Tagebuch 8. Oktober 2015 – Erklärbärin

Bei F. aufgewacht nach einer wunderbar ungestörten Nachtruhe. Der Mann hat ein im Vergleich zu meinem Schlafsofa riesiges Bett und ich fühle mich dort immer wie im Hotel (wo ich sehr gerne schlafe). Der Service mit den Süßigkeiten auf dem Kopfkissen könnte allerdings besser sein.

Vormittags beim Karstadt um die Ecke einkaufen gewesen. Nach drei Jahren in dieser Wohnung endlich einen Einsatz für die Besteckschublade gekauft. Leider vergessen, vor dem Einkaufen den Backofen auszumessen, um mir ein tiefes Blech nachzukaufen; das Hamburger Blech war mir zu gammelig, um es mitzunehmen (entsorgt). Batterien für die Küchenwaage nachgekauft sowie 60-Watt-Glühbirnen für die Deckenbeleuchtung, die ich außer im Bad nirgends anmache, weil ich lieber indirektes Licht von mindestens drei Steh- und Tischlampen und bergeweise Teelichtern in meiner Wohnung habe. Aber im Bad nutze ich eben doch das Deckenlicht, das aber immerhin warm vom weißen Duschvorhang und den weißen Kacheln reflektiert wird und eine sehr angenehme Raumatmosphäre erzeugt.

In der Fressabteilung Ben & Jerry’s Peanut Butter Cup gekauft, Pancetta für die Carbonara heute (war eigentlich schon für gestern geplant), Stinkebrie und uralten Gouda, und normalerweise nehme ich noch Pastrami mit, wenn ich da bin, aber gestern lachte mich der Krustenbraten so an, daher wanderte der in meinen Einkaufskorb. Beziehungsweise Einkaufswagen, den ich mit meinen stets griffbereiten Münzen losschließe. Als brave Studentin habe ich immer ein 1- und ein 2-Euro-Stück in der Hosentasche für die diversen Bibliotheksschließfächer, die mir über den Weg laufen.

Nachmittags in meinen elektronischen Stundenplan geguckt, ob ich alle meine Kurse bekommen habe – fast: drei von vier.

Im MA haben wir weniger Wochenstunden als im BA, was daran liegt, dass unsere abzugebenden Hausarbeiten deutlich umfangreicher sind. In diesem Semester muss ich zwei Vorlesungen und zwei Hauptseminare in Kunstgeschichte belegen, wobei ich zwei Hausarbeiten zu ca. 50.000 Zeichen abgeben muss (zum Vergleich: Im BA waren es 30.000 Zeichen, meine BA-Arbeit hatte 65.000). Wir haben im MA kein eigentliches Nebenfach, müssen aber trotzdem noch 30 zusätzliche ECTS-Punkte sammeln. Das geschieht bei uns im sogenannten Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Profilbereich, der aus vielen verschiedenen Fächern besteht. Die Historiker_innen, bei denen ich vermutlich wieder rumhängen werde, sind etwas pingelig; wenn man sich für Geschichte entscheidet, dann darf man nur Geschichte studieren. Bei den anderen Fächern darf man mixen und matchen. Theoretisch könnte ich lustig einen Kurs in Theologie, einen in Philosophie, einen in Anglistik und einen in Gender Studies machen, aber ich glaube, ich bleibe bei Geschichte. Die Kurse sind aber erst für das zweite und dritte MA-Semester empfohlen, darüber darf ich also noch ein paar Monate nachdenken.

Meine zwei Wunschvorlesungen habe ich bekommen (Baukunst der Frühen Neuzeit: Barock und Klassizismus sowie Artists on the Move. Künstlerische Reiseerfahrung seit der Frühen Neuzeit), bei den Seminaren immerhin die Iconic Architecture. Ich hätte mich gerne über die Kunst seit 1960 in der Bundesrepublik und der DDR informiert, aber dort habe ich leider keinen Platz bekommen.

Ab Sonntag darf ich nachbelegen. Dann gilt allerdings nicht mehr unsere bisherige Bewerbung, bei der wir priorisieren konnten, was wir gerne hätten, und das System versucht dann, möglichst viele Studis glücklich zu machen. Stattdessen gilt ab Mitternacht: First come, first beleg. Wer sich am schnellsten einen Platz sichert, der hat ihn dann, weswegen ich um 0.01 Uhr hektisch rumklicken werde. Ich überlege noch, ob ich mich lieber mit digitalen Barockschlössern, niederländischen Porträts oder Global Art History beschäftigen will. Momentan neige ich zu letzterem, weil ich das Gefühl habe, bei den theoretischen Grundlagen meines Fachs noch ein bisschen nachlegen zu müssen.

Abends besuchte mich eine Kommilitonin, um sich von mir Twitter und Blogs erklären zu lassen. Sie ist eigentlich nicht mehr ganz meine Kommilitonin, denn sie hat gerade ihren Master gemacht und würde die Arbeit gerne der Öffentlichkeit präsentieren. Sie ist in meinem Alter, weswegen wir nach dem Erklärbärteil noch über unser Studium plauderten und wie sehr wir es genießen. Ich fand es sehr schön, jemanden am Tisch zu haben, dem es genauso geht wie mir, wenn ich einen Hörsaal betrete: dieses immer wieder überwältigende Gefühl von Neugier, Faszination und Dankbarkeit sowie dem Wissen, warum wir hier sind, was eben andere Gründe hat als bei den vielen 20-Jährigen, die um uns rum sitzen. Für sie sind viele Dinge eine Pflicht, die erledigt werden muss; für uns sind sie stets ein Geschenk. Wir müssen nicht hier sein, wir wollen hier sein.