Kirche hat einen sechseckigen Grundriss, und Borromini gestaltete die Wände abwechselnd gerade, konkav und konvex, nutzte also Konchen und Wölbungen, um die Wand zu gliedern. Beim Blick in die Kuppel wird klar, wo das Problem liegt: Man kann zwar die konkaven Einbuchtungen nach oben hin fortführen, aber nicht die konvexen Ausbuchtungen – das würde die Schwerkraft etwas überfordern. Also hat das kleine Cleverle direkt über dem Wandabschluss Fenster eingebaut, so dass der Übergang zur Kuppel fast nahtlos funktioniert. Wir haben das Ganze jetzt unter dem Begriff der Melonenkuppel gelernt, aber der Dozent meinte auch, dass der Begriff quatschig ist.

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Abends besuchte ich hustend F., der von einem dreitägigen Romkurztrip zurückkam und mir genau die richtigen Souvenirs mitgebracht hatte. Flughafen-Toblerone is the best Toblerone.

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Am Dienstag hatte ich einen Termin mit meiner Endokrinologin, die mir eine etwas unerwartete Frage stellte: „Sind Sie Vegetarierin?“ Meine Vitamin-B12-Werte wären eher mau und ich sollte doch mehr Fleisch essen.

Ich esse für meine Begriffe immer noch eher zu viel Fleisch. Ich habe nach der Lektüre von Eating Animals so gut wie jeden Aufschnitt aus meinem Kühlschrank verbannt, wo dafür jetzt bergeweise Käse liegt (ja, ist inkonsequent, weiß ich), und koche fast gar nicht mehr mit Fleisch, außer wenn ich Spaghetti Bolognese oder Carbonara haben will oder einen Burger. Ich merke aber, dass ich vor meiner Periode irrwitzige Lust auf totes Tier habe. Wer mich also im Supermarkt an der Fleischtheke trifft, wo ich gerade Hackfleisch, Weißwurst, Fenchelsalami und Pastrami ordere, der weiß, dass ich in drei Tagen lustig rumbluten werde. Ich höre auf meinen Körper, wenn er mir zuquengelt, was er essen will. Und meistens will er eher Gemüse und Tofu und Halloumi essen, weswegen ich jetzt nicht damit anfange, Steaks in meinen Speiseplan einzubauen.

Das Gespräch war noch in einer anderen Hinsicht interessant. Die Ärztin schlug mir noch weitere Tests wie zum Beispiel einen für Prä-Diabetes (WTF?) vor, die eigentlich nicht nötig wären, weil es mir laut Laborwerten supi geht (bis auf das B12 eben). Ich meinte freundlich: „Ich sehe mein Gewicht nicht als ein Problem an, daher möchte ich den Test nicht machen.“ Woraufhin sie ebenso freundlich meinte: „Ja, okay.“ Ich hatte mich innerlich schon auf den üblichen fassungslosen 20-Minuten-Vortrag eingestellt, dass ich ja quasi dem Tode geweiht wäre, obwohl die Laborwerte toll seien, aber trotzdem weil Gewicht und überhaupt, das kann ja nicht gut sein, wer weiß, wie’s Ihnen in zehn Jahren geht blablabla (wer weiß, wie’s schlanken Menschen in zehn Jahren geht?). Der kam aber nicht und mein Tag war damit deutlich besser als ich ihn vor dem Termin erwartet hatte.

Nach dem Ärztinnenbesuch bin ich zum Gedenkstein für die alte Hauptsynagoge in der Nähe geradelt, den ich mir anschauen wollte, seit ich mich für die BA-Arbeit mit diesem Gebäude beschäftigt hatte. Das brauchte ich schlussendlich alles nicht, was ich mir dazu angelesen hatte, aber jetzt wollte ich doch endlich mal gucken, wo die Synagoge gestanden hatte, bis sie 1938 einem Parkplatz weichen musste. Dabei fiel mir ein, dass ich mich auch schon seit drei Jahren für eine Besichtigung der neuen Hauptsynagoge anmelden will. Das Gebäude ist von außen wunderschön und, Ironie der Geschichte, für seinen Bau wurde eine Parkgarage abgerissen.

Auf dem Weg vom Gedenkstein in die Stabi geriet ich in eine Demonstration von Pfleger*innen. Hinter dem Demonstrationszug marschierten gleich mehrere Menschen, die Müll aufsammelten, der übrig blieb, Flyer, Plakate, Trillerpfeifen. Sehr effiziente Grundrechtswahrnehmung.

In der Stabi las ich weiter zu Anselm Kiefers Parsifal-Triptychon, das die Tate fälschlicherweise mit Parsifal I, III und II bezeichnet (richtig sind von links nach rechts III, I, IV. Parsifal II ist dieses Bild hier, das nicht zum Triptychon gehört und im Kunsthaus Zürich hängt.). Leider ist meine Erkältung immer noch nicht ganz durch, und so gab ich nach zwei eher unkonzentrierten Stunden auf und ging wieder ins Bett. Abendverabredung abgesagt, den Nachmittag größtenteils verdöst, kurz zur ersten Halbzeit WOBFCB wachgeworden, nach dem Nullzudrei eingeschlafen.