In den letzten Monaten nicht für die Uni gelesen

Ich kann keine Romane mehr lesen, seit ich studiere. Keine Ahnung, ob mir die Fußnoten fehlen oder die langen Sätze – wobei: Ich könnte mal wieder Thomas Mann oder Marcel Proust lesen – oder ob ich schlicht gerade so an Sachbücher gewöhnt bin, ich weiß es nicht. Darunter leide ich nur ein bisschen, schließlich lese ich genug spannendes Zeug, aber meine geliebten monatlichen Leselisten (hier die letzte vor dem Studium) liegen seit längerer Zeit wimmernd in der Warteschleife. Das hier ist ein Versuch, sie wenigstens im Geist wiederzubeleben.

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Hildrud Häntzschel – Marieluise Fleißer. Eine Biographie

Okay, kein Roman, aber immerhin nichts über Kunstgeschichte! Auf Marieluise Fleißer wurde ich durch die Münchner Kammerspiele aufmerksam, die ihr Stück Fegefeuer in Ingolstadt im Programm hatten. Die Aufführung begeisterte mich sehr, und ich habe mir vorgenommen, doch mal wieder öfter ins Theater zu gehen (das klappt ganz gut). Diese Kunstform gibt mir die Faszination zurück, die ich im Kino seit längerem vermisse.

Die Biografie Fleißers fand ich sehr gelungen, vor allem, weil man der Biografin manchmal beim Denken zugucken konnte: Hier gibt es zwei verschiedene Versionen eines Ereignisses – welche schreibe ich auf, wie werte ich sie, wo ordne ich sie ein? Das Buch hinterlässt einen guten, wenn auch teilweise nur schlaglichtartigen Eindruck von Fleißer, die im hohen Alter ihre Jugendwerke (leider?) noch mal umschrieb. Auch hier fragt die Biografin eher, zögert, ein abschließendes Urteil zu fällen, sucht anscheinend selbst noch nach Antworten. Ich mochte das sehr.

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Walter Isaacson – Steve Jobs

Hey, noch mal kein Roman, aber wieder nichts über Kunstgeschichte, wo-hoo!

Der Biografie nach zu urteilen, war Jobs ein essgestörter, narzisstischer Kontrollfreak, in dessen Firma ich es keine fünf Minuten ausgehalten hätte. Das ändert nichts daran, dass das Buch sehr lesbar war und ich weiterhin sehr gerne meine ganzen Apple-Produkte verwende. Because pretty and fun and functioning.

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Gavriel D. Rosenfeld/Uli Nickel, Bernadette Ott (Übers.) – Architektur und Gedächtnis. München und Nationalsozialismus. Strategien des Verbrechens

Über das Buch hatte ich schon mal kurz im Rahmen einer Linksammlung gebloggt, daher belasse ich es hier bei dem Verweis. Ich lege es euch trotzdem noch mal ans Herz: Es ist, zumindest im Original, sehr lesbar geschrieben; die Übersetzung knirscht allerdings an manchen Stellen, was man schon beim holprigen Titel merkt, und es geht so weiter, vor allem wenn von lokalen Bauwerken gesprochen wird. Ich kenne jedenfalls niemand, der zum Lichthof der Münchner Uni „Atrium“ sagt, auch wenn das baulich hinkommen mag. Trotzdem habe ich mir die deutsche Ausgabe für Zuhause und das gemütliche Lesebett gegönnt, denn die kostet quasi nichts, und ich wollte die ganzen tollen Literaturhinweise im dicken Anhang haben. Die teure englische Version Munich and Memory: Architecture, Monuments and the Legacy of the Third Reich las ich immer bei uns in der KuGi-Bibliothek.

(Okay, wieder kein Roman. Jetzt aber:)

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Wolfgang Herrndorf – Bilder deiner großen Liebe: Ein unvollendeter Roman

Das Buch erzählt von Isa, einer Figur, die wir schon aus Tschick kennen. Ich mochte, wie immer, die Sprache Herrndorfs, aber dieses Fragment hat mich sehr unberührt zurückgelassen – und ich weiß nicht, ob es anders gewesen wäre, wäre Bilder fertiggeschrieben worden. Müßige Frage, ich weiß. Mein Liebling wird Sand bleiben.

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Donna Tartt – The Little Friend

Nach ihrem ersten Buch, The Secret History, musste man zehn Jahre auf das nächste Werk von Donna Tartt warten. Ich wartete und wartete und wartete, denn History gehört zu meinen Lieblingsbüchern, dann war Friend da, ich begann zu lesen … und legte das Buch nach gut 100 Seiten äußerst gelangweilt zur Seite. Das ist jetzt zehn Jahre her, der Goldfinch konnte mich wieder begeistern, also gab ich dem kleinen Freund noch eine Chance … und legte das Buch nach gut 150 Seiten äußerst gelangweilt zur Seite.

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Bov Bjerg – Auerhaus

Auch hier: Ich mochte die Sprache, ich mochte, das aus den ewig lakonische hingeworfenen Egals irgendwann ein Nicht egal wird, ich mochte die Hauptfigur – aber ich habe keine Ahnung, warum. Alle Personen blieben für mich Schemen, ich kriegte sie nicht zu fassen, sie wurden auf ein, zwei Charakterzüge runtergebrochen, und das war’s. Ich habe Auerhaus schnell und gerne gelesen, aber als ich es durch hatte, wusste ich nicht mehr, warum eigentlich.

In vielen Kritiken las ich von Flashbacks in die Jugendzeit, und das Ding spielt auch genau in der Zeit, in die ich hätte flashbacken können, die 80er. Vielleicht lag es an der übergroßen Konkurrenz von Keith Haring, Queen und Deutschland 83, dass ich hier etwas unbeteiligt geblieben bin.

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Florian Illies – 1913: Der Sommer des Jahrhunderts

Zwei Jahre zu spät, aber glücklicherweise überhaupt: ein wundervolles Buch. Illies kombiniert Szenen und Ereignisse aus der bildenden Kunst, der Literatur, Politik und dem bunten Vermischten aus lokalen Blättchen zu einem kurzweiligen Erzählstrang, der natürlich davon geprägt wird, dass wir wissen, was ein Jahr später passierte. Das schmerzt besonders, wenn wir über Franz Marc oder Georg Trakl lesen. Es zeigt aber gleichzeitig, wieviel aus diesem Jahr uns noch bewegt, ganz gleich, ob wir in einem Museum stehen, in einem Geschichtsbuch blättern oder einen Lyrikband lesen.