Tagebuch 5. September 2015 – Amsterdam, Tag 3

Nach dem weinseligen Festmahl gestern schliefen wir aus, womit wir jede Chance auf einen zeitigen Einlass im Van-Gogh-Museum verspielten, für den man quasi davor campieren muss. (Oder man ist schlau und bucht ein Ticket für einen bestimmten Zeitslot, aber wir hatten ja die tolle Museumkaart und dachten, ach, da stellen wir uns dann halt morgen kurz in die Schlange. Wie das ausging, kann man sich fast schon denken, aber so klug waren wir Samstag halt noch nicht.)

Nach dem Frühstück spazierten wir zum Foam, dem Fotografiemuseum in Amsterdam. Ich war ein bisschen wackelig auf den Beinen, was weniger mit Alkohol und mehr mit Kreislauf zu tun hatte, wusste aber nicht, warum die kleine Diva gerade so memmig war. Im Foam nutze ich jede Sitzgelegenheit und war nicht ganz so konzentriert, wie ich gerne gewesen wäre. Die drei Ausstellungen, die wir uns ansahen, waren netterweise aber recht schnell zu durchschreiten, und zwei gefielen mir auch sehr gut. Die dritte war für mich ein Totalausfall; die Welt braucht meiner bescheidenen Meinung keine weiteren Bilderserien mehr von sehr dünnen (doofe Formulierung, ich ändere in:) normschönen, eher unbekleideten, weißen, jungen Damen, die irgendeinen inneren und gerne auch äußeren Schmerz vor der Kamera zeigen. But that’s just me. Da gefielen mit die Auseinandersetzung mit Transsexualität von Momo Okabe oder die mit der heutigen Medienvielfalt von Anne de Vries weitaus besser.

Einmal über die Gracht rüber. Dabei gingen wir am Stadtarchiv vorbei, bei dem ich sehr stolz war, die Bauzeit ungefähr richtig geschätzt zu haben.

archiv

Es ging ins Museum van Loon – einem Privathaus auf dem 17. Jahrhundert von einem der Gründer der Niederländischen Ostindien-Kompanie. Das Haus wird heute noch von den Nachfahren bewohnt und ist seit den 1970er Jahren für die Öffentlichkeit zugänglich. Man durchschreitet hochherrschaftliche Räume sowie Privatgemächer, die Küche, an deren Tür steht, dass man sie bitte schließen soll, damit die Katze nicht reinkommt, sowie den Garten und das Kutschenhaus. Letzteres war leider für eine private Feier geschlossen, aber ich war auch so sehr glücklich mit den vielen Möbeln, Wandbezügen, Paneelen und natürlich Bilder über Bilder, die an den Wänden hingen. Das viele Geschirr hatte es mir angetan, das im Esszimmer auf dem Tisch eingedeckt war, genau wie die blauweißen Porzellanvasen, die oben auf einem dafür ausgelegten Schrank zur Dekoration standen. Es war ein bisschen wie gestern im Rijksmuseum, nur dass da nicht zentimeterdickes Panzerglas zwischen mir und dem Objekt war – manchmal nur ein gespanntes Seil, meist aber gar nichts. Wunderschön.

Weniger wunderschön: Mein Kreislauf drängelte zurück ins Hotel, wo ich kraftlos zwei Stündchen verdämmerte, während F. den ZERO-Katalog aus dem Stedelijk besorgte, um den wir seit zwei Tagen rumschlichen und sich noch eine Ausstellung dort ansah.

labyrinth

Gemeinsam machten wir uns dann zu einer temporären Attraktion Amsterdams auf: dem Sonnenblumenlabyrinth, mit dem das Van-Gogh-Museum seinen neuen Eingangstrakt einweihte. 125.000 Sonnenblumen waren für zwei Tage zu einem Irrgarten aufgestellt. Im Labyrinth selbst standen Fragen an Vincent an den Wänden, deren Antworten man in einer eigens dafür konzipierten App finden konnte. Es machte viel Freude, durch die Sonnenblumen zu schlendern; überall standen kleine Kisten, auf die man sich stellen konnte, um gerade so über die Blumen hinwegfotografieren zu können. Vor dem Labyrinth selbst gab es eine kleine Aussichtsplattform, und selbst wenn man sich verirrte, wurde man belohnt: Mitten drin stand ein Musiker, der ein kleines Konzert gab, und sich mit weiteren Acts den ganzen Tag über abwechselte.

sonnenblume

Und weil wir ja gestern quasi nichts gegessen hatten *hust*, gönnten wir uns zum Tagesabschluss noch die 17-gängige Rijstafel im Sama Sebo, wo wir spontan einen Tisch ergattern konnten. Gemüse in Kokosmilch oder Erdnusssauce, verschiedene Spießchen, eingelegte Gurken, Sojasprossen, Bohnen, Erdnüsse, fein gesalzen, alles mild, scharf, sauer oder würzig, zum Schluss gebackene Banane – ich mochte diese fast unendliche Vielfalt sehr gerne, wüsste aber nicht, wie man das jemals aufessen sollte.

rijstafel

Aber selbst wenn der Speise- und der Dessermagen voll sind – der Schnapsmagen kann immer noch. Mein erstes quietschsüßes Fruchtbier im Kingfisher-Café ließ mich glücklich grinsen, während F. ganz erwachsen hochprozentige Biere trank.

fruchtbier