Tagebuch 3. September 2015 – Amsterdam, Tag 1

F. und ich sind für vier Tage in Amsterdam. Im Flieger hinter uns zwei Businesskasper aus der Hölle: „Und dann hat er seine Frau ruhiggestellt, indem er ihr drei Kinder gemacht hat, und dann hat er den ganzen Tag gearbeitet. Hab viel von ihm gelernt.“

In Schiphol checkten wir topcheckermäßig ein, woraufhin uns ein Flughafen antwitterte:

Jetzt hat sich das F Punkt im Blog eigentlich auch erledigt, aber ich behalte das mal bei.

Auf dem Weg zur Baggage Hall (ich las zuerst Baggage Hell) fiel mir auf, dass alle Beschriftungen ausschließlich auf Englisch sind. Erst am Ausgang, als der Flughafen in einen Bahnhof oder eine Metrostation übergeht, kamen niederländische Begriffe dazu.

Am Gepäckband lief eine Animation, wie man anschließend durch den Zoll geht, also: Hast du was dabei, was du uns sagen möchtest? Ein Bild, das einen zum roten Durchgang statt zum grünen schickte, war ein Piktogramm der Mona Lisa, und damit hatten die Niederlande eigentlich schon gewonnen.

stedelijk

Unser Hotelzimmer war leider noch nicht fertig (wir waren aber auch ein bisschen zu früh dran), weswegen wir uns auf den Weg zum Stedelijk machten. Dass mir eine kleine Ruhepause zum Frischmachen und Runter- und Ankommen ganz gut getan hätte, merkte ich erst im Museum, als ich schon bei den ersten Kandinskys und Kirchners und Mondrians dachte, jajaja, schon gut, whatever. (Damit habe ich vermutlich jede Street Cred als Kunsthistorikerin eingebüßt.) Das Erdgeschoss war gerade nicht zu besichtigen, weil eine Ausstellung abgehängt wurde, weswegen wir in den ersten Stock kletterten, wo laut Beschriftung Kunst nach 1950 auf uns wartete. Damit kriegt man mich eigentlich immer, und ich war auch sehr glücklich über Donald Judd, von dem ich anscheinend alles mag, aber an vielen der Werke bin ich dann doch eher flüchtig vorbeigegangen.

lewitt
Sol LeWitt

Da ich mir aber als erste Amtshandlung eine Museumkaart gekauft hatte, mit der man in eine Million Museen reinkommt, kann ich da notfalls am Sonntag, unserem Mal-gucken-was-mir-machen-Tag, noch mal reingehen, und dann mache ich das anständig. Die Museumkaart ist übrigens der Grund, warum wir überhaupt hier sind. Nachdem F. und ich so ungefähr fünf Minuten zusammen waren, meinte er, hey, meine Museumkaart gilt noch bis Ende September, bis dahin könnten wir mal nach Amsterdam fahren.

lichtenstein
Lichtenstein-Detail

Nach einer Stunde eher genervtem und unruhigem Rumguckens kam dann allerdings ein Werk, das mir wieder klarmachte, warum wir hier waren. Edward KienholzThe Beanery von 1965 war ein Nachbau einer schmuddeligen Bar, in den man einzeln reingehen konnte. Man drängelte sich zwischen Besuchern auf Barhockern durch, die alle Uhren statt Köpfe hatten, im Hintergrund spielte quietschige Musik, alles war verstaubt und versteift, aber trotzdem habe ich die ganze Zeit darauf gewartet, dass mir einer der Barflys an den Arm greift und mich nach einer Kippe fragte. Ein wenig beängstigend, aber ich hätte trotzdem gerne mehr Zeit in der Kaschemme verbracht. Blöd nur, dass man weiß, dass draußen der nächste Museumsbesucher darauf wartet, dass man gefälligst wieder rauskommt.

Nach Kienholz drängelte ich ins Museumscafé, um dann doch endlich einfach mal irgendwo zu sitzen und mir zu vergegenwärtigen, wo ich gerade war. Diese Ruhepause tat mir sehr gut, und ich fand einen Namen für meine fiktive Hardrockband, die allerdings in den Niederlanden vermutlich total floppen würde. „Welcome to the staaaage: SLAGROOOOOOM!“

slagroom

Im Untergeschoss bei der ZERO-Ausstellung waren mein Interesse und meine Neugier hellwach und ich schlenderte deutlich enthusiastischer durch die Räume. Das könnte natürlich auch an den Werken gelegen haben. Ich verliebte mich in Henk Peeters (vor allem Akwarel), genoss den Lichtraum (1964) von Heinz Mack, Otto Peine und Günther Uecker, war von kinetischen Skulpturen verzaubert und von anderen irritiert.

peeters
Akwarel (Detail)

Eine Installation war das Werk Empty von herman de vries, das aus einer ca. drei mal drei Meter großen, geschlossenen Holzbox bestand, in die man durch ein kleines Guckfenster schauen konnte. Darin befand sich laut der Objektbeschreibung draußen eine Lampe, aber die sah man nicht. Genausowenig wie man Kanten sah oder den Raum in der Box oder überhaupt irgendetwas Fassbares. Man schaute buchstäblich in ein helles Nichts, was mich komplett verstörte. Es war ein bisschen wie damals in der Ausstellung von Hans op de Beeck, wo man auch bei jedem Werk dachte, hier stimmt was nicht und ich muss mich mal kurz irgendwo festhalten. So war es hier auch; ich legte meine Hände an die Holzbox, spürte meine Stirn über der Sichtöffnung und schaute verzweifelt und begeistert in einen erleuchteten Abgrund, der sich in mir auftat. Nietzsche hätte das Ding geliebt.

zero_weiss

zero_rot
Die Ausstellung war mir teilweise schon fast *zu* ästhetisch.

Nach drei Stunden Museum schlenderten wir endlich ins Hotel, wo wir eigentlich nur kurz ausruhen wollten, dann aber zwei Stunden im Bett dösten, bis uns der Hunger zum Burgermeester trieb. Dort genoss ich einen ganz hervorragenden Burger mit gegrilltem Gemüse und Estragonmayonnaise, den ich zuhause dringend nachbauen muss.

burger

Zum Abschluss des Tages fuhren wir in die Amsterdam ArenA zum EM-Qualifikationsspiel zwischen den Niederlanden und Island. Die Arena liegt quasi mitten in der Stadt, man braucht nur wenige Stationen zu fahren und muss dann vor allem nicht mehr ewig durchs Nichts laufen, bis man da ist (hallo, Allianz Arena). Im Stadion fuhren uns wundervolle Rolltreppen bis in den Oberrang (HALLO, ALLIANZ ARENA!), wo allerdings eine Musikbeschallung aus der Hölle auf uns wartete. (Okay, der Punkt geht an München.)

Auch der Rückweg machte uns sehr glücklich: ein Ausgang leitete uns direkt wieder zur U-Bahn-Station, und wir waren quasi eine dreiviertel Stunde nach Spielende wieder im Hotel, was in München niemals möglich ist mit dieser zwar wunderschönen, aber trotzdem am Arsch der Heide gelegenen Arena.

arena

Aus der Metro bzw. der Tram heraus und auf dem Weg zum Museum und zum Burgerladen konnte ich den fließenden Radverkehr auf breiten Wegen in Amsterdam beobachten und wollte sofort umziehen.